Der Autor legt die erste umfassende Untersuchung des Lebens und Werkes von Andre Felibien ( 1619 - 95) vor, der als Begründer und wichtigster Vertreter der Kunsttheorie im Frankreich Ludwigs XIV. gelten kann. Bei der Erforschung seines Lebensweges undseines Schaffens verbinden sich zwei unterschiedliche methodologische Ansätze. Auf der einen Seite eine sozialgeschichtliche Rekonstruktion des Milieus, aus dem sich jene intellektuelle Kräfte rekrutierten, die die prägenden Postionen im Propaganda-Apparat des Sonnenkönigs und in den von ihm geschaffenen Institutionen (wie den Akademien für Malerei, Architektur oder Wissenschaften) einnahmen; auf der anderen Seite die Untersuchung der unterschiedlichen Formen des kunsttheoretischen Formen des kunsttheroretischen Diskurses, die von Felibien nach Frankreich importiert, durch ihn modifiziert oder erfunden wurden, im Hinblick auf ihre Herkunft, Struktur, Funktion und ihre Adressaten.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.1999Feder wird dem Geiste dienen, und der Pinsel dient dem Blick
Stefan Germer schildert die intellektuelle Karriere des Kunsttheoretikers André Félibien
Als Jahr Stefan Germer vor einem Jahr im Alter von neununddreißig Jahren verstarb, verlor die deutsche Kunstgeschichte eine ihrer hoffnungsvollsten Begabungen. Seine ungewöhnliche Produktivität und vor allem sein atemloser Drang nach neuer Erkenntnis auf den von ihm bevorzugten Gebieten, der zeitgenössischen Moderne und der Kunst Frankreichs vom siebzehnten bis neunzehnten Jahrhundert, sind unvergessen und wirken nicht nur auf seine Generation weiterhin mit ihrer ganzen Anregungskraft. Sein letztes großes Werk, ursprünglich eine an der Bonner Universität vorgelegte Habilitationsschrift, widmete er André Félibien, dem Kunsthistoriographen und Kunsttheoretiker des Grand Siècle.
Das Buch ist ein großer Wurf. Die innovative Leistung ist so überragend, dass die formalen Unzulänglichkeiten rasch die Nachsicht des Lesers finden, den die drängende Interpretationslust und die sprachliche Souveränität des Autors begeistern müssen. Germer zeigt, wie unter Ludwig XIV. durch Félibien eine neue Form der Kunstauffassung in Worte gefasst wurde, die Kunsttheorie und Kunstgeschichte bis weit in das neunzehnte Jahrhundert hinein prägen sollte. Dieser methodischen Leistung seines Helden wurde Germer nicht nur als Historiker gerecht, indem er sie beschrieb, analysierte und in ihren geschichtlichen und geistigen Zusammenhang einordnete. Er beschritt darüber hinaus einen ähnlich kreativen Weg wie Félibien, indem er versuchte, dessen intellektuelle Karriere zu erfassen und dabei die Grenzen der wissenschaftlichen literarischen Gattungen auszuweiten. Das Buch verbindet die Monographie mit der systematischen Darstellung von historischen Prozessen und führt den Leser gleichzeitig zu grundsätzlichen Fragen der Kunsttheorie und Kunstkritik, wobei immer wieder Brücken in die Gegenwart geschlagen werden.
Der Autor beschreibt mit großer Ausführlichkeit die ungewöhnliche Laufbahn Félibiens, der sich durch seine Schriften nicht nur Anerkennung erwarb, sondern auch seinen sozialen Aufstieg förderte. Seinem Ansehen wollte Félibien mit einer Fälschung in dem berühmten, damals in seinem Besitz befindlichen Skizzenbuch des Villard de Honnecourt nachhelfen, durch die er sich und seiner Familie Nobilität und Anciennität zu verschaffen suchte. Der schwierige intellektuelle Weg sollte sich aber als erfolgreicher erweisen. Sekretär in diplomatischer Begleitung in Italien, 1666 Historiograph des Königs, 1667 Conseiller honoraire der Kunstakademie, 1683 Mitglied des engsten Beraterkreises von Colbert in der sogenannten Petite Académie, wurde Félibien zu einer gefragten Instanz in kunsttheoretischen Fragen. In den letzten Jahren vor seinem Tode im Jahre 1695 nahm er einträgliche Aufgaben für den Klerus wahr. Seine Verbindung mit der Kirche und seine Religiosität stehen allerdings nicht im Zentrum der Arbeit von Germer.
