Voll Erzählfreude, selbstkritisch und mit schlagfertigem Humor erinnert sie sich an die Höhepunkte ihres ereignisreichen Lebens: Galavorstellungen, die Bühnen der Welt, Kollegen, Dirigenten, Kritiker, Fans- und Intrigen. Eindrucksvoll sind vor allem ihre Erinnerungen an die Zeit in Bayreuth, die Zusammenarbeit mit Wieland und Wolfgang Wagner und die vielen unvergeßlichen Inszenierungen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.1998Goldkehle und Silberzunge
Memoiren einer Primadonna vom Lande: Die schwedische Opernsängerin Birgit Nilsson erzählt ihr Leben · Von Jordan Mejias
Das hohe C, als akustisches Phänomen nicht inhärent musikalisch, ist gleichwohl ein vielseitiger und nützlicher Laut. Mit einer Fermate bedacht, kann er ein anfälliges Publikum in Raserei versetzen, Dirigenten um den Verstand bringen und Gagen merklich in die Höhe treiben. Birgit Nilsson, während eines Vierteljahrhunderts unerreicht als Wagnerheroine ohne Höhenangst und auch seit ihrem Rücktritt nicht abgeneigt, Meisterklassen und Galaabende dreigestrichen live zu garnieren, entlockt der kantablen Alpinistik nun eine ganz neue Praktikabilität. Naht auf ihrem Bauernhof die Fütterungszeit, zitiert sie mit unerreicht strahlkräftigem, stahlblitzendem C die Katzen herbei.
Eine feine Anekdote, und es soll nicht die einzige bleiben, die sie in ihre Autobiographie flicht. Ein aufmerksamer Lektor hätte die Künstlerin gar davon überzeugen wollen, den Reigen nicht immer taufrischer und bisweilen nicht einmal eigener Sagen, Fabeln und Humoresken ein wenig straffer zu choreographieren. Aber wer bringt es schon übers Herz, einem Star in die Parade zu fahren, noch dazu einer Primadonna, wie es sie im dramatischen Fach und in dieser Stimmqualität heute nicht mehr gibt. Also unterdrückt auch der Leser ein Gähnen und meint beim Blättern durch endlose Besetzungslisten das Echo unverwechselbarer Isolden und Brünnhilden, Salomes, Elektras und Färberinnen zu vernehmen. Zwischendurch gibt es immerhin einiges zu schmunzeln, etwa wenn die Diva Namen verschweigt, welche die Diskographie, aparterweise und vielleicht deshalb englisch abgefaßt, prompt ausplaudert.
Nun genießt die Sängerin von jeher den Ruf, Goldkehle und Silberzunge geschickt zu koordinieren. Mit Witz und verschlagenem Spaß geht sie hier indes sparsam um. Der telefonierend dirigierende Karajan bekommt sein Fett ab, und dem Greenhorn Boulez, ein Glück, bringt sie den "Tristan" bei. Allzuoft aber sind ihre Kollegen einfach "groß", "berühmt" und "wunderbar". Nachdem sich La Nilsson, so ihr Buch- und Ehrentitel, eine Lucia namens La Callas angehört hat, begnügt sie sich mit dem gemäßigt aufschlußreichen Kommentar: "Ihre große Arie war wirklich phänomenal." Hojotoho, anders gesagt.
Mehr wird nicht verraten, viel mehr wird auch nicht über Stimmtechnik, Rollengestaltung und die Feinheiten der Zusammenarbeit mit einem Regisseur wie Wieland Wagner und einem Dirigenten wie Karl Böhm preisgegeben. Der Wandel der Vokalkunst? Gewiß ein ergiebiges Thema für eine Tosca, der noch Beniamino Giglis Cavaradossi in den Ohren klingt. Doch die Hof- und Kammersängerin, die sich ihren Karrierestart weder von einer Tuberkulose noch von ausnahmslos katastrophalen Gesangslehrern verpatzen ließ, hüllt sich weithin in womöglich höfliches Schweigen. Sie erwähnt dafür den "legendären" Fischer-Dieskau und sein "vielbeachtetes Buch" über Wagner und Nietzsche. Niemand hätte dem "Naturwunder aus Skane" (Peter Lehmann, Regisseur) eine solche Anstrengung abverlangt. Mancher aber mag verwundert beim Lesen stocken, wenn die Heldin sich mit Soubrettentönen zufriedengibt und die grandiose Sängerdarstellerin die Oper als "Gesang mit Orchesterbegleitung" abtut.
