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In dieser Auseinandersetzung mit den kompositorischen Konzeptionen Karlheinz Stockhausens aus den 60er Jahren wird ein neues und aufregendes Kapitel in der Geschichte der experimentellen Musik im 20. Jahrhundert aufgeschlagen. Am Beispiel von "Kurzwellen" und einigen Produktionen des damaligen Stockhausen-Ensembles, die auf einer beigelegten CD dokumentiert sind, wird diese "terra incognita" erstmals zugänglich gemacht.Neben der detaillierten Erörterung der "Kurzwellen"-Partitur und Überlegungen zum Begriff der musikalischen Wahrnehmung und Poiesis werden Stockhausens Verständnis der Funktion…mehr

Produktbeschreibung
In dieser Auseinandersetzung mit den kompositorischen Konzeptionen Karlheinz Stockhausens aus den 60er Jahren wird ein neues und aufregendes Kapitel in der Geschichte der experimentellen Musik im 20. Jahrhundert aufgeschlagen. Am Beispiel von "Kurzwellen" und einigen Produktionen des damaligen Stockhausen-Ensembles, die auf einer beigelegten CD dokumentiert sind, wird diese "terra incognita" erstmals zugänglich gemacht.Neben der detaillierten Erörterung der "Kurzwellen"-Partitur und Überlegungen zum Begriff der musikalischen Wahrnehmung und Poiesis werden Stockhausens Verständnis der Funktion des Radios und seine Idee der "oral tradition" vorgestellt. Einen Schwerpunkt der Analysen bildet zudem die Darstellung des zum 200. Geburtstag Beethovens initiierten Projektes "Stockhoven-Beethausen Opus 1970".In dieser Auseinandersetzung mit den kompositorischen Konzeptionen Karlheinz Stockhausens aus den 60er Jahren wird ein neues und aufregendes Kapitel in der Geschichte der experimentellen Musik im 20. Jahrhundert aufgeschlagen. Am Beispiel von "Kurzwellen" und einigen Produktionen des damaligen Stockhausen-Ensembles, die auf einer beigelegten CD dokumentiert sind, wird diese "terra incognita" erstmals zugänglich gemacht.Neben der detaillierten Erörterung der "Kurzwellen"-Partitur und Überlegungen zum Begriff der musikalischen Wahrnehmung und Poiesis werden Stockhausens Verständnis der Funktion des Radios und seine Idee der "oral tradition" vorgestellt. Einen Schwerpunkt der Analysen bildet zudem die Darstellung des zum 200. Geburtstag Beethovens initiierten Projektes "Stockhoven-Beethausen Opus 1970".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.1999

Echo mit Umweg
Karlheinz Stockhausens originelles Programm der Imitationen

War Karlheinz Stockhausens revolutionäres kompositorisches Schaffen in den fünfziger Jahren weitgehend durch serielle und später aleatorische Techniken bestimmt, so lockerte sich in den sechziger Jahren sein Zugriff auf das verwendete Material, und individuelle Fähigkeiten der Musiker konnten verstärkt in den Vordergrund treten. Richtungweisend für diese Entwicklung wurde das Konzept "Plus - Minus, 2 × 7 Seiten für Ausarbeitungen" (1963), in dem Stockhausen erstmals die Gesetzmäßigkeiten der musikalischen Gestaltung formelhaft zusammenfasste. Dieses Modell, das als "musikalisches Lebewesen" jederart fremde, selbst von anderen Komponisten stammende Materialien aufnehmen, verarbeiten und wieder abstoßen konnte, beruhte auf einem System von Plus-, Minus- und Gleichheitszeichen, die die musikalischen Prozesse steuerten. Stockhausen übernahm das Verfahren in mehrere nachfolgende Partituren, zu denen neben "Prozession, Spiral, Pole" und "Expo" auch "Kurzwellen" für sechs Spieler (1968) zählte.

In "Kurzwellen" gibt es vier Instrumentalisten - Klavier, Elektronium, großes Tamtam mit Mikrophon und Bratsche mit Kontaktmikrophon - sowie zwei weitere Spieler, die mikrophonieren oder Filter und Regler bedienen. Jeder Instrumentalist hat zugleich einen Kurzwellenempfänger, auf dessen zufällig eingefangene Ereignisse er gemäß den Instruktionen der Symbole reagiert. Der in Spielanweisungen genau festgelegte Ansatz führt über Imitationen zu polyphonen musikalischen Entwicklungen, wobei sich an bestimmten Stellen die Möglichkeit zu koordiniertem Musizieren in Form von Duos, Trios und Quartetten bietet.

