Die Kulturhistorische Psychologie widmet sich einer umfassenden Psychologie des gesellschaftlichen Menschen. Sie thematisiert gleichermaßen die Phylogenese, die Kultur- bzw. Gesellschafts- und die Individualentwicklung des Psychischen. Carlos Kölbl führt unter besonderer Berücksichtigung ihrer wesentlichen Protagonisten - Lev S. Vygotskij, Aleksandr R. Lurija und Aleksej N. Leont'ev - in das ebenso elaborierte wie praxisrelevante Forschungsprogramm der Kulturhistorischen Psychologie ein.Die ab den 1920er Jahren in der damaligen Sowjetunion entwickelte Kulturhistorische Psychologie schuf eine integrale Psychologie, die sowohl die sozio-kulturelle Konstituiertheit des Psychischen als auch dessen biologische Grundlagen ernst nahm, ohne dabei naturalistisch oder kulturalistisch zu verkürzen. Sie brachte in Form der jeweiligen Werke von Vygotskij, Lurija und Leont'ev Pionierleistungen auf den Gebieten der Entwicklungs- und der Pädagogischen Psychologie, der Kultur-, der Neuro- sowie der Rehabilitationspsychologie hervor, die unvermindert Aktualität beanspruchen können. Carlos Kölbl reduziert in seiner Darstellung die Kulturhistorische Psychologie aber nicht auf die drei »Helden«, sondern macht ihre Vielgestaltigkeit einsichtig und bettet sie in größere Netzwerke ein. Er weist unter anderem auf ihre Verflochtenheit mit europäischen und angloamerikanischen Traditionen sowie ihre Aneignung auch außerhalb der Sowjetunion hin. Deutlich wird - nicht zuletzt in dem beigefügten Interview mit Alexandre Métraux -, dass es sich um ein transnationales Projekt handelt, das auch von anderen Wissenschaften aufgegriffen wurde, etwa der Linguistik, den Erziehungs- und den Neurowissenschaften.