Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2003Kylies Körperwelten
Mit neuer Platte und Autobiographie will Miss Minogue auf einmal als reife Künstlerin wahrgenommen werden
Eigentlich ein Jammer. Kaum hat eine englische Universität endlich wissenschaftlich bestätigt, was wir alle immer schon ahnten, nämlich daß die Popsängerin Kylie Minogue den perfekten Po hat, kündigt diese an, denselben künftig nicht mehr so offenherzig vor Kameras hin und her schwenken zu wollen. Mit 35 sei sie in einem Alter, in dem sich zu viel Freizügigkeit nicht mehr gehöre, sagte die zierliche Sängerin, deren Taillen- zum Hüftumfang im nun offiziell erforschten Traumverhältnis von eins zu 0,7 steht. Und daß sie in Zukunft beim Nackte-Haut-Zeigen ihren jüngeren Kolleginnen den Vortritt lassen wolle. Eine wahre Lady. Die Frage ist nur: Wovon wird Kylie Minogue leben, wenn sie in Zukunft dann wohl so gut wie keine Platten mehr verkaufen wird?
Kylie Minogue kennt die Gesetze des Popmarkts wie keine andere. Das Gesetz vielmehr, denn für Frauen gilt eins da ganz besonders: Je mehr Haut gezeigt wird, desto mehr Platten verkaufen sich. Hier ein Foto im Tennisdreß ohne was drunter, dort ein Auftritt in einem Kleidungsstück, das aussieht, als würde es jede Sekunde zu Boden gleiten - Minogue weiß, wie es geht. War für sie selbst noch die kämpferische Madonna ein Vorbild, die Sex benutzte, um die Doppelmoral der Amerikaner zu kritisieren, so steht Minogue heute in der ersten Reihe der Sängerinnen, die sich ausziehen, um Geld zu verdienen. Nur aus diesem Grund. Und sie ist die einzige, die dabei immerhin ehrlich ist. Christina Aguilera will uns das Zur-Schau-Stellen ihrer nackten Haut als rebellischen Akt verkaufen. Britney Spears behauptet, es gehöre zum Erwachsenwerden. Minogue tut es einfach. Die halben Pobacken im Video zu "Spinning Around". Das unfaßbar ausgeschnittene Kapuzenkleid von "Can't get you out of my head". Das Bullriding in Reizwäsche im Auftrag einer Dessousfirma.
Dieser Tage hat Kylie Minogue ihre Autobiographie und eine neue Platte veröffentlicht. Die Biographie, die in Wahrheit ein Erklärungsversuch ihres Stylisten ist, heißt "La la la", die Platte "Body Language", und nimmt man beide Titel zusammen, ist auch schon die gesamte musikalische Karriere von Kylie Minogue erzählt.
Zunächst zur Platte. Ihr bislang reifstes Album, sagt Kylie, und wenn man reif hier als Euphemismus für lahm verstehen darf, hat sie recht. In der Theorie klingt die Platte gar nicht schlecht. Achtziger-Jahre-Einflüsse, ein bißchen Funk, ein bißchen Elektropop. In der Praxis aber, hört man sich "Body Language" also tatsächlich an, ist davon wenig übrig. Die aktuelle Single, das minimalistisch unterkühlte "Slow", ist mit Abstand der beste Song. Alles andere plätschert dahin wie B-Seiten von Paula Abdul, wenn sich noch jemand an die ehemalige Tanzlehrerin von Janet Jackson erinnert, die in den achtziger Jahren auch irgendwann zum Mikrophon griff. Der ganze Charme der letzten Alben, diese Lalala-Songs, die nichts weiter wollten, als Lalala-Songs zu sein, und gerade deshalb zu Pop-Hymnen wurden: verflogen. Das ganze große Camp-Tamtam, das Kylie Minogue braucht, um über ihre nicht vorhandene Stimme hinwegzutäuschen, der Pet-Shop-Boy-hafte Glamour, der ihr so gut steht, hier sucht man ihn vergeblich. Es gibt auch kein Duett mit Robbie. Oder sonst irgend etwas, das einen aufhorchen ließe. Nur Kylie mit ihrer immer gleichen Mädchenstimme, die sich tapfer durch Songs kämpft, gegen die "Irresistible" von Prinzessin Stephanie (wir bleiben in den Achtzigern) Hard Rock war.
