'Assoziation' zählt zu jenen Begriffen, die ihre poetologische, ästhetische und kunsttheoretische Karriere längst hinter sich gebracht haben und in die klinische Psychologie, die Neuropsychologie oder andere Disziplinen ausgewandert sind. Der Terminus spielt in der Kunst- und Literaturtheorie unserer Zeit keine Rolle mehr, er dient allenfalls noch zur Markierung eines obsoleten Kuriosums. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts freilich hat man sich produzierende wie rezipierende Kreativität nur unter Einschluß erheblicher Anteile von assoziativen Prozessen denken können; ja so prominent war die Assoziation im aufklärerischen Diskurs, daß sie bereits 1777 in Michael Hißmann ihren ersten Historiographen fand. Die Romantik indes glaubte, mit dem Konzept einer genuin kreativen Imagination die als mechanisch verrufene Assoziation aus dem Feld schlagen zu können - und ist, wie das Beispiel von S. T. Coleridge zeigt, mit diesem Versuch in höchst aufschlußreicher Weise gescheitert. Im 19. und noch im frühen 20. Jahrhundert wird die Assoziation in philosophischen, psychologischen und ästhetischen Konzepten meist explizit marginalisiert, um sich doch immer wieder an oft entscheidenden Systemstellen zurückzumelden, wofür Herbart, Fechner, William James, Freud, Saussure und Valéry die interessantesten Fallstudien liefern. Das Buch geht dieser spannenden Geschichte der Assoziation von Locke bis Valéry nach, indem es die Texte verschiedenster Provenienz als Beiträge zur Ästhetik liest, als Modelle einer Erfahrung, die um ihrer selbst willen gemacht wird, und indem es umgekehrt aufzeigt, daß nur eine Geschichte und Phänomenologie der Einbildungskraft den theoretischen Gehalt des Assoziationskonzepts aufzuschließen vermag.
Aus dem Inhalt:
Vorbemerkung: Chronologie und Phänomenologie
I. Imagination als Assoziation
II. Kunst und Geschichte der Assoziation
III. Coleridge und die gescheiterte Überbietung der Assoziation
IV. Die saturierte Assoziation
V. Assoziation, Bewusstseinszeit, Zeichen
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Aus dem Inhalt:
Vorbemerkung: Chronologie und Phänomenologie
I. Imagination als Assoziation
II. Kunst und Geschichte der Assoziation
III. Coleridge und die gescheiterte Überbietung der Assoziation
IV. Die saturierte Assoziation
V. Assoziation, Bewusstseinszeit, Zeichen
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Frankfurter Allgemeine ZeitungWas soll ich sein?
Eckhard Lobsiens Studie zur Entwicklung der Assoziation
Die Irrungen und Wirrungen mancher Romanfigur sind ein Sturm im Wasserglas, verglichen mit dem, was die Helden begriffsgeschichtlicher Literatur durchlaufen: Schattendasein, Konkurrenz, dann das Hervortreten, die Karriere, das Besetzen einer Leitidee, mit einmal ein Paradigmenwechsel, eine Epochenschwelle, in der Folge schwindende Konsistenz, Niedergang, Abstieg, Trivialisierung, schließlich Verblassen, Ausmusterung, irgendwann die Wiederentdeckung und das Eingehen ins Pantheon der Begriffsgeschichte. Nicht zu vergessen, dass Bedeutungswandel im Sprachgebrauch sowie Bedeutungsverschiebung beim Sprachenwechsel für zusätzliche Verwicklungen sorgen.
Eckhard Lobsien, durch frühere Publikationen zur Literarästhetik hinlänglich als einer ihrer Theoretiker ausgewiesen, hat sich in seinem jüngsten Buch der Assoziation angenommen. Zeitlich umgreift es die für diesen Begriff übliche Absteckung von den englischen Sensualisten bis zu den Begründern der Semiotik und Phänomenologie. Das Vorgehen ist chronologisch, der Drehpunkt liegt bei Coleridge.
