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Bartolome de Las Casas (1474-1566), der Bischof von Chiapas in Mexiko, lebte seit 1502 in den spanischen Kolonien Mittelamerikas und wurde Zeuge der Ausrottung der Indianer durch die Conquistadoren. Er veröffentlichte seinen Bericht 1552, die Dokumentation eines Völkermords von riesigen Ausmaßen, eine Sammlung von Greueln und Monstrositäten, über die die Diskussion nie zum Stillstand kam.

Produktbeschreibung
Bartolome de Las Casas (1474-1566), der Bischof von Chiapas in Mexiko, lebte seit 1502 in den spanischen Kolonien Mittelamerikas und wurde Zeuge der Ausrottung der Indianer durch die Conquistadoren. Er veröffentlichte seinen Bericht 1552, die Dokumentation eines Völkermords von riesigen Ausmaßen, eine Sammlung von Greueln und Monstrositäten, über die die Diskussion nie zum Stillstand kam.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.04.2006

Ausgesuchte Ruchlosigkeiten
Las Casas’ Bericht über den Massenmord an den Indios
Unvergesslich, diese Perlenfischer in der Karibik. „Man senkt sie drei, vier, auch wohl fünf Klafter tief ins Meer, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Da müssen sie ständig unter Wasser herumschwimmen und die Muscheln losreißen, worin Perlen wachsen... Fast alle können diese abscheuliche Lebensart nur kurze Zeit ertragen, denn es ist schlechterdings unmöglich, daß Menschen, die ohne Atem zu schöpfen unter Wasser arbeiten, lange leben können. Ihr Körper wird unaufhörlich von Kälte durchdrungen, ihre Brust vom häufigen Zurückhalten des Atems zusammengepreßt; mithin bekommen sie Blutspeien und Durchfall und sterben daran. Ihr Haar, von Natur schwarz, wird brandrot wie das Fell der Meerwölfe. Auf ihrem Rücken schlägt Salpeter aus. Kurz, sie werden Ungeheuer in Menschengestalt.” Der spanische Bischof und spätere Dominikanermönch Bartolomé de Las Casas verfügte über die Macht des Wortes. Auch darum erwies sich sein „Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder” als unverwüstlich - ein Bestseller und Evergreen seit 464 Jahren. Las Casas berichtete mit sadistisch anmutender Detailfreude von einem „Völkermord, begangen an zwanzig Millionen Menschen” (Hans Magnus Enzensberger, 1966). Kaum eine Seite ohne abgeschnittene Nasen, abgehackte Hände, zerschmetterte Säuglingsköpfe, in Strohhütten lebendig verbrannte Familien. In der Not verspeiste der weiße Mann auch gebratene Indio-Kinder, und die eingeborenen Zwangsarbeiter wurden mit dem königlichen Brandzeichen abgestempelt wie Vieh.
Las Casas’ „Brevísima Relación” ist stets als Waffe gebraucht worden. Katalanen, Niederländer und Franzosen richteten sie gegen die Herrscher in Madrid, Engländer gegen die römische Kirche: „Popery Truly Display’d in its Bloody Colours” war die Londoner Ausgabe betitelt. Den kolonialen Eliten, die keinen Tropfen Indioblut in ihren Adern hatten, diente Las Casas gleichwohl zur moralischen Legitimierung ihrer Abkehr von Madrid; den USA, um den Spaniern Kuba und die Philippinen zu entreißen. Die Nazis druckten den „Kurzgefaßten Bericht” 1936 in der Reihe „Völkisches Erwachen”, und die DDR feierte Las Casas als Vorkämpfer des Antiimperialismus.
Sanft, demütig und grausam
Mit Enzensbergers funkelndem Vorwort erreichte die Schrift über die „Verwüstung der Westindischen Länder” acht Auflagen, sie diente, noch vor 1968, dem westdeutschen Protest gegen den Vietnamkrieg. Wie sonst wohl nur Eduardo Galeanos „Offene Adern Lateinamerikas” prägte Las Casas das Dritteweltbild der deutschen Linken.
Nun kommt er wieder in die Buchläden, aber der neue Herausgeber Michael Sievernich betreibt keine aktuelle Instrumentalisierung, sondern bleibt, fast schon aufregend, um Objektivität bemüht. Er druckt Enzensbergers Vorwort nach, weil es zur Wirkungsgeschichte des Buches gehört, sieht in Las Casas aber auch den Polemiker, der sich ausgiebig des "„Stilmittels der Übertreibung” bediente. Rhetorische Schwarzweiß-Malerei ist wertvoll als historisches Dokument, aber nicht mit Geschichtsschreibung zu verwechseln. Las Casas’ tief gefühltes Mitleid mit dem Indio mochte auch kirchenpolitische Zwecke verfolgen: Lief sein Appell zu rein friedlicher Bekehrung nicht darauf hinaus, dem Militär die Führung der Conquista zu nehmen, um sie dem Klerus zu übertragen?
Las Casas war in der Kirche partout nicht isoliert. Papst Paul III. hatte 1537 per Bulle verkündet, dass die Indios wahrhafte und zum Glauben fähige Menschen seien, die weder versklavt noch beraubt werden dürften. Kaiser Karl V. sympathisierte mit Las Casas’ Idee der Missionierung ohne Waffen und ernannte ihn zum Bischof von Chiapas. Unter Philipp II. hatte der gelehrte Mönch und Mahner jederzeit Zutritt zum Hof.
Beim „clash of civilizations” freilich, in der blutigen Realität des entstehenden „Lateinamerika”, triumphierten Schläue, Ruchlosigkeit und Bestialität der intellektuell und technisch Fortgeschritteneren. Gewiss hat es die „friedfertigen, demütigen, sanften und niemand kränkenden Indios” (Las Casas) gegeben, doch die kleine Schar der Spanier hatte es auch mit zwei expandierenden, totalitär geführten Imperien auf der Höhe ihrer Macht zu tun. In den Sklavenstaaten der Azteken und Inkas war Grausamkeit endemisch. An den Verbrechen der Conquista gibt es nichts zu beschönigen. Mit dem heute inflationär gebrauchten Begriff „Völkermord” aber ist keine Erkenntnis gewonnen.
Sievernich weist darauf hin, dass die „demographische Katastrophe” der Indios ihre Hauptursache in eingeschleppten Infektionskrankheiten hatte, nicht in „militärischen und kolonisatorischen Maßnahmen”. Die Argentinier fassten die Erschließung des Kontinents durch die Spanier in dem Sprichwort zusammen: „A Dios rogando y con el mazo dando" - zu Gott betend und mit dem Knüppel dreinschlagend.” Im alten Mutterland aber bedeutet der Spruch nichts anderes als: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.” CARLOS WIDMANN
BARTOLOMÉ DE LAS CASAS: Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder. Herausgegeben von Michael Sievernich. Aus dem Spanischen von Ulrich Kunzmann. Mit einem Nachwort von Hans Magnus Enzensberger. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2006. 247 Seiten. Euro 7,50.
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