Hingegen fesselte ihn der Weg eines Intellektuellen im Zeitalter des Sonnenkönigs, eine Laufbahn, die als strategisch durchdachtes Curriculum rekonstruiert wird. Die Quellen können diese Interpretation nahe legen, den Beweis für solche Zielstrebigkeit bieten sie nicht immer. Wohl aber vermag der Autor deutlich zu machen, wie Félibien nach ersten historischen Arbeiten und der Begegnung mit Poussin in Rom in die Dienste von Fouquet einzutreten vermochte. Die panegyrischen Beschreibungen von Vaux-le-Vicomte schadeten ihm nach der Verhaftung des verschwenderischen Ministers im Jahre 1661 nicht, sondern bestimmten ihn geradezu für höhere Aufgaben. Er fand den Zugang in die Beratergruppe von Colbert, wohl durch die Vermittlung des Premier Peintre du Roi, Charles Le Brun. Germer seziert die Schriften Félibiens, die die Inszenierung der Macht des absolutistischen Herrschers im Wort begleiten und verbreiten sollten. Er zeigt, wie seine Beschreibungen von Versailles nicht nur die Gegenstände benennen, sondern im Gegensatz zu früheren Autoren eine Sprache entwickeln, die auf die programmatischen Bezüge zu dem regierenden Herrscher verweist. Félibiens Erklärung des Musterstücks eines Historienbildes des Absolutismus, Le Bruns Familie des Darius vor Alexander, sollte nicht nur die dargestellte Handlung beschreiben, sondern gleichzeitig die Anspielungen auf den König vermitteln und außerdem die Prinzipien dieser Bildgattung herausheben.
Félibiens Schriften dürfen also nicht als die aus der Perspektive des neutralen Beobachters und Chronisten geschriebenen Erläuterungen der Feste, Bauten und Dekorationen verstanden werden. Sie müssen vielmehr als medialer, rhetorischer Teil der monarchischen Inszenierung gelten. Der Herrscher und seine Berater verstanden, sich der Sprache zu bedienen: die Intellektuellen fanden die der Ideologie entsprechende Form. Germers textkritische Analysen erfassen hinter dem Text der Erzählung den Kontext der politischen Repräsentation. Diesem Ziel diente auch die Erschließung und Veröffentlichung der Kunstsammlungen des Königs wie die Mitarbeit an der Historie métallique und der Abfassung von Inschriften, die am Rathaus von Paris angebracht wurden.
Den panegyrischen und historiographischen Arbeiten Félibiens stellt Germer die Kunstschriften gegenüber, die eine auf eine neue Ordnung und Systematisierung hinzielende Kunstdiskussion bezeugen. Als Sekretär der 1648 gegründeten Académie Royale de peinture et de sculpture veröffentlichte er die Vorträge, mit denen die Künstler dieser Institution ihre Tätigkeit als geistige und nicht nur handwerkliche zu begründen suchten. Félibiens Veröffentlichung geschah zunächst ohne ausdrückliche Rücksprache mit den Vortragenden. Es kam daraufhin zu Zerwürfnissen und einer deutlichen Abkühlung des ursprünglich engen Verhältnisses zum Premier Peintre, Le Brun. Die Freiheit der Darstellung künstlerischer Überzeugungen und ihre Verbreitung im Wort erwiesen sich als begrenzt. Durch den Eingriff und die Entscheidung Colberts zugunsten der Künstler wurden die Machtverhältnisse im Sinne der Ziele der Politik geklärt.
Félibiens kunsttheoretisches Denken gründet auf den Schriften der italienischen Kunstschriftsteller. Allerdings rückt er die composition stärker in den Vordergrund als die früher immer wieder als Gegensatzpaar betonten Begriffe von dosegno und colore. Die allgemeine Anordnung der Gruppen und einzelnen Figuren für ein bestimmtes Thema erschien ihm als die wesentliche Erfindung im künstlerischen Prozess und die entscheidende geistige Arbeit. Zeichnung und Farbe waren für ihn erst sekundäre, den künstlerischen Gedanken ausführende Leistungen. Die Gemälde Poussins standen ihm dabei stets vor Augen. Die Begegnung mit Poussin in Rom und die Kenntnis seines Werkes blieben die Grundlage der kunsttheoretischen Überzeugungen Félibiens. Das Fehlen einer konsequenten Anwendung der Vorlagen und Lehren dieses Meisters führte daher zur Entfremdung zwischen ihm und den Künstlern der Akademie.
