Die Freundschaft von Alexandre Kojève und Leo Strauss reicht bis in die frühen 30er Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Sie äußerte sich, wie ihr Briefwechsel (1932-1965) zeigt, in erster Linie als intellektuelle Auseinandersetzung, die zuweilen auch publizistische Früchte, wie "Über Tyrannis" (1963), trug. Der vorliegende Band vereint zwei Texte zu einem anderen Thema: Die Kunst des Schreibens. Zum einen Alexandre Kojèves Text "Kaiser Julian und die Kunst des Schreibens", der zuerst 1964 in englischer Übersetzung in einer Festschrift für Leo Strauss erschien, zum anderen den Aufsatz des Jubilars von 1941, auf den sich Kojève ausdrücklich bezieht: "Verfolgung und die Kunst des Schreibens". Es geht also um das Verhältnis von Exoterik und Esoterik, um das, was gesagt wird und das, was unausgesprochen bleibt. Und darum, ob es eine spezielle Schreibtechnik gibt, "eine Technik, an die wir denken, wenn wir vom Zwischen-den-Zeilen-Schreiben sprechen", die zu verstehen gibt, was nichtausgesprochen wird. Abschließend stellt Friedrich Kittler Kaiser Julians so genannte Apostasie in ihren medien- und institutionsgeschichtlichen Kontext, in den jede "Kunst des Schreibens" eingebunden ist.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2010Gut geraunt
Für den Merve Verlag hat Andreas Hiepko einen Artikel von Leo Strauss über "Verfolgung und die Kunst des Schreibens" aus dem Jahr 1941 ausgegraben. Auf ihn reagiert Strauss' Pariser Jugendbekannter Alexandre Kojève in einer Festschrift aus dem Abstand fast eines Vierteljahrhunderts. Friedrich Kittler sekundiert beziehungsweise schießt auf den Gratulanten. Strauss will die politische Ideengeschichte aus ihrem Dornröschenschlaf wecken: In Zeiten, in denen Philosophen sich politischer Verfolgung ausgesetzt sehen, soll man ihre Schriften nicht zum Nennwert nehmen. Auffälligkeiten in der Darstellung etwa einer vom Autor offiziell verurteilten Lehre könnten darauf schließen lassen, dass dieser sich in Wirklichkeit zwischen den Zeilen mit einem Kreis von Eingeweihten über deren Triftigkeit austauscht. Strauss' programmatischer Text für eine "Schule der Niedertracht" (Hiepko) wäre insoweit ein klassisches Anwendungsbeispiel für seine Unterscheidung zwischen exoterischer und esoterischer Lehre. Wobei der Zweck des Zwischen-den-Zeilen-Schreibens weniger die Umgehung der Zensur ist, sondern die Bildung einer intellektuellen Elite, die einander zuraunt, was die Masse nicht hören darf. In seinem Grußessay an Strauss führt der russisch-französische Hegeldeuter Alexandre Kojève das Sprechen mit doppelter Zunge am historischen Beispiel vor. Kaiser Julians Schriften liest er als einen Versuch, nicht das Christentum zugunsten des Heidentums zurückzudrängen, sondern sich als erster Atheist auf dem Thron zu camouflieren. (Leo Strauss, Alexandre Kojève, Friedrich Kittler: "Kunst des Schreibens". Hrsg. und aus dem Englischen von Andreas Hiepko, aus dem Französischen von Peter Geble. Merve Verlag, Berlin 2009. 100 S., br., 10,- [Euro].) adr
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für den Merve Verlag hat Andreas Hiepko einen Artikel von Leo Strauss über "Verfolgung und die Kunst des Schreibens" aus dem Jahr 1941 ausgegraben. Auf ihn reagiert Strauss' Pariser Jugendbekannter Alexandre Kojève in einer Festschrift aus dem Abstand fast eines Vierteljahrhunderts. Friedrich Kittler sekundiert beziehungsweise schießt auf den Gratulanten. Strauss will die politische Ideengeschichte aus ihrem Dornröschenschlaf wecken: In Zeiten, in denen Philosophen sich politischer Verfolgung ausgesetzt sehen, soll man ihre Schriften nicht zum Nennwert nehmen. Auffälligkeiten in der Darstellung etwa einer vom Autor offiziell verurteilten Lehre könnten darauf schließen lassen, dass dieser sich in Wirklichkeit zwischen den Zeilen mit einem Kreis von Eingeweihten über deren Triftigkeit austauscht. Strauss' programmatischer Text für eine "Schule der Niedertracht" (Hiepko) wäre insoweit ein klassisches Anwendungsbeispiel für seine Unterscheidung zwischen exoterischer und esoterischer Lehre. Wobei der Zweck des Zwischen-den-Zeilen-Schreibens weniger die Umgehung der Zensur ist, sondern die Bildung einer intellektuellen Elite, die einander zuraunt, was die Masse nicht hören darf. In seinem Grußessay an Strauss führt der russisch-französische Hegeldeuter Alexandre Kojève das Sprechen mit doppelter Zunge am historischen Beispiel vor. Kaiser Julians Schriften liest er als einen Versuch, nicht das Christentum zugunsten des Heidentums zurückzudrängen, sondern sich als erster Atheist auf dem Thron zu camouflieren. (Leo Strauss, Alexandre Kojève, Friedrich Kittler: "Kunst des Schreibens". Hrsg. und aus dem Englischen von Andreas Hiepko, aus dem Französischen von Peter Geble. Merve Verlag, Berlin 2009. 100 S., br., 10,- [Euro].) adr
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2009Was der Zensor versteht, wird mit Recht verboten
Besser gläubige Heiden als fundamentalistische Galiläer: Leo Strauss und Alexandre Kojève über die „Kunst des Schreibens”
1941 bringt der Emigrant Leo Strauss in New York einen längeren Aufsatz „Verfolgung und die Kunst des Schreibens” zu Papier, den er 1952 – inzwischen Professor für Politische Philosophie an der Universität Chicago – mit drei weiteren gelehrten Abhandlungen zu einem Sammelband gleichen Titels zusammenfasst. In Anbetracht des Themas erscheinen die Publikationsdaten symbolträchtig und verführerisch eindeutig. Aha, sagt man sich, schon klar: Das eine Mal hält das NS-Regime mehrere europäische Länder besetzt, und das andere Mal treibt in den Vereinigten Staaten Senator McCarthy sein Unwesen. Kein Wunder also, dass man sich als „Dissident” im weitesten Sinne des Wortes, sofern man nicht unter die Räder kommen will, besser bedeckt hielte und sich nach Möglichkeit dessen befleißigte, was im Deutschen als „Sklavensprache” bekannt ist. Dass die Dinge komplizierter liegen, wurde spätestens 1964 deutlich, als aus Paris Alexandre Kojève, ein hochrangiger Beamter der gaullistischen Administration, zur Festschrift seines alten Freundes (und theoretischen Gegners) Strauss einen kryptischen Artikel beisteuerte über „Kaiser Julian und seine Kunst des Schreibens”. Wieso sollte es der Regent des römischen Weltreiches im 4. Jahrhundert nötig gehabt haben, sich klandestin auszudrücken?
Die beiden gewichtigen und sehr dichten Texte von Strauss und Kojève sind jetzt verdienstvollerweise erstmals ins Deutsche übersetzt worden. Es geht darin um das Verhältnis von exoterischer und esoterischer Rede; dem, was offenkundig und für jeden sichtbar in den Zeilen steht, und dem, was die nicht allzu vielen aufmerksamen Leser zwischen den Zeilen – wo der jeweilige Autor seine ideologische Konterbande untergebracht haben mag – entdecken können. Sachlich haben der Aristoteliker Strauss und der Hegelianer Kojève nur wenig miteinander gemein. Implizit einig allerdings sind sie sich in der von Karl Kraus wie folgt formulierten Maxime: Was der Zensor versteht, wird mit Recht verboten. Zensur mithin nicht als eine Vergewaltigung des freien Geistes, als abzuschaffender Knebel, sondern genau umgekehrt als verkleideter Segen, indem sie den Denker oder Dichter zu immer größerer Knappheit und Präzision zwingt.
Für seine Überzeugung, dass es Wahrheiten gebe, die nicht ausgesprochen (oder abgebildet) werden dürfen, beruft Strauss sich auch auf Lessing. Er behauptet, dass – einerlei was die amtierende religiöse oder politische Orthodoxie gerade vertritt – ein versierter Verfasser seine abweichende Meinung stets einzuschmuggeln imstande sein müsste – auch wenn es manchmal Jahre oder gar Jahrhunderte dauern mag, bis sich ein Aufgeweckter findet, der das Verschlüsselte richtig entziffert. Als Beispiel nennt er Ernest Renans Zertrümmerung der „mittelalterlichen Legende” von der Ungläubigkeit des Ibn Ruschd alias Averroës, der seitdem wenn nicht als frommer, so doch zumindest als loyaler Muslim gilt.
Hier setzt nun Kojève ein mit seiner Umwertung „Julians des Abtrünnigen”, welche Friedrich Kittler für völlig abwegig hält. Diesem sind die literarischen Bearbeitungen des Stoffes durch Hendrik Ibsen oder Gore Vidal sympathischer. Letzterer hatte ja in seinem erfolgreichen historischen Roman „Julian” dem Apostaten nicht den ihm, Vidal, eigenen Atheismus untergeschoben, sondern ihn „bloß” als Wahl-Griechen sowie als Anhänger des Polytheismus porträtiert, der die von ihm so apostrophierten „christlichen Hunde” nicht zuletzt wegen ihrer Unbildung in rebus classicis verachtete. Kojève hingegen macht aus Julian einen lustvollen intellektuellen Spieler, wie er selbst es ist, und deklariert ihn in seiner minutiösen philologischen Exegese zum Atheisten. Doch eine solch radikale Gottlosigkeit offen auszusprechen, wäre sogar für einen Imperator seinerzeit undenkbar gewesen, wollte er nicht die Massen gegen sich aufbringen. Deshalb (so Kojèves These) entschied sich Julian für eine Politik des kleineren Übels: immer noch besser gläubige „Heiden” als fundamentalistische „Galiläer”. STEFAN DORNUF
LEO STRAUSS/ALEXANDRE KOJÈVE: Kunst des Schreibens. Hrsg. und Einleitung Andreas Hiepko. Nachwort Friedrich Kittler. Merve Verlag, Berlin 2009, 104 Seiten, 10 Euro.
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Besser gläubige Heiden als fundamentalistische Galiläer: Leo Strauss und Alexandre Kojève über die „Kunst des Schreibens”
1941 bringt der Emigrant Leo Strauss in New York einen längeren Aufsatz „Verfolgung und die Kunst des Schreibens” zu Papier, den er 1952 – inzwischen Professor für Politische Philosophie an der Universität Chicago – mit drei weiteren gelehrten Abhandlungen zu einem Sammelband gleichen Titels zusammenfasst. In Anbetracht des Themas erscheinen die Publikationsdaten symbolträchtig und verführerisch eindeutig. Aha, sagt man sich, schon klar: Das eine Mal hält das NS-Regime mehrere europäische Länder besetzt, und das andere Mal treibt in den Vereinigten Staaten Senator McCarthy sein Unwesen. Kein Wunder also, dass man sich als „Dissident” im weitesten Sinne des Wortes, sofern man nicht unter die Räder kommen will, besser bedeckt hielte und sich nach Möglichkeit dessen befleißigte, was im Deutschen als „Sklavensprache” bekannt ist. Dass die Dinge komplizierter liegen, wurde spätestens 1964 deutlich, als aus Paris Alexandre Kojève, ein hochrangiger Beamter der gaullistischen Administration, zur Festschrift seines alten Freundes (und theoretischen Gegners) Strauss einen kryptischen Artikel beisteuerte über „Kaiser Julian und seine Kunst des Schreibens”. Wieso sollte es der Regent des römischen Weltreiches im 4. Jahrhundert nötig gehabt haben, sich klandestin auszudrücken?
