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"Eigentlich dürfte ich nicht hiersein und diese Geschichte erzählen. Denn da ist ein Tag vor vielen Jahren in Santiago de Chile, an dem ich hätte sterben sollen und es nicht getan habe." Mit diesen Worten beginnt Ariel Dorfman sein neues Werk: keine Autobiographie, sondern eine Mischung aus Exilerfahrung, großer Konfession und psychologischer Spurensuche. Dorfmanns Leben stand von Anbeginn unter abenteuerlichen Vorzeichen. Auf der Flucht vor Progromen und vor erbarmungslosen Gläubigern hatten seine Eltern Rußland verlassen und sich in Argentinien angesiedelt, wo er 1942 zur Welt kam. Im Jahre…mehr

Produktbeschreibung
"Eigentlich dürfte ich nicht hiersein und diese Geschichte erzählen. Denn da ist ein Tag vor vielen Jahren in Santiago de Chile, an dem ich hätte sterben sollen und es nicht getan habe." Mit diesen Worten beginnt Ariel Dorfman sein neues Werk: keine Autobiographie, sondern eine Mischung aus Exilerfahrung, großer Konfession und psychologischer Spurensuche. Dorfmanns Leben stand von Anbeginn unter abenteuerlichen Vorzeichen. Auf der Flucht vor Progromen und vor erbarmungslosen Gläubigern hatten seine Eltern Rußland verlassen und sich in Argentinien angesiedelt, wo er 1942 zur Welt kam. Im Jahre 1943 mußte die Familie aus Argentinien vor den Militärs in die Vereinigten Staaten von Amerika fliehen. Im New York der fünfziger Jahre paßte sich der Junge Vladimiro der amerikanischen Jugendkultur so sehr an, daß er bald alle lateinamerikanischen Reminiszenzen tilgen und nur noch "Edward" heißen wollte. Senator McCarthys Kommunistenhatz aber trieb die Familie nach Chile: Hier nun fühlte er sich durch seine amerikanischen Gewohnheiten lange Zeit als Außenseiter. Erst im Engagement für Allendes Reformpolitik findet "Ariel" Dorfman, wie er sich fortan nennen wird, zu sich selbst. Allendes Sturz, den Militärputsch vom 11. September 1973, überlebte er nur dank eines haarsträubenden Zufalls: eine Wunde in Dorfmans Leben, die immer weiter schwärt, auch nach seiner abenteuerlichen Flucht mit Frau und Kind zurück in die USA. Verlust und Neuanfang haben Dorfmans Leben geprägt, das immer auch ein Leben in den beiden Sprachen - Englisch und Spanisch - war, die ihm auf unterschiedliche Weise ans Herz wuchsen. Mit dem Atem eins großen Romanciers, dem faszinierenden Bilderreichtum eines begnadeten Dichters und dem kritisch zeithistorischen Blick eines Esayisten erzählt Dorman sein von den Wechselfällen der Geschichte geprägtes Leben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.1999

Unterwegs mit Worten
Ariel Dorfman lebt sprachsicher zwischen den Welten

Das zwanzigste Jahrhundert hat Exil zu einer verbreiteten Lebensform gemacht, was für Schriftsteller meist den Verlust von Sprachheimat und Publikum bedeutete; oft hat es auch zu produktiven Spannungen geführt. So eindeutig wie damals sind die Fronten heute nicht mehr. Das Ende des Sowjetimperiums, globale Wirtschaftsinteressen und Aktionsgruppen haben kompliziertere Verhältnisse geschaffen. Da ist zum Beispiel der Fall von Ariel Dorfman. Seine Romane und Theaterstücke - etwa das von Roman Polanski verfilmte Drama "Der Tod und das Mädchen" - sind auch in Deutschland bekannt. Sehr persönliche Erfahrungen gingen in dieses Stück über Brutalitäten des chilenischen Militärregimes ein. Denn Dorfman war Salvador Allendes Berater in kulturellen Angelegenheiten. Nur entging er dessen Schicksal, denn nach Pinochets Putsch im September 1973 gelang ihm die Flucht, die für ihn jedoch zugleich den Schritt in eine zweite Sprachwelt bedeutete: Dorfman schreibt seitdem hauptsächlich auf Englisch.