Mit Hume und Berkeley öffnet sich, so Lobsien, der Assoziationsbegriff erkenntnistheoretischer Prägung implizit der ästhetischen Reflexion. Das Locke'sche Modell, wonach Sinneseindrücke einfache Ideen erzeugen, die durch Verknüpfung zu komplexen Ideen verbunden werden, wird dahin modifiziert, die Kategorie der komplexen Ideen um die der affektiven Impressionen zu ergänzen und beide zusammen als den eigentlichen Stoff der Assoziationsarbeit des Bewusstseins zu begreifen. Idee und Impression verstärken einander und stiften Identität mit der Pointe, dass Ideen, wie sie etwa während der Romanlektüre erstehen, ihrerseits affektive Impressionen freisetzen, die nach dem Verknüpfungsprinzip der Similarität eine unendliche Berührung des Ich mit sich selbst ermöglichen. Kunst avanciert damit tendenziell zum Medium der Selbstvergegenwärtigung im Akt ästhetischen Erlebens. Die Assoziation aber rückt konzeptionell in die Nähe der Imagination, der sie die französischen Sensualisten Condillac und La Mettrie denn auch explizit zuordnen.
Lobsien lotet diese Zuordnung, die in die Genieästhetik hineinführt, sowohl nach der produktions- wie der wirkungsästhetischen Seite bis in die Spitzen ihres Theoriepotentials aus. Im Ergebnis, lautet sein Resümee, wird die Assoziation im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts "in einer merkwürdigen Weise verdinglicht". Zum einen absorbiert nämlich der Imaginationsbegriff das kreative Moment der Assoziation, das in Abhebung von den kognitiven Assoziationsprinzipien der Kausalität und Kontiguität auf das Prinzip der Similarität entfällt. Zum anderen gilt die assoziative Verknüpfung von Ideen, die Ideenkette, zunehmend nur noch als Kombinatorik jenseits poetischer Fiktion.
In Form der Dualität von fancy und imagination bestimmt diese Verhältnissetzung Coleridges Kunsttheorie, ohne jedoch widerspruchsfrei durchgehalten worden zu sein. Lobsien arbeitet im Detail heraus, an welchen Stellen der Theorieführung die beiden Begriffe dazu tendieren, ineinander zu spielen, ja miteinander ihre Positionen zu wechseln. Das romantische Konzept der imagination sei, lautet seine These, "die gescheiterte Überbietung der Assoziation". Denn assoziative Verknüpfung setzt in Differenz zur bloßen Wahrnehmungsreihung immer schon jene reflexive und kreative Arbeit des Bewusstseins voraus, die Coleridge der Imagination vorzubehalten sucht. Letztere scheint mitunter nicht mehr zu sein als eine Assoziation zweiten Grades, ein Akt, der das Assoziierte nach ästhetischen Kriterien vereinheitlicht, aber zugleich auch bändigt.
Daher stelle sich die "Kernfrage", so Lobsien, "ob also mitten im Zentrum der (englischen) Romantik die Imagination eine bloße Funktion der textuellen, rhetorisch fungierenden Assoziation ist". Die Beantwortung dieser wie anderer Fragen korrespondiert in der Ausführung der Komplexität des Begriffsfeldes, aus der heraus sie gestellt wird. Überhaupt ist zu würdigen, dass der Autor es sich nirgends einfach gemacht hat. Dem Leser allerdings auch nicht. Dabei wäre der Studie durch Zugeständnisse ans Didaktische oder an eine narrative Problementfaltung im Sinne von Hans Blumenberg sicherlich kein Nachteil entstanden.
Nach Darlegung der psychophysischen Konzepte von Fechner und Wilhelm Wundt, in denen die Assoziation als Synergie stiftendes Vermittlungsprinzip zwischen den Bewusstseinsfeldern Wahrnehmung und Erinnerung begriffen ist, wendet sich Lobsien im Schlussteil William James, Bergson, Valéry, Husserl, Freud und Saussure zu. Während der klassische Assoziationsbegriff auf der Annahme von Grundelementen bewusster Verknüpfung gründet, wird Assoziation nun zu einer vorbewussten Operationsform umgeschrieben, die im fortlaufenden An- und Ausschluss von Bewusstseinszuständen dazu beiträgt, dass sich Bewusstsein zeitlich durchhalten kann. In der forciertesten Fassung entspricht Assoziation "der Kernidee einer Selbsterhaltung durch Permutation, einer ständigen Selbstdifferenzbildung", wie Lobsien mit Blick auf Valéry schreibt. Da der Verlauf dieser Differenzbildung im Modell einer regelgeleiteten Offenheit gedacht wird, wahrt die Assoziation ihr kreatives Moment, das bei Saussure dann noch einmal entscheidend zum Tragen kommt. Eingebunden in die Konzeption der syntagmatischen, respektive assoziativen Zeichenbeziehung, vollzieht sich gewissermaßen der letzte Triumph des Helden im Glanz vergangener Größe.
