Wenige deutsche Schriftsteller haben den deutsch-deutschen Vereinigungsprozess so intensiv publizistisch begleitet wie Friedrich Dieckmann. Dieckmann (Jahrgang 1937, wohnhaft in Berlin-Treptow) widmete sich neben zahlreichen Büchern über Schiller, Goethe, Mozart, Schubert, Wagner und Brecht identitären Themen der deutschen Nation, ohne jemals den Verdacht aufkommen zu lassen, den Deutschnationalen zur Renaissance zu verhelfen. Werke wie „Was ist deutsch?. Eine Nationalerkundung“ (Frankfurt 2003), „Deutsche Daten oder der lange Weg zum Frieden“ (Göttingen 2009) und nunmehr sein großes Essay „Kulturnation oder Nationalkultur“ legen Zeugnis ab von seinen Bemühungen, das Nationale in der Kultur zu verorten. Es ist nicht überraschend, wenn Dieckmann, dessen großes Schillerbuch noch nachhallt („Freiheit ist nur in dem Reich der Träume“: Schillers Jahrhundertwende, Frankfurt 2009), das Schiller’sche Programm der Kulturnation zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen macht, um zugleich zu fragen, was Nationalkultur ausmacht. Das Ergebnis lässt sich – um beim Text zu bleiben – zusammenfassen: „Das Bestehen auf dem Eigenen und das Offensein gegenüber Andersartigen waren zwei Seiten einer Medaille; die Vorstellung, dass die Hochschätzung des national Eigentümlichen im Gegensatz zu dem Interesse, der Aufmerksamkeit, der Anverwandlung fremder Kulturleistungen stehe, gehört zu den unsinnigsten Vorurteilen, die sich in das vereinte Deutschland hinübergeschleppt haben.“ Um dieser Gefahr zu entgehen, nimmt Dieckmann Kurs auf den Selbstfindungspfad in Richtung Kulturnation und stellt desillusioniert und dennoch optimistisch fest, dass Kulturnation und Nationalkultur in ihrer Bedingtheit nur dann in der Zukunft eine Chance haben, wenn sich die Schule der Spracherziehung wieder mit gebührender Anstrengung widmet. Sogleich denkt man an Willy Brandts berühmtes Diktum in seiner Regierungserklärung 1969: „Die Schule der Nation ist die Schule“.