Gleichwohl blieben Félibiens Schriften, insbesondere die Conférences, das Schlüsselwerk der akademischen Kunstdoktrin. Die Hierarchisierung der Themen, die Regeln der Einheit von Zeit, Raum und Handlung sowie die aus der italienischen Kunsttheorie, der Poetik und der Rhetorik entlehnten Ordnungskriterien behielten ihre Verbindlichkeit auf lange Zeit. Félibiens Veröffentlichung der Konferenzen können nur bedingt als Protokolle aufgefasst werden, sondern sind als kunsttheoretisch eigenständige Schriften zu interpretieren. Sie wandten sich nicht nur an die Künstler, sondern sollten zur Entstehung eines Publikums beitragen, dem Orientierungen zur Entwicklung eigener Urteilsfähigkeit an die Hand gegeben werden sollten. Auf anschauliche Weise macht Germer deutlich, wie sich Künstlertheorie von Kunstkritik abzuspalten beginnt, ein Prozess, der im achtzehnten Jahrhundert an Dynamik gewann. Die fünfbändigen Entretiens, die von 1666 an in großen zeitlichen Abständen bis 1688 erschienen, suchten auf der Voraussetzung der Künstlergeschichte einem weiteren Publikum eine tiefere Begründung der Prinzipien der verschiedenen Künste nahe zu bringen. An Poussins Vorbild hielt Félibien fest und forderte dadurch Roger de Piles heraus, der in seinen Schriften mit der Betonung der malerischen und farblichen Qualitäten vor allem der Kunst von Rubens und der venezianischen Malerei antwortete.
Die exemplarische Untersuchung der Schriften von Félibien in ihrem historischen und geistesgeschichtlichen Kontext verdeutlicht, wie in Frankreich unter Ludwig XIV. die bis dahin von Italien bestimmte Kunsttheorie in ein formales Gerüst eingefügt wurde. Félibien trug entscheidend zur Formulierung ihrer Prinzipien bei, wobei sich ihre Instrumentalisierung im Sinne der staatlichen Macht am Ende des siebzehnten Jahrhunderts zu lockern begann. Auf Grund seiner ungewöhnlichen Belesenheit vermag Germer, dem Leser eine faszinierende intellektuelle Karriere vor Augen zu führen. Er zieht alle Register der gegenwärtigen Methodendiskussion, um die neuesten Erkenntnismöglichkeiten zu nutzen. Die Schriften Félibiens werden sowohl nach rezeptionskritischen Gesichtspunkten abgefragt als auch auf textanalytische Zusammenhänge und anthropologische Forschungsansätze hin untersucht. Das Buch versucht nicht nur ein Kapitel der Kunstgeschichte und der Geschichte des Denkens über Kunst in einer bestimmten Epoche zu rekonstruieren, sondern auch die verschiedenen gegenwärtig zur Verfügung stehenden methodischen Ansätze anzuwenden.
Félibien erscheint als ein Kunsttheoretiker, der auf der breiten Quellenkenntnis der antiken und italienischen Kunsttheorie ein Lehrgebäude aufzustellen vermochte, das noch keine Kunstgeschichte darstellte, aber die Künstlergeschichte als einen geistigen Vorgang von der produktiven Tätigkeit der Künstler abtrennte. Die Vorstellungen des Kunsttheoretikers des siebzehnten Jahrhunderts scheinen sich mit denen seines Exegeten insofern zu treffen, als auch er in Schriften zur Kunst und Kunsttheorie sowie zur gegenwärtigen Kunstkritik nach den Wissensmöglichkeiten des zeitgenössischen Denkens über Kunst fahndete. Die Konturen der historischen Gestalt erweisen sich somit weitgehend als diejenigen eines Produkts gegenwärtiger Theoriediskussion. Dem Autor ist dieser Umstand natürlich jederzeit bewusst, ja er wird betont und in die Argumentation einbezogen. Das Element des Experimentellen dieses an Gedanken so reichen und dichten Buches macht einen wesentlichen Teil seiner Faszination aus. Auf diesem Niveau Kunstgeschichte zu betreiben ist nur wenigen Forschern möglich, so dass der Verlust dieses jungen Gelehrten die Disziplin umso empfindlicher trifft.
