Wie formten Kunsthistoriker das neue Medium Fotografie zum wichtigsten Werkzeug ihres Faches? Und wie wirkte sich diese neue Medienbasiertheit auf ihre Arbeit aus? Die Beziehung zwischen Geschichte der Fotografie und dem Fach Kunstgeschichte wird für den Zeitraum von 1870 bis 1930 in den Blick genommen. Ausgangs- und Referenzpunkt der Untersuchung ist das prominenteste Bildarchiv der deutschen Kunstgeschichte, 'Foto Marburg', welches Richard Hamann 1913 in enger Anbindung an die Marburger Universität gründete. In den 1920er Jahren wurde es zu einem der wichtigsten Produzenten und Lieferanten fotografischen Materials. Die Autorin verfolgt seine Geschichte ebenso wie die früherer Archivprojekte im 19. Jahrhundert, die fachintern geführten Debatten über die Fotografie und ihre Vor- und Nachteile im Vergleich etwa zur Grafik sowie die Bildkonventionen und -praktiken. Dabei zeigen sich nicht nur die schwierigen Grenzziehungsversuche zur künstlerischen Dokumentarfotografie: Die eigene Bildpraxis ging im Falle Hamanns so weit, dass er das Fotografieren als eigene Forschungsmethode begriff und in Richtung einer Wissenschaft ohne Worte sich zusehends mehr als Bild- denn als Textautor verstand.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2009Arbeit an der Demokratisierung des Auges
Die Kunst zu fotografieren: Zwei Studien über den Kunsthistoriker Richard Hamann
Das schöne Wort "Papiermuseum" erfand der Wissenschaftshistoriker Martin Rudwick, um die Tatsache zu bezeichnen, dass Urzeitforscher nicht nur Fossilien und Ausgrabungsstätten studieren, sondern auch Papier. Aus der Paläontologie wurde erst dann eine Wissenschaft, als man die fossilierten Knochen, Skelette und Gebeine abzeichnete: Im Medium der Zeichnung wurden die dreidimensionalen Objekte nicht nur zweidimensional - sie wurden auch besser transportierbar, skalierbar und damit vergleichbar.
Was für Dinosaurier und Mammuts gilt, trifft auch auf Gemälde, Skulpturen, Teppiche und Bodenmosaike zu: Erst als es mit der Fotografie gelang, eine einheitliche visuelle Sprache für die vielfältigen Objekte der Kunst zu entwickeln, wurde aus der Kunstgeschichte eine wissenschaftliche Disziplin. Die Voraussetzung dafür, sich untereinander verständigen zu können, war nicht, zu den Originalen zu reisen und sie zu betrachten, sondern umgekehrt, die Kunst in die Institute kommen zu lassen - in Form von Fotografien und Lichtbildern. Dies ist die überzeugende These der Kunsthistorikerin Angela Matyssek, in die sie ihre umfangreiche Studie zu Richard Hamann einbettet ("Kunstgeschichte als fotografische Praxis. Richard Hamann und Foto Marburg", Berlin 2009).
Der Marburger Historiker stellt einen herausragenden Fall der Konjunktion von Kunst- und Fotografiegeschichte dar: Im Jahr 1913 gründete er mit Foto Marburg das prominenteste Archiv der deutschen Kunstgeschichte, das fünfzehn Jahre später bereits zwischen 40 000 und 50 000 Negativplatten besaß und über eine Million fotografischer Abzüge; die jährliche Produktion belief sich 1930/1 auf etwa 75 000 Kontaktbezüge. Hamanns utopischen Planungen zielten auf ein kunsthistorisches Weltarchiv, das seinen Sitz an einem zentralen Institut in Deutschland haben sollte.