Saussures Assoziationsbegriff bietet laut Lobsien "den kompetentesten Epilog auf die Geschichte der Assoziation, der sich denken lässt". Dass es sich tatsächlich um einen Epilog handelt, belegt ein Blick in die Register gegenwärtiger Großtheorien. In Luhmanns Hauptwerken etwa ist Assoziation nicht verzeichnet. Sie findet sich nur mehr im Pantheon der Begriffe, wo Eckhard Lobsien ihr ein gewichtiges, wenn auch sperriges Denkmal errichtet hat.
RALF DROST
Eckhard Lobsien: "Kunst der Assoziation". Phänomenologie eines ästhetischen Grundbegriffs vor und nach der Romantik. Wilhelm Fink Verlag, München 1999. 249 S., br., 88,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eckhard Lobsiens Studie zur Entwicklung der Assoziation
Die Irrungen und Wirrungen mancher Romanfigur sind ein Sturm im Wasserglas, verglichen mit dem, was die Helden begriffsgeschichtlicher Literatur durchlaufen: Schattendasein, Konkurrenz, dann das Hervortreten, die Karriere, das Besetzen einer Leitidee, mit einmal ein Paradigmenwechsel, eine Epochenschwelle, in der Folge schwindende Konsistenz, Niedergang, Abstieg, Trivialisierung, schließlich Verblassen, Ausmusterung, irgendwann die Wiederentdeckung und das Eingehen ins Pantheon der Begriffsgeschichte. Nicht zu vergessen, dass Bedeutungswandel im Sprachgebrauch sowie Bedeutungsverschiebung beim Sprachenwechsel für zusätzliche Verwicklungen sorgen.
Eckhard Lobsien, durch frühere Publikationen zur Literarästhetik hinlänglich als einer ihrer Theoretiker ausgewiesen, hat sich in seinem jüngsten Buch der Assoziation angenommen. Zeitlich umgreift es die für diesen Begriff übliche Absteckung von den englischen Sensualisten bis zu den Begründern der Semiotik und Phänomenologie. Das Vorgehen ist chronologisch, der Drehpunkt liegt bei Coleridge.
Mit Hume und Berkeley öffnet sich, so Lobsien, der Assoziationsbegriff erkenntnistheoretischer Prägung implizit der ästhetischen Reflexion. Das Locke'sche Modell, wonach Sinneseindrücke einfache Ideen erzeugen, die durch Verknüpfung zu komplexen Ideen verbunden werden, wird dahin modifiziert, die Kategorie der komplexen Ideen um die der affektiven Impressionen zu ergänzen und beide zusammen als den eigentlichen Stoff der Assoziationsarbeit des Bewusstseins zu begreifen. Idee und Impression verstärken einander und stiften Identität mit der Pointe, dass Ideen, wie sie etwa während der Romanlektüre erstehen, ihrerseits affektive Impressionen freisetzen, die nach dem Verknüpfungsprinzip der Similarität eine unendliche Berührung des Ich mit sich selbst ermöglichen. Kunst avanciert damit tendenziell zum Medium der Selbstvergegenwärtigung im Akt ästhetischen Erlebens. Die Assoziation aber rückt konzeptionell in die Nähe der Imagination, der sie die französischen Sensualisten Condillac und La Mettrie denn auch explizit zuordnen.
Lobsien lotet diese Zuordnung, die in die Genieästhetik hineinführt, sowohl nach der produktions- wie der wirkungsästhetischen Seite bis in die Spitzen ihres Theoriepotentials aus. Im Ergebnis, lautet sein Resümee, wird die Assoziation im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts "in einer merkwürdigen Weise verdinglicht". Zum einen absorbiert nämlich der Imaginationsbegriff das kreative Moment der Assoziation, das in Abhebung von den kognitiven Assoziationsprinzipien der Kausalität und Kontiguität auf das Prinzip der Similarität entfällt. Zum anderen gilt die assoziative Verknüpfung von Ideen, die Ideenkette, zunehmend nur noch als Kombinatorik jenseits poetischer Fiktion.
