Découvrez La Cousine Bette, le chef-d¿¿uvre de Balzac publié pour la première fois en 1846, dans notre collection « Les grands classiques de la littérature française ». Vous en avez assez de lire les classiques en édition poche et de vous abîmer les yeux ? Grâce à notre travail éditorial, vous découvrirez ce roman dans une édition grand format, vous permettant ainsi de profiter d¿une expérience de lecture unique, bien différente de la lecture en édition poche à laquelle vous êtes habituée pour la lecture des classiques.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2022Wie kommt die Bosheit in die Gesellschaft?
Auch Machiavellismus ist bloß Kunstwollen auf Pump: "Cousine Bette", Balzacs Studie über das Ressentiment, von Nicola Denis neu übersetzt.
Von Patrick Bahners
Noch ist Polen nicht verloren. In die Schilderung einer Abendgesellschaft im Salon von Madame Marneffe, die arrangiert worden ist, um der Gastgeberin ihren ehemaligen Nachbarn Graf Wenceslas Steinbock zuzuführen, einen aufstrebenden Bildhauer, jungen Ehemann und Emigranten aus Polen, flicht Balzac in seinem Roman "Cousine Bette" eine ausführliche Betrachtung über den polnischen Nationalcharakter ein. "Wenn diese ausschließlich aus hitzigen Gemütern zusammengesetzte Nation eines Tages den gesunden Menschenverstand aufbringen wird, um in ihrer Mitte einen Ludwig XI. zu suchen und seine Herrschaft und Dynastie zu tolerieren, ist sie gerettet." Der Exkurs ist kein Fremdkörper, weil die kleine völkerpsychologische Abhandlung das Salongespräch zwanglos fortsetzt. Man könnte glauben, einer der Gäste, Claude Vignon, ein ehemaliger Kritiker, der in die Politik gewechselt ist, aber mit der Rolle nicht die Gewohnheit aufgegeben hat, alles Geschehen beziehungsreich zu kommentieren, hätte dem Autor für ein paar Seiten die Feder aus der Hand genommen.
Ein geborener Kritiker weiß auch, wie die bei der Herstellung der Autonomie gescheiterten Polen es besser hätten anstellen können. "Ein wenig Machiavellismus hätte Polen daran gehindert, das für seine Teilung verantwortliche Österreich zu retten, bei Preußen, seinem zerstörerischen Wucherer, Anleihen zu machen und sich zum Zeitpunkt der ersten Teilung selbst zu entzweien." Die wichtigste Qualität der Neuübersetzung von Nicola Denis ist ihr Duktus der Geläufigkeit. "La Cousine Bette" (früher als "Tante Lisbeth" übersetzt), 1846 zuerst in Fortsetzungen erschienen, ist einer der längsten Romane von Balzac. Alles kommt auf den Fluss der Ereignisse an. Den schlimmen wie den törichten Absichten der Figuren setzen die Verhältnisse fast keinen Widerstand entgegen.
Damit der nach Kritikerart immer wieder etwas zu gewaltige Wortfluss ungestört strömen kann wie ein von Grundeigentum gedeckter Kredit, erlaubt sich Denis Freiheiten mit der Syntax, ersetzt etwa im zuletzt zitierten Satz einen Relativsatz durch ein Adjektiv. Ihr besonderer Ehrgeiz war es, den leichten Ton der fortlaufenden Erzählerkommentare auch dort zu erhalten, wo ihre Vorgänger Arthur Schurig und Paul Zech manches stillschweigend strichen, weil ihnen Anspielungen zu kryptisch vorkamen. Den tragikomischen Widersinn des Unabhängigkeitskampfes der Polen, die am eigenen kollektiven Leib die Teilung vollziehen, zu der sich ihre Nachbarn verschworen haben, arbeitet Denis so genau heraus, dass der paradoxe Witz fast noch deutlicher hervortritt als im Original: Die Polen haben bei ihren Gläubigern in Berlin Anleihen nicht bloß aufgenommen, sondern auch gemacht, haben also die Methoden der Preußen nachgeahmt, auch deren Maximen geborgt - das ist der übertragene Sinn des Verbs "emprunter".