Doch Angela Matyssek hat weit mehr als eine Monographie zu Hamann geschrieben. Mit der Sorgfalt eines Handbuchs werden von ihr sämtliche Unternehmungen aufgefächert, die sich mit dem Fotografieren von Kunst beschäftigten. Firmen etwa wie Braun und Hanfstaengl belieferten schon fünfzig Jahre zuvor sowohl Kunsthistoriker als auch Touristen, Heinrich Wölfflin thematisierte die Bedeutung des Lichtbilds für seine Kunstgeschichtsschreibung selbst. Und bereits 1865 forderte Herman Grimm, späterer Ordinarius für Kunstgeschichte an der Berliner Universität, die Einrichtung einer "fotografischen Bibliothek" und formulierte auch gleich, wie die Apparatur den Blick verändert hatte: "Wer war so toll früher, sich dem Gedanken hinzugeben, es sei doch eine schöne Sache, die Reihenfolge aller Werke eines großen Meister vereinigt zu sehen?" Als Paradebeispiel galt Grimm das von Prinz Albert initiierte Raffael-Projekt, für das systematisch alle Werke des Künstlers durchfotografiert worden waren.
Hamanns Projekt war eine Absage an den Persönlichkeits- und Geniekult der Kunstgeschichte, er wollte eine "Sachkultur" in seinem Fach etablieren. In Kunstwerken und Stilen sah er den Ausdruck sozialer Realitäten, der Kunsthistoriker sollte den "Kausalgesetzen der Kultur" auf den Grund gehen. Als Erbe hinterließ er, der 1961 starb, tatsächlich so etwas wie einen demokratisierten Blick: Objekten, die zuvor ignoriert worden waren, sprachen seine Fotografien plötzlich große Bedeutung zu. Mit seiner Kamera kletterte er in versteckte Winkel von Kirchenräumen und holte die entlegensten Objekte aus luftigen Höhen in die Räume der Kunstinstitute.
Die sozial engagierte Kunstgeschichte Hamanns steht im Zentrum der ebenfalls soeben erschienen Biographie, die der Literaturwissenschaftler Jost Hermand verfasst hat (Der Kunsthistoriker Richard Hamann. Eine politische Biographie, 1879-1961, Köln 2009). Dass Hamann nicht nur kritisch schrieb, sondern auch zur Zeit des Nationalsozialismus seinen jüdischen Kollegen beistand, ist auch von Matyssek ganz unbestritten. Im Gegensatz zu Hermand erwähnt sie allerdings auch, dass er, um finanzielle Unterstützung für große Fotoprojekte in den besetzten Gebieten von den Nationalsozialisten zu erhalten, seine Kunstgeschichte auch in ihren Dienst stellte. Die Fotografien galten als Belege des "Deutschtums" der Grenzregionen und gerieten damit ins Fahrwasser der Legitimation der Besetzung.
Hamanns Leben nicht ganz vollständig zu erzählen, ist offensichtlich der Preis, den Hermand dafür zu zahlen bereit ist, ihn als großes Vorbild für die Kunstgeschichte zu preisen. Als ertragreicher erweist sich Matysseks Ansatz, den strukturellen Beitrag Hamanns zur Kunstgeschichte klar herauszuarbeiten. Auch Hamann hätte daran wohl seine Freude gehabt: Der Persönlichkeitskult lag ihm ja schließlich nicht.
JULIA VOSS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Kunst zu fotografieren: Zwei Studien über den Kunsthistoriker Richard Hamann
Das schöne Wort "Papiermuseum" erfand der Wissenschaftshistoriker Martin Rudwick, um die Tatsache zu bezeichnen, dass Urzeitforscher nicht nur Fossilien und Ausgrabungsstätten studieren, sondern auch Papier. Aus der Paläontologie wurde erst dann eine Wissenschaft, als man die fossilierten Knochen, Skelette und Gebeine abzeichnete: Im Medium der Zeichnung wurden die dreidimensionalen Objekte nicht nur zweidimensional - sie wurden auch besser transportierbar, skalierbar und damit vergleichbar.
Was für Dinosaurier und Mammuts gilt, trifft auch auf Gemälde, Skulpturen, Teppiche und Bodenmosaike zu: Erst als es mit der Fotografie gelang, eine einheitliche visuelle Sprache für die vielfältigen Objekte der Kunst zu entwickeln, wurde aus der Kunstgeschichte eine wissenschaftliche Disziplin. Die Voraussetzung dafür, sich untereinander verständigen zu können, war nicht, zu den Originalen zu reisen und sie zu betrachten, sondern umgekehrt, die Kunst in die Institute kommen zu lassen - in Form von Fotografien und Lichtbildern. Dies ist die überzeugende These der Kunsthistorikerin Angela Matyssek, in die sie ihre umfangreiche Studie zu Richard Hamann einbettet ("Kunstgeschichte als fotografische Praxis. Richard Hamann und Foto Marburg", Berlin 2009).
