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Die »Altmeister der Kunstgeschichte« und ihre Werke sind fester Bestandteil des universitären Studiums. Der Beitrag früher Kunsthistorikerinnen zur Entwicklung der Disziplin ist hingegen bis heute weitgehend unsichtbar. Welche neuen Sichtweisen auf die Kunst, welche Methoden und Fragestellungen entwickelten die ersten Kunsthistorikerinnen, die seit dem späten 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum zum Studium zugelassen wurden? Welche Wirkungsfelder erschlossen sie sich, bevor der Nationalsozialismus vielen von ihnen eine Zäsur setzte, die nach 1945 nur langsam überwunden werden konnte? In…mehr

Produktbeschreibung
Die »Altmeister der Kunstgeschichte« und ihre Werke sind fester Bestandteil des universitären Studiums. Der Beitrag früher Kunsthistorikerinnen zur Entwicklung der Disziplin ist hingegen bis heute weitgehend unsichtbar. Welche neuen Sichtweisen auf die Kunst, welche Methoden und Fragestellungen entwickelten die ersten Kunsthistorikerinnen, die seit dem späten 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum zum Studium zugelassen wurden? Welche Wirkungsfelder erschlossen sie sich, bevor der Nationalsozialismus vielen von ihnen eine Zäsur setzte, die nach 1945 nur langsam überwunden werden konnte? In dem Band werden 24 Texte vorgestellt, die zwischen 1910 bis 1980 entstanden sind. Expert_innen führen in die Entstehungszusammenhänge der Texte ein. So macht der Band Arbeiten früher Kunsthistorikerinnen wieder zugänglich und lädt dazu ein, die Vielfalt der Disziplin neu zu entdecken.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
K. Lee Chichester ist Kunsthistorikerin und freie Kuratorin in Berlin mit Schwerpunkt Kunst und Wissenschaft der Frühen Neuzeit sowie des 19./20. Jahrhunderts. Brigitte Sölch ist Professorin für Architektur und Designgeschichte/Architekturtheorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart mit Schwerpunkt auf politischer Ideengeschichte sowie Architektur und Problemgeschichte des Öffentlichen aus historisch und kulturell vergleichenden Perspektiven.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2022

Dezidiert gesellschaftskritische Positionen gehörten in ihr Repertoire
Entscheidende Forschungsimpulse kamen oft von Frauen: Ein Band erinnert an frühe Kunsthistorikerinnen und zeigt, dass einige von ihnen ihrer Zeit voraus waren

Die angebliche "Natur der Frau" ist lange Zeit für alle Arten von Ausreden gut gewesen - auch in der Kunstgeschichte. Schon als Giorgio Vasari 1550 die erstaunliche Porträtmalerei der noch nicht zwanzigjährigen Sofonisba Anguissola lobte, verwies er einschränkend darauf, dass sie als Frau ja auch Kinder zur Welt bringen könne und daher ihre Fähigkeit zur Menschen-Formung weniger hoch zu bewerten sei als die ihrer männlichen Kollegen. Denn deren Bildnisse entstünden allein durch intellektuelle Leistung. Als es 1896/97 um die neue große Frage ging, ob Frauen zu Recht für ein akademisches Studium zugelassen werden, sollte ihnen etwa Julius Lessing, Direktor des Königlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin, für das Fach Kunstgeschichte eine "gewisse 'natürliche' Anlage", einen Sinn für Schönheit und instinktives Verständnis für eine "Künstlernatur", zugestehen. Gerade deshalb aber - so Lessing - müsse man jungen Frauen dringend vom Studium der Kunstgeschichte abraten, um die "Schar beschäftigungsloser, missvergnügter Halb-Dilettanten" in diesem Fach nicht noch zu vermehren.