Damit wird allerdings zweifelhaft, ob sie sich mit ein wenig Machiavellismus wirklich aus der diplomatischen Schlinge hätten befreien können - denn wer den Staat Friedrichs des Großen studiert, geht in die Schule Machiavellis. Ein wenig machiavellistisch: Diese Qualität ist bei realistischer Betrachtung ein Unding, nach dem Muster von ein wenig schwanger oder ein wenig lasterhaft. Das Verhalten, das hier typologisch beschrieben wird, ist in den Begriffen der rationalen Wahl, der begründeten Verfolgung von Interessen, nicht zu erfassen. Nun ist der Pole im Personal des Romans keineswegs der Einzige, der in diesem pathologischen Aktionsmodus befangen ist. Mitnichten ist die Weltfremdheit Abdruck der Genialität des Künstlers. Ganz im Gegenteil: Mit Genie ist der Graf Steinbock gar nicht gesegnet, wenn es ein angeborenes Kapital sein soll; wegen seiner konventionellen Reflexe macht er gute Figur im Salon. Nur einzelne napoleonische Veteranen, die als greise moralische Riesen in die Gegenwart der Julimonarchie hineinragen, sind in der Welt des Romans nicht die Gefangenen beliebiger Begierden, die sie ihren Nebenleuten abschauen.
Noch bevor Balzac mit dem Willen zur Klarheit des versierten Feuilletonisten ausspricht, dass im Nationalstil der hoffnungslos romantischen Polen privates Verhalten und gemeinschaftliches Handeln zur Deckung kommen, hat er signalisiert, dass der Vortrag über die polnische Zeitgeschichte als allegorische Illustration der Romanwelt zu verstehen ist. Preußen als Wucherer: Diese Klassifikation beschwört eine der wichtigsten Sozialfiguren der "Menschlichen Komödie" herauf. Die Anzahlungen auf seine ersten Honorare gibt Steinbock sofort wieder aus; er verkennt, dass er Gönnern die Aufträge verdankt, die Anzahlungen also im emphatischen Sinne Vorschusscharakter haben. Sein Schwiegervater, der Baron Hulot, Amtschef im Kriegsministerium und Bruder eines der heroisch gebliebenen Veteranen, macht aus der Gewohnheit, über seine Verhältnisse zu leben, eine Art von Kunstform.
Das politische Kalkül aus dem italienischen Lehrbuch, eine Sparsamkeit wenigstens der Mittel, wenn schon nicht der Zwecke, ist die Domäne der Kurtisanen, der "Unterrock-Machiavellis". Crevel, der schwerreiche ehemalige Parfümhändler und Bezirksbürgermeister, der Madame Marneffe die geheime Wohnung eingerichtet hat, in der sie nicht nur ihn empfängt, wird von ihr als "dicker Möchtegern-Machiavelli" verspottet. Intriganten bleiben sich nichts schuldig. Wo verhinderte Künstler und Möchtegern-Diktatoren unter sich sind, geht es kindisch, beinahe harmlos zu.
Wie kommt dann die Bosheit in die Gesellschaft? Einer ausdrücklichen allegorischen Vignette im Polen-Exkurs zufolge durch ein Nichts, eine Art Zufall, ein Versäumnis aus Unachtsamkeit: Bei "der Taufe Polens muss eine böse Fee von den guten Geistern, die dieser verführerischen Nation die glänzendsten Vorzüge in die Wiege gelegt hatten, übergangen worden sein" und ihr geweissagt haben, sie werde nie wissen, was sie wolle. Im Original trägt die Fee den Namen Carabosse, nach einem Märchen der Baronin d'Aulnoy. Mit dieser Chiffre aus der Kinderliteratur charakterisiert Balzac die Titelheldin des Romans, die arme Verwandte im Hause Hulot, die sich an ihren Wohltätern rächt, indem sie den Grafen Steinbock, den Ehemann ihrer Nichte, dessen Talent sich allein unter ihren Händen eine kurze Zeit lang entwickelt hatte, der Erzmachiavellistin Marneffe ausliefert. Als hässliches Tier mit krummen Beinen, großem Kopf und kohlschwarzer Haut wird die Fee Carabosse im Märchen beschrieben. Dem "Mädchen mit den schwarzen Augen und den geschwärzten Brauen", das die Hulots aus Lothringen zu sich nach Paris holen, geben sie den Spitznamen Ziege. Die Zoologie gebiert das Monster; aus der so bestimmten Außenseiterstellung ergibt sich die ganze Geschichte der Cousine. Das Ressentiment weiß, was es will.
