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Auch wenn die Kulturwissenschaften gemeinhin als neue Leitwissenschaft innerhalb der Geisteswissenschaften ausgerufen werden, so fehlt es ihnen doch nach wie vor an einer klaren theoretischen Profilierung und an einem fest umrissenen Forschungsfeld. Mieke Bal sucht mit ihrer an dekonstruktivistische wie an ideologiekritische Positionen anschließenden Kulturanalyse dieses Dilemma der cultural studies zu überwinden. Sie schlägt einen entscheidenden Wechsel in der Orientierung vor: den Einsatz von Konzepten als Theorien en miniature, die sie jeweils in enger Verzahnung mit den zu analysierenden…mehr

Produktbeschreibung
Auch wenn die Kulturwissenschaften gemeinhin als neue Leitwissenschaft innerhalb der Geisteswissenschaften ausgerufen werden, so fehlt es ihnen doch nach wie vor an einer klaren theoretischen Profilierung und an einem fest umrissenen Forschungsfeld. Mieke Bal sucht mit ihrer an dekonstruktivistische wie an ideologiekritische Positionen anschließenden Kulturanalyse dieses Dilemma der cultural studies zu überwinden. Sie schlägt einen entscheidenden Wechsel in der Orientierung vor: den Einsatz von Konzepten als Theorien en miniature, die sie jeweils in enger Verzahnung mit den zu analysierenden Gegenständen entwickelt und klar definiert.
Der vorliegende Band, der von Mieke Bal zusammengestellt worden ist, versammelt, neben grundlegenden theoretischen überlegungen, eine Reihe ebenso prägnanter wie weitreichender Einzelanalysen. Sie spannen den Bogen von einer Narratologie des Sammelns über die Semiotik des Ausstellens als eines Exponierens von Argumenten bis zu einer photographischen Lektüre Prousts oder einer 'widersinnigen' Geschichte des Barock. Gemeinsam ist diesen Aufsätzen, die hier zum Teil erstmals veröffentlicht werden, nicht nur der Anspruch, die strikte Trennung zwischen Wort und Bild aufzuheben, sondern auch das Plädoyer für eine Erneuerung der Geisteswissenschaften.
Autorenporträt
Bal, MiekeMieke Bal wurde am 14. März 1946 in Heemstede (Niederlande) geboren. 1977 promovierte sie in Französisch und Vergleichende Literaturwissenschaften an der University of Utrecht (Niederlande). Von 1987 bis 1991 lehrte sie als Professorin für Vergleichende Literaturwissenschaften und Direktorin des Graduiertenprogramms (Institut für Fremde Sprachen, Literaturen und Linguistik) an der University of Rochester (USA), wo sie anschließend als Gastprofessorin für Visuelle und Kulturelle Studien tätig war. Ab 1991 war Bal zudem Professorin für Literaturtheorie an der University of Amsterdam. Sie war Gründungsdirektorin der Amsterdam School for Cultural Analysis (ASCA). Ihre Studienbereiche umfassen unter anderem Literaturtheorie, Semiotik, visuelle Künste, postkolonialistische und feministische Theorie sowie Untersuchungen französischer Literatur und Kultur. Bal lebt in Amsterdam.

Schulte, JoachimJoachim Schulte ist Autor mehrerer Bücher über Ludwig Wittgenstein und Mitherausgeber der Kritischen Editionen von Wittgensteins Hauptwerken.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2002

Schlafmittel Salamitaktik
Mieke Bals rasantes Weltbild der Instant-Begriffsklauberei

Manches in diesem Buch wird richtig unfreiwillig komisch erst, wenn man die sehr durchsichtigen, bestimmt von den erfreulichsten Motiven angestoßenen strategischen Finten der Autorin einfach nicht gelten läßt und statt dessen stur zu Ende denkt, was sie einfach in den Raum stellt: "Marcel Prousts modernistisches Meisterwerk ,Auf der Suche nach der verlorenen Zeit' ist ein Paradestück des literarischen Kanons der männlichen Homosexuellen", beginnt da zum Beispiel ein Aufsatz, und auch wenn Mieke Bal den damit erzeugten engen Horizont sofort erweitert, indem sie empfiehlt, "auch die Theorien des Feminismus und des Lesbianismus" sollten sich "dieses Buchs annehmen", wird man das Gefühl nicht los, der Gedanke wäre noch einen Tick präziser und freilich lächerlicher geraten, wenn das "Paradestück" nicht nur aus dem Kanon der männlichen Homosexuellen ganz allgemein, sondern vor allem der französischen herausragen würde.