Nun traf solcher Wechsel Dorfman nicht unvorbereitet. Denn "zwischen zwei Welten" - so der Untertitel seiner Autobiographie - hatte er von Geburt an gelebt. Seine Eltern waren Kinder ostjüdischer Emigranten. Sein Vater hatte sich das Russische bewahrt, die Mutter das Jiddische, aber ihre gemeinsame Sprache war das Spanische geworden; Dorfman wurde in Argentinien geboren. An die Stelle der Religion war der Glaube an die Weltrevolution getreten, und deshalb hieß der Knabe zunächst Vladimiro zu Ehren des großen Lenin. Als dann Vater Dorfman einen hohen Posten bei den Vereinten Nationen in New York erhielt, wurde solche Patenschaft freilich eine Last, und so mutierte Vladimiro zu einem amerikanischen Schuljungen namens Edward. Als sich dann die Familie in Chile niederließ, waren jedoch weder Vladimiro noch Eddie opportun: An ihre Stelle trat der Luftgeist Ariel aus Shakespeares "Sturm" als "Geist der Güte und der Magie", ein gutes Omen für den Namensträger.

Man glaubt Dorfman gern, wenn er von sich schreibt: "Mein Weg hatte etwas Bizarres und Verqueres." "Kurs nach Süden, Blick nach Norden" heißt das Erinnerungsbuch, aber genau genommen könnte man es auch umkehren: Als Chilene ist Dorfman in den Augen der einfachen Landsleute ein Yankee, der morgens vornehm joggt, und als südamerikanischer Linker verdient er derzeit sein Brot im Amt eines Professors an einer nordamerikanischen Universität. So empfindet er, Jude und Agnostiker zugleich, auf diese Art Teilhabe an jener Geschichte seiner "durch die Welt irrenden Vorfahren", "die seit zweitausend Jahren auf der Flucht sind".

Das Sympathische am Buch des Exilanten Dorfman ist der Versuch zu kritischer Aufrichtigkeit. Das betrifft zum einen die Frage nach der Bewährung politischer Überzeugungen dort, wo man sein Leben retten muss. Die Gleichung von Gesinnung und Handlungsweise geht selten rein auf. Zum anderen ist es die Frage nach der Heimat des Schriftstellers zwischen zwei großen Sprachen, nach der Möglichkeit, "der erste lateinamerikanische Autor zu werden, der sich auf Englisch an die Vereinigten Staaten und Europa wendet". Die deutsche Literatur war nicht ohne Einfluss auf Dorfmans Schriftstellerlaufbahn. Bei einer Überfahrt nach Europa zeigt der Vater dem Elfjährigen am Bug des Schiffes einen hageren Mann: "Das ist Thomas Mann. Er ist ein großer Schriftsteller, vielleicht der größte auf der Welt." Worauf der Junge dem Dichter die Hand geben darf und plötzlich weiß: "Ich wollte wie er sein, wollte Thomas Mann sein" - künftigen Verfassern einer Rezeptionsgeschichte Thomas Manns ins Notizbuch!

Dorfmans Autobiographie ist ein Buch der Bekenntnisse wie der Reflexion, gelegentlich auch das eines ungenierten Pathos. Die jüngsten Ereignisse um den chilenischen General haben es sogar noch aktueller gemacht. Und es lässt sich fragen, ob es heute durch die Verwischung klarer politischer Fronten tatsächlich schwieriger mit der Sprachheimat des Schriftstellers geworden ist - oder ob hier ein literarischer Multikulturalismus aufscheint, von dem wir freilich noch nicht wissen, ob wir ihn mit Jubel begrüßen sollen.

GERHARD SCHULZ.

Ariel Dorfman: "Kurs nach Süden, Blick nach Norden. Leben zwischen zwei Welten". Aus dem Amerikanischen von Gabriele Gockel, Barbara Reitz und Maria Zybak. Europa Verlag, München/Wien 1999. 384 S., geb., 46 DM.

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