Produktdetails
- Collection Folio 373
- Verlag: Gallimard
- Seitenzahl: 455
- Erscheinungstermin: April 2008
- Französisch
- Abmessung: 178mm x 108mm x 20mm
- Gewicht: 232g
- ISBN-13: 9782070363735
- ISBN-10: 2070363732
- Artikelnr.: 23551014
- Herstellerkennzeichnung
- Gallimard
- 5 Rue de Sébastien Bottin
- 75007 Paris, FR
- 0033 149544200
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2008Danke und auf Wiedersehen!
Kann man mehr vom Leben erwarten, als mit Jean Seberg verheiratet zu sein? Die Autobiographie Romain Garys zeigt einen Aufsteiger, der dem Erfolg nie ganz traute.
Jahrelang kannte ihn keiner mehr: Romain Gary, Kriegsheld, Konsul, literarischer Kassenschlager und als einziger Schriftsteller gleich doppelter Goncourt-Preisträger; Ehemann von Jean Seberg, Vedette aus Godards Film "Außer Atem". Mittlerweile aber hat in Frankreich eine Gary-Renaissance eingesetzt, die in Deutschland durch den Schirmer Graf Verlag sekundiert wird. Dort ist nach dem Erzählband "Das Gewitter" nun eine zweite schwungvolle Neuübersetzung erschienen: Garys Autobiographie "Frühes Versprechen" aus dem Jahr 1960 ("La promesse de l'aube"). Der Wiederentdeckung des Vergessenen lohnt sich.
Ursprünglich war er ja fürs Vergessenwerden programmiert, dachte er: Mit dem Namen Roman Kacew, als jüdischer Bub aus bescheidensten Verhältnissen, kann man keinen Blumentopf gewinnen. Davon war der kleine Roman überzeugt - der 1914 geborene Sohn einer gescheiterten Schauspielerin aus Russland, die sich im ostpolnischen Wilna als Schneiderin durchschlug. Der Vater war irgendwann verschwunden, hilfreiche Verwandte gab es nicht, dafür aber eine Mutter voller ehrgeiziger Träume - ein frühes Versprechen. Roman träumte mit ihr, nannte sich bald Armand de la Torre, bald Romain de Roncevaux. Ein klangvoller Name musste her, egal, auf welchem Gebiet er dereinst seine Heldentaten vollbringen würde. Fest stand für die beiden aber schon mal der Ort seines Triumphs: Frankreich, die Heimat der Zivilisation.
Die Mutter feierte Roman wahlweise als kommenden Geigenvirtuosen à la Heifetz oder als Startänzer à la Nijinsky, als einen Gabriele D'Annunzio, einen französischen Botschafter oder einen Ritter der Ehrenlegion. Der Höhepunkt ihrer Elogen, die sie vor dem ungläubigen und spöttischen Publikum im düsteren Mietshaus in Wilna hielt, lautete jeweils: "Er wird sich in London kleiden!"