Kylie Minogue sagt von sich selbst, sie könne okay singen, okay tanzen, sähe okay aus und sei, alles zusammengenommen, ein ziemlich okayes kleines Paket. Ihre wahre Begabung verschweigt sie dabei klug. Es ist ihr Umgang mit Sex.
Mit vielen Fotos zeichnet die Autobiographie Minogues Karriere nach und kann dabei durchaus als Anleitung gelesen werden, wie sich Sex für kommerzielle Zwecke einsetzen läßt, ohne daß es auf den ersten Blick anstößig wirkt. Kylies Sex tut niemandem weh. Sie kann in noch so lasziven Posen auf Eisbärfellen sich räkeln, den Po nach oben recken, sich selbst anfassen, nackt sein, halbnackt sein - die Posen sind dieselben wie die von gewöhnlichen Stripperinnen oder Softpornodarstellerinnen, doch Minogue ist dabei so sexy wie eine komplett ausgezogene Barbiepuppe. Der Sex von Kylie ist freigegeben ab sechs Jahren. Er ist für die ganze Familie. Er paßt besser in Zahnarztpraxen als in Bundeswehrspinde, ist eher angenehm als nicht, man kann ihn zum Kamillentee genießen oder zu einem Gläschen Eierlikör. Er sieht schön aus, tut niemandem weh und würde auch bei einer Weihnachtsfeier im Seniorenheim nicht stören.
Man darf sich schon fragen, wie sie das macht. Warum geht bei ihr durch, was bei anderen Frauen billig wirken würde? Warum sieht Minogue halbnackt im Straßbikini auf einer Bühne aus wie eine nette junge Frau, während Christina Aguilera im selben Outfit wirken würde wie die Domina aus dem Puff um die Ecke? Unter Umständen liegt es an Kylies Lachen. Sie hat ein besonders nettes, strahlendes, und sie setzt es in vorauseilendem Gehorsam immer dann ein, wenn sie sonst unter Umständen einschüchternd wirken könnte. Das Lachen von Kylie Minogue ist eine Unterwerfungsgeste: Schaut her, ich bin schön, ich bin jung, ich habe einen perfekten Körper, den ich gerne zeige, aber ihr müßt keine Angst haben - ich tue nichts. Ich spiele nur. Ich bin kein Sexzwerg, sondern eine niedliche kleine Puppe. Für Jungs. Und für Mädchen.
Und alle haben sie gern. Und das ja wirklich: Kylie Minogue ist wahrscheinlich die einzige Frau auf der Welt, der Frauen nicht böse sein könnten, wenn sie sie mit dem eigenen Mann im Bett erwischen würden. Es ist eine Art Wunder. Geschrieben hat ihre Autobiographie übrigens nicht Kylie selbst, sondern ihr Stylist, was aber in beruflicher Hinsicht so ziemlich dasselbe zu sein scheint. William Baker, so sein Name, sprach die Sängerin vor zehn Jahren im Londoner Modeladen von Vivienne Westwood an, ob er ihr helfen dürfe, sich besser zu kleiden. Er durfte. Und wie es aussieht, hat dieser Mann sich all das ausgedacht, was wir von Kylie Minogue kennen. Die Haare, das Make-up, die Kleider. Das Image, den Wechsel, die Videos. Kylie Minogue ist William Baker ist Kylie Minogue. Und das Buch "La la la" liest sich wie eine neue Version von George Bernard Shaws "Pygmalion". Die alte Sage, das My-Fair-Lady-Prinzip: Ein Mann schafft eine Frau nach seinen Vorstellungen. Man nehme eine hübsche junge Frau, die als Popsängerin gerade nur mäßigen Erfolg hat, ziehe ihr wenig an, stelle sie in sexy Posen vor die Kameras, ta-da! - fertig ist die Kunstfigur Kylie Minogue. Allerdings: Die Sache hat einen Haken. Und damit sind wir beim Thema einer anderen Sage, bekannt durch Oscar Wildes "Dorian Gray": Ein Mensch hat furchtbare Angst, alt zu werden und damit seine Schönheit zu verlieren, und er tut einiges dafür, der Welt auf ewig ein junges Gesicht zu zeigen. Was auch immer Kylie Minogue getan hat - so ganz scheint ihr Gesicht in letzter Zeit nicht mehr zu ihrem Geburtsjahr zu passen. Es weicht, das dokumentieren die Fotos im Buch, mittlerweile deutlich vom Ursprungsgesicht ab, das auch niedlich war, aber verwechselbarer, man könnte sagen eine Spur natürlicher. Mal sehen, wie es weitergeht. Ob Kylie Minogue bald zur Karrikatur ihres früheren Selbsts gefriert. Sieht leider aus, als wäre sie auf dem besten Weg dazu.
