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Was ist Europa? Ein Ableger Asiens, wie Nietzsche polemisierte? Oder handelt es sich um eine Idee, die in einer besonderen Kultur (im Griechenland eines Sokrates und Platon) entstanden ist und dann universale Bedeutung und Tragweite gewonnen hat, wie Husserl erklärte? Können wir uns wirklich Europäer nennen? Die Dringlichkeit dieser Fragen war vielleicht nie so augenscheinlich wie in unseren Tagen, in denen die neue Verfassung Gestalt annimmt. Und doch - betont Giovanni Reale - ist man ihnen vielleicht nie zuvor so ausgewichen wie heute. Wenn man Europa nicht zu einer bloßen…mehr

Produktbeschreibung
Was ist Europa? Ein Ableger Asiens, wie Nietzsche polemisierte? Oder handelt es sich um eine Idee, die in einer besonderen Kultur (im Griechenland eines Sokrates und Platon) entstanden ist und dann universale Bedeutung und Tragweite gewonnen hat, wie Husserl erklärte? Können wir uns wirklich Europäer nennen? Die Dringlichkeit dieser Fragen war vielleicht nie so augenscheinlich wie in unseren Tagen, in denen die neue Verfassung Gestalt annimmt. Und doch - betont Giovanni Reale - ist man ihnen vielleicht nie zuvor so ausgewichen wie heute. Wenn man Europa nicht zu einer bloßen politisch-ökonomischen Herausforderung verkürzen will, wenn man ihm jenen Freiheitssinn wiedergeben will, der seit jeher zu ihm gehört, muss man aus der Erkenntnis, dass die Errichtung des "gemeinsamen Hauses" von der Möglichkeit und Fähigkeit abhängt, den europäischen Menschen zu erneuern, seine kulturellen und geistigen Wurzeln in neuer Gestalt zu beleben, den Mut aufbringen, einen Blick auf den Ursprung unserer Geschichte zu werfen. Denn, wie Max Scheler sagte, "nie und nirgends stiften bloße Rechtsverträge allein wahre Gemeinschaft, sie drücken sie höchstens aus".

Zur italienischen Originalausgabe:
"Mit analytischer Genauigkeit und kritischer Energie durchschreitet Reale die verschiedenen Epochen, die unser Bewusstsein als europäische Bürger geprägt und geformt haben." (La Repubblica)

"Eine überaus nützliche Einübung , gerade auch für Politiker, wenn die historischen Wegmarken aufgezeigt werden, die man auch in der Diskussion praktischer und juristischer Fragen nicht außer Acht lassen kann." (Corriere della sera

"Das Buch ist vor allem vor dem Hintergrund einer endgültigen Annahme einer gemeinsamen Verfassung für unseren Kontinent durch die europäischen Regierungen brandaktuell. Es sollte als eine ernsthafte Basis für eine ehrliche und vorurteilslose Diskussion über die Bedeutung der europäischen Identität gelesen und diskutiert werden." (Secolo d'Italia

Der Autor: Giovanni Reale, geb. 1931, ist emer. Ordinarius für Philosophie an der Università Cattolica in Mailand. Er zählt zu den prominentesten italienischen Philosophen der Gegenwart und gilt weltweit als einer der renommiertesten Platonforscher überhaupt. Im Fürstentum Liechtenstein leitet er das Institut für Studien über Platon und die platonischen Wurzeln der abendländischen Philosophie. Bei Schöningh ist sein großes Buch "Zu einer neuen Interpretation Platons" erschienen, mit dem er den Paradigmenwechsel in der Platonforschung entscheidend vorantrieb, ein Buch, das die Internationale Zeitschrift für Philosophie "ein Meisterstück im Genre philosophischer Monographien" nannte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2005

Werte auf verstopften Straßen
Giovanni Reale zieht an den kulturellen Wurzeln Europas

Drei kulturelle und geistige Wurzeln Europas macht Giovanni Reale aus, und zweifach sieht er dessen Identität bedroht. Auf dem Boden einer Kultur der Schrift haben die Griechen die Welt der Ideen begründet und die theoretische Denkweise geschaffen, bei ihnen entsteht zwar nicht die Vernunft selber, die dem Menschen eingeboren ist, aber die Rationalität als systematische und methodische Entfaltung der Vernunft. Zugleich wird mit Sokrates die Pflege der Seele wesentliche Aufgabe des Menschen. Festen Boden gewinnt die Frage nach dem richtigen Leben allerdings erst, wo mit dem Gott, der Mensch geworden, eine Neubewertung des menschlichen Leibes stattfindet, die Einzelheit der Person unendliches Gewicht bekommt. Erst mit dem Christentum ist ein Begriff des Menschen als Person auf die Welt gekommen, der den Griechen, trotz ihrer Bemühungen um die Seele, fehlt. Und in der Neuzeit entstehen dann als drittes Moment der europäischen Identität Naturwissenschaft und Technik. Sie neigen freilich dazu, sich zu verabsolutieren und so den Menschen vom Wesentlichen abzuziehen, wofür Reale als etwas bizarres und in dem Bizarren auch wieder anrührendes Beispiel "die durch wild parkende Autos verstopften Straßen" nennt, "die die Lebensqualität in unseren Kleinstädten ständig weiter senken".