Vierzig Jahre später, um 1960, ist klar: Roman Kacews Mutter hat recht gehabt. Wider alle Wahrscheinlichkeit. Aus dem ostpolnischen Bengel mit dem Versagernamen ist ein französischer Generalkonsul geworden, ein Offizier der Ehrenlegion, ein Literaturpreisträger, ein Bestsellerautor. Und schöne Frauen bezirzt er auch - ganz, wie sie es vorausgesagt hat; 1962 heiratet er in zweiter Ehe die amerikanische Schauspielerin Jean Seberg. Vor allem aber heißt er nun Romain Gary - und kleidet sich in London. Den wohlbestallten, prominent verfilmten Bestsellerautor hat der Literaturbetrieb nie interessiert. Es kümmerte ihn wenig, dass die Avantgarde in den Fünfzigern gerade alle Biographismen, Psychologismen und plottrunkenen Geschichten auf dem Müllberg der Literaturhistorie entsorgt hatte. Sollte der Nouveau Roman mit dem alten Erzählen und dem alten Engagement doch aufräumen, Gary jedenfalls bekannte sich literarisch stets zum 19. Jahrhundert. "Ich werde ,Les misérables', schreiben, weil es das ist, was man immer schreibt, wenn man etwas zu sagen hat." Ein Schriftsteller müsse ein Rivale des Lebens sein, sagt er an anderer Stelle. Und mit "Frühes Versprechen" wurde er zum Rivalen seines eigenen Lebens. So deutet Gary eine heldenhafte Vaterfigur an, einen heimlichen Liebhaber der Mutter - den bekannten russischen Schauspieler Ivan Mosjoukine. "Cherchez la femme" - doch hier ist eine Suche überflüssig, die Mutter ist omnipräsent, sogar nach ihrem Tod. Der Schriftsteller schildert sich als jungen Soldaten, der, getragen von den regelmäßigen Briefen seiner Mutter, die Luftkämpfe übersteht, die er im Zweiten Weltkrieg für die Streitkräfte des "Freien Frankreichs" in Afrika fliegt. Ob Flammenhölle oder Fieberhölle: Die ermutigenden Worte aus Frankreich lassen ihn überleben, während die Kameraden links und rechts von ihm fallen. Als Gary hochdekoriert heimkommt, muss er erfahren, dass seine Mutter schon 1941 starb. Aber sie hat vorgesorgt, Briefe bei einer Freundin deponiert mit der Anweisung, sie ihrem Sohn nach und nach zu schicken. Eine wunderbare und wunderbar passende Geschichte! Bloß: Sie stimmt nicht. Im Gegenteil, so haben Recherchen gezeigt: Es war der liebende Sohn, Roman Kacew, der zahllose undatierte Briefe an seine sterbenskranke Mutter schrieb - so dass sie, im Falle seines Todes, nie davon erfahren würde.
Mit der Rückkehr nach Frankreich endet die Retrospektive; Honorarkonsul Gary steht an den Klippen von Big Sur und schaut aufs Meer. "Mein Haar ist leicht ergraut, doch es verbirgt mich schlecht, und ich bin nicht wirklich gealtert, obwohl ich jetzt vermutlich bald acht Jahre bin." Dieser Achtjährige mit der Ironie eines Mittvierzigers bekennt sich schuldig: "Es ist zweifellos nicht erlaubt, ein einziges Wesen derart zu lieben, auch wenn es deine Mutter ist."
Kann sein. Aber darüber zu lesen ist eine Lust, die man sich nicht verkneifen sollte - solange es Gary ist, der davon schreibt und nicht etwa ein komplexgeplagter Freud-Jünger oder ein toskana-therapierter Selbsterfahrungstourist. Der französische Verlag Gallimard machte seinerzeit denn auch ein gutes Geschäft mit den knapp 100 000 verkauften Exemplaren; in 14 Sprachen wurde der Roman übersetzt, auf Zelluloid gebannt, auf Bühnen gehoben. Gary hat die Geschichte der alles gebenden, alles fordernden Mutter, die ihrem Jungen buchstäblich ihr letztes Brot aufzwang (und ihren eigenen Hunger vor ihm verheimlichte), veredelt - mit seiner Leichtigkeit, seiner Selbstironie, seinem Talent für Anekdoten. "Frühes Versprechen" streichelt unseren Sinn fürs Sentiment genug, um als Muttertagsgeschenk durchzugehen, und ist trotzdem nicht sentimental. Es ist kein hochkomplexer literarischer Rückblick, aber ein gekonntes Stück Genreliteratur. Und Gary erzählt von Holocaust und Krieg, wie es nur einer darf, der dabei war: nah dran, aber nicht so nah, dass nachgeborene Leser außen vor bleiben. Vielleicht war Roman Kacew die Verwandlung zum erfolgsverwöhnten Romain Gary selbst unheimlich. Jedenfalls verpasste er sich 1975 ein Pseudonym, Émile Ajar; und er erhielt für den Ajar-Roman "La Vie devant soi" prompt ein zweites Mal den Prix Goncourt. Erst nach seinem Suizid 1980 - ein Jahr zuvor hatte sich seine Ex-Frau Jean Seberg das Leben genommen - wurde bekannt, dass Gary das Buch verfasst hatte.
Victor Hugos "Elende" hat Romain Gary nicht neu geschrieben bei seinem Versuch, die Dramen des Lebens zu literarischen, abgründigen Amuse-Gueules zu verarbeiten. Tant mieux. Selbst seinen Selbstmord quittiert er bissig mit: "Keine Verbindung zu Jean Seberg. Liebhaber gebrochener Herzen werden höflich gebeten, sich anderswo umzuschauen ... Ich habe mich gut amüsiert. Danke und auf Wiedersehen."
ALEXANDRA KEDVES
Romain Gary: "Frühes Versprechen". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Giò Waeckerlin Induni. Mit einem Nachwort von Sven Crefeld, einer Zeittafel und einem Werkverzeichnis. Schirmer Graf Verlag, München 2008. 416 S., geb., 17,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kann man mehr vom Leben erwarten, als mit Jean Seberg verheiratet zu sein? Die Autobiographie Romain Garys zeigt einen Aufsteiger, der dem Erfolg nie ganz traute.
Jahrelang kannte ihn keiner mehr: Romain Gary, Kriegsheld, Konsul, literarischer Kassenschlager und als einziger Schriftsteller gleich doppelter Goncourt-Preisträger; Ehemann von Jean Seberg, Vedette aus Godards Film "Außer Atem". Mittlerweile aber hat in Frankreich eine Gary-Renaissance eingesetzt, die in Deutschland durch den Schirmer Graf Verlag sekundiert wird. Dort ist nach dem Erzählband "Das Gewitter" nun eine zweite schwungvolle Neuübersetzung erschienen: Garys Autobiographie "Frühes Versprechen" aus dem Jahr 1960 ("La promesse de l'aube"). Der Wiederentdeckung des Vergessenen lohnt sich.
Ursprünglich war er ja fürs Vergessenwerden programmiert, dachte er: Mit dem Namen Roman Kacew, als jüdischer Bub aus bescheidensten Verhältnissen, kann man keinen Blumentopf gewinnen. Davon war der kleine Roman überzeugt - der 1914 geborene Sohn einer gescheiterten Schauspielerin aus Russland, die sich im ostpolnischen Wilna als Schneiderin durchschlug. Der Vater war irgendwann verschwunden, hilfreiche Verwandte gab es nicht, dafür aber eine Mutter voller ehrgeiziger Träume - ein frühes Versprechen. Roman träumte mit ihr, nannte sich bald Armand de la Torre, bald Romain de Roncevaux. Ein klangvoller Name musste her, egal, auf welchem Gebiet er dereinst seine Heldentaten vollbringen würde. Fest stand für die beiden aber schon mal der Ort seines Triumphs: Frankreich, die Heimat der Zivilisation.
Die Mutter feierte Roman wahlweise als kommenden Geigenvirtuosen à la Heifetz oder als Startänzer à la Nijinsky, als einen Gabriele D'Annunzio, einen französischen Botschafter oder einen Ritter der Ehrenlegion. Der Höhepunkt ihrer Elogen, die sie vor dem ungläubigen und spöttischen Publikum im düsteren Mietshaus in Wilna hielt, lautete jeweils: "Er wird sich in London kleiden!"
