Reiselust, Reisefieber - wer ist nicht von ihnen gepackt? Aber das Glück der Reise ist fragil: Man steht vor einem grandiosen Sonnenuntergang, aber das verdrossene Ich ging mit auf Fahrt und verdirbt die exotische Kulisse. Der Reiseführer weiß alles millimetergenau, aber raubt die Zeit und kennt nicht den kleinen Park - und hätte man den nicht gesehen, Madrid wäre einfach so vorbeigerauscht.Alain de Botton, Kosmopolit und Flaneur, beschreibt locker und charmant von Aufbruch bis Heimkehr die Wagnisse des Reisens. Er warnt uns vor der Schlinge der falschen Erwartungen, der Unrast, die uns den Blick verschlägt. Geschichten und Anekdoten reihen sich an Erzählungen aus seinem Leben und essayistischen Besuchen bei großen Reisenden und Malern, deren Bilder und Bücher unser Sehen veränderten: seit van Gogh trägt die Provence andere Farben. De Botton entdeckt die Poesie des Unterwegs - und es gelingt ihm eine unaufdringliche, immer überraschende und begeisternde Kunst des Reisens.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2002 BÜCHER FÜR DIE REISE
Das Glück als
Annäherungswert
Alain de Botton über die Kunst, naiv und gleichzeitig wissend zu reisen
„Ich fand einen Liegestuhl am Wasser. Hörte neben mir kleine leckende Geräusche, als trinke ein sanftes Ungeheuer immer wieder einen Schluck Wasser aus einem großen Kelchglas. Ein paar Vögel erwachten und schwirrten in morgendlichem Tatendrang durch die Luft.”
So schöne einfache Bilder und Sätze durchziehen das Buch wie eine Perlenkette. Alain de Botton geht auf die Reise und denkt nach über das Reisen, das Sehen, das Entdecken des Neuen. Er denkt nach – einfach kompliziert – etwa über Erwartungshaltungen vor dem Fremden, über die Fast-Unmöglichkeit, dem Unerwarteten im Augenblick der Begegnung gerecht zu werden, über das Exotische im Alltäglichen, über das Erhabene im Kleinen, und über so altmodische Dinge wie „die Erlangung des Schönen”. Er tut das uneitel, unaufwändig, unspektakulär. Der auftrumpfende Gestus des Weltkenners und - erklärers liegt ihm fern. Er nähert sich seinen Zielen leise, behutsam, zaghaft fast. Und womöglich gerade darum entwickeln seine Miniaturen, Essays und Plaudereien einen sanft-stetigen Lesesog, um den ihn welterfahrene Reise- Gurus wie Bruce Chatwin oder Paul Theroux beneiden könnten. Um seine Sprache sowieso. Er schreibt eine wunderbar genaue, dichte und elegante Prosa.
Der Einzelgänger de Botton geht mit dem Leser auf geführte Gruppenreise. Er versichert sich des Rates von Experten in der jeweils bereisten Weltregion und in der Kunst des Reisens und Sehens. Jedem Kapitel hat der Autor einen „Guide” zugeordnet, durch dessen Augen wir die Welt erfahren. Eine illustre und durch ihre verblüffende Disparatheit spannende Reisegesellschaft: Charles Baudelaire und Edward Hopper, William Wordsworth, Edmund Burke und John Ruskin. Begnadete Beschreiber und Abschilderer alle. Mit Gustave Flaubert schwelgen (und ernüchtern) wir inmitten ägyptischer Exotik, mit Alexander von Humboldt entdecken wir Südamerika als terra incognita, Hiob lehrt die Gottnähe des Sinai, und Vincent van Gogh lässt uns die Farben der Provence überhaupt erst erkennen.
Ja, der Verdacht liegt nahe. Nein, er greift nicht. De Botton hat es nicht nötig, seiner „Kunst des Reisens” geborgte Autorität und Prominenz anzuschminken. Souverän ist er selbst. Prominent auch schon längst. Er referiert nicht simpel, wie seine „Guides” die Welt sahen. Mit dem Bezug auf sie baut er sich als Autor eher zusätzliche sensualistische Hürden: Wie kann ich die Olivenhaine und Weizenfelder im flirrenden Sommerlicht bei St. Martin-de-Crau noch erleben, ohne nur van Gogh zu sehen – und ihn doch mitdenken? Unmittelbares Erleben versus vermittelte Weltsicht. Was ist noch spontan erfahrbar? Erkennen wir Welt nur mehr aus zweiter Hand? Alain de Botton lehrt im Blick auf die Welt die Kunst der komplizierten zweiten Naivität im Sinne Kleists.
