Die Studie analysiert erstmals und umfassend das auf die bildende Kunst bezogene Engagement des Preußischen Kultusministeriums in der Weimarer Zeit. Gestützt auf intensive Archivrecherchen beleuchtet sie Anspruch und Praxis der Museums- und Akademiepolitik des Kultusressorts, das von Männern wie Carl Heinrich Becker oder Adolf Grimme bildungsbürgerlich geprägt wurde. Sie informiert über Erwerbungen und Künstlerförderung, Ausstellungs- und Popularisierungsaktivitäten sowie das wachsende Interesse an einem internationalen Austausch. Die Untersuchung zeichnet so das Bild einer mit starkem gesellschaftlichem Impetus betriebenen, ambitionierten und innovativen Politik, die Maßstäbe setzte.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.02.2008Mondän und mit großem Elan zur Erneuerung
Preußen war einfach zu modern: Eine Studie erhellt die Kunstpolitik im Berlin der zwanziger Jahre
„Wir lehnen vieles ab, was gemeinhin ‚preußischer Geist’ genannt wird.” Das vermeldete Konrad Adenauer in der Zeit am 12. Dezember 1946. Gut zwei Jahre später bezog der Parlamentarische Rat, das Gründungsgremium der Bundesrepublik, unter Adenauers Vorsitz die ehemalige Pädagogische Akademie in Bonn. Das spätere „Bundeshaus” war ein sachliches Gebäude aus den frühen dreißiger Jahren, streng kubisch, strahlend weiß, mit Panoramafenster zur Rheinaue: ein Bauwerk, das in Geist und Materie ein echter Nachfolger des Bauhauses schien. Auch Adenauer wusste freilich, dass die Pädagogische Akademie eine preußische Institution gewesen war. Die helle Leichtigkeit des Hauses war das Sinnbild des modernen Reformstaates, der Preußen nach der politischen Erneuerung von 1918 geworden war. Der Glanz der Demokratie war diesem Bau gleichsam eingeschrieben, er sollte auch die frühe Bundesrepublik erleuchten. Was aber war daran abzulehnen?
Preußen war der größte Staat im deutschen Reichsgefüge. Und als solcher hat er dem Reich immer zu schaffen gemacht – zumal dieses, dank der Bismarckschen Einigung als durch und durch preußisches Produkt gelten konnte. Seit 1871 schwelten die Konflikte. Nach dem Ersten Weltkrieg war das Kräfteverhältnis vollständig aus dem Lot. Das Reich stand jahrelang am Abgrund, taumelte zwischen Putsch und Inflation. Preußen aber stabilisierte sich rasch. Der Staat war mächtig. Unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun verfügte er über eine intakte Regierung, reformierte seinen Beamtenapparat, hatte loyale Bürger und betrieb von Berlin aus eine weithin wirksame Politik. Kurzum: Er pfuschte dem Reich ständig ins Handwerk.
Die Berliner Kunsthistorikerin Kristina Kratz-Kessemeier hat sich einem winzigen Teilbereich der preußischen Politik aus der „goldenen” Epoche zwischen 1918 und 1932 herausgegriffen und darüber ein großes Buch geschrieben. Es geht ihr um Repräsentation: um die Frage der Selbstdarstellung durch Kunstpolitik. Pars pro toto verdeutlicht Kratz-Kessemeiers Kompendium ein Hauptproblem des Föderalismus. Das zeigt allein der Blick auf die Berliner Kulturtopographie.
Das Reich saß im Reichstag. Preußen war überall. Die „Neue Wache” war das nationale – also preußische – Ehrenmal für die Kriegstoten. Die Hohenzollernschlösser von Charlottenburg bis Sanssouci wurden in eine riesige Museumslandschaft verwandelt. Die – preußische – Staatsoper Unter den Linden war eines der führenden Konzerthäuser Deutschlands. Die Museumsinsel versammelte Schätze von internationalem Renommee.
Atemberaubend war auch der Wille zur Erneuerung, den Kratz-Kessemeier beispielhaft anhand der – preußischen – Nationalgalerie offenlegt. Während die Kunst der Moderne konservative Kreise zu wütenden Protesten motivierte, entschloss sich das preußische Kultusministerium, dem Expressionismus ein eigenes Museum zu widmen, an prominenter Stelle, im ehemaligen Palais der Kronprinzen Unter den Linden. Direktor wurde Ludwig Justi, einer der führenden Experten seiner Zeit. Seine Fachkompetenz brachte dem Haus weltweiten Ruhm, die Kanonisierung der Werke Emil Noldes, Wassily Kandinskys oder Ernst Ludwig Kirchners wirkt bis heute fort.