Der Marburger Historiker stellt einen herausragenden Fall der Konjunktion von Kunst- und Fotografiegeschichte dar: Im Jahr 1913 gründete er mit Foto Marburg das prominenteste Archiv der deutschen Kunstgeschichte, das fünfzehn Jahre später bereits zwischen 40 000 und 50 000 Negativplatten besaß und über eine Million fotografischer Abzüge; die jährliche Produktion belief sich 1930/1 auf etwa 75 000 Kontaktbezüge. Hamanns utopischen Planungen zielten auf ein kunsthistorisches Weltarchiv, das seinen Sitz an einem zentralen Institut in Deutschland haben sollte.
Doch Angela Matyssek hat weit mehr als eine Monographie zu Hamann geschrieben. Mit der Sorgfalt eines Handbuchs werden von ihr sämtliche Unternehmungen aufgefächert, die sich mit dem Fotografieren von Kunst beschäftigten. Firmen etwa wie Braun und Hanfstaengl belieferten schon fünfzig Jahre zuvor sowohl Kunsthistoriker als auch Touristen, Heinrich Wölfflin thematisierte die Bedeutung des Lichtbilds für seine Kunstgeschichtsschreibung selbst. Und bereits 1865 forderte Herman Grimm, späterer Ordinarius für Kunstgeschichte an der Berliner Universität, die Einrichtung einer "fotografischen Bibliothek" und formulierte auch gleich, wie die Apparatur den Blick verändert hatte: "Wer war so toll früher, sich dem Gedanken hinzugeben, es sei doch eine schöne Sache, die Reihenfolge aller Werke eines großen Meister vereinigt zu sehen?" Als Paradebeispiel galt Grimm das von Prinz Albert initiierte Raffael-Projekt, für das systematisch alle Werke des Künstlers durchfotografiert worden waren.
Hamanns Projekt war eine Absage an den Persönlichkeits- und Geniekult der Kunstgeschichte, er wollte eine "Sachkultur" in seinem Fach etablieren. In Kunstwerken und Stilen sah er den Ausdruck sozialer Realitäten, der Kunsthistoriker sollte den "Kausalgesetzen der Kultur" auf den Grund gehen. Als Erbe hinterließ er, der 1961 starb, tatsächlich so etwas wie einen demokratisierten Blick: Objekten, die zuvor ignoriert worden waren, sprachen seine Fotografien plötzlich große Bedeutung zu. Mit seiner Kamera kletterte er in versteckte Winkel von Kirchenräumen und holte die entlegensten Objekte aus luftigen Höhen in die Räume der Kunstinstitute.
Die sozial engagierte Kunstgeschichte Hamanns steht im Zentrum der ebenfalls soeben erschienen Biographie, die der Literaturwissenschaftler Jost Hermand verfasst hat (Der Kunsthistoriker Richard Hamann. Eine politische Biographie, 1879-1961, Köln 2009). Dass Hamann nicht nur kritisch schrieb, sondern auch zur Zeit des Nationalsozialismus seinen jüdischen Kollegen beistand, ist auch von Matyssek ganz unbestritten. Im Gegensatz zu Hermand erwähnt sie allerdings auch, dass er, um finanzielle Unterstützung für große Fotoprojekte in den besetzten Gebieten von den Nationalsozialisten zu erhalten, seine Kunstgeschichte auch in ihren Dienst stellte. Die Fotografien galten als Belege des "Deutschtums" der Grenzregionen und gerieten damit ins Fahrwasser der Legitimation der Besetzung.
Hamanns Leben nicht ganz vollständig zu erzählen, ist offensichtlich der Preis, den Hermand dafür zu zahlen bereit ist, ihn als großes Vorbild für die Kunstgeschichte zu preisen. Als ertragreicher erweist sich Matysseks Ansatz, den strukturellen Beitrag Hamanns zur Kunstgeschichte klar herauszuarbeiten. Auch Hamann hätte daran wohl seine Freude gehabt: Der Persönlichkeitskult lag ihm ja schließlich nicht.
JULIA VOSS
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