Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 4,25 €
  • Broschiertes Buch

Ein farbenprächtiges kulturgeschichtliches Porträt der Renaissance und zugleich das Psychogramm eines ebenso anregenden wie abschreckenden Charakters: Künstlerische Begabung, Freude am Klatsch, Ruhmsucht und Ehrlosigkeit kennzeichnen die lebenspralle Skandalfigur von Pietro Arentino, Autor der berühmten "Kurtisanengespräche" und mit seinen pornographischen und politischen Enthüllungen Urvater des Klatschjournalismus'.

Produktbeschreibung
Ein farbenprächtiges kulturgeschichtliches Porträt der Renaissance und zugleich das Psychogramm eines ebenso anregenden wie abschreckenden Charakters: Künstlerische Begabung, Freude am Klatsch, Ruhmsucht und Ehrlosigkeit kennzeichnen die lebenspralle Skandalfigur von Pietro Arentino, Autor der berühmten "Kurtisanengespräche" und mit seinen pornographischen und politischen Enthüllungen Urvater des Klatschjournalismus'.
Autorenporträt
Klaus Thiele-Dohrmann, geboren 1936; studierte Psychologie und Literaturwissenschaft; lebt als Autor und Wissenschaftsjournalist in Hamburg und ist Mitarbeiter verschiedener Zeitungen (u.a. DIE ZEIT) und Rundfunksender (NDR, Bayerischer Rundfunk). Buchveröffentlichungen u.a.: Intuition (1990); Abschied vom Gewissen (1991); Der Charme des Indiskreten - Eine Kulturgeschichte des Klatsches (1995); Europäische Kaffeehauskultur (1997); Aretino - Kurtisanenfreund und Fürstenplage (1998).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.02.1999

Wunderbar, wie der sich anwanzt
Pietro Aretino diente den Mächtigen und befreite die Dichter

Sein Dasein hatte etwas von der Garantielosigkeit und Brüchigkeit moderner Existenzformen. Das machte ihn gewissenlos. Er schrieb pornographische Gedichte und frivole Komödien, satirische Traktate, Heiligenviten und Hurenspiegel und oft alles zur gleichen Zeit. Berühmt wurde er durch seine Korrespondenz: Mehr als dreitausend Briefe bezeugen ihn als unermüdlichen Propagandisten seiner selbst, als gewandten Panegyriker und scharfzüngigen Zeitkritiker, aber auch als unverfrorenen Erpresser. Gut möglich, daß in dem Literaten Pietro Aretino, der 1492 in Arezzo vermutlich als Sohn eines Schuhmachers zur Welt kam, Züge einer vorbarocken Schelmenfigur präfiguriert waren. Es kam eine pikarische Unnatur in ihm zum Ausbruch, etwas von einem anarchischen Widerspruchsgeist, der zuweilen blindlings gegen Institutionen und Autoritäten wütete.

In der Satire, im mutwilligen, auch böswilligen Pasquill fand dieser Ungeist seine geschliffenste und gefährlichste Waffe. Das schuf ihm Feinde und kostete ihn fast das Leben, verschaffte ihm aber auch großzügige Beschützer und Zugang bis in höchste Kreise. Nicht nur für seine Zeitgenossen verblüffend: die scheinbar wechselseitige Bedingtheit von sozialem Aufstieg und moralischem Abstieg. Die Nachwelt, insbesondere die Literaturkritik des neunzehnten Jahrhunderts, wollte in ihm den Urvater des modernen Enthüllungsjournalismus sehen. Nicht nur Jacob Burckhardt war der Überzeugung, Aretino habe als erster in ganz großem Maßstab die Publizität zu niedrigen Zwecken mißbraucht: "Lauter Bettelei und gemeine Erpressung" sah er in den Beziehungen des anpassungsfähigen Literaten zu den Mächtigen seiner Zeit. Nicht weniger vernichtend fiel das Verdikt Herman Grimms aus: Aretinos satirische Blätter seien in ihrer verheerenden Wirkung konkurrenzlos gewesen, "wenn er sie von Venedig aus, wo er wie eine giftige Kröte in unnahbar freien Sümpfen saß, in die Welt sandte".

Was mehr zu bestaunen sei, die "zynische Frechheit des Literaten, seine Macht oder die Vergötterung, die er durch sein Jahrhundert erfuhr" (Gregorovius), ist mittlerweile für die jüngere Forschung nicht mehr die zentrale Frage. In der Aretino-Kritik dieses Jahrhunderts haben sich nicht nur die zeitgenössischen Legenden um den Literaten als unhaltbar erwiesen - der stereotype Unflat über sexuelle Ausschweifungen, Sodomie und Häresie. Was sich viel mehr aus der ambivalenten Persönlichkeitsstruktur Aretinos herausgeschält hat, ist das disparate Bild eines neuzeitlichen Phänotyps. Man geht wohl nicht fehl, wenn man in Aretino das Urbild des wurzellosen, halbwegs gebildeten Skribenten sieht, der sein Talent wahllos und opportunistisch in den Dienst der jeweils lukrativsten Macht stellt. In seinem Falle waren das die Medici-Päpste Leo X. und Clemens VII., spendable Fürsten, wie Federico Gonzaga, und, je nach Laune der Fortuna, die Erzfeinde Kaiser Karl V. und König Franz I. Sie alle waren bereit, dem selbsternannten "Divino" und Sprachrohr der öffentlichen Meinung ihren Tribut zu zollen. Zum Teil freiwillig und mit Vergnügen.

Wie war das möglich? Das "Phänomen Aretino" wäre zweifellos ein sozialgeschichtlich lohnender Untersuchungsgegenstand. Nach den gewissenhaften Werkanalysen, die in den letzten Jahrzehnten in der romanistischen Philologie geleistet wurden, insbesondere nach der gründlichen textkritischen Studie zu "Pietro Aretinos Werk" von Johannes Hösle aus den sechziger Jahren, wäre es wohl an der Zeit gewesen, der Frage nachzugehen. In der von Klaus Thiele-Dohrmann vorgelegten Biographie geschieht es nicht. Vor allem farbenprächtig will das "Porträt der Renaissance" sein, zwar faktentreu recherchiert, aber doch aufs Spektakuläre gerichtet. Thiele-Dohrmann ist ein toleranter Moralist, entschlossen zum Dauerschmunzeln. Entsprechend weitherzig ist sein Erzählgestus: durchgehend gewährt er der "lebensprallen" Hauptfigur humorig-augenzwinkernd Ablaß für allerhand läßliche Sünden. Nur gelegentlich geht er mit dem "Divino" härter ins Gericht, so in der unsäglichen Kontroverse, in die er sich mit Michelangelo verstrickte. Aber auch hier bleibt er der milde urteilende Privatmann.

Daß die Biographie eben jetzt erscheint, verwundert nicht: Person und Werk Aretinos sind immer schon Gegenstand verlegerischer Spekulation gewesen. Das nie ganz abreißende Interesse an Aretino verstärkte sich allerdings auffallend, als vor zehn Jahren mit der Veröffentlichung eines "Erotischen Albums aus der Renaissance" die lange Zeit in Privatbesitz eifersüchtig gehütete Holzstichserie der "Modi" von Giulio Romano und Marcantonio Raimondi mit den Sonetten Aretinos ans Tageslicht kam. Den Inhalt des kleinen, vermutlich 1527 in Venedig gedruckten Sammelbandes, in dem sich neben vier anderen skatologischen Miszellen der Renaissance vierzehn der besagten Holzschnitte nebst vierzehn Sonetten befinden, gab Lynne Lawner in einer sorgfältigen Edition heraus (Evanston, Illinois, 1989).

Im Kommentar ist von einem ambitiösen wie kapriziösen literarischen Impuls die Rede. Der habe den jungen Aretino wohl angestachelt, mit seinen Freunden Giulio Romano und Marcantonio Raimondi in einen künstlerischen Wettstreit zu treten und, gewissermaßen in einem Streich, seine ärgsten Feinde, den Kreis um den päpstlichen Schatzmeister Giberti, herauszufordern. Beides gelang bekanntlich bravourös. So furios war die Wirkung der veristisch gezeichneten "schemata Veneris" - der Liebesstellungen -, nebst den obszönen Sonetten Aretinos, daß die delikate Serie den Stecher Raimondi ins Gefängnis und Aretino um Reputation und beinahe ums Leben brachte. Zwar überlebte er den Mordanschlag, aber die "Modi" mit den "Sonetti lussuriosi" wurden von den Sittenwächtern Clemens' VII. mit der Wurzel ausgerottet. Heute ist von dem Skandalon bis auf neun im Britischen Museum bewahrte Fragmente nichts mehr erhalten. So heftig wütete der Furor der moralischen Entrüstung, daß selbst die Drucke noch entstellt wurden. Mehr als ausgeschnittene Köpfe, Körper, Arme und Beine, rigoros aus ihrem anatomischen und erotischen Zusammenhang entfernt, ließ der Zensor nicht auf die Nachwelt kommen.

Bei kaum einem anderen Literaten der Renaissance sind Vita und Werk so eng miteinander verschmolzen wie bei Aretino, und Klaus Thiele-Dohrmann rekapitulierte zu Recht den abenteuerlichen Lebensweg seines Protagonisten aus dessen literarischer Hinterlassenschaft und aus zeitgenössischen Zeugnissen. Nicht alles spricht gegen den sich selbst vergötternden Divino. Er konnte bei aller Prahlsucht Zeichen von Herzensweichheit zeigen, so beim Tod seines Freundes, des jungen Condottiere Giovanni de' Medici dalle Bande Nere. Möglich, daß ihn der Tod weich stimmte. In einem Beileidsschreiben an Karl V., nach dem Tod der Kaiserin Isabella, gelingt ihm noch einmal dieser sensible Ton, der erst am Ende des Briefes zu einem rhetorischen trionfo im Stile des Zeitgeschmacks aufgedonnert wird.

Die wichtigste Station seines Lebens war Venedig. Hier staunte er in dem berühmten Brief an Tizian vom Mai 1544 "über die Verschiedenheit des Kolorits der Wolken: die nächsten lohten in den Flammen des Sonnenfeuers und die entfernteren glühten zinnoberrot". Seine Freundschaft zu Tizian, Jacopo Sansovino, später auch zu Tintoretto, dürfte über den üblichen "Ruhmesmechanismus" des öffentlichkeitswirksamen gegenseitigen Empfehlens und Lobens hinausgegangen sein. Ein "Freundschaftsporträt" im besten Sinne ist ganz sicher Tizians malerisches Psychogramm des alternden Literaten, das sich heute im Palazzo Pitti in Florenz befindet. Vorzüglich auch das Porträt Marcantonio Raimondis, vermutlich 1525 aus Dankbarkeit angefertigt, als Aretino ihm aus dem Gefängnis verhalf.

In der Zeitspanne, die zwischen beiden Bildnissen liegt, wetteifert Aretino mit den großen Dichtern seiner Zeit - Ariost vor allem -, verfaßt die tolldreisten "Kurtisanengespräche", Satiren, Pamphlete, Komödien, eine Tragödie sogar, und Briefe, immer wieder Briefe. Er, der sich für ein Originalgenie hielt, wurde nicht der repräsentative Dichter seiner Zeit. Aber er war stolz genug, seine anstößige Existenz als Libertin zu verteidigen: "Man darf mir nicht vorwerfen, daß ich in Brokat gehe, aus goldenem Becher trinke, mit Edelsteinen und goldenen Ketten geschmückt bin. Denn ich bin der Erlöser für den ganzen Literatenstand, den ich mit starken Armen aus der Knechtschaft der Höfe befreit habe." Gedankt hat es ihm Rabelais, um nur einen zu nennen. ILONA LEHNART

Klaus Thiele-Dohrmann: "Kurtisanenfreund und Fürstenplage". Pietro Aretino und die Kunst der Enthüllung. Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 1998. 218 S., Abb., geb., 48,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr