Anders als in einem üblichen Kochbuch erklärt Hervé This nicht nur, wie man ein Gericht zubereitet. Als "kulinarischer Chemiker" versteht er es, dem Hobby-Koch auch das "Warum" der Rezepte näher zu bringen. Anhand von 55 Rezepten aus der französischen Küche - Suppe, Vorspeise, Hauptgang und Dessert - führt der Autor durch die Physik und Chemie der Lebensmittelzubereitung. Der Leser wird das gewonnene Verständnis für die Vorgänge beim Kochen und Braten auch bei eigenen Kreationen erfolgreich einsetzen können. - Hervé This-Benckhard ist auch Autor des vergnüglichen Buches "Rätsel der Kochkunst".
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1997In einem Büchlein helle
Hervé This-Benckhard serviert Forellenklößchen auf wissenschaftliche Art / Von Vincent Klink
Ein Kochbuch von einem Wissenschaftler? Schon bin ich dabei, zu dem Buch meine Zweifel zu sortieren. Kochen hat mit Bauch zu tun, und wenn es um das wirkliche Zentrum unseres Körpers geht, sind gegenüber der Wissenschaft zumindest unterschwellige Bedenken angezeigt. Kochen ist unbewußter Umgang mit der organischen Chemie, wenngleich die Nahrungsmittelindustrie sich nicht daran hält und Maggi und Knorr bereits im Terrain des Anorganischen forschen. Wissenschaft kümmert sich nicht um Sinnlichkeit und Gefühle, und gerade die braucht es, wenn das Kochen über die reine Versorgung hinaussoll. Ich hangle mich durchs Buch, stoße auf Begriffe wie Moleküle, Osmose, Diffusionen und bin zuerst einmal konfus. Tags darauf erreicht mich eine Postkarte vom Hot-Chili-Dichter Wiglaf Droste: "Auf dem Heimweg ins Weserbergland kaufte ich mir in Lemgo Kulinarische Geheimnisse von Hervé This-Benckhard & bin hingerissen . . ."
Das hat wiederum mich umgerissen, denn Wiglaf ist, wie ich, der sortenreine Bauchtyp, sieht auch so aus und hat - beispielsweise - solange der Stoff wirkte, noch nie die letzte Wahrheit über Calvados wissen wollen. Auch er nun faktengeil?
Von hinten das Buch erneut ansteuernd, stolpere ich über ein Glossar und bleibe beim Kalzium hängen: "Ein chemisches Element. Ein Kalziumatom bildet zusammen mit einem Kohlenstoffatom und drei Sauerstoffatomen . . ." Meine Güte, hier fühle ich mich gleich so elend wie in der Internatsschule, als wir in den Parkettritzen des Chemiesaals nach Quecksilberkügelchen suchten.
In dicken Packen nach vorne geblättert, bleibe ich an den Rezepten hängen - schiere Haute cuisine, manchmal, leider nicht immer, unter Berücksichtigung probater Küchentechniken der Nouvelle cuisine: gegrillter Hummer im Gemüsefond, Stopfleberscheiben mit Trauben und Äpfeln, Kaninchenpfeffer, gegrillte Wachteln mit Speckscheiben bardiert, Ente à la Brillat-avarin, Fasanenragout, Desserts - alles wird genau und auch für Laien nachvollziehbar erläutert. Dem Leser wird der Kochlöffel so geführt, daß er ohne Mühe tief in die Hintergründe des Kochens einzudringen vermag. Kreatives Kochen und Backen ist nicht möglich, wenn man beispielsweise nie dahinterkommt, warum Hefeteig aufgeht. Das große Problem der Hobbyköche, aber auch vieler Berufsköche ist, daß sie glauben, es geschähen Wunder in Pfanne oder im Topf. Schon mal einen Dampfkochtopf bei Volldruck aufgehebelt?
Der Chemiker und Physiker erläutert präzise und liefert viele Fakten mit lebendiger Feder. Manches Kapitel wird mit in Stein gemeißelten Versen begonnen, so etwa der hedonistischen Rechtfertigung eines gewissen Wikram von anno 1537: "Fünf gute Gründe für das Trinken - die Ankunft eines Gastes, der gegenwärtige Durst, der künftige Durst, die Köstlichkeit des Weins und jeder andere Grund." Histörchen werden erzählt, und der Autor leistet sich erfrischenderweise sogar Vermutungen, die dem Buch charmante Inkonsequenz verleihen. So wird der Leser in die Geheimnisse der tournierten Kartoffel eingeweiht. Das sind Salzkartoffeln, deren Kanten mit einem feinen Messerchen gebrochen wurden. Eines jeden Kochlehrlings Qual ist die korrekte Schnittführung und die ebenmäßige Form. Bei Restaurantbesuchen stieß Hervé auf Salzkartoffeln, die siebenkantig geschnitzt waren. Da war die Verlockung groß, Rituale zu vermuten, und die magische Zahl Sieben (Primzahl et cetera) ins Okkulte hinein zu interpretieren. Gemach, gemach, soviel Sinnstiftung ist von Köchen nicht zu erwarten, denen man nachsagt, daß sie ohnehin nur bis drei zählen könnten. Kartoffeln werden die Kanten gebrochen (ab und zu klappt es mit sieben Schnitten), damit durch den Kochvorgang die stehenden scharfen Ecken nicht als helle, mehlige Streusel wegbröseln.
Einige Rezepte sind allerdings geradewegs der kulinarischen Steinzeit entnommen und schwer wie zu Escoffiers Zeiten. Selbst für unzerstörbare Forellenklößchen braucht man heutzutage kein Mehl mehr, damit die Farce zusammenhält. Ein schnellaufendes Püriergerät, Gewürze und etwas Sahne reichen schon. An dieser Stelle hätte mich interessiert, warum sich frisches Fischfleisch leicht verbindet und Klößchen aus zwei, drei Tage altem Fisch gerne auseinanderfallen. Es hat etwas mit Eiweiß und pH-Werten zu tun, aber das war aus dem Buch nicht zu erfahren. Bei der Mayonnaise stimmt alles. Wenn es an das Verhalten der Moleküle geht und wie sie durch enge Nachbarschaft das Gelingen einer Emulsion steuern, dann kommt richtig Spannung auf.
Auch viele andere Rezepte gefallen, und man kommt hinter manches Küchengeheimnis. Bei einigen Anleitungen habe ich meine Zweifel, ob sie von einem Laien ohne Küchenunfall zu bewältigen sind. So weit würde ich es nicht kommen lassen, denn ich empfehle, das Buch zu lesen, aber nicht, danach zu kochen. Es ist der gelungene Versuch, einige Fragen zu beantworten, die man sich schon oft stellte, die aber nie von einem Kochbuch beantwortet wurden.
Hervé This-Benckhard: "Kulinarische Geheimnisse". 55 Rezepte - naturwissenschaftlich erklärt. Aus dem Französischen von Ilse Rothfuss. Springer Verlag, Berlin 1997. 333 S., 75 Abb., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hervé This-Benckhard serviert Forellenklößchen auf wissenschaftliche Art / Von Vincent Klink
Ein Kochbuch von einem Wissenschaftler? Schon bin ich dabei, zu dem Buch meine Zweifel zu sortieren. Kochen hat mit Bauch zu tun, und wenn es um das wirkliche Zentrum unseres Körpers geht, sind gegenüber der Wissenschaft zumindest unterschwellige Bedenken angezeigt. Kochen ist unbewußter Umgang mit der organischen Chemie, wenngleich die Nahrungsmittelindustrie sich nicht daran hält und Maggi und Knorr bereits im Terrain des Anorganischen forschen. Wissenschaft kümmert sich nicht um Sinnlichkeit und Gefühle, und gerade die braucht es, wenn das Kochen über die reine Versorgung hinaussoll. Ich hangle mich durchs Buch, stoße auf Begriffe wie Moleküle, Osmose, Diffusionen und bin zuerst einmal konfus. Tags darauf erreicht mich eine Postkarte vom Hot-Chili-Dichter Wiglaf Droste: "Auf dem Heimweg ins Weserbergland kaufte ich mir in Lemgo Kulinarische Geheimnisse von Hervé This-Benckhard & bin hingerissen . . ."
Das hat wiederum mich umgerissen, denn Wiglaf ist, wie ich, der sortenreine Bauchtyp, sieht auch so aus und hat - beispielsweise - solange der Stoff wirkte, noch nie die letzte Wahrheit über Calvados wissen wollen. Auch er nun faktengeil?
Von hinten das Buch erneut ansteuernd, stolpere ich über ein Glossar und bleibe beim Kalzium hängen: "Ein chemisches Element. Ein Kalziumatom bildet zusammen mit einem Kohlenstoffatom und drei Sauerstoffatomen . . ." Meine Güte, hier fühle ich mich gleich so elend wie in der Internatsschule, als wir in den Parkettritzen des Chemiesaals nach Quecksilberkügelchen suchten.