Lag in Wissenschaft und Technik immer schon eine Gefahr, so werden geradezu die Fundamente unserer Kultur angegriffen von Fernsehen, Computer und Internet. Sie isolieren die Menschen voneinander und halten sie von den Dingen fern. Vor allem zerstören sie durch die Vorherrschaft der Bilder die Schriftkultur. Bilder sind nicht gleichermaßen zu erinnern, Bilder zersetzen die abstrakten Begriffe und die begründeten Erkenntnisse. So wachsen Menschen heran, denen das Gedächtnis abhanden gekommen und denen die Zeit zerbrochen ist, Menschen, die rein auf die Gegenwart beschränkt leben, vom "Dämon des Sofort" besessen. Um so wichtiger wäre es, "die Einheit und Identität Europas durch die Wiedergewinnung seiner griechisch-römischen und christlichen Wurzeln aufzubauen". Aber genau da liegt die bedrohlichste der Bedrohungen. Wie soll europäische Kultur den Auswüchsen von Technik und Wissenschaft begegnen können, wenn die europäische Identität durch den Pluralismus zerstört wird?

Europa wird ein neues Babylon sein, wird zerfallen wie das Römische Reich, wenn es nicht mehr versteht, "unüberschreitbare, von den Fundamenten gesetzte Grenzen" aufrechtzuerhalten. Dabei geht es zum einen um Erweiterung und Zuzug. "Wir dürfen nicht vergessen, daß die Menschen, die von außerhalb nach Europa kommen, natürlich nicht den Aufbau des europäischen Hauses als vorrangiges Ziel haben." Mehr aber noch geht es um die Macht, die das neue Rom den neuen Barbaren über sein Denken verleiht. Toleranz ist gut, aber der Multikulturalismus verherrlicht den Unterschied. Hinter der Gleichwertigkeit aller Kulturen verbirgt sich letztlich die Annullierung der Werte. Ohne Besinnung auf seine Werte wird Europa aufhören, Europa zu sein.

Manches ließe sich einwenden. Müßten nicht die attische Demokratie und das römische Recht als institutionelle Wurzeln Europas neben die kulturellen gestellt werden? Im letzten Grunde streben Menschen nach Europa doch immer, weil es ihnen zu Hause an der Rechtsstaatlichkeit fehlt. Umgekehrt hat zwar vielleicht nicht der Islam im allgemeinen, aber gewiß der Sufismus wie das Christentum ein Bewußtsein der Persönlichkeit entwickelt, und zum Thema Pflege der Seele läßt sich im Zen-Buddhismus einiges finden. Andererseits ist es unbestreitbar richtig, das argumentierende Rechenschaftgeben, die Anerkennung der Freiheit des einzelnen und die systematische Erkundung und Kontrolle der Natur als Kern der europäischen Geschichte und Identität herauszustellen.

Das Seltsame ist nur, daß Reale diese Werte, als wäre er vom Virus des Pluralismus infiziert, selber auf eine kulturalistische Weise begründet. Denn wir sollen rational sein und die Freiheiten der anderen respektieren; nicht, weil das in Europa immer schon so gemacht oder wenigstens gefordert wurde, sondern weil wir es für wahr und richtig halten. Die europäischen Werte sind von Anbeginn universalistisch ausgerichtet. Reale sieht das auch so, wenn er in der Gleichwertigkeit der Werte ihre Annullierung diagnostiziert. Doch indem er die favorisierten Werte durch unüberschreitbare Grenzen als europäische bewahren will, macht er sie im Gegenteil zu etwas Partikularem. So scheint es fast, als begegne ihm im Feind des Multikulturalismus seine eigene Frage als Gestalt.

Was im übrigen den Computer angeht, so bietet er mit den neuen Techniken des Speicherns und Verschiebens für die von Reale gepflegte Schreibweise - sein Buch besteht zu drei Vierteln aus extensiven und kaum kommentierten Zitaten - eine wirkliche Hilfe. Im Internet hätte er außerdem leicht seine Erinnerung berichtigen können, daß das Prager Kloster, in dem er die ihm wertvolle Titelabbildung gefunden hat, nicht Strabov heißt.

GUSTAV FALKE

Giovanni Reale: "Kulturelle und geistige Wurzeln Europas". Für eine Wiedergeburt des "europäischen" Menschen. Aus dem Italienischen von Sigrid Spath. Schöningh Verlag, Paderborn 2004. 178 S., br., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

"Recht salbungsvoll" findet Rezensent Uwe Justus Wenzel das Plädoyer für eine "Wiedergeburt des 'europäischen Menschen'", das Giovanni Reale in diesem Buch im Blick auf die Debatte um den Religionsbezug in der Verfassung der Europäischen Union abhält. Reale verstehe das Bekenntnis zur eigenen Identität als Voraussetzung für die tolerante Begegnung mit anderen. Seine Seele habe der europäische Mensch erst durch die "christliche Revolution" (B. Croce) eingepflanzt bekommen. Darauf müsse er sich nun besinnen, um den Nihilismus, der sich mit der technischen Revolution breit gemacht habe, zu überwinden. Wenzel erscheinen Reales Ausführungen doch etwas schlicht. "Wo keine Götter sind, walten Gespenster", zitiert er Novalis, um dann zu resümieren: "In Reales Kompendium der Beschwörungen werden Europas Götter selbst zu papierenen Gespenstern."

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