Gegen diesen Elan, der Preußen die Deutungshoheit über die Moderne zuwies, konnte das Reich nichts ausrichten. Aus seiner komfortablen Lage lud das Kultusministerium, das von Männern wie Carl Heinrich Becker und Adolf Grimme geleitet wurde, schließlich zur Zusammenarbeit ein.
Dennoch schürte der mondäne, weltgewandte Auftritt der reformstaatlichen Kulturpolitik auf Reichsebene großen Unmut. Adenauer, damals Abgeordneter im Parlament, brachte als Rheinländer alte Ressentiments mit in die Debatten, sogar die Auflösung Preußens wurde schon in den zwanziger Jahren mehrfach erwogen. Die Übermacht des wendigen preußischen David gegen ein träges Goliath-Reich, der seine Glieder nicht im Zaum halten konnte, sollte ein für alle Mal gebrochen werden.
1947 war es endlich so weit. Preußen wurde regelrecht abgeschafft, sein Kulturgut in eine Stiftung eingebracht und dem Rechtsnachfolger des Reiches unterstellt. Ein genialer Staatsstreich, der uralte Rechnungen beglich – und das Problem dem Klischee des „Militarismus” zuwies. Dass Preußen in Wirklichkeit nur zu modern gewesen war, interessierte nun nicht mehr. Noch besser: Jetzt, da das Land nicht mehr existierte, war der Weg frei, die zweite Republik als modernen Reformstaat zu inszenieren. Es war ein später Triumph auf allen Ebenen. Und dieser Vereinnahmungsprozess dauert fort, dank der stetigen Debatten um die Übernahme Berliner Kulturinstitutionen durch den Bund. Mit dem Umzug in die Pädagogische Akademie und Adenauers strategischer Ablehnung des „preußischen Geistes” hatte er begonnen. CHRISTIAN WELZBACHER
KRISTINA KRATZ–KESSEMEIER: Kunst für die Republik. Die Kunstpolitik des preußischen Kultusministeriums 1918 bis 1932. Akademie-Verlag, Berlin 2007, 749 Seiten, 89,80 Euro.
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Preußen war einfach zu modern: Eine Studie erhellt die Kunstpolitik im Berlin der zwanziger Jahre
„Wir lehnen vieles ab, was gemeinhin ‚preußischer Geist’ genannt wird.” Das vermeldete Konrad Adenauer in der Zeit am 12. Dezember 1946. Gut zwei Jahre später bezog der Parlamentarische Rat, das Gründungsgremium der Bundesrepublik, unter Adenauers Vorsitz die ehemalige Pädagogische Akademie in Bonn. Das spätere „Bundeshaus” war ein sachliches Gebäude aus den frühen dreißiger Jahren, streng kubisch, strahlend weiß, mit Panoramafenster zur Rheinaue: ein Bauwerk, das in Geist und Materie ein echter Nachfolger des Bauhauses schien. Auch Adenauer wusste freilich, dass die Pädagogische Akademie eine preußische Institution gewesen war. Die helle Leichtigkeit des Hauses war das Sinnbild des modernen Reformstaates, der Preußen nach der politischen Erneuerung von 1918 geworden war. Der Glanz der Demokratie war diesem Bau gleichsam eingeschrieben, er sollte auch die frühe Bundesrepublik erleuchten. Was aber war daran abzulehnen?
Preußen war der größte Staat im deutschen Reichsgefüge. Und als solcher hat er dem Reich immer zu schaffen gemacht – zumal dieses, dank der Bismarckschen Einigung als durch und durch preußisches Produkt gelten konnte. Seit 1871 schwelten die Konflikte. Nach dem Ersten Weltkrieg war das Kräfteverhältnis vollständig aus dem Lot. Das Reich stand jahrelang am Abgrund, taumelte zwischen Putsch und Inflation. Preußen aber stabilisierte sich rasch. Der Staat war mächtig. Unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun verfügte er über eine intakte Regierung, reformierte seinen Beamtenapparat, hatte loyale Bürger und betrieb von Berlin aus eine weithin wirksame Politik. Kurzum: Er pfuschte dem Reich ständig ins Handwerk.