THOMAS W. GAEHTGENS
Stefan Germer: "Kunst - Macht - Diskurs". Die intellektuelle Karriere des André Félibien. Wilhelm Fink Verlag, München 1997. 631 S., 73 Abb., geb., 180,- DM.
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Stefan Germer schildert die intellektuelle Karriere des Kunsttheoretikers André Félibien
Als Jahr Stefan Germer vor einem Jahr im Alter von neununddreißig Jahren verstarb, verlor die deutsche Kunstgeschichte eine ihrer hoffnungsvollsten Begabungen. Seine ungewöhnliche Produktivität und vor allem sein atemloser Drang nach neuer Erkenntnis auf den von ihm bevorzugten Gebieten, der zeitgenössischen Moderne und der Kunst Frankreichs vom siebzehnten bis neunzehnten Jahrhundert, sind unvergessen und wirken nicht nur auf seine Generation weiterhin mit ihrer ganzen Anregungskraft. Sein letztes großes Werk, ursprünglich eine an der Bonner Universität vorgelegte Habilitationsschrift, widmete er André Félibien, dem Kunsthistoriographen und Kunsttheoretiker des Grand Siècle.
Das Buch ist ein großer Wurf. Die innovative Leistung ist so überragend, dass die formalen Unzulänglichkeiten rasch die Nachsicht des Lesers finden, den die drängende Interpretationslust und die sprachliche Souveränität des Autors begeistern müssen. Germer zeigt, wie unter Ludwig XIV. durch Félibien eine neue Form der Kunstauffassung in Worte gefasst wurde, die Kunsttheorie und Kunstgeschichte bis weit in das neunzehnte Jahrhundert hinein prägen sollte. Dieser methodischen Leistung seines Helden wurde Germer nicht nur als Historiker gerecht, indem er sie beschrieb, analysierte und in ihren geschichtlichen und geistigen Zusammenhang einordnete. Er beschritt darüber hinaus einen ähnlich kreativen Weg wie Félibien, indem er versuchte, dessen intellektuelle Karriere zu erfassen und dabei die Grenzen der wissenschaftlichen literarischen Gattungen auszuweiten. Das Buch verbindet die Monographie mit der systematischen Darstellung von historischen Prozessen und führt den Leser gleichzeitig zu grundsätzlichen Fragen der Kunsttheorie und Kunstkritik, wobei immer wieder Brücken in die Gegenwart geschlagen werden.
Der Autor beschreibt mit großer Ausführlichkeit die ungewöhnliche Laufbahn Félibiens, der sich durch seine Schriften nicht nur Anerkennung erwarb, sondern auch seinen sozialen Aufstieg förderte. Seinem Ansehen wollte Félibien mit einer Fälschung in dem berühmten, damals in seinem Besitz befindlichen Skizzenbuch des Villard de Honnecourt nachhelfen, durch die er sich und seiner Familie Nobilität und Anciennität zu verschaffen suchte. Der schwierige intellektuelle Weg sollte sich aber als erfolgreicher erweisen. Sekretär in diplomatischer Begleitung in Italien, 1666 Historiograph des Königs, 1667 Conseiller honoraire der Kunstakademie, 1683 Mitglied des engsten Beraterkreises von Colbert in der sogenannten Petite Académie, wurde Félibien zu einer gefragten Instanz in kunsttheoretischen Fragen. In den letzten Jahren vor seinem Tode im Jahre 1695 nahm er einträgliche Aufgaben für den Klerus wahr. Seine Verbindung mit der Kirche und seine Religiosität stehen allerdings nicht im Zentrum der Arbeit von Germer.