In Form der Dualität von fancy und imagination bestimmt diese Verhältnissetzung Coleridges Kunsttheorie, ohne jedoch widerspruchsfrei durchgehalten worden zu sein. Lobsien arbeitet im Detail heraus, an welchen Stellen der Theorieführung die beiden Begriffe dazu tendieren, ineinander zu spielen, ja miteinander ihre Positionen zu wechseln. Das romantische Konzept der imagination sei, lautet seine These, "die gescheiterte Überbietung der Assoziation". Denn assoziative Verknüpfung setzt in Differenz zur bloßen Wahrnehmungsreihung immer schon jene reflexive und kreative Arbeit des Bewusstseins voraus, die Coleridge der Imagination vorzubehalten sucht. Letztere scheint mitunter nicht mehr zu sein als eine Assoziation zweiten Grades, ein Akt, der das Assoziierte nach ästhetischen Kriterien vereinheitlicht, aber zugleich auch bändigt.
Daher stelle sich die "Kernfrage", so Lobsien, "ob also mitten im Zentrum der (englischen) Romantik die Imagination eine bloße Funktion der textuellen, rhetorisch fungierenden Assoziation ist". Die Beantwortung dieser wie anderer Fragen korrespondiert in der Ausführung der Komplexität des Begriffsfeldes, aus der heraus sie gestellt wird. Überhaupt ist zu würdigen, dass der Autor es sich nirgends einfach gemacht hat. Dem Leser allerdings auch nicht. Dabei wäre der Studie durch Zugeständnisse ans Didaktische oder an eine narrative Problementfaltung im Sinne von Hans Blumenberg sicherlich kein Nachteil entstanden.
Nach Darlegung der psychophysischen Konzepte von Fechner und Wilhelm Wundt, in denen die Assoziation als Synergie stiftendes Vermittlungsprinzip zwischen den Bewusstseinsfeldern Wahrnehmung und Erinnerung begriffen ist, wendet sich Lobsien im Schlussteil William James, Bergson, Valéry, Husserl, Freud und Saussure zu. Während der klassische Assoziationsbegriff auf der Annahme von Grundelementen bewusster Verknüpfung gründet, wird Assoziation nun zu einer vorbewussten Operationsform umgeschrieben, die im fortlaufenden An- und Ausschluss von Bewusstseinszuständen dazu beiträgt, dass sich Bewusstsein zeitlich durchhalten kann. In der forciertesten Fassung entspricht Assoziation "der Kernidee einer Selbsterhaltung durch Permutation, einer ständigen Selbstdifferenzbildung", wie Lobsien mit Blick auf Valéry schreibt. Da der Verlauf dieser Differenzbildung im Modell einer regelgeleiteten Offenheit gedacht wird, wahrt die Assoziation ihr kreatives Moment, das bei Saussure dann noch einmal entscheidend zum Tragen kommt. Eingebunden in die Konzeption der syntagmatischen, respektive assoziativen Zeichenbeziehung, vollzieht sich gewissermaßen der letzte Triumph des Helden im Glanz vergangener Größe.
Saussures Assoziationsbegriff bietet laut Lobsien "den kompetentesten Epilog auf die Geschichte der Assoziation, der sich denken lässt". Dass es sich tatsächlich um einen Epilog handelt, belegt ein Blick in die Register gegenwärtiger Großtheorien. In Luhmanns Hauptwerken etwa ist Assoziation nicht verzeichnet. Sie findet sich nur mehr im Pantheon der Begriffe, wo Eckhard Lobsien ihr ein gewichtiges, wenn auch sperriges Denkmal errichtet hat.
RALF DROST
Eckhard Lobsien: "Kunst der Assoziation". Phänomenologie eines ästhetischen Grundbegriffs vor und nach der Romantik. Wilhelm Fink Verlag, München 1999. 249 S., br., 88,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ralf Drost scheint in seiner Rezension versehentlich zu vergessen, dass er für eine Tageszeitung schreibt und nicht jeder Leser über die Zeit oder Bereitschaft verfügt, sich zu jedem Satz eigens eine Zeichnung anzufertigen. Dies ist besonders apart angesichts der Tatsache, dass Drost schließlich feststellt, dass der Autor es weder sich selbst, noch dem Leser "einfach gemacht" hat. "Zugeständnisse ans Didaktische oder an eine narrative Problementfaltung" hätten nicht geschadet, findet er. Ähnliches möchte man auch dem Rezensenten ans Herz legen, der zwar gescheit den Inhalt des Buches zu referieren weiß, dies jedoch oftmals unnötig verklausuliert zum Ausdruck bringt. Dennoch: Auch wenn Drost dies nicht dezidiert formuliert, so scheint er Lobsiens Studie in mancher Hinsicht als differenziert, reflektiert und gewinnbringend für den in der Thematik sattelfesten Leser zu halten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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