Seit über 200 Jahren spiegelt das Kunsthaus Lempertz mit grandiosen Auktionserfolgen und Vermittlungen national bedeutender Objekte in öffentliche Sammlungen nicht nur das Panorama der rheinischen und Kölner Geschichte, sondern auch das der deutschen Kulturgeschichte insgesamt. Das Unternehmen bewährt sich in wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeiten, in denen der sich wandelnde Sammlergeschmack und die zunehmende Globalisierung das Gefüge des Marktes und das Kunsthaus Lempertz vor neue Herausforderungen stellen.
Dabei hat jede Generation, der Gründer J. M. Heberle, die Brüder Heinrich und Mathias Lempertz sowie die Familiendynastie Hanstein, ihre ganz eigenen Spuren von Kompetenz, Vertrauen und Begeisterung hinterlassen - bis heute mit großem Erfolg.
Dabei hat jede Generation, der Gründer J. M. Heberle, die Brüder Heinrich und Mathias Lempertz sowie die Familiendynastie Hanstein, ihre ganz eigenen Spuren von Kompetenz, Vertrauen und Begeisterung hinterlassen - bis heute mit großem Erfolg.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2016Nur widerwillig Teil des Geschehens?
Wolfgang Schäfke hat eine Firmengeschichte des Kölner Auktionshauses Lempertz vorgelegt: Der Rolle des Hauses in der NS-Zeit widmet er nur elf Seiten
Es hat lange gedauert, bis diese Firmengeschichte erschienen ist. Schon vor Jahren hatte das Kunsthaus Lempertz auf das Projekt hingewiesen - unter anderem, wenn in der Öffentlichkeit die Verstrickung von Lempertz in den NS-Kunstraub als Verwerter von NS-Raubkunst zum Thema wurde. Man habe von Elend und Verfolgung jüdische Sammler und Kunsthändlerkollegen nicht profitieren wollen, war dann aus der Kölner Firmenzentrale zu hören, man habe ihnen nur geholfen, die Flucht ins sichere Ausland zu finanzieren. Dass es sich dabei in aller Regel auch nicht um Zwangsverkäufe gehandelt habe, sei schon daran zu sehen, dass die betroffenen Verkäufer sich zum Teil selbst für Lempertz entschieden und dort bei der Katalogisierung ihrer Sammlungen sogar geholfen hätten. So hieß es auch 2007, als eine amerikanische Richterin zum ersten Mal verbindlich feststellte, dass ein von seinem jüdischen Besitzer in der NS-Zeit zu einer Zwangsauktion eingeliefertes Kunstwerk rechtlich mit gestohlenem Eigentum gleichzusetzen sei.
Der nun vorliegende Band muss sich deshalb vor allem an der Behandlung der Zeit des Nationalsozialismus messen lassen. Dies um so mehr, als erst 2012 das Auktionshaus Neumeister in München mit einem Buch über die eigene NS-Vergangenheit gezeigt hat, dass offener Umgang mit der eigenen Geschichte auch und gerade im Kunsthandel nötig und möglich ist. Anders als Neumeister-Inhaberin Karin Stoll hat ihr Kölner Kollege Henrik Hanstein nicht auf ein Institut, sondern auf einen einzelnen Wissenschaftler gesetzt. Werner Schäfke, bis 2009 Direktor des Kölnischen Stadtmuseums, nennt sein reichbebildertes Werk eine "Kulturgeschichte". Vom Druckereibesitzer Johann Matthias Heberle, der von 1811 an in Köln auch Auktionen veranstaltete, über die Geschäftsübernahme durch seinen Mitarbeiter Heinrich Lempertz nach Heberles Tod 1840 spannt er den historischen Bogen zum Kauf des Unternehmens durch Peter Hanstein 1875 und die endgültige Niederlassung am Kölner Neumarkt 1918 - vor fast hundert Jahren. Schäfke erzählt die Geschichte des Unternehmens anhand seiner wechselnden Eigentümer, der Standorte und bedeutender Auktionen, spart dabei auch unangenehme Aspekte wie den Fälschungsskandal Beltracchi nicht aus.