Das soll kein Vorwurf sein. Es gehört ungeheuer viel Mut dazu, mit Mitte dreißig noch so sehr auf seinen Körper zu setzen. In einer Branche, in der Britney Spears mit 21 Jahren gerade ihr Comeback versucht, im Rollenfach "Sexy Blonde" bestehen zu wollen. Einer Branche, in der es bislang, was das würdevolle Älterwerden von weiblichen Popgrößen angeht, keine ernstzunehmenden Vorbilder gibt. Selbst Madonna mit ihren 45 Jahren scheint noch nicht so recht den Weg zu wissen: Sie versucht gerade den Spagat zwischen Kinderbücherschreiben und Britney-Spears-Küssen und wirkt dabei erschütternd orientierungslos. (Daß sie seit neuestem oberhalb der Augenbrauen keine Mimik mehr hat, kommt erschwerend hinzu.)
Was ein Alter jenseits von dreißig für eine Frau bedeutet, ist heutzutage genauso in Vergessenheit geraten wie kalte Winter voller Schnee oder wie man lebte, als es noch keine Handys gab. Mittelalte Frauen gibt es heutzutage gar nicht, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Frauen sind jung, dann versuchen sie, jung zu bleiben, und dann sind sie unsichtbar. Eine erwachsene Frau, was ist das noch mal? Was ist für sie angemessen, was peinlich, was würdelos, was okay? Demi Moore sieht mit 41 Jahren auf einmal wieder genauso aus wie 1980: gut oder grotesk? Wirkt Sarah Jessica Parker, 38, aus "Sex and the city", nicht ein bißchen verkleidet mit ihren grellbunten Stöckelschuhen zum Minirock? Ist Hannelore Elsner mutig oder schön?
William Baker jedenfalls modelliert sein Werk vorsorglich schon mal um. "Kylie hat den berühmtesten Hintern im Showgeschäft", sagte er kürzlich in einem Interview, "aber ich will sie jetzt vom Sex-Symbol-Image losbekommen." Französischer Chic ist das neue Ding, Ringelpullover, Dreiviertelhosen, Bardotfrisur.
Wie ernst gemeint der angekündigte Imagewechsel allerdings tatsächlich ist, davon kann man sich in Kylies neuestem Video zur Single "Slow" ein Bild machen. In der Tat trägt sie darin ein Kleid, dessen Länge ihrem Alter angemessen erscheint, und sie behält es trotz offensichtlich großer Hitze auch über die gesamte Länge des Videos an - jedoch steht dieses Kleid vorne sperrangelweit offen, und sie räkelt sich darin lasziv herum. Die neue Kylie ist also genau die alte, nur sind jetzt Brüste der neue Arsch. La la la.