Dieser neue erstaunte Blick zeichnet de Botton aus, seit der in England aufgewachsene, englisch schreibende Schweizer mit seinem ersten Roman „Versuch über die Liebe” – damals 23Jahre jung – einen Weltbestseller präsentierte. Weitere Romane, die Essaybände „Trost der Philosophie” und „Wie Proust Ihr Leben verändern kann” – wieder ein internationaler Hit – machten den Autor zum Medienstar in England und zur Celebrity weltweit.
Fremd und glücklich
„A strange trade this voyaging, so bounddown, so helpless”, sagt Robert Louis Stevenson, dessen Glück und Verdammnis das Reisen, dessen Leben eine einzige rastlose Fahrt war, dem Unterwegssein die existenzielle Erfahrung überhaupt bedeutete, bevor der Dichter in der Südsee, fernab von allem, so etwas wie Ruhe – und seinen Tod – fand. Glücklich nur in der Suche nach dem Glück. Doch was ist Glück? Ein Näherungswert allenfalls, ein Außer- sich-sein. Wie Angst. Beides, vermittelt de Botton wie nebenher und hält es für einen Gewinn, erfährt der Reisende, der sich dem Fremden aussetzt, eher als der Heimsässige. – Die Welt ist fremd, sie kann gewohnte Haltungen und Erwartungen verstören, sie stellt in Frage. Das ist die Chance. Wir könnten sie ergreifen.
Hans-Christof Wächter
ALAIN DE BOTTON: Kunst des
Reisens. Aus dem Englischen von
Silvia Morawetz. S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 288Seiten, mit zahlreichen Illustrationen. 19,90Euro
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Das Glück als
Annäherungswert
Alain de Botton über die Kunst, naiv und gleichzeitig wissend zu reisen
„Ich fand einen Liegestuhl am Wasser. Hörte neben mir kleine leckende Geräusche, als trinke ein sanftes Ungeheuer immer wieder einen Schluck Wasser aus einem großen Kelchglas. Ein paar Vögel erwachten und schwirrten in morgendlichem Tatendrang durch die Luft.”
So schöne einfache Bilder und Sätze durchziehen das Buch wie eine Perlenkette. Alain de Botton geht auf die Reise und denkt nach über das Reisen, das Sehen, das Entdecken des Neuen. Er denkt nach – einfach kompliziert – etwa über Erwartungshaltungen vor dem Fremden, über die Fast-Unmöglichkeit, dem Unerwarteten im Augenblick der Begegnung gerecht zu werden, über das Exotische im Alltäglichen, über das Erhabene im Kleinen, und über so altmodische Dinge wie „die Erlangung des Schönen”. Er tut das uneitel, unaufwändig, unspektakulär. Der auftrumpfende Gestus des Weltkenners und - erklärers liegt ihm fern. Er nähert sich seinen Zielen leise, behutsam, zaghaft fast. Und womöglich gerade darum entwickeln seine Miniaturen, Essays und Plaudereien einen sanft-stetigen Lesesog, um den ihn welterfahrene Reise- Gurus wie Bruce Chatwin oder Paul Theroux beneiden könnten. Um seine Sprache sowieso. Er schreibt eine wunderbar genaue, dichte und elegante Prosa.
Der Einzelgänger de Botton geht mit dem Leser auf geführte Gruppenreise. Er versichert sich des Rates von Experten in der jeweils bereisten Weltregion und in der Kunst des Reisens und Sehens. Jedem Kapitel hat der Autor einen „Guide” zugeordnet, durch dessen Augen wir die Welt erfahren. Eine illustre und durch ihre verblüffende Disparatheit spannende Reisegesellschaft: Charles Baudelaire und Edward Hopper, William Wordsworth, Edmund Burke und John Ruskin. Begnadete Beschreiber und Abschilderer alle. Mit Gustave Flaubert schwelgen (und ernüchtern) wir inmitten ägyptischer Exotik, mit Alexander von Humboldt entdecken wir Südamerika als terra incognita, Hiob lehrt die Gottnähe des Sinai, und Vincent van Gogh lässt uns die Farben der Provence überhaupt erst erkennen.
