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Gegenstand ist der Diskurs der wissenschaftlichen Kunstgeschichte seit ihren Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.
Nach der um die Mitte des 20. Jahrhunderts festzustellende Zäsur ist zwar nicht das »Ende der Kunstgeschichte« zu konstatieren, aber doch das Ende der »großen Erzählung« der universalen Stilgeschichte der Kunst. Als Merkmal der Kunstgeschichte im »Zeitalter der Stilgeschichte« wird ihr Anspruch einer historischen Kunstlehre ausgemacht, der sich niederschlägt im Hang zu Konstruktionen der Totalität. In den Hauptabschnitten des Buches zur Kunstgeschichte…mehr

Produktbeschreibung
Gegenstand ist der Diskurs der wissenschaftlichen Kunstgeschichte seit ihren Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

Nach der um die Mitte des 20. Jahrhunderts festzustellende Zäsur ist zwar nicht das »Ende der Kunstgeschichte« zu konstatieren, aber doch das Ende der »großen Erzählung« der universalen Stilgeschichte der Kunst. Als Merkmal der Kunstgeschichte im »Zeitalter der Stilgeschichte« wird ihr Anspruch einer historischen Kunstlehre ausgemacht, der sich niederschlägt im Hang zu Konstruktionen der Totalität. In den Hauptabschnitten des Buches zur Kunstgeschichte der Nation, der Weltkunstgeschichte der Handbücher und zur Kunstgeschichte als universaler Formgeschichte werden drei solcher Konstruktionen beschrieben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2001

Wo aber Zersplitterung ist, wächst das Authentische auch
Das große Ganze für ein großes Publikum: Hubert Locher beschreibt den historischen Prozeß, in dem die Kunstgeschichte die Lesbarkeit der Welt nachweisen wollte

Kunstkritik und Kunstgeschichte halten Distanz. Wer Kritik aus kunsthistorischer Perspektive betreibt, zieht schnell den Vorwurf des Akademismus auf sich. Wenn Kunsthistoriker die Frage der Qualität berühren, geraten sie in Verdacht, wissenschaftliche Standards, den Anspruch auf Sachlichkeit und Objektivität zu mißachten. Am Ursprung der Disziplin lagen die Dinge noch anders. Vasari verdanken wir die schönsten, unser Bild immer noch prägenden Legenden vom Künstler. Geschichtsschreibung folgt hier den Regeln der Rhetorik. Es geht um die Etablierung eines Kanons, der auf Urteilen beruht - und wir müssen uns hüten, Topoi als historische Fakten zu behandeln. Auch das archäologische Interesse von Winckelmann stand im Dienste normativer Setzung und sollte zur Hebung des Geschmacks beitragen. Die frühe Kunstgeschichte ist die Erfolgsgeschichte eines Urteils, das in der Folge nicht nur historische Legitimität erhielt, sondern umgemünzt wurde in objektivierenden Positivismus. Daß ausgerechnet dieser die mit Hilfe des Winckelmannschen Urteils befestigte Vorrangstellung von Antike und Renaissance ins Wanken gebracht hat, ist ein Hakenschlag der Geschichte.

Den Wandel von einer normsetzenden, auf philosophischer Spekulation beruhenden Kunstwissenschaft zu historischer Gelehrsamkeit und empirischer Forschung hat Hubert Locher in einer umfangreichen, auf unterschiedlichste Quellen gestützten Studie untersucht. Locher sieht jedoch in der Verwissenschaftlichung gerade kein neues Paradigma, das unter der Überschrift "Objektivität" sein Regime anträte. Vielmehr beschreibt er das Fortwirken eines überzeitlichen Kunstbegriffs, der letzten Endes auf Qualitätsurteilen beruht, bis in die Stilgeschichte und die Formanalyse. Der Begriff des Stils, der die Kunstgeschichtsschreibung des neunzehnten Jahrhunderts, also die Zeit ihrer Entfaltung, entscheidend leitet und prägt, war gerade gegen die klassizistische Idee des einen, ewig gültigen Ideals angetreten, das selbst in der getreuen Nachahmung nur annähernd zu erreichen sei. Kunst galt nun als Ausdruck einer Zeit und eines Volkes und war mit jeweils anderen Maßstäben zu bewerten - eine Vorstellung, die auch bei der Ausbildung von Nationalstaaten identitätsstiftende Wirksamkeit entfaltete. Dennoch erscheint die Kunst, so Lochers These, als großes Ganzes, das das gesamte menschliche Leben umfaßt. Blumenberg folgend, sieht er die Kunstgeschichte als "Versuch, der Welt in der Metapher der Kunst ihre Lesbarkeit, das heißt ihre Sinnhaltigkeit nachzuweisen". Die Kunstgeschichte birgt also in der von ihr verursachten Zersplitterung zugleich die Rettung, das Versprechen von Ganzheit und Sinn.

Seit einiger Zeit beschäftigt sich die Kunstgeschichte mit ihrer eigenen Vergangenheit und hat sich der Wirkung einzelner Protagonisten, vor allem Warburgs, Riegls und Panofskys, zugewandt. Die Diskussionen um den Stand des Faches, um die Aktualität und Tauglichkeit seiner Methoden, gerade auch im interdisziplinären Vergleich und Austausch, hat immer wieder auch zu den Gründungsfiguren zurückgeführt. Auf dieses Wissen gestützt, legt Locher seine Geschichte der Kunstgeschichte aber nicht als eine ihrer wichtigsten Vertreter oder als Begriffsgeschichte an. Er schreibt vielmehr eine Geschichte der Problemstellungen und kommt so zu einer neuen Ordnung: Er fragt nach dem Kompetenzstreit zwischen Künstlern und Wissenschaftlern, nach der Rolle der Nation für die Kunstgeschichtsschreibung und nach den Wegen, auf denen eine wissenschaftliche Disziplin dem breiten Publikum vermittelt wurde.