Dieses Konzept kontrollierter Indetermination ist innovativ, und das Wesen der Partitur definiert sich ebenso wie das Verhältnis von Komponist und Interpret. Von den Musikern wird nicht länger Wiedergabe, bloßes Spiel nach Noten verlangt, sondern ein ständig aktiv erfassendes, analytisches Hören, das allein befähigt, musikalisch auf das von Seiten der Kurzwellenempfänger und Mitspieler Erklingende einzugehen. Neben instrumentalen Fähigkeiten sind hierfür schöpferische Begabung und Spontaneität Voraussetzung, Qualitäten, über die ein kleiner Kreis von Musikern durchaus verfügte, der sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre als Ensemble um Stockhausen gruppierte und mit ihm gemeinsam seine Musik in aller Welt zur Aufführung brachte.

Heute sind die Werke aus dieser Zeit nur sehr selten noch zu hören, und auch die musikwissenschaftliche Forschung widmet sich lieber leichter zugänglichen Partituren des Komponisten. Um so mehr ist mit Winrich Hopps Studie ein Buch zu begrüßen, das diese wichtige Phase in Stockhausens Schaffen anhand eines zentralen Werkes erhellt und das Versäumte aufarbeitet. Das Buch gliedert sich in drei große Teile. Der erste befasst sich mit der Partitur "Kurzwellen" und den von ihr nicht ablösbaren Spielanweisungen. Beides wird vollständig reproduziert und eingehend kommentiert. Stockhausens Skizzen werden zur Klärung des ursprünglichen Entwurfs herangezogen, Schwächen desselben und ihre Behebung durch den Komponisten werden aufgezeigt. Der zweite Teil erörtert die Beziehungen zwischen Partitur, Musikern und erzeugter Musik und arbeitet das besondere poietische, "klangbildnerische" Tun der Musiker heraus, die die "Kurzwellen"-Partitur "verwenden".

Der dritte und umfangreichste Teil des Buches führt zu den "erzeugten Musiken", genauer: zu Tonaufnahmen der "Kurzwellen", die von Stockhausens Ensemble eingespielt wurden. Das mit "Kurzwellen" eng zusammenhängende Konzept "Opus 1970, Kurzwellen mit Beethoven" wird in einem eigenen groß angelegten Kapitel integriert. Eine dem Buch beigefügte Compact Disc lässt die im Text angesprochenen Passagen hörbar werden, und Transkriptionen in partiturähnlicher Notation machen das komplexe akustische Geschehen fasslich. So lässt die klingende Musik sich schließlich in Beziehung setzen zu ihren schriftlichen Vorgaben, die Funktion der Musiker wird einsichtig, die Einheit von Theorie und Praxis überprüfbar.

Erfreulich an Hopps Vorgehen ist zunächst, dass er nicht bei einer Entflechtung parametrisch-materialer Verknüpfungen verweilt, sondern die Struktur des kompositorischen Gefüges, die Wechselbeziehungen der Elemente, die die Musik hervorruft, in den Mittelpunkt seiner Untersuchung rückt. Die Hauptleistung Hopps ist jedoch wohl darin zu sehen, dass er, wie kaum jemand zuvor, seine Analyse dezidiert auf sprachphilosophische und erkenntnistheoretische Grundlagen zu stellen weiß. Gedanken von Aristoteles und Kant werden ebenso zum Sprechen gebracht wie etwa Piagets Strukturbegriff, mit dessen Hilfe die Partitur "Kurzwellen" sich stimmig als "ganzheitliches System selbstregulierender Transformationen" beschreiben lässt.

Dankenswerterweise setzt Hopp sein anspruchsvolles begriffliches Instrumentarium, das Musikwissenschaftlern, Komponisten oder Interpreten nur im Ausnahmefall geläufig sein dürfte, nicht als bekannt voraus: Zwischengeschaltete Kapitel von oft beachtlichem Umfang bereiten das geistige Rüstzeug vor und legen die Bedeutung der tragenden Begriffe fest. Erst dann wendet sich die Studie wieder Stockhausens Komposition zu und durchdenkt sie mit neuem Impetus abermals. Stockhausens bewusst abstrakt gehaltenes Konzept erscheint dabei als geradezu angenehm konkreter Einzelfall, an dem die vorausgehenden theoretischen Ableitungen und Schlüsse sich exemplifizieren und letztlich bewahrheiten.

Sicherlich gibt es andere Möglichkeiten, an dieses Werk Stockhausens heranzutreten, doch nimmt Hopps philosophisch geprägter Ansatz gleichermaßen durch Kompromisslosigkeit, denkerisches Niveau, präzise Formulierung und nicht zuletzt Übertragbarkeit für sich ein. Einzig das Fehlen von Registern beeinträchtigt die Benutzbarkeit des insgesamt großzügig angelegten Buches, ein Umstand, der angesichts seines Umfangs und Preises ins Auge fällt, aber wohl kaum seinem Verfasser anzulasten ist.

HERBERT HENCK

Winrich Hopp: "Kurzwellen von Karlheinz Stockhausen". Konzeption und musikalische Poiesis. Kölner Schriften zur Neuen Musik, Bd. 6. Schott Musik International, Mainz 1998. 451 S., Abb., mit 1 Begleit-CD, 148,- DM.

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