JOHANNA ADORJÁN
Das Buch: Kylie Minogue und William Baker "Kylie: La la la". Verlag Rockbuch. 19,80 Euro. Die Platte: "Body Language", erschienen bei EMI.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit neuer Platte und Autobiographie will Miss Minogue auf einmal als reife Künstlerin wahrgenommen werden
Eigentlich ein Jammer. Kaum hat eine englische Universität endlich wissenschaftlich bestätigt, was wir alle immer schon ahnten, nämlich daß die Popsängerin Kylie Minogue den perfekten Po hat, kündigt diese an, denselben künftig nicht mehr so offenherzig vor Kameras hin und her schwenken zu wollen. Mit 35 sei sie in einem Alter, in dem sich zu viel Freizügigkeit nicht mehr gehöre, sagte die zierliche Sängerin, deren Taillen- zum Hüftumfang im nun offiziell erforschten Traumverhältnis von eins zu 0,7 steht. Und daß sie in Zukunft beim Nackte-Haut-Zeigen ihren jüngeren Kolleginnen den Vortritt lassen wolle. Eine wahre Lady. Die Frage ist nur: Wovon wird Kylie Minogue leben, wenn sie in Zukunft dann wohl so gut wie keine Platten mehr verkaufen wird?
Kylie Minogue kennt die Gesetze des Popmarkts wie keine andere. Das Gesetz vielmehr, denn für Frauen gilt eins da ganz besonders: Je mehr Haut gezeigt wird, desto mehr Platten verkaufen sich. Hier ein Foto im Tennisdreß ohne was drunter, dort ein Auftritt in einem Kleidungsstück, das aussieht, als würde es jede Sekunde zu Boden gleiten - Minogue weiß, wie es geht. War für sie selbst noch die kämpferische Madonna ein Vorbild, die Sex benutzte, um die Doppelmoral der Amerikaner zu kritisieren, so steht Minogue heute in der ersten Reihe der Sängerinnen, die sich ausziehen, um Geld zu verdienen. Nur aus diesem Grund. Und sie ist die einzige, die dabei immerhin ehrlich ist. Christina Aguilera will uns das Zur-Schau-Stellen ihrer nackten Haut als rebellischen Akt verkaufen. Britney Spears behauptet, es gehöre zum Erwachsenwerden. Minogue tut es einfach. Die halben Pobacken im Video zu "Spinning Around". Das unfaßbar ausgeschnittene Kapuzenkleid von "Can't get you out of my head". Das Bullriding in Reizwäsche im Auftrag einer Dessousfirma.
Dieser Tage hat Kylie Minogue ihre Autobiographie und eine neue Platte veröffentlicht. Die Biographie, die in Wahrheit ein Erklärungsversuch ihres Stylisten ist, heißt "La la la", die Platte "Body Language", und nimmt man beide Titel zusammen, ist auch schon die gesamte musikalische Karriere von Kylie Minogue erzählt.
Zunächst zur Platte. Ihr bislang reifstes Album, sagt Kylie, und wenn man reif hier als Euphemismus für lahm verstehen darf, hat sie recht. In der Theorie klingt die Platte gar nicht schlecht. Achtziger-Jahre-Einflüsse, ein bißchen Funk, ein bißchen Elektropop. In der Praxis aber, hört man sich "Body Language" also tatsächlich an, ist davon wenig übrig. Die aktuelle Single, das minimalistisch unterkühlte "Slow", ist mit Abstand der beste Song. Alles andere plätschert dahin wie B-Seiten von Paula Abdul, wenn sich noch jemand an die ehemalige Tanzlehrerin von Janet Jackson erinnert, die in den achtziger Jahren auch irgendwann zum Mikrophon griff. Der ganze Charme der letzten Alben, diese Lalala-Songs, die nichts weiter wollten, als Lalala-Songs zu sein, und gerade deshalb zu Pop-Hymnen wurden: verflogen. Das ganze große Camp-Tamtam, das Kylie Minogue braucht, um über ihre nicht vorhandene Stimme hinwegzutäuschen, der Pet-Shop-Boy-hafte Glamour, der ihr so gut steht, hier sucht man ihn vergeblich. Es gibt auch kein Duett mit Robbie. Oder sonst irgend etwas, das einen aufhorchen ließe. Nur Kylie mit ihrer immer gleichen Mädchenstimme, die sich tapfer durch Songs kämpft, gegen die "Irresistible" von Prinzessin Stephanie (wir bleiben in den Achtzigern) Hard Rock war.
Kylie Minogue sagt von sich selbst, sie könne okay singen, okay tanzen, sähe okay aus und sei, alles zusammengenommen, ein ziemlich okayes kleines Paket. Ihre wahre Begabung verschweigt sie dabei klug. Es ist ihr Umgang mit Sex.
Mit vielen Fotos zeichnet die Autobiographie Minogues Karriere nach und kann dabei durchaus als Anleitung gelesen werden, wie sich Sex für kommerzielle Zwecke einsetzen läßt, ohne daß es auf den ersten Blick anstößig wirkt. Kylies Sex tut niemandem weh. Sie kann in noch so lasziven Posen auf Eisbärfellen sich räkeln, den Po nach oben recken, sich selbst anfassen, nackt sein, halbnackt sein - die Posen sind dieselben wie die von gewöhnlichen Stripperinnen oder Softpornodarstellerinnen, doch Minogue ist dabei so sexy wie eine komplett ausgezogene Barbiepuppe. Der Sex von Kylie ist freigegeben ab sechs Jahren. Er ist für die ganze Familie. Er paßt besser in Zahnarztpraxen als in Bundeswehrspinde, ist eher angenehm als nicht, man kann ihn zum Kamillentee genießen oder zu einem Gläschen Eierlikör. Er sieht schön aus, tut niemandem weh und würde auch bei einer Weihnachtsfeier im Seniorenheim nicht stören.
Man darf sich schon fragen, wie sie das macht. Warum geht bei ihr durch, was bei anderen Frauen billig wirken würde? Warum sieht Minogue halbnackt im Straßbikini auf einer Bühne aus wie eine nette junge Frau, während Christina Aguilera im selben Outfit wirken würde wie die Domina aus dem Puff um die Ecke? Unter Umständen liegt es an Kylies Lachen. Sie hat ein besonders nettes, strahlendes, und sie setzt es in vorauseilendem Gehorsam immer dann ein, wenn sie sonst unter Umständen einschüchternd wirken könnte. Das Lachen von Kylie Minogue ist eine Unterwerfungsgeste: Schaut her, ich bin schön, ich bin jung, ich habe einen perfekten Körper, den ich gerne zeige, aber ihr müßt keine Angst haben - ich tue nichts. Ich spiele nur. Ich bin kein Sexzwerg, sondern eine niedliche kleine Puppe. Für Jungs. Und für Mädchen.
Und alle haben sie gern. Und das ja wirklich: Kylie Minogue ist wahrscheinlich die einzige Frau auf der Welt, der Frauen nicht böse sein könnten, wenn sie sie mit dem eigenen Mann im Bett erwischen würden. Es ist eine Art Wunder. Geschrieben hat ihre Autobiographie übrigens nicht Kylie selbst, sondern ihr Stylist, was aber in beruflicher Hinsicht so ziemlich dasselbe zu sein scheint. William Baker, so sein Name, sprach die Sängerin vor zehn Jahren im Londoner Modeladen von Vivienne Westwood an, ob er ihr helfen dürfe, sich besser zu kleiden. Er durfte. Und wie es aussieht, hat dieser Mann sich all das ausgedacht, was wir von Kylie Minogue kennen. Die Haare, das Make-up, die Kleider. Das Image, den Wechsel, die Videos. Kylie Minogue ist William Baker ist Kylie Minogue. Und das Buch "La la la" liest sich wie eine neue Version von George Bernard Shaws "Pygmalion". Die alte Sage, das My-Fair-Lady-Prinzip: Ein Mann schafft eine Frau nach seinen Vorstellungen. Man nehme eine hübsche junge Frau, die als Popsängerin gerade nur mäßigen Erfolg hat, ziehe ihr wenig an, stelle sie in sexy Posen vor die Kameras, ta-da! - fertig ist die Kunstfigur Kylie Minogue. Allerdings: Die Sache hat einen Haken. Und damit sind wir beim Thema einer anderen Sage, bekannt durch Oscar Wildes "Dorian Gray": Ein Mensch hat furchtbare Angst, alt zu werden und damit seine Schönheit zu verlieren, und er tut einiges dafür, der Welt auf ewig ein junges Gesicht zu zeigen. Was auch immer Kylie Minogue getan hat - so ganz scheint ihr Gesicht in letzter Zeit nicht mehr zu ihrem Geburtsjahr zu passen. Es weicht, das dokumentieren die Fotos im Buch, mittlerweile deutlich vom Ursprungsgesicht ab, das auch niedlich war, aber verwechselbarer, man könnte sagen eine Spur natürlicher. Mal sehen, wie es weitergeht. Ob Kylie Minogue bald zur Karrikatur ihres früheren Selbsts gefriert. Sieht leider aus, als wäre sie auf dem besten Weg dazu.