Hingegen fesselte ihn der Weg eines Intellektuellen im Zeitalter des Sonnenkönigs, eine Laufbahn, die als strategisch durchdachtes Curriculum rekonstruiert wird. Die Quellen können diese Interpretation nahe legen, den Beweis für solche Zielstrebigkeit bieten sie nicht immer. Wohl aber vermag der Autor deutlich zu machen, wie Félibien nach ersten historischen Arbeiten und der Begegnung mit Poussin in Rom in die Dienste von Fouquet einzutreten vermochte. Die panegyrischen Beschreibungen von Vaux-le-Vicomte schadeten ihm nach der Verhaftung des verschwenderischen Ministers im Jahre 1661 nicht, sondern bestimmten ihn geradezu für höhere Aufgaben. Er fand den Zugang in die Beratergruppe von Colbert, wohl durch die Vermittlung des Premier Peintre du Roi, Charles Le Brun. Germer seziert die Schriften Félibiens, die die Inszenierung der Macht des absolutistischen Herrschers im Wort begleiten und verbreiten sollten. Er zeigt, wie seine Beschreibungen von Versailles nicht nur die Gegenstände benennen, sondern im Gegensatz zu früheren Autoren eine Sprache entwickeln, die auf die programmatischen Bezüge zu dem regierenden Herrscher verweist. Félibiens Erklärung des Musterstücks eines Historienbildes des Absolutismus, Le Bruns Familie des Darius vor Alexander, sollte nicht nur die dargestellte Handlung beschreiben, sondern gleichzeitig die Anspielungen auf den König vermitteln und außerdem die Prinzipien dieser Bildgattung herausheben.
Félibiens Schriften dürfen also nicht als die aus der Perspektive des neutralen Beobachters und Chronisten geschriebenen Erläuterungen der Feste, Bauten und Dekorationen verstanden werden. Sie müssen vielmehr als medialer, rhetorischer Teil der monarchischen Inszenierung gelten. Der Herrscher und seine Berater verstanden, sich der Sprache zu bedienen: die Intellektuellen fanden die der Ideologie entsprechende Form. Germers textkritische Analysen erfassen hinter dem Text der Erzählung den Kontext der politischen Repräsentation. Diesem Ziel diente auch die Erschließung und Veröffentlichung der Kunstsammlungen des Königs wie die Mitarbeit an der Historie métallique und der Abfassung von Inschriften, die am Rathaus von Paris angebracht wurden.
Den panegyrischen und historiographischen Arbeiten Félibiens stellt Germer die Kunstschriften gegenüber, die eine auf eine neue Ordnung und Systematisierung hinzielende Kunstdiskussion bezeugen. Als Sekretär der 1648 gegründeten Académie Royale de peinture et de sculpture veröffentlichte er die Vorträge, mit denen die Künstler dieser Institution ihre Tätigkeit als geistige und nicht nur handwerkliche zu begründen suchten. Félibiens Veröffentlichung geschah zunächst ohne ausdrückliche Rücksprache mit den Vortragenden. Es kam daraufhin zu Zerwürfnissen und einer deutlichen Abkühlung des ursprünglich engen Verhältnisses zum Premier Peintre, Le Brun. Die Freiheit der Darstellung künstlerischer Überzeugungen und ihre Verbreitung im Wort erwiesen sich als begrenzt. Durch den Eingriff und die Entscheidung Colberts zugunsten der Künstler wurden die Machtverhältnisse im Sinne der Ziele der Politik geklärt.
Félibiens kunsttheoretisches Denken gründet auf den Schriften der italienischen Kunstschriftsteller. Allerdings rückt er die composition stärker in den Vordergrund als die früher immer wieder als Gegensatzpaar betonten Begriffe von dosegno und colore. Die allgemeine Anordnung der Gruppen und einzelnen Figuren für ein bestimmtes Thema erschien ihm als die wesentliche Erfindung im künstlerischen Prozess und die entscheidende geistige Arbeit. Zeichnung und Farbe waren für ihn erst sekundäre, den künstlerischen Gedanken ausführende Leistungen. Die Gemälde Poussins standen ihm dabei stets vor Augen. Die Begegnung mit Poussin in Rom und die Kenntnis seines Werkes blieben die Grundlage der kunsttheoretischen Überzeugungen Félibiens. Das Fehlen einer konsequenten Anwendung der Vorlagen und Lehren dieses Meisters führte daher zur Entfremdung zwischen ihm und den Künstlern der Akademie.
Gleichwohl blieben Félibiens Schriften, insbesondere die Conférences, das Schlüsselwerk der akademischen Kunstdoktrin. Die Hierarchisierung der Themen, die Regeln der Einheit von Zeit, Raum und Handlung sowie die aus der italienischen Kunsttheorie, der Poetik und der Rhetorik entlehnten Ordnungskriterien behielten ihre Verbindlichkeit auf lange Zeit. Félibiens Veröffentlichung der Konferenzen können nur bedingt als Protokolle aufgefasst werden, sondern sind als kunsttheoretisch eigenständige Schriften zu interpretieren. Sie wandten sich nicht nur an die Künstler, sondern sollten zur Entstehung eines Publikums beitragen, dem Orientierungen zur Entwicklung eigener Urteilsfähigkeit an die Hand gegeben werden sollten. Auf anschauliche Weise macht Germer deutlich, wie sich Künstlertheorie von Kunstkritik abzuspalten beginnt, ein Prozess, der im achtzehnten Jahrhundert an Dynamik gewann. Die fünfbändigen Entretiens, die von 1666 an in großen zeitlichen Abständen bis 1688 erschienen, suchten auf der Voraussetzung der Künstlergeschichte einem weiteren Publikum eine tiefere Begründung der Prinzipien der verschiedenen Künste nahe zu bringen. An Poussins Vorbild hielt Félibien fest und forderte dadurch Roger de Piles heraus, der in seinen Schriften mit der Betonung der malerischen und farblichen Qualitäten vor allem der Kunst von Rubens und der venezianischen Malerei antwortete.
Die exemplarische Untersuchung der Schriften von Félibien in ihrem historischen und geistesgeschichtlichen Kontext verdeutlicht, wie in Frankreich unter Ludwig XIV. die bis dahin von Italien bestimmte Kunsttheorie in ein formales Gerüst eingefügt wurde. Félibien trug entscheidend zur Formulierung ihrer Prinzipien bei, wobei sich ihre Instrumentalisierung im Sinne der staatlichen Macht am Ende des siebzehnten Jahrhunderts zu lockern begann. Auf Grund seiner ungewöhnlichen Belesenheit vermag Germer, dem Leser eine faszinierende intellektuelle Karriere vor Augen zu führen. Er zieht alle Register der gegenwärtigen Methodendiskussion, um die neuesten Erkenntnismöglichkeiten zu nutzen. Die Schriften Félibiens werden sowohl nach rezeptionskritischen Gesichtspunkten abgefragt als auch auf textanalytische Zusammenhänge und anthropologische Forschungsansätze hin untersucht. Das Buch versucht nicht nur ein Kapitel der Kunstgeschichte und der Geschichte des Denkens über Kunst in einer bestimmten Epoche zu rekonstruieren, sondern auch die verschiedenen gegenwärtig zur Verfügung stehenden methodischen Ansätze anzuwenden.
Félibien erscheint als ein Kunsttheoretiker, der auf der breiten Quellenkenntnis der antiken und italienischen Kunsttheorie ein Lehrgebäude aufzustellen vermochte, das noch keine Kunstgeschichte darstellte, aber die Künstlergeschichte als einen geistigen Vorgang von der produktiven Tätigkeit der Künstler abtrennte. Die Vorstellungen des Kunsttheoretikers des siebzehnten Jahrhunderts scheinen sich mit denen seines Exegeten insofern zu treffen, als auch er in Schriften zur Kunst und Kunsttheorie sowie zur gegenwärtigen Kunstkritik nach den Wissensmöglichkeiten des zeitgenössischen Denkens über Kunst fahndete. Die Konturen der historischen Gestalt erweisen sich somit weitgehend als diejenigen eines Produkts gegenwärtiger Theoriediskussion. Dem Autor ist dieser Umstand natürlich jederzeit bewusst, ja er wird betont und in die Argumentation einbezogen. Das Element des Experimentellen dieses an Gedanken so reichen und dichten Buches macht einen wesentlichen Teil seiner Faszination aus. Auf diesem Niveau Kunstgeschichte zu betreiben ist nur wenigen Forschern möglich, so dass der Verlust dieses jungen Gelehrten die Disziplin umso empfindlicher trifft.
THOMAS W. GAEHTGENS
Stefan Germer: "Kunst - Macht - Diskurs". Die intellektuelle Karriere des André Félibien. Wilhelm Fink Verlag, München 1997. 631 S., 73 Abb., geb., 180,- DM.
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