Die Zeit des Nationalsozialismus nimmt in Schäfkes Buch elf von fast vierhundert Seiten ein. "Widerwillig" sei Lempertz in dieser Zeit "Teil des Geschehens" gewesen, formuliert der Autor: "So wurden zum Beispiel aus den seit Mai 1940 besetzten Niederlanden ab Mai 1942 Gemälde und Teppiche im Kunsthaus Lempertz zur Auktion eingeliefert." Aktiv aber sei das Unternehmen "in diesen Markt nicht eingestiegen". Auch stimme die vom niederländischen Historiker Gerard Aalders dokumentierte Behauptung nicht, so Schäfke, Lempertz habe "bei der Pseudobank Lippmann & Rosenthal in Amsterdam, über die geraubtes jüdisches Eigentum, Geld, Aktien, Kunst und sonstiger wertvoller Besitz, aus den Niederlanden möglichst unauffällig verwertet wurde, eingekauft". Die Bank habe nur für die letzte Auktion im Krieg, Nr. 420 im Juni 1943, 39 Gemälde zur Auktion gebracht.
Überlieferte Akten, die Schäfke entweder nicht kennt oder nicht zitiert, lassen andere Aussagen zu. Etwa der Bericht des niederländischen Verbindungsoffiziers Lt. J.G.J. Schoonbrood, der am 12. Mai 1947 - nach ausreichender Zeit für sorgfältige Untersuchungen also - über den damaligen Lempertz-Inhaber Josef Hanstein an die britische Militärverwaltung berichtet: "Die Aktivitäten der Firma während der deutschen Besatzung wurden in der Regel von Herrn Hanstein selbst durchgeführt. Er muss viel Unterstützung durch die deutsche Regierung gehabt haben, denn er war in dieser Zeit die aktivste Person auf dem niederländischen Markt. Er war regelmäßiger Besucher der Bank Lippmann & Rosenthal, wo er Tausende von kleinen Geschirrteilen und Gemälde von verschiedener Qualität erwarb, alles beschlagnahmtes Eigentum der jüdischen Bevölkerung von Holland. Er hielt sogar eine Auktion fast vollständig für die Lippmann & Rosenthal Bank ab. Fast jedes Objekt, das er versteigerte, kam aus Holland."
"Den Bericht halte ich nach meiner Kenntnis der Auktionskataloge zwischen Herbst 1940 und Sommer 1943 für eine eher wilde Vermutung, wie sie in diesen Zeiten nicht selten waren", kommentiert Werner Schäfke das Dokument. Schon ein früherer Ermittlungsbericht des niederländischen Militärs von Januar 1947 bezeichnet einen Niederländer namens Rosien und einen deutschen Oberstleutnant namens von Stechow als Lempertz-Einkäufer in den besetzten Niederlanden: "Von Stechow und Rosien wurden dafür angeklagt. Der Anwalt von Rosien war Herr van Crimpen in Amsterdam." Rosien sei er bei seinen Recherchen nicht begegnet, so Schäfke auf Nachfrage: "Und Herrn Stechow kenne ich nur als Kunsthändler."
Bei prominenten Raubkunst-Auktionen wie jenen der Sammlungen der jüdischen Kunsthändler Max Stern 1937 und Walter Westfeld 1939 macht sich Schäfke weitgehend unkritisch die Position des Unternehmens zu eigen, Stern habe sich für Lempertz entschieden, seine Werke katalogisiert und sei dem Haus auch nach 1945 freundschaftlich verbunden geblieben: "Heute bemühen sich die Erben . . ., wieder in den Besitz der 1937 versteigerten Gemälde zu gelangen." Als Lempertz allerdings 2006 ein Winterhalter-Gemälde aus dieser Auktion von der restitutionsunwilligen Stieftochter des damaligen Käufers angeboten wurde, antwortete der zuständige Altmeister-Experte des Hauses dem vermittelnden Rechtsanwalt nur: "Wir sind gerne bereit, das uns angebotene Gemälde von Winterhalter in unsere am 18. November stattfindende Auktion aufzunehmen, und bitten um Einlieferung bis Ende September . . . Der Markt ist im Moment sehr stark, und der Zeitpunkt für einen Verkauf dieses Bildes könnte kaum besser sein." Auf die Zwangsversteigerung vom November 1937 im selben Haus wies man, 69 Jahre später, weder die Anbieterin noch den Stern-Nachlass hin.