Erst nach ausführlichem Erbsenzählen ringt sie sich zu persönlicheren Beobachtungen durch. Sie enträtselt ihren Verzicht auf einen offiziellen Abschiedsabend, und was sie von den Nachstellungen einer fanatischen Verehrerin berichtet, übersteigt die Farce und nähert sich dem Horrorstück. Auch da aber taucht im Gegenlicht einer glanzvollen Karriere immer wieder das Bild von der bodenständigen, robusten Bauerntochter auf, die vom Kuhstall zur Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule geeilt ist und sich ein Primadonnenleben lang Solidität und Geradlinigkeit bewahrt hat. Das allerdings wäre noch kein Grund, neben Nachlässigkeiten en gros auch wohlfeilste Klischees, vom "geölten Blitz" bis "gespannt wie Flitzebogen", im Memoirenwerk zu verewigen. Der Sängerin stand einst beharrlich ein Dirigent zur Seite. Warum nahm sich der Autorin kein Lektor an? Oder hat die fürchterliche deutsche Übersetzung ein hinreißendes schwedisches Original auf dem Gewissen?
Franco Corelli, der Tenor, soll versucht haben, im voraus die Untat von Mike Tyson, dem Boxer, zu begehen. Dies, stellt die Nilsson jetzt richtig, ist nicht wahr. Corelli hatte ihr im dritten Akt der "Turandot" nicht wegen eines im zweiten Akt zu lange gehaltenen hohen C ins Ohr gebissen. Eine gute Nachricht, auch wenn sie tenoralen Machismo zu erschüttern droht. Anders verhält es sich mit der Frau, die Corelli in Schach hielt, zudem Blech, Böhm, Karajan, Solti, Bernstein Paroli bot und Rudolf Bing, den Machthaber der Met, in die Knie zwang. Kein Mensch hätte ihr dreihundertfünfzig Seiten Geplauder mit ein bißchen mehr Biß übelgenommen. Der Defekt ist freilich reparabel. Im Notfall kann der Lektüre ein Plattenkonzert folgen. Und alles ist vergeben.
Birgit Nilsson: "La Nilsson. Mein Leben für die Oper". Mit einem Vorwort von Sir Georg Solti. Aus dem Schwedischen übersetzt von Susanne Dahmann. Krüger Verlag, Frankfurt am Main 1997. 410 S., geb., 58,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Memoiren einer Primadonna vom Lande: Die schwedische Opernsängerin Birgit Nilsson erzählt ihr Leben · Von Jordan Mejias
Das hohe C, als akustisches Phänomen nicht inhärent musikalisch, ist gleichwohl ein vielseitiger und nützlicher Laut. Mit einer Fermate bedacht, kann er ein anfälliges Publikum in Raserei versetzen, Dirigenten um den Verstand bringen und Gagen merklich in die Höhe treiben. Birgit Nilsson, während eines Vierteljahrhunderts unerreicht als Wagnerheroine ohne Höhenangst und auch seit ihrem Rücktritt nicht abgeneigt, Meisterklassen und Galaabende dreigestrichen live zu garnieren, entlockt der kantablen Alpinistik nun eine ganz neue Praktikabilität. Naht auf ihrem Bauernhof die Fütterungszeit, zitiert sie mit unerreicht strahlkräftigem, stahlblitzendem C die Katzen herbei.
Eine feine Anekdote, und es soll nicht die einzige bleiben, die sie in ihre Autobiographie flicht. Ein aufmerksamer Lektor hätte die Künstlerin gar davon überzeugen wollen, den Reigen nicht immer taufrischer und bisweilen nicht einmal eigener Sagen, Fabeln und Humoresken ein wenig straffer zu choreographieren. Aber wer bringt es schon übers Herz, einem Star in die Parade zu fahren, noch dazu einer Primadonna, wie es sie im dramatischen Fach und in dieser Stimmqualität heute nicht mehr gibt. Also unterdrückt auch der Leser ein Gähnen und meint beim Blättern durch endlose Besetzungslisten das Echo unverwechselbarer Isolden und Brünnhilden, Salomes, Elektras und Färberinnen zu vernehmen. Zwischendurch gibt es immerhin einiges zu schmunzeln, etwa wenn die Diva Namen verschweigt, welche die Diskographie, aparterweise und vielleicht deshalb englisch abgefaßt, prompt ausplaudert.