Honoré de Balzac: "Cousine Bette". Die Rache einer Frau. Roman.
Aus dem Französischen von Nicola Denis. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2022. 606 S., geb., 38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auch Machiavellismus ist bloß Kunstwollen auf Pump: "Cousine Bette", Balzacs Studie über das Ressentiment, von Nicola Denis neu übersetzt.
Von Patrick Bahners
Noch ist Polen nicht verloren. In die Schilderung einer Abendgesellschaft im Salon von Madame Marneffe, die arrangiert worden ist, um der Gastgeberin ihren ehemaligen Nachbarn Graf Wenceslas Steinbock zuzuführen, einen aufstrebenden Bildhauer, jungen Ehemann und Emigranten aus Polen, flicht Balzac in seinem Roman "Cousine Bette" eine ausführliche Betrachtung über den polnischen Nationalcharakter ein. "Wenn diese ausschließlich aus hitzigen Gemütern zusammengesetzte Nation eines Tages den gesunden Menschenverstand aufbringen wird, um in ihrer Mitte einen Ludwig XI. zu suchen und seine Herrschaft und Dynastie zu tolerieren, ist sie gerettet." Der Exkurs ist kein Fremdkörper, weil die kleine völkerpsychologische Abhandlung das Salongespräch zwanglos fortsetzt. Man könnte glauben, einer der Gäste, Claude Vignon, ein ehemaliger Kritiker, der in die Politik gewechselt ist, aber mit der Rolle nicht die Gewohnheit aufgegeben hat, alles Geschehen beziehungsreich zu kommentieren, hätte dem Autor für ein paar Seiten die Feder aus der Hand genommen.
Ein geborener Kritiker weiß auch, wie die bei der Herstellung der Autonomie gescheiterten Polen es besser hätten anstellen können. "Ein wenig Machiavellismus hätte Polen daran gehindert, das für seine Teilung verantwortliche Österreich zu retten, bei Preußen, seinem zerstörerischen Wucherer, Anleihen zu machen und sich zum Zeitpunkt der ersten Teilung selbst zu entzweien." Die wichtigste Qualität der Neuübersetzung von Nicola Denis ist ihr Duktus der Geläufigkeit. "La Cousine Bette" (früher als "Tante Lisbeth" übersetzt), 1846 zuerst in Fortsetzungen erschienen, ist einer der längsten Romane von Balzac. Alles kommt auf den Fluss der Ereignisse an. Den schlimmen wie den törichten Absichten der Figuren setzen die Verhältnisse fast keinen Widerstand entgegen.
Damit der nach Kritikerart immer wieder etwas zu gewaltige Wortfluss ungestört strömen kann wie ein von Grundeigentum gedeckter Kredit, erlaubt sich Denis Freiheiten mit der Syntax, ersetzt etwa im zuletzt zitierten Satz einen Relativsatz durch ein Adjektiv. Ihr besonderer Ehrgeiz war es, den leichten Ton der fortlaufenden Erzählerkommentare auch dort zu erhalten, wo ihre Vorgänger Arthur Schurig und Paul Zech manches stillschweigend strichen, weil ihnen Anspielungen zu kryptisch vorkamen. Den tragikomischen Widersinn des Unabhängigkeitskampfes der Polen, die am eigenen kollektiven Leib die Teilung vollziehen, zu der sich ihre Nachbarn verschworen haben, arbeitet Denis so genau heraus, dass der paradoxe Witz fast noch deutlicher hervortritt als im Original: Die Polen haben bei ihren Gläubigern in Berlin Anleihen nicht bloß aufgenommen, sondern auch gemacht, haben also die Methoden der Preußen nachgeahmt, auch deren Maximen geborgt - das ist der übertragene Sinn des Verbs "emprunter".