Dass die Versteigerung von Werken aus der Sammlung von Walter Westfeld 1939, wie im damaligen Katalog ausgedrückt, "im Auftrage des Herrn Generalstaatsanwalts" erfolgte, wertet Schäfke als "keinen ungewöhnlichen Vorgang": "Bereits eine der ersten Auktionen des Johann Mathias Heberle . . . war 1821 von der geschädigten ,königlichen hochlöblichen Regierung zu Cöln' veranlasst worden." Könnte es dennoch einen Unterschied zwischen der Regelung finanzieller Angelegenheiten und der wirtschaftlichen und physischen Vernichtung von Menschen geben? Und müsste der Autor als promovierter Historiker nicht auch wissen, dass für die Beurteilung der Ereignisse nach 1933 nicht das Verhältnis maßgeblich ist, das die jüdischen Sammler zu den Verkäufern ihrer Werke hatten, sondern jenes, das sie von 1933 an zum deutschen Staat haben mussten, der ihre Familien entrechtete, enteignete, ermordete?
Dass sie sich vielleicht noch aussuchen durften, wer ihre Sammlungen zu Geld machen sollte, ändert nichts an der Hauptsache: Ohne den Verfolgungsdruck des NS-Regimes hätten viele von ihnen nicht zwangsverkauft. Max Stern sprach von der Auktion als dem "schwärzesten Tag meines Lebens", Walter Westfeld wurde in Auschwitz ermordet. Lempertz-Inhaber Henrik Hanstein hat verschiedentlich darauf hingewiesen, dass es sich seiner Auffassung nach auch dabei nicht um eine Zwangsauktion gehandelt habe.
Die Erben von Jacques Goudstikker, dessen Amsterdamer Galerie und Privatsammlung formal an den Bankier Alois Midl, faktisch aber an Hermann Göring zwangsverkauft worden war, fanden allein in zwei 1941 veranstalteten Lempertz-Auktionen mehr als dreihundert Positionen wieder. Offiziell waren die Stücke über eine Berliner Bank eingeliefert worden; über rückseitige Aufkleber und Literatur ließen sie sich als Goudstikker-Werke identifizieren. Außerdem bestätigte Rolf Hanstein nach dem Krieg den Behörden, dass unverkaufte GoudstikkerWerke aus einer dieser Auktionen nach Amsterdam zurückgeschickt worden seien - und nicht an eine Berliner Bank.
Für die andere Auktion haben sich neben den von Joseph Hanstein unterschriebenen Abrechnungen mit Lippmann, Rosenthal & Co. auch die Listen der Käufer teilweise erhalten. Mit ihrer Hilfe lassen sich bis heute problemlos die Namen und Adressen jener deutschen Sammler rekonstruieren, die damals vom Ausverkauf jüdischer Sammler profitierten.
Lempertz-Inhaber Henrik Hanstein stellt in einem von Schäfke zitierten Interview von 2008 klar, dass die Washingtoner Erklärung zur Restitution von NS-Raubkunst "kein bindendes Völkerrecht" darstelle: "Sie richtet sich an die öffentlichen Museen, ohne im gleichen Sinne den Kunsthandel zu betreffen." Außerdem sei ein Auktionshaus eigentlich ohnehin der falsche Ansprechpartner: "Wir als Versteigerer sind reine Kommissionäre. Wir verkaufen nicht aus eigenem Besitz." Im Jahr 2015 lesen sich solche Sätze nicht mehr gut. Entsprechende Fragen von NS-Opfern an die Einlieferer weiterzuleiten, heißt es dann immerhin, sei aber "selbstverständlichste und vornehmste Pflicht eines Versteigerers". So lässt sich vielleicht erklären, dass Werke mit unklarer oder fragwürdiger Provenienz, die zwischen 1933 und 1945 bei Lempertz versteigert worden waren, auch nach dem Krieg wieder bei Auktionen dort angeboten wurden: das "Bildnis des Jan van Eversdijck" des Renaissance-Malers Nicolas Neufchâtel gleich zweimal, bis es endlich 2007 an die Erben von Max Stern restituiert wurde. Beide Male hatte der Katalog die Stern-Zwangsauktion von 1937, die damals im selben Haus stattgefunden hatte, nicht erwähnt.
STEFAN KOLDEHOFF
Werner Schäfke: "Kunsthaus Lempertz". Eine Kulturgeschichte.
DuMont Buchverlag, Köln 2016. 392 S., Abb., geb., 78,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wolfgang Schäfke hat eine Firmengeschichte des Kölner Auktionshauses Lempertz vorgelegt: Der Rolle des Hauses in der NS-Zeit widmet er nur elf Seiten
Es hat lange gedauert, bis diese Firmengeschichte erschienen ist. Schon vor Jahren hatte das Kunsthaus Lempertz auf das Projekt hingewiesen - unter anderem, wenn in der Öffentlichkeit die Verstrickung von Lempertz in den NS-Kunstraub als Verwerter von NS-Raubkunst zum Thema wurde. Man habe von Elend und Verfolgung jüdische Sammler und Kunsthändlerkollegen nicht profitieren wollen, war dann aus der Kölner Firmenzentrale zu hören, man habe ihnen nur geholfen, die Flucht ins sichere Ausland zu finanzieren. Dass es sich dabei in aller Regel auch nicht um Zwangsverkäufe gehandelt habe, sei schon daran zu sehen, dass die betroffenen Verkäufer sich zum Teil selbst für Lempertz entschieden und dort bei der Katalogisierung ihrer Sammlungen sogar geholfen hätten. So hieß es auch 2007, als eine amerikanische Richterin zum ersten Mal verbindlich feststellte, dass ein von seinem jüdischen Besitzer in der NS-Zeit zu einer Zwangsauktion eingeliefertes Kunstwerk rechtlich mit gestohlenem Eigentum gleichzusetzen sei.
Der nun vorliegende Band muss sich deshalb vor allem an der Behandlung der Zeit des Nationalsozialismus messen lassen. Dies um so mehr, als erst 2012 das Auktionshaus Neumeister in München mit einem Buch über die eigene NS-Vergangenheit gezeigt hat, dass offener Umgang mit der eigenen Geschichte auch und gerade im Kunsthandel nötig und möglich ist. Anders als Neumeister-Inhaberin Karin Stoll hat ihr Kölner Kollege Henrik Hanstein nicht auf ein Institut, sondern auf einen einzelnen Wissenschaftler gesetzt. Werner Schäfke, bis 2009 Direktor des Kölnischen Stadtmuseums, nennt sein reichbebildertes Werk eine "Kulturgeschichte". Vom Druckereibesitzer Johann Matthias Heberle, der von 1811 an in Köln auch Auktionen veranstaltete, über die Geschäftsübernahme durch seinen Mitarbeiter Heinrich Lempertz nach Heberles Tod 1840 spannt er den historischen Bogen zum Kauf des Unternehmens durch Peter Hanstein 1875 und die endgültige Niederlassung am Kölner Neumarkt 1918 - vor fast hundert Jahren. Schäfke erzählt die Geschichte des Unternehmens anhand seiner wechselnden Eigentümer, der Standorte und bedeutender Auktionen, spart dabei auch unangenehme Aspekte wie den Fälschungsskandal Beltracchi nicht aus.
Die Zeit des Nationalsozialismus nimmt in Schäfkes Buch elf von fast vierhundert Seiten ein. "Widerwillig" sei Lempertz in dieser Zeit "Teil des Geschehens" gewesen, formuliert der Autor: "So wurden zum Beispiel aus den seit Mai 1940 besetzten Niederlanden ab Mai 1942 Gemälde und Teppiche im Kunsthaus Lempertz zur Auktion eingeliefert." Aktiv aber sei das Unternehmen "in diesen Markt nicht eingestiegen". Auch stimme die vom niederländischen Historiker Gerard Aalders dokumentierte Behauptung nicht, so Schäfke, Lempertz habe "bei der Pseudobank Lippmann & Rosenthal in Amsterdam, über die geraubtes jüdisches Eigentum, Geld, Aktien, Kunst und sonstiger wertvoller Besitz, aus den Niederlanden möglichst unauffällig verwertet wurde, eingekauft". Die Bank habe nur für die letzte Auktion im Krieg, Nr. 420 im Juni 1943, 39 Gemälde zur Auktion gebracht.
Überlieferte Akten, die Schäfke entweder nicht kennt oder nicht zitiert, lassen andere Aussagen zu. Etwa der Bericht des niederländischen Verbindungsoffiziers Lt. J.G.J. Schoonbrood, der am 12. Mai 1947 - nach ausreichender Zeit für sorgfältige Untersuchungen also - über den damaligen Lempertz-Inhaber Josef Hanstein an die britische Militärverwaltung berichtet: "Die Aktivitäten der Firma während der deutschen Besatzung wurden in der Regel von Herrn Hanstein selbst durchgeführt. Er muss viel Unterstützung durch die deutsche Regierung gehabt haben, denn er war in dieser Zeit die aktivste Person auf dem niederländischen Markt. Er war regelmäßiger Besucher der Bank Lippmann & Rosenthal, wo er Tausende von kleinen Geschirrteilen und Gemälde von verschiedener Qualität erwarb, alles beschlagnahmtes Eigentum der jüdischen Bevölkerung von Holland. Er hielt sogar eine Auktion fast vollständig für die Lippmann & Rosenthal Bank ab. Fast jedes Objekt, das er versteigerte, kam aus Holland."