Das soll kein Vorwurf sein. Es gehört ungeheuer viel Mut dazu, mit Mitte dreißig noch so sehr auf seinen Körper zu setzen. In einer Branche, in der Britney Spears mit 21 Jahren gerade ihr Comeback versucht, im Rollenfach "Sexy Blonde" bestehen zu wollen. Einer Branche, in der es bislang, was das würdevolle Älterwerden von weiblichen Popgrößen angeht, keine ernstzunehmenden Vorbilder gibt. Selbst Madonna mit ihren 45 Jahren scheint noch nicht so recht den Weg zu wissen: Sie versucht gerade den Spagat zwischen Kinderbücherschreiben und Britney-Spears-Küssen und wirkt dabei erschütternd orientierungslos. (Daß sie seit neuestem oberhalb der Augenbrauen keine Mimik mehr hat, kommt erschwerend hinzu.)
Was ein Alter jenseits von dreißig für eine Frau bedeutet, ist heutzutage genauso in Vergessenheit geraten wie kalte Winter voller Schnee oder wie man lebte, als es noch keine Handys gab. Mittelalte Frauen gibt es heutzutage gar nicht, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Frauen sind jung, dann versuchen sie, jung zu bleiben, und dann sind sie unsichtbar. Eine erwachsene Frau, was ist das noch mal? Was ist für sie angemessen, was peinlich, was würdelos, was okay? Demi Moore sieht mit 41 Jahren auf einmal wieder genauso aus wie 1980: gut oder grotesk? Wirkt Sarah Jessica Parker, 38, aus "Sex and the city", nicht ein bißchen verkleidet mit ihren grellbunten Stöckelschuhen zum Minirock? Ist Hannelore Elsner mutig oder schön?
William Baker jedenfalls modelliert sein Werk vorsorglich schon mal um. "Kylie hat den berühmtesten Hintern im Showgeschäft", sagte er kürzlich in einem Interview, "aber ich will sie jetzt vom Sex-Symbol-Image losbekommen." Französischer Chic ist das neue Ding, Ringelpullover, Dreiviertelhosen, Bardotfrisur.
Wie ernst gemeint der angekündigte Imagewechsel allerdings tatsächlich ist, davon kann man sich in Kylies neuestem Video zur Single "Slow" ein Bild machen. In der Tat trägt sie darin ein Kleid, dessen Länge ihrem Alter angemessen erscheint, und sie behält es trotz offensichtlich großer Hitze auch über die gesamte Länge des Videos an - jedoch steht dieses Kleid vorne sperrangelweit offen, und sie räkelt sich darin lasziv herum. Die neue Kylie ist also genau die alte, nur sind jetzt Brüste der neue Arsch. La la la.
JOHANNA ADORJÁN
Das Buch: Kylie Minogue und William Baker "Kylie: La la la". Verlag Rockbuch. 19,80 Euro. Die Platte: "Body Language", erschienen bei EMI.
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