Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.08.2013Der Klang
der Gebetsmühle
Von gestern: Die Zivilisationsschelte
des Literatur-Nobelpreisträgers Mario Vargas Llosa
VON RALF KONERSMANN
Die Kulturkritik ist ein seltsames Genre. Anders als andere Literaturgattungen muss sie nicht originell sein und darf sich mit der Wiederholung des Immergleichen zufrieden geben. Ihre bevorzugte Darreichungsform ist die Litanei: Wo sie recht hat, hat sie eben recht.
Die kulturkritischen Streifzüge des peruanischen Schriftstellers Mario Vargas Llosa, dessen große Vertrautheit mit europäischem Leben und europäischer Literatur auch in diesem Spätwerk über die Boulevard-Kultur unverkennbar ist, bestätigen die genretypische Neigung zur Überraschungslosigkeit. Das Internet, die Medien, der Mainstream, die Säkularisierung, die Postmoderne – diese Essays, von denen einige zuvor in der spanischen Tageszeitung El País erschienen sind, bieten den erwarteten Aufmarsch der üblichen Verdächtigen. Gedanken würden durch Bilder ersetzt, heißt es, die Intellektuellen verschwänden, die Kritik sei am Ende, die bildende Kunst ein Tummelplatz der Scharlatane, kurz: Wo einmal Kultur war, da herrschten nun Flitterkram, Klamauk und Geprotze.
Die Anhaltspunkte für derlei Befunde sind offensichtlich – aber ist es auch klug, sie deshalb alle naselang zu zitieren? Die Gebetsmühlenartigkeit des Vortrags erweckt den Eindruck, es gehe dabei weniger um die Sache als ums Lamentieren. Offenbar in der Absicht, diesen Verdacht zu zerstreuen, stellt Vargas Llosa seinen Beobachtungen eine Handvoll theoretischer Miniaturen zur Seite, die um den Kulturbegriff kreisen. Allerdings wird die Sache dadurch nicht besser.
Leidenschaftlich plädiert Vargas Llosa für jenen engen Kulturbegriff, der letztlich nichts anderes meint als die Gegenstände des klassischen Feuilletons. Das ist aus zwei Gründen unbefriedigend – zunächst, weil der Vorwurf, Anthropologen und ähnliche Leute hätten den einst so schönen und klaren Kulturbegriff im Nachhinein vernebelt, schlicht und einfach falsch ist. Begriffsgeschichtlich gesehen, kam die von Vargas Llosa proklamierte Gleichsetzung von Kultur und Hochkultur überhaupt erst im 19. Jahrhundert auf, und sie ist es gewesen, die den zuvor philosophisch und wissenschaftlich prägnanten Begriff der Kultur verwässert hat.
Tatsächlich ist das enge Begriffsverständnis, mögen auch Kulturmanager, Kulturpolitiker und eben auch manche Kritiker daran festhalten wollen, einigermaßen verwirrend. Man merkt es, wenn man der Praxis dieses Sprachgebrauchs nähertritt. Töpfern gilt als Kultur, Grillen aber nicht; ein Schiff zu malen ist Kultur, ein Schiff zu bauen hingegen nicht; Sakralbauten sind Kultur, Taufe und Kommunion sind es nicht. Die Willkürlichkeit solcher Grenzziehungen ist nicht zu übersehen. Dieses gängige, aber kaum jemals reflektierte Kulturverständnis ist überhaupt kein „Begriff“, sondern ein Gemenge aus Steuerungsphantasien und abgesunkenen Sentiments.
Vargas Llosas Zivilisationsschelte ist von gestern, und nicht selten trägt sie ihre Gestrigkeit auch trotzig und halsstarrig vor sich her. Hier und da aber blitzt eine Ahnung davon auf, wie eine Kulturkritik aussehen könnte, der es gelingt, sich die von ihrem eigenen Habitus gefährdete Frische zu bewahren. Bei Vargas Llosa sind dies die Momente, wo er ins freie Erzählen kommt, wo er Lesefrüchte ausbreitet und sich weniger vom Ärger als von der Begeisterung tragen lässt. In diesen Augenblicken gewinnt mit der Darstellung auch die Kritik an Treffsicherheit. Aus dieser Beobachtung ließe sich fast eine Faustregel machen: Sachbezug und Genauigkeit sind die Loyalitätsbeweise des Kulturkritikers.
RALF KONERSMANN
Mario Vargas Llosa: Alles Boulevard. Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst. Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 227 Seiten, 22,95 Euro.