Die Berliner Kunsthistorikerin Kristina Kratz-Kessemeier hat sich einem winzigen Teilbereich der preußischen Politik aus der „goldenen” Epoche zwischen 1918 und 1932 herausgegriffen und darüber ein großes Buch geschrieben. Es geht ihr um Repräsentation: um die Frage der Selbstdarstellung durch Kunstpolitik. Pars pro toto verdeutlicht Kratz-Kessemeiers Kompendium ein Hauptproblem des Föderalismus. Das zeigt allein der Blick auf die Berliner Kulturtopographie.
Das Reich saß im Reichstag. Preußen war überall. Die „Neue Wache” war das nationale – also preußische – Ehrenmal für die Kriegstoten. Die Hohenzollernschlösser von Charlottenburg bis Sanssouci wurden in eine riesige Museumslandschaft verwandelt. Die – preußische – Staatsoper Unter den Linden war eines der führenden Konzerthäuser Deutschlands. Die Museumsinsel versammelte Schätze von internationalem Renommee.
Atemberaubend war auch der Wille zur Erneuerung, den Kratz-Kessemeier beispielhaft anhand der – preußischen – Nationalgalerie offenlegt. Während die Kunst der Moderne konservative Kreise zu wütenden Protesten motivierte, entschloss sich das preußische Kultusministerium, dem Expressionismus ein eigenes Museum zu widmen, an prominenter Stelle, im ehemaligen Palais der Kronprinzen Unter den Linden. Direktor wurde Ludwig Justi, einer der führenden Experten seiner Zeit. Seine Fachkompetenz brachte dem Haus weltweiten Ruhm, die Kanonisierung der Werke Emil Noldes, Wassily Kandinskys oder Ernst Ludwig Kirchners wirkt bis heute fort.
Gegen diesen Elan, der Preußen die Deutungshoheit über die Moderne zuwies, konnte das Reich nichts ausrichten. Aus seiner komfortablen Lage lud das Kultusministerium, das von Männern wie Carl Heinrich Becker und Adolf Grimme geleitet wurde, schließlich zur Zusammenarbeit ein.
Dennoch schürte der mondäne, weltgewandte Auftritt der reformstaatlichen Kulturpolitik auf Reichsebene großen Unmut. Adenauer, damals Abgeordneter im Parlament, brachte als Rheinländer alte Ressentiments mit in die Debatten, sogar die Auflösung Preußens wurde schon in den zwanziger Jahren mehrfach erwogen. Die Übermacht des wendigen preußischen David gegen ein träges Goliath-Reich, der seine Glieder nicht im Zaum halten konnte, sollte ein für alle Mal gebrochen werden.
1947 war es endlich so weit. Preußen wurde regelrecht abgeschafft, sein Kulturgut in eine Stiftung eingebracht und dem Rechtsnachfolger des Reiches unterstellt. Ein genialer Staatsstreich, der uralte Rechnungen beglich – und das Problem dem Klischee des „Militarismus” zuwies. Dass Preußen in Wirklichkeit nur zu modern gewesen war, interessierte nun nicht mehr. Noch besser: Jetzt, da das Land nicht mehr existierte, war der Weg frei, die zweite Republik als modernen Reformstaat zu inszenieren. Es war ein später Triumph auf allen Ebenen. Und dieser Vereinnahmungsprozess dauert fort, dank der stetigen Debatten um die Übernahme Berliner Kulturinstitutionen durch den Bund. Mit dem Umzug in die Pädagogische Akademie und Adenauers strategischer Ablehnung des „preußischen Geistes” hatte er begonnen. CHRISTIAN WELZBACHER
KRISTINA KRATZ–KESSEMEIER: Kunst für die Republik. Die Kunstpolitik des preußischen Kultusministeriums 1918 bis 1932. Akademie-Verlag, Berlin 2007, 749 Seiten, 89,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Das Thema ("ein winziger Teilbereich der preußischen Politik") befindet Christian Welzbacher eines Buches für würdig. Eines solchen jedenfalls. Denn Kristina Kratz-Kessemeiers Studie über Repräsentation durch Kunstpolitik in der Berliner Republik hält er für einen großen Wurf. Dem Rezensenten leuchtet so einiges ein, wenn ihm die Autorin "pars pro toto" ein "Hauptproblem des Föderalismus" auseinandersetzt. Die Modernität und der Erneuerungswille Preußens gegenüber dem Reich erscheinen Welzbacher in dieser Darstellung "atemberaubend". Die Idee, scheint er zu denken, war gut, doch die Welt noch nicht bereit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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