Damit wird allerdings zweifelhaft, ob sie sich mit ein wenig Machiavellismus wirklich aus der diplomatischen Schlinge hätten befreien können - denn wer den Staat Friedrichs des Großen studiert, geht in die Schule Machiavellis. Ein wenig machiavellistisch: Diese Qualität ist bei realistischer Betrachtung ein Unding, nach dem Muster von ein wenig schwanger oder ein wenig lasterhaft. Das Verhalten, das hier typologisch beschrieben wird, ist in den Begriffen der rationalen Wahl, der begründeten Verfolgung von Interessen, nicht zu erfassen. Nun ist der Pole im Personal des Romans keineswegs der Einzige, der in diesem pathologischen Aktionsmodus befangen ist. Mitnichten ist die Weltfremdheit Abdruck der Genialität des Künstlers. Ganz im Gegenteil: Mit Genie ist der Graf Steinbock gar nicht gesegnet, wenn es ein angeborenes Kapital sein soll; wegen seiner konventionellen Reflexe macht er gute Figur im Salon. Nur einzelne napoleonische Veteranen, die als greise moralische Riesen in die Gegenwart der Julimonarchie hineinragen, sind in der Welt des Romans nicht die Gefangenen beliebiger Begierden, die sie ihren Nebenleuten abschauen.
Noch bevor Balzac mit dem Willen zur Klarheit des versierten Feuilletonisten ausspricht, dass im Nationalstil der hoffnungslos romantischen Polen privates Verhalten und gemeinschaftliches Handeln zur Deckung kommen, hat er signalisiert, dass der Vortrag über die polnische Zeitgeschichte als allegorische Illustration der Romanwelt zu verstehen ist. Preußen als Wucherer: Diese Klassifikation beschwört eine der wichtigsten Sozialfiguren der "Menschlichen Komödie" herauf. Die Anzahlungen auf seine ersten Honorare gibt Steinbock sofort wieder aus; er verkennt, dass er Gönnern die Aufträge verdankt, die Anzahlungen also im emphatischen Sinne Vorschusscharakter haben. Sein Schwiegervater, der Baron Hulot, Amtschef im Kriegsministerium und Bruder eines der heroisch gebliebenen Veteranen, macht aus der Gewohnheit, über seine Verhältnisse zu leben, eine Art von Kunstform.
Das politische Kalkül aus dem italienischen Lehrbuch, eine Sparsamkeit wenigstens der Mittel, wenn schon nicht der Zwecke, ist die Domäne der Kurtisanen, der "Unterrock-Machiavellis". Crevel, der schwerreiche ehemalige Parfümhändler und Bezirksbürgermeister, der Madame Marneffe die geheime Wohnung eingerichtet hat, in der sie nicht nur ihn empfängt, wird von ihr als "dicker Möchtegern-Machiavelli" verspottet. Intriganten bleiben sich nichts schuldig. Wo verhinderte Künstler und Möchtegern-Diktatoren unter sich sind, geht es kindisch, beinahe harmlos zu.
Wie kommt dann die Bosheit in die Gesellschaft? Einer ausdrücklichen allegorischen Vignette im Polen-Exkurs zufolge durch ein Nichts, eine Art Zufall, ein Versäumnis aus Unachtsamkeit: Bei "der Taufe Polens muss eine böse Fee von den guten Geistern, die dieser verführerischen Nation die glänzendsten Vorzüge in die Wiege gelegt hatten, übergangen worden sein" und ihr geweissagt haben, sie werde nie wissen, was sie wolle. Im Original trägt die Fee den Namen Carabosse, nach einem Märchen der Baronin d'Aulnoy. Mit dieser Chiffre aus der Kinderliteratur charakterisiert Balzac die Titelheldin des Romans, die arme Verwandte im Hause Hulot, die sich an ihren Wohltätern rächt, indem sie den Grafen Steinbock, den Ehemann ihrer Nichte, dessen Talent sich allein unter ihren Händen eine kurze Zeit lang entwickelt hatte, der Erzmachiavellistin Marneffe ausliefert. Als hässliches Tier mit krummen Beinen, großem Kopf und kohlschwarzer Haut wird die Fee Carabosse im Märchen beschrieben. Dem "Mädchen mit den schwarzen Augen und den geschwärzten Brauen", das die Hulots aus Lothringen zu sich nach Paris holen, geben sie den Spitznamen Ziege. Die Zoologie gebiert das Monster; aus der so bestimmten Außenseiterstellung ergibt sich die ganze Geschichte der Cousine. Das Ressentiment weiß, was es will.
Honoré de Balzac: "Cousine Bette". Die Rache einer Frau. Roman.
Aus dem Französischen von Nicola Denis. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2022. 606 S., geb., 38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main