Die Gleichsetzung von Kultur
und Hochkultur kam
erst im 19. Jahrhundert auf
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der Gebetsmühle
Von gestern: Die Zivilisationsschelte
des Literatur-Nobelpreisträgers Mario Vargas Llosa
VON RALF KONERSMANN
Die Kulturkritik ist ein seltsames Genre. Anders als andere Literaturgattungen muss sie nicht originell sein und darf sich mit der Wiederholung des Immergleichen zufrieden geben. Ihre bevorzugte Darreichungsform ist die Litanei: Wo sie recht hat, hat sie eben recht.
Die kulturkritischen Streifzüge des peruanischen Schriftstellers Mario Vargas Llosa, dessen große Vertrautheit mit europäischem Leben und europäischer Literatur auch in diesem Spätwerk über die Boulevard-Kultur unverkennbar ist, bestätigen die genretypische Neigung zur Überraschungslosigkeit. Das Internet, die Medien, der Mainstream, die Säkularisierung, die Postmoderne – diese Essays, von denen einige zuvor in der spanischen Tageszeitung El País erschienen sind, bieten den erwarteten Aufmarsch der üblichen Verdächtigen. Gedanken würden durch Bilder ersetzt, heißt es, die Intellektuellen verschwänden, die Kritik sei am Ende, die bildende Kunst ein Tummelplatz der Scharlatane, kurz: Wo einmal Kultur war, da herrschten nun Flitterkram, Klamauk und Geprotze.
Die Anhaltspunkte für derlei Befunde sind offensichtlich – aber ist es auch klug, sie deshalb alle naselang zu zitieren? Die Gebetsmühlenartigkeit des Vortrags erweckt den Eindruck, es gehe dabei weniger um die Sache als ums Lamentieren. Offenbar in der Absicht, diesen Verdacht zu zerstreuen, stellt Vargas Llosa seinen Beobachtungen eine Handvoll theoretischer Miniaturen zur Seite, die um den Kulturbegriff kreisen. Allerdings wird die Sache dadurch nicht besser.
Leidenschaftlich plädiert Vargas Llosa für jenen engen Kulturbegriff, der letztlich nichts anderes meint als die Gegenstände des klassischen Feuilletons. Das ist aus zwei Gründen unbefriedigend – zunächst, weil der Vorwurf, Anthropologen und ähnliche Leute hätten den einst so schönen und klaren Kulturbegriff im Nachhinein vernebelt, schlicht und einfach falsch ist. Begriffsgeschichtlich gesehen, kam die von Vargas Llosa proklamierte Gleichsetzung von Kultur und Hochkultur überhaupt erst im 19. Jahrhundert auf, und sie ist es gewesen, die den zuvor philosophisch und wissenschaftlich prägnanten Begriff der Kultur verwässert hat.
Tatsächlich ist das enge Begriffsverständnis, mögen auch Kulturmanager, Kulturpolitiker und eben auch manche Kritiker daran festhalten wollen, einigermaßen verwirrend. Man merkt es, wenn man der Praxis dieses Sprachgebrauchs nähertritt. Töpfern gilt als Kultur, Grillen aber nicht; ein Schiff zu malen ist Kultur, ein Schiff zu bauen hingegen nicht; Sakralbauten sind Kultur, Taufe und Kommunion sind es nicht. Die Willkürlichkeit solcher Grenzziehungen ist nicht zu übersehen. Dieses gängige, aber kaum jemals reflektierte Kulturverständnis ist überhaupt kein „Begriff“, sondern ein Gemenge aus Steuerungsphantasien und abgesunkenen Sentiments.
Vargas Llosas Zivilisationsschelte ist von gestern, und nicht selten trägt sie ihre Gestrigkeit auch trotzig und halsstarrig vor sich her. Hier und da aber blitzt eine Ahnung davon auf, wie eine Kulturkritik aussehen könnte, der es gelingt, sich die von ihrem eigenen Habitus gefährdete Frische zu bewahren. Bei Vargas Llosa sind dies die Momente, wo er ins freie Erzählen kommt, wo er Lesefrüchte ausbreitet und sich weniger vom Ärger als von der Begeisterung tragen lässt. In diesen Augenblicken gewinnt mit der Darstellung auch die Kritik an Treffsicherheit. Aus dieser Beobachtung ließe sich fast eine Faustregel machen: Sachbezug und Genauigkeit sind die Loyalitätsbeweise des Kulturkritikers.
RALF KONERSMANN
Mario Vargas Llosa: Alles Boulevard. Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst. Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 227 Seiten, 22,95 Euro.
Die Gleichsetzung von Kultur
und Hochkultur kam
erst im 19. Jahrhundert auf
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