Dass sich trotzdem immer mehr Kunstgeschichtsstudentinnen nicht abschrecken ließen, seit 1885 auch in steigender Zahl eine Promotion erwerben konnten und gegen alle Widerstände entscheidende Forschungsbeiträge lieferten, zeigt nun für den deutschsprachigen Raum ein Band zu "Kunsthistorikerinnen 1910 - 1980". Vorgestellt werden 23 in diesem Zeitraum von verschiedenen Forscherinnen publizierte Texte (einmal, bei Lu Märten, ist es ein Rundfunkvortrag von 1928, überraschenderweise nicht ihr 1919 publiziertes Buch "Die Künstlerin"). Auf eine biographische Skizze der jeweiligen Autorin und wissenschaftsgeschichtliche Einordnung ihres Beitrags folgt stets ein mehrere Seiten umfassender Auszug aus dem Originaltext. Dem Ganzen vorangestellt ist eine ausgezeichnete Einführung von K. Lee Chichester und Brigitte Sölch zu Stellung und Forschungsgeschichte von Kunsthistorikerinnen, wo neben anderen Höhepunkten männlicher Einschätzung der "Natur" ihrer Kolleginnen auch Julius Lessing zitiert wird.

Das weit ausgreifende Themenspektrum der Beiträge erscheint dabei wie ein historischer Vorlauf zur derzeitigen Neuausrichtung der Disziplin Kunstgeschichte: Untersuchten die Kunsthistorikerinnen doch bereits ab 1910 - in einigen Fällen erstmals - die Geschichte der Gartenkunst, ägyptische, afrikanische, indische und moderne Plastik, die Kunst des Islams, die Landschaftsmalerei der Han-Zeit in China, Farbe in der antiken Malerei, Textilkünste, Foto und Film oder auch Architektur im "Dritten Reich", Städtebau und Wohnkultur. Was bis in die Achtzigerjahre in der deutschsprachigen Kunstwissenschaft häufig als Rand- und Grenzgebiete des Faches verstanden und von einigen wenigen "Exoten" (so formuliert es ein Rückblick auf den Kunsthistorikertag 1966) betrieben wurde, steht heute im Zentrum der Diskussionen zu globalen Perspektiven und Verflechtungen, zur bildwissenschaftlichen Einbeziehung aller Medien oder zu einer neuen Relevanz von Material und Machen.

Auch dass viele der Kunsthistorikerinnen mit ihren Forschungen dezidiert politische, gesellschaftskritische Positionen verbanden, macht sie hochaktuell. Deutlich wird einmal mehr, dass nicht nur die Kategorie Geschlecht, sondern - zumindest teilweise - auch die Vorstellungen von wissenschaftsgeschichtlicher Bedeutung kulturell "gemacht" sind. Schließlich lässt der Band erahnen, dass andere institutionelle Rahmenbedingungen - in der Türkei, in Indien oder in den Vereinigten Staaten - teils wesentlich günstiger für Kunsthistorikerinnen waren als das sich auf Humboldt berufende und sich selbst feiernde deutsche Universitätssystem.

Zum lange Zeit vermeintlichen Kernbereich der europäischen Kunstgeschichte präsentiert der Band dagegen nur vier Texte: Gertrud Kantorowicz' Aufsatz zum "Märchenstil" der Sieneser Malerei des fünfzehnten Jahrhunderts (1910), Josepha Weitzmann-Fiedlers 1934 publizierte Dissertation zu mittelalterlicher Aktdarstellung in der Malerei, Lottlisa Behlings "Die Pflanze in der mittelalterlichen Tafelmalerei" (1957) und Helene Wieruszowskis "Art and the Commune in the Time of Dante" (1944). Ob sich Letztere, die Geschichte und Germanistik studierte, als Kunsthistorikerin verstand, sei dahingestellt. Ähnliches wäre im Übrigen für die polnische Archäologin Wilhelmina Lepik-Kopaczynska zu fragen.