Was die Frau, deren Vorbehalte gegen die neueren, oft "Cultural Studies" genannten Kulturwissenschaften sie zum ihrer Ansicht nach sinnvolleren Begriff "Kulturanalyse" geführt haben, da eigentlich sagen will, ist ja nicht gänzlich dunkel: Sie ist sich im klaren darüber, daß es noch ein paar inklusivere und universalistischere Ruhmeslisten als die der männlichen Homosexuellen gibt - unter anderem den von ihr selbst schon als Zwischenakkord angeschlagenen "Modernismus" -, in denen Prousts Lebenswerk als bedeutend gilt. Aber was sie beabsichtigt, ist weder die nachträgliche Partikularisierung Prousts noch die Aufwertung des Geschmacks einer Minorität (im Deleuzeschen Sinn) durch Betonung von deren über ihre Grenzen hinaus konsensfähiger Proust-Verehrung, sondern die Verwischung der Unterscheidung zwischen einer Kultur und den theoretischen, analytischen, reflexiven Bestimmungen, die von den an ihr Teilhabenden entwickelt wurden, um sich zu erklären, was sie da tun.

Männliche Homosexualität, Feminismus und Lesbianismus - allesamt umfassende kulturelle Praktiken mit großem Glücks- und, wie man früher gesagt hätte, emanzipatorischem Potential - werden durch dieses nicht besonders raffinierte Manöver plötzlich zu Theorien, zu Beschreibungsweisen, und damit kennt die Humanwissenschaftlerin sich aus: Die kann sie aufeinander abbilden, in deren Vokabularen versteht sie sich zu bewegen.

Alles, was diese Kulturanalyse leisten will und kann, ist deshalb sprachloses Kategorientheater, gestisches Trompe-l'oeil um allerlei Rahmen und Rahmenwechsel, hektisch, aber unbekümmert, aus dem Stand und auf den Müll, aber verblüffenderweise auch noch stolz darauf. In der sehr aufschlußreichen intellektuellen Selbstbiographie, die das Werk einleitet, wird versichert, daß über die beklagenswerte Ungenauigkeit herkömmlicher kulturwissenschaftlicher Begriffsnetze nur durch das immer neue Zusammenmischen und Moussierenlassen von jedesmal ad hoc aus dem jeweiligen Gegenstand herauszupressenden Erklärungssaucen hinauszugelangen ist.

Einige Begriffe aber sind auch bei Mieke Bal gleicher als andere, weil so prima egalitär: "Intersubjektivität" zum Beispiel. Dieses Wort - oder dieser Gedanke? Das wird nicht ausgeplaudert, aber sie "bleibt der wichtigste Maßstab für das Lehren und Schreiben", und warum? "Weil er die demokratische Wissensverteilung akzentuiert." Aber wieso denn bloß? Sind Befehl-Gehorsam-Situationen denn nicht auch was Intersubjektives? Wieder weiß man, wie so oft, trotz der schiefen Ausdrucksweise, was sie meint: irgendein diskursethisches Rudiment von wegen symmetrischer Kommunikation, irgendeinen museumsdidaktischen Gesamtschulkram, so genau wird das alles nicht genommen. Nächstes Thema, nächster Begriffsklapperkasten.

Graffiti, Proust, Sammelwut, Malerei, Fotografie - die Einwegthesen schmiegen sich den Einwegkategorien an: Wir lesen also, Wörter hätten - "seit Barthes" oder unseretwegen auch seit Asterix - Vorrang vor den Bildern, aber dieser Vorrang habe "selber etwas Fotografisches". Ist das so? Nicht in der "Bild"-Zeitung, auf Litfaßsäulen oder im Kriegspropagandafernsehen, aber egal. Wir lesen, das Werk von Louise Bourgeois entziehe sich "den akademischen Kategorien, weil sie die eine Übersetzung mit Hilfe der anderen bekämpft". Ist das so? Oder schreiben Akademiker seit Jahrzehnten interessante und lehrreiche Texte über diese Künstlerin, steht nicht sogar in Bals eigenen Texten darüber hin und wieder etwas Interessantes, und ist das ambigue In-der-Schwebe-Halten von Übersetzungen - lies: Paraphrasen visueller Metaphern - wirklich etwas, was Bourgeois vor anderen Künstlern auszeichnet und sie zum beliebteren Gegenstand der Befassung mittels "akademischer Kategorien" macht? Die dauernde Koketterie mit dem forciert Unakademischen, die alberne Prätention, Bals "Kulturanalyse" sei demokratisch und erlaube es, die Analyse den an ähnlichen Erklärungsversuchen Beteiligten "in und außerhalb der akademischen Welt zugänglich zu machen", ist beim gleichzeitigen Hantieren mit absichtlich vage gelassenen, in sich selbst gedrehten Instantbegriffen zwischen "Fokalisation" und "produktiver Integration" einfach Ausdruck des schlechten Gewissens einer Stimme, die sogar an sich selbst vorbeiredet.

Und so lesen wir und ermüden, These um These, Kategorie um Kategorie - immer wieder wird gleichsam die Tatsache, daß eine Tinktur müde macht, mit ihrer Schlaf induzierenden Wirkung "erklärt": Wir lesen, Sammeln sei ein erzählerischer Akt. Ist das so? Kann schon sein - genauso wie es ein Akt der Raumaufteilung (Möbelsammler), des Graphikdesigns (Briefmarkensammler) oder der politischen Selbstvergewisserung (Skinhead-Plattensammler) ist, aber egal.

Am Ende all der kursorischen Nichtberührungen mit den Schnappschüssen, Wandkrakeln, Filmen und Texten, die Mieke Bal nicht an sich heranläßt, entfährt dem Rezensenten der reaktionäre Seufzer, warum sie nicht einfach den hundsgewöhnlichen, völlig bewährten Werkcharakter auch anonymer, auch kollektiver, auch popkultureller, auch ephemerer Produkte des in Zungen redenden Sozialen zugibt. Dann nämlich könnte sie entsprechend vorsichtig, sorgend und kenntnisreich diese Werke aus ihren verschiedenen Nährlösungen und Fremdkorrespondenzen herauspräparieren, beschreiben oder sogar das eine oder andere Stratum daran einfärben, erläutern, seine Entstehung und Bedeutung nachvollziehbar machen. Warum also nicht?

Wahrscheinlich wieder wegen der Demokratie. Denn durchgängig herrscht bei Bal und ihresgleichen eine panische Angst davor, durch Urteile einen elitären Kulturbegriff zu restituieren, der mit der längst desavouierten "High/Low"-Binarität wirtschaftet. Doch nur ein bornierter Gralshüter der erbärmlichsten Halbbildung würde heute noch leugnen, daß es amerikanische Fernsehserien gibt, die beschreibbar besser sind als die meisten normalen Beispiele des elisabethanischen Dramas, oder daß man vor jeder Biker-Kneipe mit Airbrush bemalte Jeep-Hauben sehen kann, die den durchschnittlichen akademischen Maler nicht so sehr ihres Naturalismus als vielmehr ihrer sozialen Datenfülle wegen beschämen müßten. Der Abschied von "High/Low" ist vollzogen; er war ein Abschied der Gesellschaft von den Formen, in denen sie sich ihre Kunst bis dahin erklärt hat, aber nicht einer von der Unterscheidung zwischen gut und schlecht. In den mittleren Achtzigern wußte jede Hausfrau, warum "Dallas" besser ist als "Der Denver-Clan". Analoga findet man auch heute auf jedem Hausflur. Dem Volke dienen: "Kulturanalyse" verwerfen.

DIETMAR DATH

Mieke Bal: "Kulturanalyse". Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 371 S., Abb., geb., 35,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Warum eigentlich, sei kurz gefragt, kann der großfeuilletonistische Kritiker an sich ein Theorie-Buch nur loben, nachdem er zunächst hastig beteuert hat, es habe aber nichts mit Cultural Studies oder anderen als modisch empfundenen Richtungen zu tun? Wilhelm Trapp unterliegt ähnlichem Distinktionszwang, dabei will er uns einfach Mieke Bals brillante, kluge Essays ans Herz legen. "Kulturanalyse" im Sinne der Autorin, so Trapp, ist ein Präzisionswerkzeug, eine Schulung zum Begreifen der eigenen Kultur - und zwar nicht als etwas Konstantes, sonders als etwas Dynamisches, deshalb aber nicht weniger Bedeutungsvolles. Kultur, erklärt unser Rezensent die grundlegende These, "entsteht (...) in der Spannung zwischen Macher, Werk und Betrachter". Was genau passiert beim Lesen eines Buches, beim Betrachten eines Kunstwerkes - das sei die Frage, der Bal nachgehe. Und zwar, findet Trapp, mit großer Disziplin und Genauigkeit und wunderbar interdisziplinär; Kulturanalyse, solchermaßen praktiziert, werfe nicht nur erhellende Blicke auf ihren Gegenstand, sondern sei selber eine "kluge Technik, die die Kultur mitgestaltet".

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