Die beiden gewichtigen und sehr dichten Texte von Strauss und Kojève sind jetzt verdienstvollerweise erstmals ins Deutsche übersetzt worden. Es geht darin um das Verhältnis von exoterischer und esoterischer Rede; dem, was offenkundig und für jeden sichtbar in den Zeilen steht, und dem, was die nicht allzu vielen aufmerksamen Leser zwischen den Zeilen – wo der jeweilige Autor seine ideologische Konterbande untergebracht haben mag – entdecken können. Sachlich haben der Aristoteliker Strauss und der Hegelianer Kojève nur wenig miteinander gemein. Implizit einig allerdings sind sie sich in der von Karl Kraus wie folgt formulierten Maxime: Was der Zensor versteht, wird mit Recht verboten. Zensur mithin nicht als eine Vergewaltigung des freien Geistes, als abzuschaffender Knebel, sondern genau umgekehrt als verkleideter Segen, indem sie den Denker oder Dichter zu immer größerer Knappheit und Präzision zwingt.
Für seine Überzeugung, dass es Wahrheiten gebe, die nicht ausgesprochen (oder abgebildet) werden dürfen, beruft Strauss sich auch auf Lessing. Er behauptet, dass – einerlei was die amtierende religiöse oder politische Orthodoxie gerade vertritt – ein versierter Verfasser seine abweichende Meinung stets einzuschmuggeln imstande sein müsste – auch wenn es manchmal Jahre oder gar Jahrhunderte dauern mag, bis sich ein Aufgeweckter findet, der das Verschlüsselte richtig entziffert. Als Beispiel nennt er Ernest Renans Zertrümmerung der „mittelalterlichen Legende” von der Ungläubigkeit des Ibn Ruschd alias Averroës, der seitdem wenn nicht als frommer, so doch zumindest als loyaler Muslim gilt.
Hier setzt nun Kojève ein mit seiner Umwertung „Julians des Abtrünnigen”, welche Friedrich Kittler für völlig abwegig hält. Diesem sind die literarischen Bearbeitungen des Stoffes durch Hendrik Ibsen oder Gore Vidal sympathischer. Letzterer hatte ja in seinem erfolgreichen historischen Roman „Julian” dem Apostaten nicht den ihm, Vidal, eigenen Atheismus untergeschoben, sondern ihn „bloß” als Wahl-Griechen sowie als Anhänger des Polytheismus porträtiert, der die von ihm so apostrophierten „christlichen Hunde” nicht zuletzt wegen ihrer Unbildung in rebus classicis verachtete. Kojève hingegen macht aus Julian einen lustvollen intellektuellen Spieler, wie er selbst es ist, und deklariert ihn in seiner minutiösen philologischen Exegese zum Atheisten. Doch eine solch radikale Gottlosigkeit offen auszusprechen, wäre sogar für einen Imperator seinerzeit undenkbar gewesen, wollte er nicht die Massen gegen sich aufbringen. Deshalb (so Kojèves These) entschied sich Julian für eine Politik des kleineren Übels: immer noch besser gläubige „Heiden” als fundamentalistische „Galiläer”. STEFAN DORNUF
LEO STRAUSS/ALEXANDRE KOJÈVE: Kunst des Schreibens. Hrsg. und Einleitung Andreas Hiepko. Nachwort Friedrich Kittler. Merve Verlag, Berlin 2009, 104 Seiten, 10 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Erfreut zeigt sich Rezensent Stefan Dornuf über diesen Band mit zwei erstmals in deutscher Übersetzung vorliegenden Essays von Leo Strauss und Alexandre Kojeve über die "Kunst des Schreibens". Beide Texte - Strauss' Aufsatz "Verfolgung und die Kunst des Schreibens" und Kojeves Artikel "Kaiser Julian und seine Kunst des Schreibens", ein Beitrag zu einer Festschrift zu Ehren von Strauss - scheinen ihm überaus "gewichtig" und "dicht". Sie thematisieren nach Dornuf das Verhältnis von exoterischer und esoterischer Rede. Dabei hätten der Aristoteliker Strauss und der Hegelianer Kojeve sachlich kaum etwas gemein. Dornuf sieht allerdings doch eine, wenn auch implizite Gemeinsamkeit: beide folgen der von Karl Kraus formulierten Maxime: "Was der Zensor versteht, wird mit Recht verboten". Zensur erscheine damit, positiv gewendet, als ein "verkleideter Segen", der Denker oder Dichter zu "immer größerer Knappheit und Präzision" zwingt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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