Kein ernstzunehmender Anhänger der biologischen Perspektive wird die Bedeutung der Kultur für das menschliche Verhalten leugnen. Und kein ernstzunehmender Anhänger der kulturwissenschaftlichen Perspektive wird die Bedeutung der Evolution für das menschliche Verhalten leugnen. Aber beide neigen dazu, die Bedeutung der jeweils anderen Seite so schnell wie möglich zu bagatellisieren, um sich wieder ganz der eigenen Perspektive zuwenden zu können.Für Karl Eibl steht die menschliche Kulturfähigkeit nicht im Gegensatz zur biologischen Ausstattung, sondern er versteht sie als Produkt der biologischen Evolution. Erst die Vergegenständlichungsfunktion der Menschensprache ermöglicht es, auf Nichtanwesendes zu referieren: auf Vergangenes, Zukünftiges, Abwesendes oder gar bloß Erfundenes. Sie erlaubt es überdies, kohärente eigene Welten zu entwerfen: Zwischenwelten. Kulturen als Zwischenwelten sind relativ autonome, riesige Relaisanlagen, in denen die vielfältig sich wandelnde Umwelt des Menschen auf sein altes, in Jahrmillionen evolviertes Nervensystem eingestellt wird. Das Buch legt die wichtigsten biologischen Bedingungen und kulturellen Binnenmechanismen solcher Konstruktionen dar und macht dabei auch die biologischen Bedingungen hochkultureller Phänomene wie der Religion, der Philosophie und der Künste sichtbar.»In der Fähigkeit des Entkoppelns liegt das Spezifikum menschlicher Problembehandlung. Indem wir eine zweite Ebene in unseren Informationshaushalt einziehen, gewinnen wir die Möglichkeit, riesige Mengen an Informationen zu verwalten, ohne daß diese direkt auf unser Handeln Einfluß nehmen. Wir können vermerken, wo eine Information gilt, wann sie gilt, von wem sie stammt (und wie zuverlässig sie damit ist), wie häufig sie relevant ist, welche Informationen eventuell konkurrieren und so weiter. Jede Information kann sozusagen mit einem kleinen gelben Klebezettel versehen werden, der über die Bedingungen ihrer Gültigkeit informiert.«
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Den Autor nennt Lino Wirag den großen Darwinisten unter den Literaturwissenschaftlern. Karl Eibls Versuch, unser Kulturverhalten mit der Evolution zu erklären, überzeugt den Rezensenten allerdings nicht. Auch wenn sich Eibl kulturtheoretisch noch so sehr ins Zeug legt und jede Menge heilige Kühe schlachtet, um die Lust am Schönen erotisch zu begründen - Wirag scheint ermüdet von Eibls überbordender Erklärungskompetenz. Und Fragen bleiben für ihn auch offen: Etwa die, wieso Eibl sein Bild vom Geist als Körperfunktion eigentlich mit geisteswissenschaftlichen Mitteln erklären muss (was ließen sich da für Alternativen denken!). Für Wirag ist das ein Zeichen für die tiefe Krise, in der die Literaturwissenschaft steckt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH