Produktdetails
- Verlag: DuMont Buchverlag
- Seitenzahl: 266
- Abmessung: 240mm
- Gewicht: 666g
- ISBN-13: 9783770138142
- ISBN-10: 3770138147
- Artikelnr.: 24880840
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.1997Die Müllabfuhr kommt
Schwungvoll: Roberto Longhi entrümpelt die italienische Malerei
Den Umschlag der "Kurzen, aber wahren Geschichte der italienischen Malerei", die der vierundzwanzigjährige Roberto Longhi 1914 in neunzehn Tagen für römische Gymnasiasten geschrieben hat, schmückt Domenico Ghirlandaios berühmtes Doppelbildnis eines Greises und eines Knaben. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dieses stumme Zwiegespräch zwischen Weisheit und Güte des Alters und vertrauensvoll-kindlicher Neugier dem wortgewaltigen Traktat eines zornigen jungen Mannes voranzustellen, dem gerade seine Einschätzung Ghirlandaios Anlaß gab, seine Schüler vor seinen eigenen Urteilen zu warnen: "Er (Ghirlandaio) vulgarisiert Masaccio, er macht dessen Kunst in der Tat vulgär. Ich erwarte übrigens nicht, daß ihr einem so definitiven Urteil zustimmen werdet; eine absolute Verdammung ist auch gar nicht beabsichtigt. Ich möchte euch nur warnen: vor seiner Leichtfertigkeit, vor seiner dreisten Schaffensfreude und vor seinem Realismus."
Realismus! Nichts hat dieser ungestüme Zeitgenosse der Futuristen stärker verachtet als den Realismus in der Kunst, und nichts erschien ihm am Kunstwerk weniger beachtenswert als der dargestellte Gegenstand. Wo Longhi Tendenzen zum Realismus in der italienischen Kunst wahrnahm, da führte er sie auf den Einfluß der Kunst des Nordens zurück und ließ sich zu lustvollen Schimpftiraden von Thomas Bernhardschem Format hinreißen: "Basta! - es reicht endgültig mit diesem bleichen, schlaffen, heruntergekommenen Pseudo-Kinder-Realismus", mit diesen Worten vertreibt er Lorenzo di Credi aus dem Tempel der italienischen Kunst, und Ghirlandaios wundersam inniges Doppelporträt verwirft er mit Prophetenzorn als "überaus banales Konterfei eines Alten, dessen Nase kaum von einer Gurke zu unterscheiden ist". Kurz - aber auch wahr? Longhi setzt seine Akzente jedenfalls mit sehr harter Hand und unterwirft die Geschichte der italienischen Kunst einem Urteilssystem, mit dem er alle vorgängigen Kanonisierungen unbekümmert beiseitefegt.
Für Longhi gründet der Rang eines Kunstwerks ausschließlich in den formalen Lösungen, zu denen der Künstler mit Hilfe der absoluten malerischen Mittel Form und Farbe gelangt. Als Autor einer Kunstgeschichte interessieren ihn deshalb allein die dominanten Formprinzipien im Werk der Künstler und in den kunsthistorischen Entwicklungslinien. Dabei unterscheidet er drei malerische Stile beziehungsweise Formprinzipien, die die Geschichte der italienischen Kunst bestimmt haben: den linearen Stil, der seinen Ursprung in der griechischen Kunst hat, den plastischen Stil, der sich von der römischen Kunst herschreibt, den koloristischen Stil, der von der byzantinischen Kunst übernommen wird. Welche stilistische Tendenz ein Künstler aufgreift, ist für Longhi allein eine Frage seines Temperaments und seiner individuellen Neigung.
Und so bringt in Longhis Augen im dreizehnten Jahrhundert Duccio di Boninsegna jene Linearität zur Entfaltung, die nach ihm die Kunst von Siena und Florenz prägt. Giotto dagegen bildet den plastischen Stil aus und gibt ihn an Masaccio weiter - während Masolino, der angebliche Lehrer Masaccios, ein Erbe gotischer Linearität war: "Man kann diese beiden Künstler gar nicht verwechseln." (Und doch hat Longhi, wie sein 1992 auf deutsch erschienenes Werk über Masolino und Masaccio zeigt, noch lange über Zuschreibungen an die beiden Künstler nachdenken müssen!) Plastischen Stil und lineare Zeichnung verschmilzt schließlich in heroischer Anstrengung Michelangelo zu einer Synthese und führt damit die italienische Kunst zu einem ersten Abschluß - zu einem Abschluß für Longhi auch deshalb, weil er im Jüngsten Gericht die Kunst an den Gegenstand verraten habe. So der erste Teil von Longhis historischer Konstruktion.
In einem zweiten geschichtlichen Querschnitt rekonstruiert Longhi die Ära der Farbe, die sich mit der derjenigen der linearen und plastischen Zeichnung überschneidet. Als deren genialen Begründer feiert sein Buch Piero della Francesca, den Schöpfer der "perspektivischen Synthese" von Farbe und Form, dessen Werk Longhi "eine geradezu klassische, unveränderbare, absolute Bedeutung" zusprach. Nirgends, so versprach er seinen Schülern, würden sie tiefere künstlerische Eindrücke empfangen als vor Pieros Fresken in Arezzo, und Pieros "Traum Konstantins" galt ihm als eine der "größten Schöpfungen des italienischen Geistes". Es war ein entschieden an der Kunst der Moderne geschulter Blick, der zu dieser damals noch ungewöhnlichen Aufwertung Pieros zur Zentralgestalt der italienischen Kunstgeschichte führte. Denn mit der vollkommenen Synthese von Farbe und Form, für die der Maler nur in Paolo Uccello einen Vorläufer besessen habe, hatte Piero in Longhis Augen der Kunst der Moderne den Boden bereitet, so daß Longhi eine "ideale Verbindungslinie" von Paolo Uccello bis zu Paul Cézanne gewahrte.
Und tatsächlich führt Longhi seine Geschichte der italienischen Kunst mit einem provokanten Ausblick in die Moderne zu Ende. Rasch durchmustert er die weiteren Geschicke des Kolorismus im Werk der großen Venezianer von Giovanni Bellini bis Veronese, um dann das Ende der italienischen Kunst auf den Beleuchtungsstil Caravaggios und dessen Erprobung der konstruktiven Möglichkeiten des Lichts zu datieren. Die Vorstellung, über Caravaggio hinaus über italienische Kunst schreiben zu müssen, kam für Longhi der Zumutung gleich, ein Verbrecheralbum -"ein Register mit Vorbestraften"- durchzublättern. Die Kunst des römischen Barock wird nicht mehr erwähnt, Tiepolo allenfalls kurz gestreift, und übers Ottocento spricht Longhi nur noch mit Ekel. Ihre Fortsetzung findet die Geschichte der Kunst für ihn nach Caravaggio allein außerhalb Italiens: bei Courbet und Manet, bei Renoir und Degas, schließlich bei Cézanne, dem Piero der Moderne, dem wie dem großen Quattrocentisten die überlegene Synthese von Form und Farbe gelinge.
Die wachsende deutsche Longhi-Gemeinde wird in diesem vorzüglich übersetzten, reich bebilderten, mit gewichtigen Vor-und Nachworten gewappneten Buch ihre Freude haben. Tatsächlich handelt es sich um ein bedeutendes Dokument für die Entwicklung von Longhis kunsthistorischem Denken. Als Einführung in die Geschichte der italienischen Malerei freilich ist das Buch selbst ein wissenschaftsgeschichtliches Kuriosum: in der ermüdenden Schematik, mit der es die Geschichte der Kunst anhand eines schmalen Repertoires von überhistorischen Stilprinzipien systematisiert, in der radikalen Ausblendung aller realhistorischen und sozialgeschichtlichen Kontexte, in seiner Intransigenz gegen Ikonographie, in dem gelegentlich ans Alberne streifenden Verwerfungsgestus, mit dem große und größte Maler aus der Kunstgeschichte ausgegrenzt werden.
Natürlich mußten die Sentimentalisierung und Ideologisierung Raffaels im neunzehnten Jahrhundert bei einem entschieden der Moderne zugewandten Kunsthistoriker wie Longhi Ressentiments hervorrufen; daß er Raffael deshalb aber nicht mehr zu den "echten Malern", sondern allenfalls "zur Schar jener Graphiker" zählen will, "die Lebensideale illustrieren", übersteigt in seiner analytischen Substanz nicht das Niveau eines futuristischen Karnevalsscherzes. Und wenn Longhi die Tatsache, daß die von ihm rekonstruierten grundlegenden Entwicklungen der Kunst sich vom dreizehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert nahezu ausschließlich in Italien vollzogen haben, für einen reinen geschichtlichen Zufall erklärt und jenseits aller geschichtlichen Erklärungen die Internationalität der Kunst betont, dann berührt dies am Vorabend des Ersten Weltkriegs niedergeschriebene antinationalistische Plädoyer zwar besonders sympathisch, bleibt aber als Aussage eines Historikers gänzlich unbefriedigend.
Warum liest man Longhi dennoch gern? Weil er mit unerhörter Intensität den Blick auf die spezifischen Wesensmerkmale der Malerei, auf Farbe und Form, lenkt; weil er mit großer Strenge auf der Eigenart des Ästhetischen insistiert und mit gleicher Strenge die literarischen von den visuellen Künsten trennt; weil er in seinem Enthusiasmus für diese wortlosen Welten aus Farbe und Form eine Sprache zu finden und sie in den grandiosen Synästhesien seiner Bildbeschreibungen zu vergegenwärtigen sucht; weil jedes seiner Urteile über Bilder, das schroffste wie das begeistertste, aus jener Liebe zur Kunst stammt, für die Gleichgültigkeit einem Verrat gleichkäme; weil er mit jedem seiner Sätze diese Liebe an seine Schüler weitergeben will und ihnen deshalb den Sinn all seiner Unterweisungen über Form und Farbe mit den Worten in Erinnerung ruft, mit denen er seine Sätze einzuleiten liebt: "Erfreut euch, genießt!" ERNST OSTERKAMP
Roberto Longhi: "Kurze, aber wahre Geschichte der italienischen Malerei". Aus dem Italienischen übersetzt von Heinz-eorg Held. Mit einem Vorwort von Cesare Garboli, einer Vorbemerkung von Anna Banti und einem Nachwort von Beat Wyss. DuMont Buchverlag, Köln 1996. 266 S., Abb., br., 49,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schwungvoll: Roberto Longhi entrümpelt die italienische Malerei
Den Umschlag der "Kurzen, aber wahren Geschichte der italienischen Malerei", die der vierundzwanzigjährige Roberto Longhi 1914 in neunzehn Tagen für römische Gymnasiasten geschrieben hat, schmückt Domenico Ghirlandaios berühmtes Doppelbildnis eines Greises und eines Knaben. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dieses stumme Zwiegespräch zwischen Weisheit und Güte des Alters und vertrauensvoll-kindlicher Neugier dem wortgewaltigen Traktat eines zornigen jungen Mannes voranzustellen, dem gerade seine Einschätzung Ghirlandaios Anlaß gab, seine Schüler vor seinen eigenen Urteilen zu warnen: "Er (Ghirlandaio) vulgarisiert Masaccio, er macht dessen Kunst in der Tat vulgär. Ich erwarte übrigens nicht, daß ihr einem so definitiven Urteil zustimmen werdet; eine absolute Verdammung ist auch gar nicht beabsichtigt. Ich möchte euch nur warnen: vor seiner Leichtfertigkeit, vor seiner dreisten Schaffensfreude und vor seinem Realismus."
Realismus! Nichts hat dieser ungestüme Zeitgenosse der Futuristen stärker verachtet als den Realismus in der Kunst, und nichts erschien ihm am Kunstwerk weniger beachtenswert als der dargestellte Gegenstand. Wo Longhi Tendenzen zum Realismus in der italienischen Kunst wahrnahm, da führte er sie auf den Einfluß der Kunst des Nordens zurück und ließ sich zu lustvollen Schimpftiraden von Thomas Bernhardschem Format hinreißen: "Basta! - es reicht endgültig mit diesem bleichen, schlaffen, heruntergekommenen Pseudo-Kinder-Realismus", mit diesen Worten vertreibt er Lorenzo di Credi aus dem Tempel der italienischen Kunst, und Ghirlandaios wundersam inniges Doppelporträt verwirft er mit Prophetenzorn als "überaus banales Konterfei eines Alten, dessen Nase kaum von einer Gurke zu unterscheiden ist". Kurz - aber auch wahr? Longhi setzt seine Akzente jedenfalls mit sehr harter Hand und unterwirft die Geschichte der italienischen Kunst einem Urteilssystem, mit dem er alle vorgängigen Kanonisierungen unbekümmert beiseitefegt.
Für Longhi gründet der Rang eines Kunstwerks ausschließlich in den formalen Lösungen, zu denen der Künstler mit Hilfe der absoluten malerischen Mittel Form und Farbe gelangt. Als Autor einer Kunstgeschichte interessieren ihn deshalb allein die dominanten Formprinzipien im Werk der Künstler und in den kunsthistorischen Entwicklungslinien. Dabei unterscheidet er drei malerische Stile beziehungsweise Formprinzipien, die die Geschichte der italienischen Kunst bestimmt haben: den linearen Stil, der seinen Ursprung in der griechischen Kunst hat, den plastischen Stil, der sich von der römischen Kunst herschreibt, den koloristischen Stil, der von der byzantinischen Kunst übernommen wird. Welche stilistische Tendenz ein Künstler aufgreift, ist für Longhi allein eine Frage seines Temperaments und seiner individuellen Neigung.
Und so bringt in Longhis Augen im dreizehnten Jahrhundert Duccio di Boninsegna jene Linearität zur Entfaltung, die nach ihm die Kunst von Siena und Florenz prägt. Giotto dagegen bildet den plastischen Stil aus und gibt ihn an Masaccio weiter - während Masolino, der angebliche Lehrer Masaccios, ein Erbe gotischer Linearität war: "Man kann diese beiden Künstler gar nicht verwechseln." (Und doch hat Longhi, wie sein 1992 auf deutsch erschienenes Werk über Masolino und Masaccio zeigt, noch lange über Zuschreibungen an die beiden Künstler nachdenken müssen!) Plastischen Stil und lineare Zeichnung verschmilzt schließlich in heroischer Anstrengung Michelangelo zu einer Synthese und führt damit die italienische Kunst zu einem ersten Abschluß - zu einem Abschluß für Longhi auch deshalb, weil er im Jüngsten Gericht die Kunst an den Gegenstand verraten habe. So der erste Teil von Longhis historischer Konstruktion.
In einem zweiten geschichtlichen Querschnitt rekonstruiert Longhi die Ära der Farbe, die sich mit der derjenigen der linearen und plastischen Zeichnung überschneidet. Als deren genialen Begründer feiert sein Buch Piero della Francesca, den Schöpfer der "perspektivischen Synthese" von Farbe und Form, dessen Werk Longhi "eine geradezu klassische, unveränderbare, absolute Bedeutung" zusprach. Nirgends, so versprach er seinen Schülern, würden sie tiefere künstlerische Eindrücke empfangen als vor Pieros Fresken in Arezzo, und Pieros "Traum Konstantins" galt ihm als eine der "größten Schöpfungen des italienischen Geistes". Es war ein entschieden an der Kunst der Moderne geschulter Blick, der zu dieser damals noch ungewöhnlichen Aufwertung Pieros zur Zentralgestalt der italienischen Kunstgeschichte führte. Denn mit der vollkommenen Synthese von Farbe und Form, für die der Maler nur in Paolo Uccello einen Vorläufer besessen habe, hatte Piero in Longhis Augen der Kunst der Moderne den Boden bereitet, so daß Longhi eine "ideale Verbindungslinie" von Paolo Uccello bis zu Paul Cézanne gewahrte.
Und tatsächlich führt Longhi seine Geschichte der italienischen Kunst mit einem provokanten Ausblick in die Moderne zu Ende. Rasch durchmustert er die weiteren Geschicke des Kolorismus im Werk der großen Venezianer von Giovanni Bellini bis Veronese, um dann das Ende der italienischen Kunst auf den Beleuchtungsstil Caravaggios und dessen Erprobung der konstruktiven Möglichkeiten des Lichts zu datieren. Die Vorstellung, über Caravaggio hinaus über italienische Kunst schreiben zu müssen, kam für Longhi der Zumutung gleich, ein Verbrecheralbum -"ein Register mit Vorbestraften"- durchzublättern. Die Kunst des römischen Barock wird nicht mehr erwähnt, Tiepolo allenfalls kurz gestreift, und übers Ottocento spricht Longhi nur noch mit Ekel. Ihre Fortsetzung findet die Geschichte der Kunst für ihn nach Caravaggio allein außerhalb Italiens: bei Courbet und Manet, bei Renoir und Degas, schließlich bei Cézanne, dem Piero der Moderne, dem wie dem großen Quattrocentisten die überlegene Synthese von Form und Farbe gelinge.
Die wachsende deutsche Longhi-Gemeinde wird in diesem vorzüglich übersetzten, reich bebilderten, mit gewichtigen Vor-und Nachworten gewappneten Buch ihre Freude haben. Tatsächlich handelt es sich um ein bedeutendes Dokument für die Entwicklung von Longhis kunsthistorischem Denken. Als Einführung in die Geschichte der italienischen Malerei freilich ist das Buch selbst ein wissenschaftsgeschichtliches Kuriosum: in der ermüdenden Schematik, mit der es die Geschichte der Kunst anhand eines schmalen Repertoires von überhistorischen Stilprinzipien systematisiert, in der radikalen Ausblendung aller realhistorischen und sozialgeschichtlichen Kontexte, in seiner Intransigenz gegen Ikonographie, in dem gelegentlich ans Alberne streifenden Verwerfungsgestus, mit dem große und größte Maler aus der Kunstgeschichte ausgegrenzt werden.
Natürlich mußten die Sentimentalisierung und Ideologisierung Raffaels im neunzehnten Jahrhundert bei einem entschieden der Moderne zugewandten Kunsthistoriker wie Longhi Ressentiments hervorrufen; daß er Raffael deshalb aber nicht mehr zu den "echten Malern", sondern allenfalls "zur Schar jener Graphiker" zählen will, "die Lebensideale illustrieren", übersteigt in seiner analytischen Substanz nicht das Niveau eines futuristischen Karnevalsscherzes. Und wenn Longhi die Tatsache, daß die von ihm rekonstruierten grundlegenden Entwicklungen der Kunst sich vom dreizehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert nahezu ausschließlich in Italien vollzogen haben, für einen reinen geschichtlichen Zufall erklärt und jenseits aller geschichtlichen Erklärungen die Internationalität der Kunst betont, dann berührt dies am Vorabend des Ersten Weltkriegs niedergeschriebene antinationalistische Plädoyer zwar besonders sympathisch, bleibt aber als Aussage eines Historikers gänzlich unbefriedigend.
Warum liest man Longhi dennoch gern? Weil er mit unerhörter Intensität den Blick auf die spezifischen Wesensmerkmale der Malerei, auf Farbe und Form, lenkt; weil er mit großer Strenge auf der Eigenart des Ästhetischen insistiert und mit gleicher Strenge die literarischen von den visuellen Künsten trennt; weil er in seinem Enthusiasmus für diese wortlosen Welten aus Farbe und Form eine Sprache zu finden und sie in den grandiosen Synästhesien seiner Bildbeschreibungen zu vergegenwärtigen sucht; weil jedes seiner Urteile über Bilder, das schroffste wie das begeistertste, aus jener Liebe zur Kunst stammt, für die Gleichgültigkeit einem Verrat gleichkäme; weil er mit jedem seiner Sätze diese Liebe an seine Schüler weitergeben will und ihnen deshalb den Sinn all seiner Unterweisungen über Form und Farbe mit den Worten in Erinnerung ruft, mit denen er seine Sätze einzuleiten liebt: "Erfreut euch, genießt!" ERNST OSTERKAMP
Roberto Longhi: "Kurze, aber wahre Geschichte der italienischen Malerei". Aus dem Italienischen übersetzt von Heinz-eorg Held. Mit einem Vorwort von Cesare Garboli, einer Vorbemerkung von Anna Banti und einem Nachwort von Beat Wyss. DuMont Buchverlag, Köln 1996. 266 S., Abb., br., 49,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main