Produktdetails
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.07.2004

Wo das Leben tobte
Roman Beer erzählt die Geschichte des Grünwalder Stadions
Abstieg - in der Welt des Fußballs besitzt dieser Begriff einen schlimmen Klang. Enttäuschung, Trauer und Häme der gegnerischen Fans sind damit verknüpft. Manchmal jedoch erweist sich ein Abstieg als gar nicht so entsetzlich. Ein gutes Beispiel dafür liefert der TSV 1860 München. Nach neun Jahren im Olympiastadion, das die „Sechzger”-Fans seit jeher als „Betonwüste” beschimpft haben, kehren die „Löwen” zur neuen Saison in ihr Stadion nach Giesing zurück, dorthin, wo wieder Stimmung herrschen wird. Sie wird zu neuem Leben erwachen, diese Kultstätte der Fans.
„Kultstätte an der Grünwalder Straße - die Geschichte eines Stadions” ist der Titel eines Buches, das der Löwen-Fan Roman Beer veröffentlicht hat. Der 24-jährige Architektur-Student zeichnet auf 192 Seiten detailliert die Historie eines Stadions nach, das seit dem ersten Spiel am 23. April 1911 einiges mitgemacht hat. Beers Aufzeichnungen beginnen ein halbes Jahrhundert früher, beim Vorgängerverein des TSV 1860 München, dessen Wurzeln bis ins Jahr 1848 zurückreichen. Damals fand die Gründungssitzung des Münchner Turnvereins statt.
Zwei Jahre lang habe er für die Fertigstellung seines Buches in Archiven gekramt, Fotos organisiert und Zeitzeugen befragt, verriet Roman Beer bei der Buchpräsentation in der Stadion-Gaststätte „Zum 60er”. Diese zweijährige Recherche ist dem Buch anzumerken. Was es auszeichnet, ist die gelungene Mischung aus Hintergrundberichten, Fotos, Skizzen, Statistiken, wissenswerten Kuriositäten und Erinnerungen einiger Münchner Fußballgrößen wie Franz Beckenbauer oder Manfred Wagner.
Die Information über die wechselhafte Geschichte des Grünwalder Stadions steht aber im Vordergrund. Sei es die aufreibende Standortsuche, die Mühe beim Bau des Stadions, die finanziellen Engpässe infolge der Wirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre, die unrühmliche Rolle des Vereins während der NS-Zeit oder die Schwierigkeiten beim Wiederaufbau des zerbombten Stadions - die chronologische Abfolge ist lückenlos. Natürlich vergisst Beer die Meisterschaft 1966 nicht, aber er berichtet auch über die bitteren Abstiege. Doch er richtet den Fokus nicht nur auf den TSV 1860, sondern beleuchtet auch die Entwicklung anderer Münchner Vereine, des FC Bayern etwa oder des FC Wacker.
Der Löwen-Fan wird mit diesem Buch bestens bedient, erhält er doch eine Fülle an Informationen über seinen Klub. Auch Bayern-Anhänger dürften einiges Neues über ihren Klub erfahren. Der neutrale Leser läuft dagegen Gefahr, von der Flut an Zahlen und Fakten, etwa über Hypothekendarlehen aus den zwanziger Jahren oder Einzelheiten über die Architektur von Tribünenelementen, erschlagen zu werden.
Christian Görtzen
Beers Buch „Kultstätte an der Grünwalder Straße” ist soeben im Verlag Die Werkstatt erschienen.
…mehr