"Den Bericht halte ich nach meiner Kenntnis der Auktionskataloge zwischen Herbst 1940 und Sommer 1943 für eine eher wilde Vermutung, wie sie in diesen Zeiten nicht selten waren", kommentiert Werner Schäfke das Dokument. Schon ein früherer Ermittlungsbericht des niederländischen Militärs von Januar 1947 bezeichnet einen Niederländer namens Rosien und einen deutschen Oberstleutnant namens von Stechow als Lempertz-Einkäufer in den besetzten Niederlanden: "Von Stechow und Rosien wurden dafür angeklagt. Der Anwalt von Rosien war Herr van Crimpen in Amsterdam." Rosien sei er bei seinen Recherchen nicht begegnet, so Schäfke auf Nachfrage: "Und Herrn Stechow kenne ich nur als Kunsthändler."
Bei prominenten Raubkunst-Auktionen wie jenen der Sammlungen der jüdischen Kunsthändler Max Stern 1937 und Walter Westfeld 1939 macht sich Schäfke weitgehend unkritisch die Position des Unternehmens zu eigen, Stern habe sich für Lempertz entschieden, seine Werke katalogisiert und sei dem Haus auch nach 1945 freundschaftlich verbunden geblieben: "Heute bemühen sich die Erben . . ., wieder in den Besitz der 1937 versteigerten Gemälde zu gelangen." Als Lempertz allerdings 2006 ein Winterhalter-Gemälde aus dieser Auktion von der restitutionsunwilligen Stieftochter des damaligen Käufers angeboten wurde, antwortete der zuständige Altmeister-Experte des Hauses dem vermittelnden Rechtsanwalt nur: "Wir sind gerne bereit, das uns angebotene Gemälde von Winterhalter in unsere am 18. November stattfindende Auktion aufzunehmen, und bitten um Einlieferung bis Ende September . . . Der Markt ist im Moment sehr stark, und der Zeitpunkt für einen Verkauf dieses Bildes könnte kaum besser sein." Auf die Zwangsversteigerung vom November 1937 im selben Haus wies man, 69 Jahre später, weder die Anbieterin noch den Stern-Nachlass hin.
Dass die Versteigerung von Werken aus der Sammlung von Walter Westfeld 1939, wie im damaligen Katalog ausgedrückt, "im Auftrage des Herrn Generalstaatsanwalts" erfolgte, wertet Schäfke als "keinen ungewöhnlichen Vorgang": "Bereits eine der ersten Auktionen des Johann Mathias Heberle . . . war 1821 von der geschädigten ,königlichen hochlöblichen Regierung zu Cöln' veranlasst worden." Könnte es dennoch einen Unterschied zwischen der Regelung finanzieller Angelegenheiten und der wirtschaftlichen und physischen Vernichtung von Menschen geben? Und müsste der Autor als promovierter Historiker nicht auch wissen, dass für die Beurteilung der Ereignisse nach 1933 nicht das Verhältnis maßgeblich ist, das die jüdischen Sammler zu den Verkäufern ihrer Werke hatten, sondern jenes, das sie von 1933 an zum deutschen Staat haben mussten, der ihre Familien entrechtete, enteignete, ermordete?
Dass sie sich vielleicht noch aussuchen durften, wer ihre Sammlungen zu Geld machen sollte, ändert nichts an der Hauptsache: Ohne den Verfolgungsdruck des NS-Regimes hätten viele von ihnen nicht zwangsverkauft. Max Stern sprach von der Auktion als dem "schwärzesten Tag meines Lebens", Walter Westfeld wurde in Auschwitz ermordet. Lempertz-Inhaber Henrik Hanstein hat verschiedentlich darauf hingewiesen, dass es sich seiner Auffassung nach auch dabei nicht um eine Zwangsauktion gehandelt habe.
Die Erben von Jacques Goudstikker, dessen Amsterdamer Galerie und Privatsammlung formal an den Bankier Alois Midl, faktisch aber an Hermann Göring zwangsverkauft worden war, fanden allein in zwei 1941 veranstalteten Lempertz-Auktionen mehr als dreihundert Positionen wieder. Offiziell waren die Stücke über eine Berliner Bank eingeliefert worden; über rückseitige Aufkleber und Literatur ließen sie sich als Goudstikker-Werke identifizieren. Außerdem bestätigte Rolf Hanstein nach dem Krieg den Behörden, dass unverkaufte GoudstikkerWerke aus einer dieser Auktionen nach Amsterdam zurückgeschickt worden seien - und nicht an eine Berliner Bank.