Dieses Verfahren bringt nicht nur neue Ergebnisse; es ist auch strategisch klug, schützt es doch vor unangemessenen Ansprüchen, was gerade die Darlegung bereits erforschter Gebiete betrifft. Ohnehin wird niemand ernsthaft erwarten, in einer solch ausgreifenden Studie Neues über die Rezeption der Hegelschen Ästhetik oder über Alois Riegl zu erfahren. Für den Umgang mit derartigen Feldern hat Locher eine elegante Lösung gewählt: Er zitiert aus den Quellen und entlastet den notwendig dichten Anmerkungsapparat weitgehend von Sekundärliteratur (allerdings wäre es in bezug auf die Rolle Hegels besser gewesen, ganz auf Angaben zu verzichten, statt nur einen einzigen Autor, Willi Oelmüller, zu nennen).

Schon einer der ersten Autoren, die sich mit der Geschichte der Kunstgeschichte befaßten, Julius von Schlosser, trennte 1924 das Kunsturteil von der wissenschaftlichen Erschließung der Kunst - und faßte beides unter der Überschrift "Kunstliteratur" zusammen. Jakob Burckhardt verstand sich auch immer noch als Urteilender und gab Künstlern Ratschläge, wie sie in Kenntnis der Alten neue Kunstwerke hervorbringen sollten. Daß sich die Künstler nicht an diesen Rat gehalten haben, ist bezeichnend. Kurze Zeit später wurde die aus der Renaissance stammende Idee vom pictor doctus, vom gelehrten Künstler, abgelöst. Wissen und Kennerschaft waren nur noch auf seiten der Wissenschaft gefordert. Der Künstler spreche eine natürliche Sprache, die keinerlei Bildung brauche, um vollendete Kunst hervorzubringen - Romantizismus im Zeitalter der positiven Wissenschaften. Letztere vollzogen einen bedeutsamen Kategorienwechsel in der Kunstbetrachtung: "Echtheit" rückte als wichtiges Kriterium der Erfassung an die Stelle der Schönheit, wie Locher am Streit um die beiden Fassungen der Holbein-Madonna in Darmstadt und Dresden zeigt. Auch das Reisen, schon seit einiger Zeit von der Grand tour junger Adeliger zur Bildungsreise des wohlhabenden Bürgertums abgesunken, stand nicht mehr im Zeichen einer Suche nach idealer Schönheit: Der Künstler und Kunsthistoriker Passavant reiste, um mit Listen "echter" Gemälde zurückzukehren. Ihm, wie auch den Reisenden Waagen und Schnaase, ist die Dokumentation des authentischen Seherlebnisses wichtig als Rechtfertigung des Anspruchs auf wahre Kennerschaft.

Nicht nur Reiseberichte, auch Handbücher gehören zu den Quellen, die Locher heranzieht. Standen solche Schriften bislang eher am Rande der kunsthistorischen Aufmerksamkeit, werden sie nun zu Zeugnissen einer Disziplin, die sich als Ersatz für die von den empirischen Wissenschaften verworfene Universalgeschichte anbot. Im Gewand einer "Erfahrungswissenschaft" trieben sie vereinheitlichende Stilgeschichte, die durch aufwendig gestaltete Abbildungsreihen Anschaulichkeit und Evidenz erhielt - ein Unternehmen, das sich auch ökonomisch durchaus lohnte. 1924, als die ersten Bände der Propyläen Kunstgeschichte erschienen, war die Anleitung zum Urteil, die die Handbücher geben wollten, problematisch geworden. Man wandte sich dem historischen "Ganzen" nun lieber in chronologischer Ordnung zu. Solche kaum beachteten Quellen im Zusammenhang der Kunstgeschichtsschreibung zu betrachten ist das größte Verdienst dieses Buches. Es hat den Mut, die schwierige Entwicklung von der Stilgeschichte, die unter der Überschrift der Nation die "Weltkunst" in den Blick nimmt, zu einer ebenso weltumspannend gefaßten Formgeschichte unter einer These zu fassen, ohne sich von der drohenden, unvermeidlichen Lückenhaftigkeit schrecken zu lassen.

BEATE SÖNTGEN

Hubert Locher: "Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst 1750-1950". Wilhelm Fink Verlag, München 2001. 524 S., S/W-Abb., br., 98,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hubert Locher hat eine Geschichte der Kunstgeschichte verfasst, die eher zur Problemgeschichte geraten ist, berichtet Beate Söntgen. Das findet die Rezensentin überaus positiv, denn schließlich sei das Verhältnis zwischen Künstlern und Kunstwissenschaftlern sowie das zwischen Kunst und Kunstvermittlung sei jeher recht gespannt gewesen. In Lochers Kunstgeschichte hat Söntgen einen neuen Ansatz entdeckt, Kunstgeschichte zu betrachten, außerdem hält sie den Autor für einen klugen Strategen, da er sich auf diese Weise der ungenauen oder falschen Darstellung bereits hinreichend beschriebener Gebiete entzieht. Und Mut zur Lücke hat er auch noch, bewundert die Rezensentin, denn er transformiere eine umfassende Stilgeschichte der "Weltkunst" in eine These zur Formgeschichte, auch wenn damit vieles außen vor bleibe.

© Perlentaucher Medien GmbH