Auch wenn es nicht um Vollständigkeit gehen kann, gerade zur europäischen Kunst publizierten in diesem Zeitraum viele andere, hier nicht vorgestellte Kunsthistorikerinnen, teils mit Anstellungen an Museen, Forschungsinstituten oder Universitäten: Margarete Bieber (wenn Archäologinnen im Sinne des neunzehnten Jahrhunderts als Vertreterinnen der "alten Kunstgeschichte" gelten), Frida Schottmüller, Anny E. Popp, Hanna Kiel, Florentine Mütherich, Margrit Lisner, Ursula Schlegel und andere. Welches Gesamtbild entwirft also der Band? Die Einleitung verweist darauf, dass die Auswahl an Forscherinnen und Texten angesichts des unzureichenden Forschungsstandes als "offen-endig, ja in einem gewissen Sinne als zufällig" zu verstehen sei. Noch soll es mehr um Materialsichtung als neue Kanonbildung gehen.

Nur zwei Beiträge adressieren explizit theoretische Probleme: Hanna Levy-Deinhards Aufsatz zu "künstlerischem und historischem Wert" von Kunstwerken, 1940 auf Portugiesisch erschienen, und Karin Hirdinas 1981 in Ostberlin und München mit abweichenden Untertiteln publiziertes Buch "Pathos der Sachlichkeit". Dies fällt besonders auf, da in dieser Phase der Fachgeschichte intensiv über Theorien und Methoden diskutiert wurde, über das Wesen "richtiger" Kunstwissenschaft, über Form, Stil und Epochenkonzepte, über das Deuten von Kunstwerken, über die gesellschaftlichen und ideologischen Dimensionen von Ästhetik. Auch in diesem Fall gilt: Es gibt mehr Beiträge zu Theorien und Methoden von Kunsthistorikerinnen.

Dennoch wäre zu überlegen, ob hier etwas strukturell Vergleichbares zur Beobachtung von Linda Nochlin aufscheint, die 1971 in einem Aufsatz darauf hinwies, dass bestimmte kunsthistorische Argumentationsweisen und Textgattungen wie die Künstlermonographie der männlichen Mythenbildung des genialischen Künstlers zuarbeiten. Waren offensive Theorie- und Methodendiskussionen ähnlich männlich konnotiert? Im vorliegenden Buch ist bereits ein Nachfolgeband zu solchen übergreifenden Fragen angekündigt. Die Ergebnisse beider zusammengenommen werden dann aufzeigen helfen, wie eine neue Geschichte der Kunstgeschichte geschrieben werden könnte. ULRICH PFISTERER

K. Lee Chichester und Brigitte Sölch (Hrsg.): "Kunsthistorikerinnen 1910-1980". Theorien, Methoden, Kritiken

Reimer Verlag, Berlin 2021. 438 S., Abb., br., 29,95 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Ulrich Pfisterer empfiehlt diesen Band über Kunsthistorikerinnen der 1910er bis 1980er dringend, wenn auch mit einer kleinen Einschränkung. Zunächst aber lernt der Kritiker dank der hervorragenden biografischen und wissenschaftlichen Einordnungen der Herausgeberinnen K. Lee Chichester und Brigitte Sölch zahlreiche Kunsthistorikerinnen und deren Bedeutung kennen. In den ausgewählten Texten der Forscherinnen erfährt er zudem, wie modern die Beiträge mit Blick auf die aktuelle Neuausrichtung der Kunstgeschichte oft ereits waren: Geforscht wurde zur Kunst des Islam, Textilkünsten, Foto und Film oder nationalsozialistischer Architektur. Wie politisch sich viele Autorinnen positionierten, aber auch wieviel günstiger die institutionellen Rahmenbedingungen für Wissenschaftlerinnen in den USA, in Indien oder der Türkei waren, erfährt Pfisterer hier ebenfalls. Allein mit der Auswahl wird der Kritiker nicht vollends glücklich: Jene Kunsthistorikerinnen, die vor allem zur europäischen Kunst oder zu theoretischen Fragestellungen forschten, vermisst er weitgehend.

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