Für die andere Auktion haben sich neben den von Joseph Hanstein unterschriebenen Abrechnungen mit Lippmann, Rosenthal & Co. auch die Listen der Käufer teilweise erhalten. Mit ihrer Hilfe lassen sich bis heute problemlos die Namen und Adressen jener deutschen Sammler rekonstruieren, die damals vom Ausverkauf jüdischer Sammler profitierten.
Lempertz-Inhaber Henrik Hanstein stellt in einem von Schäfke zitierten Interview von 2008 klar, dass die Washingtoner Erklärung zur Restitution von NS-Raubkunst "kein bindendes Völkerrecht" darstelle: "Sie richtet sich an die öffentlichen Museen, ohne im gleichen Sinne den Kunsthandel zu betreffen." Außerdem sei ein Auktionshaus eigentlich ohnehin der falsche Ansprechpartner: "Wir als Versteigerer sind reine Kommissionäre. Wir verkaufen nicht aus eigenem Besitz." Im Jahr 2015 lesen sich solche Sätze nicht mehr gut. Entsprechende Fragen von NS-Opfern an die Einlieferer weiterzuleiten, heißt es dann immerhin, sei aber "selbstverständlichste und vornehmste Pflicht eines Versteigerers". So lässt sich vielleicht erklären, dass Werke mit unklarer oder fragwürdiger Provenienz, die zwischen 1933 und 1945 bei Lempertz versteigert worden waren, auch nach dem Krieg wieder bei Auktionen dort angeboten wurden: das "Bildnis des Jan van Eversdijck" des Renaissance-Malers Nicolas Neufchâtel gleich zweimal, bis es endlich 2007 an die Erben von Max Stern restituiert wurde. Beide Male hatte der Katalog die Stern-Zwangsauktion von 1937, die damals im selben Haus stattgefunden hatte, nicht erwähnt.
STEFAN KOLDEHOFF
Werner Schäfke: "Kunsthaus Lempertz". Eine Kulturgeschichte.
DuMont Buchverlag, Köln 2016. 392 S., Abb., geb., 78,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Stefan Koldehoff sieht kritisch auf die vom Historiker Wolfgang Schäfke besorgte Firmengeschichte des Kunsthauses Lempertz. Für ihn muss sich so ein Buch an der Behandlung der NS-Vergangenheit der Firma bemessen lassen. Koldehoff stellt fest: Ganze 11 Seiten von fast 400 widmet der Autor diesem Komplex. Den historischen Bogen der Firmengeschichte schlägt der Autor zwar durchaus gekonnt anhand der Firmeneigentümer und -standorte, ohne dunkle Seiten wie den Beltracchi-Skandal auszusparen, meint der Rezensent. Doch entscheidende überlieferte Akten über die Verbindungen der Firma zur Politk vor und nach '45 übersieht er nach Koldehoff. Auch den Ausverkauf jüdischer Sammler unter dem Druck des NS-Regimes scheint ihm Schäfke zu wenig reflektiert zu verhandeln.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"So etwas hatte die Kunstwelt noch nie erlebt: Von 1892 bis 1897 wurden bei Lempertz in Köln 100 000 Objekte aus dem schwedischen Privatmuseum von Christian Hammer versteigert. [...] Von solchen Kraftakten erzählt Werner Schäfkes Buch 'Kunsthaus Lempertz - Eine Kulturgeschichte' besonders spannend."
Helmut Wilmes, KÖLNISCHE RUNDSCHAU
"Der Autor spannt über mehr als 200 Jahre einen großen historischen Bogen mit allerlei Anekdoten [...] Unterhaltsam und aufschlussreich lesen sich einige Auktionsgeschichten."
Emmanuel van Stein, KÖLNER STADT-ANZEIGER
Helmut Wilmes, KÖLNISCHE RUNDSCHAU
"Der Autor spannt über mehr als 200 Jahre einen großen historischen Bogen mit allerlei Anekdoten [...] Unterhaltsam und aufschlussreich lesen sich einige Auktionsgeschichten."
Emmanuel van Stein, KÖLNER STADT-ANZEIGER