Nun genießt die Sängerin von jeher den Ruf, Goldkehle und Silberzunge geschickt zu koordinieren. Mit Witz und verschlagenem Spaß geht sie hier indes sparsam um. Der telefonierend dirigierende Karajan bekommt sein Fett ab, und dem Greenhorn Boulez, ein Glück, bringt sie den "Tristan" bei. Allzuoft aber sind ihre Kollegen einfach "groß", "berühmt" und "wunderbar". Nachdem sich La Nilsson, so ihr Buch- und Ehrentitel, eine Lucia namens La Callas angehört hat, begnügt sie sich mit dem gemäßigt aufschlußreichen Kommentar: "Ihre große Arie war wirklich phänomenal." Hojotoho, anders gesagt.
Mehr wird nicht verraten, viel mehr wird auch nicht über Stimmtechnik, Rollengestaltung und die Feinheiten der Zusammenarbeit mit einem Regisseur wie Wieland Wagner und einem Dirigenten wie Karl Böhm preisgegeben. Der Wandel der Vokalkunst? Gewiß ein ergiebiges Thema für eine Tosca, der noch Beniamino Giglis Cavaradossi in den Ohren klingt. Doch die Hof- und Kammersängerin, die sich ihren Karrierestart weder von einer Tuberkulose noch von ausnahmslos katastrophalen Gesangslehrern verpatzen ließ, hüllt sich weithin in womöglich höfliches Schweigen. Sie erwähnt dafür den "legendären" Fischer-Dieskau und sein "vielbeachtetes Buch" über Wagner und Nietzsche. Niemand hätte dem "Naturwunder aus Skane" (Peter Lehmann, Regisseur) eine solche Anstrengung abverlangt. Mancher aber mag verwundert beim Lesen stocken, wenn die Heldin sich mit Soubrettentönen zufriedengibt und die grandiose Sängerdarstellerin die Oper als "Gesang mit Orchesterbegleitung" abtut.
Erst nach ausführlichem Erbsenzählen ringt sie sich zu persönlicheren Beobachtungen durch. Sie enträtselt ihren Verzicht auf einen offiziellen Abschiedsabend, und was sie von den Nachstellungen einer fanatischen Verehrerin berichtet, übersteigt die Farce und nähert sich dem Horrorstück. Auch da aber taucht im Gegenlicht einer glanzvollen Karriere immer wieder das Bild von der bodenständigen, robusten Bauerntochter auf, die vom Kuhstall zur Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule geeilt ist und sich ein Primadonnenleben lang Solidität und Geradlinigkeit bewahrt hat. Das allerdings wäre noch kein Grund, neben Nachlässigkeiten en gros auch wohlfeilste Klischees, vom "geölten Blitz" bis "gespannt wie Flitzebogen", im Memoirenwerk zu verewigen. Der Sängerin stand einst beharrlich ein Dirigent zur Seite. Warum nahm sich der Autorin kein Lektor an? Oder hat die fürchterliche deutsche Übersetzung ein hinreißendes schwedisches Original auf dem Gewissen?
Franco Corelli, der Tenor, soll versucht haben, im voraus die Untat von Mike Tyson, dem Boxer, zu begehen. Dies, stellt die Nilsson jetzt richtig, ist nicht wahr. Corelli hatte ihr im dritten Akt der "Turandot" nicht wegen eines im zweiten Akt zu lange gehaltenen hohen C ins Ohr gebissen. Eine gute Nachricht, auch wenn sie tenoralen Machismo zu erschüttern droht. Anders verhält es sich mit der Frau, die Corelli in Schach hielt, zudem Blech, Böhm, Karajan, Solti, Bernstein Paroli bot und Rudolf Bing, den Machthaber der Met, in die Knie zwang. Kein Mensch hätte ihr dreihundertfünfzig Seiten Geplauder mit ein bißchen mehr Biß übelgenommen. Der Defekt ist freilich reparabel. Im Notfall kann der Lektüre ein Plattenkonzert folgen. Und alles ist vergeben.
Birgit Nilsson: "La Nilsson. Mein Leben für die Oper". Mit einem Vorwort von Sir Georg Solti. Aus dem Schwedischen übersetzt von Susanne Dahmann. Krüger Verlag, Frankfurt am Main 1997. 410 S., geb., 58,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main