Ja, der Verdacht liegt nahe. Nein, er greift nicht. De Botton hat es nicht nötig, seiner „Kunst des Reisens” geborgte Autorität und Prominenz anzuschminken. Souverän ist er selbst. Prominent auch schon längst. Er referiert nicht simpel, wie seine „Guides” die Welt sahen. Mit dem Bezug auf sie baut er sich als Autor eher zusätzliche sensualistische Hürden: Wie kann ich die Olivenhaine und Weizenfelder im flirrenden Sommerlicht bei St. Martin-de-Crau noch erleben, ohne nur van Gogh zu sehen – und ihn doch mitdenken? Unmittelbares Erleben versus vermittelte Weltsicht. Was ist noch spontan erfahrbar? Erkennen wir Welt nur mehr aus zweiter Hand? Alain de Botton lehrt im Blick auf die Welt die Kunst der komplizierten zweiten Naivität im Sinne Kleists.
Dieser neue erstaunte Blick zeichnet de Botton aus, seit der in England aufgewachsene, englisch schreibende Schweizer mit seinem ersten Roman „Versuch über die Liebe” – damals 23Jahre jung – einen Weltbestseller präsentierte. Weitere Romane, die Essaybände „Trost der Philosophie” und „Wie Proust Ihr Leben verändern kann” – wieder ein internationaler Hit – machten den Autor zum Medienstar in England und zur Celebrity weltweit.
Fremd und glücklich
„A strange trade this voyaging, so bounddown, so helpless”, sagt Robert Louis Stevenson, dessen Glück und Verdammnis das Reisen, dessen Leben eine einzige rastlose Fahrt war, dem Unterwegssein die existenzielle Erfahrung überhaupt bedeutete, bevor der Dichter in der Südsee, fernab von allem, so etwas wie Ruhe – und seinen Tod – fand. Glücklich nur in der Suche nach dem Glück. Doch was ist Glück? Ein Näherungswert allenfalls, ein Außer- sich-sein. Wie Angst. Beides, vermittelt de Botton wie nebenher und hält es für einen Gewinn, erfährt der Reisende, der sich dem Fremden aussetzt, eher als der Heimsässige. – Die Welt ist fremd, sie kann gewohnte Haltungen und Erwartungen verstören, sie stellt in Frage. Das ist die Chance. Wir könnten sie ergreifen.
Hans-Christof Wächter
ALAIN DE BOTTON: Kunst des
Reisens. Aus dem Englischen von
Silvia Morawetz. S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 288Seiten, mit zahlreichen Illustrationen. 19,90Euro
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2002Was machen wir hier?
Bottons "Kunst des Reisens"
Die Deutschen, anfällig für mythische literarische Gestalten, verliebten sich in Bruce Chatwins Reiseprosa auch deshalb, weil sie immer ein bißchen unverständlich blieb. Alain de Bottons größtes Problem dürfte darum seine große Verständlichkeit sein: Kann man denn wirklich kühn und klug sein, wenn man als Leser alles verstehen kann? Man kann. De Bottons Essays über das Reisen sind zugleich präzise Untersuchungen über den merkwürdigen Zustand des Menschen am Anfang des 21. Jahrhunderts: Wie kann man noch etwas selbst erleben, ohne es durch die Augen der anderen zu sehen, wie noch neugierig sein trotz der Übermacht der Bilder im Kopf. "Was mache ich hier?" fragte Chatwin und fuhr nach Hause. De Botton ist radikaler: Er fragt sich gut gelaunt 288 Seiten lang, was wir eigentlich noch auf dieser durchschauten Erde wollen. (Alain de Botton: Kunst des Reisens. S. Fischer Verlag, 2002, 288 Seiten, 19,90 Euro)
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Bottons "Kunst des Reisens"
Die Deutschen, anfällig für mythische literarische Gestalten, verliebten sich in Bruce Chatwins Reiseprosa auch deshalb, weil sie immer ein bißchen unverständlich blieb. Alain de Bottons größtes Problem dürfte darum seine große Verständlichkeit sein: Kann man denn wirklich kühn und klug sein, wenn man als Leser alles verstehen kann? Man kann. De Bottons Essays über das Reisen sind zugleich präzise Untersuchungen über den merkwürdigen Zustand des Menschen am Anfang des 21. Jahrhunderts: Wie kann man noch etwas selbst erleben, ohne es durch die Augen der anderen zu sehen, wie noch neugierig sein trotz der Übermacht der Bilder im Kopf. "Was mache ich hier?" fragte Chatwin und fuhr nach Hause. De Botton ist radikaler: Er fragt sich gut gelaunt 288 Seiten lang, was wir eigentlich noch auf dieser durchschauten Erde wollen. (Alain de Botton: Kunst des Reisens. S. Fischer Verlag, 2002, 288 Seiten, 19,90 Euro)
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