In dicken Packen nach vorne geblättert, bleibe ich an den Rezepten hängen - schiere Haute cuisine, manchmal, leider nicht immer, unter Berücksichtigung probater Küchentechniken der Nouvelle cuisine: gegrillter Hummer im Gemüsefond, Stopfleberscheiben mit Trauben und Äpfeln, Kaninchenpfeffer, gegrillte Wachteln mit Speckscheiben bardiert, Ente à la Brillat-avarin, Fasanenragout, Desserts - alles wird genau und auch für Laien nachvollziehbar erläutert. Dem Leser wird der Kochlöffel so geführt, daß er ohne Mühe tief in die Hintergründe des Kochens einzudringen vermag. Kreatives Kochen und Backen ist nicht möglich, wenn man beispielsweise nie dahinterkommt, warum Hefeteig aufgeht. Das große Problem der Hobbyköche, aber auch vieler Berufsköche ist, daß sie glauben, es geschähen Wunder in Pfanne oder im Topf. Schon mal einen Dampfkochtopf bei Volldruck aufgehebelt?
Der Chemiker und Physiker erläutert präzise und liefert viele Fakten mit lebendiger Feder. Manches Kapitel wird mit in Stein gemeißelten Versen begonnen, so etwa der hedonistischen Rechtfertigung eines gewissen Wikram von anno 1537: "Fünf gute Gründe für das Trinken - die Ankunft eines Gastes, der gegenwärtige Durst, der künftige Durst, die Köstlichkeit des Weins und jeder andere Grund." Histörchen werden erzählt, und der Autor leistet sich erfrischenderweise sogar Vermutungen, die dem Buch charmante Inkonsequenz verleihen. So wird der Leser in die Geheimnisse der tournierten Kartoffel eingeweiht. Das sind Salzkartoffeln, deren Kanten mit einem feinen Messerchen gebrochen wurden. Eines jeden Kochlehrlings Qual ist die korrekte Schnittführung und die ebenmäßige Form. Bei Restaurantbesuchen stieß Hervé auf Salzkartoffeln, die siebenkantig geschnitzt waren. Da war die Verlockung groß, Rituale zu vermuten, und die magische Zahl Sieben (Primzahl et cetera) ins Okkulte hinein zu interpretieren. Gemach, gemach, soviel Sinnstiftung ist von Köchen nicht zu erwarten, denen man nachsagt, daß sie ohnehin nur bis drei zählen könnten. Kartoffeln werden die Kanten gebrochen (ab und zu klappt es mit sieben Schnitten), damit durch den Kochvorgang die stehenden scharfen Ecken nicht als helle, mehlige Streusel wegbröseln.
Einige Rezepte sind allerdings geradewegs der kulinarischen Steinzeit entnommen und schwer wie zu Escoffiers Zeiten. Selbst für unzerstörbare Forellenklößchen braucht man heutzutage kein Mehl mehr, damit die Farce zusammenhält. Ein schnellaufendes Püriergerät, Gewürze und etwas Sahne reichen schon. An dieser Stelle hätte mich interessiert, warum sich frisches Fischfleisch leicht verbindet und Klößchen aus zwei, drei Tage altem Fisch gerne auseinanderfallen. Es hat etwas mit Eiweiß und pH-Werten zu tun, aber das war aus dem Buch nicht zu erfahren. Bei der Mayonnaise stimmt alles. Wenn es an das Verhalten der Moleküle geht und wie sie durch enge Nachbarschaft das Gelingen einer Emulsion steuern, dann kommt richtig Spannung auf.
Auch viele andere Rezepte gefallen, und man kommt hinter manches Küchengeheimnis. Bei einigen Anleitungen habe ich meine Zweifel, ob sie von einem Laien ohne Küchenunfall zu bewältigen sind. So weit würde ich es nicht kommen lassen, denn ich empfehle, das Buch zu lesen, aber nicht, danach zu kochen. Es ist der gelungene Versuch, einige Fragen zu beantworten, die man sich schon oft stellte, die aber nie von einem Kochbuch beantwortet wurden.
Hervé This-Benckhard: "Kulinarische Geheimnisse". 55 Rezepte - naturwissenschaftlich erklärt. Aus dem Französischen von Ilse Rothfuss. Springer Verlag, Berlin 1997. 333 S., 75 Abb., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Sowas kann nur ein Franzose schreiben! Sein Buch liest sich wunderbar, hat Esprit und eine Prise naturwissenschaftlicher Gelehrsamkeit." Westdeutsche Allgemeine