Vierzig Jahre später, um 1960, ist klar: Roman Kacews Mutter hat recht gehabt. Wider alle Wahrscheinlichkeit. Aus dem ostpolnischen Bengel mit dem Versagernamen ist ein französischer Generalkonsul geworden, ein Offizier der Ehrenlegion, ein Literaturpreisträger, ein Bestsellerautor. Und schöne Frauen bezirzt er auch - ganz, wie sie es vorausgesagt hat; 1962 heiratet er in zweiter Ehe die amerikanische Schauspielerin Jean Seberg. Vor allem aber heißt er nun Romain Gary - und kleidet sich in London. Den wohlbestallten, prominent verfilmten Bestsellerautor hat der Literaturbetrieb nie interessiert. Es kümmerte ihn wenig, dass die Avantgarde in den Fünfzigern gerade alle Biographismen, Psychologismen und plottrunkenen Geschichten auf dem Müllberg der Literaturhistorie entsorgt hatte. Sollte der Nouveau Roman mit dem alten Erzählen und dem alten Engagement doch aufräumen, Gary jedenfalls bekannte sich literarisch stets zum 19. Jahrhundert. "Ich werde ,Les misérables', schreiben, weil es das ist, was man immer schreibt, wenn man etwas zu sagen hat." Ein Schriftsteller müsse ein Rivale des Lebens sein, sagt er an anderer Stelle. Und mit "Frühes Versprechen" wurde er zum Rivalen seines eigenen Lebens. So deutet Gary eine heldenhafte Vaterfigur an, einen heimlichen Liebhaber der Mutter - den bekannten russischen Schauspieler Ivan Mosjoukine. "Cherchez la femme" - doch hier ist eine Suche überflüssig, die Mutter ist omnipräsent, sogar nach ihrem Tod. Der Schriftsteller schildert sich als jungen Soldaten, der, getragen von den regelmäßigen Briefen seiner Mutter, die Luftkämpfe übersteht, die er im Zweiten Weltkrieg für die Streitkräfte des "Freien Frankreichs" in Afrika fliegt. Ob Flammenhölle oder Fieberhölle: Die ermutigenden Worte aus Frankreich lassen ihn überleben, während die Kameraden links und rechts von ihm fallen. Als Gary hochdekoriert heimkommt, muss er erfahren, dass seine Mutter schon 1941 starb. Aber sie hat vorgesorgt, Briefe bei einer Freundin deponiert mit der Anweisung, sie ihrem Sohn nach und nach zu schicken. Eine wunderbare und wunderbar passende Geschichte! Bloß: Sie stimmt nicht. Im Gegenteil, so haben Recherchen gezeigt: Es war der liebende Sohn, Roman Kacew, der zahllose undatierte Briefe an seine sterbenskranke Mutter schrieb - so dass sie, im Falle seines Todes, nie davon erfahren würde.
Mit der Rückkehr nach Frankreich endet die Retrospektive; Honorarkonsul Gary steht an den Klippen von Big Sur und schaut aufs Meer. "Mein Haar ist leicht ergraut, doch es verbirgt mich schlecht, und ich bin nicht wirklich gealtert, obwohl ich jetzt vermutlich bald acht Jahre bin." Dieser Achtjährige mit der Ironie eines Mittvierzigers bekennt sich schuldig: "Es ist zweifellos nicht erlaubt, ein einziges Wesen derart zu lieben, auch wenn es deine Mutter ist."
Kann sein. Aber darüber zu lesen ist eine Lust, die man sich nicht verkneifen sollte - solange es Gary ist, der davon schreibt und nicht etwa ein komplexgeplagter Freud-Jünger oder ein toskana-therapierter Selbsterfahrungstourist. Der französische Verlag Gallimard machte seinerzeit denn auch ein gutes Geschäft mit den knapp 100 000 verkauften Exemplaren; in 14 Sprachen wurde der Roman übersetzt, auf Zelluloid gebannt, auf Bühnen gehoben. Gary hat die Geschichte der alles gebenden, alles fordernden Mutter, die ihrem Jungen buchstäblich ihr letztes Brot aufzwang (und ihren eigenen Hunger vor ihm verheimlichte), veredelt - mit seiner Leichtigkeit, seiner Selbstironie, seinem Talent für Anekdoten. "Frühes Versprechen" streichelt unseren Sinn fürs Sentiment genug, um als Muttertagsgeschenk durchzugehen, und ist trotzdem nicht sentimental. Es ist kein hochkomplexer literarischer Rückblick, aber ein gekonntes Stück Genreliteratur. Und Gary erzählt von Holocaust und Krieg, wie es nur einer darf, der dabei war: nah dran, aber nicht so nah, dass nachgeborene Leser außen vor bleiben. Vielleicht war Roman Kacew die Verwandlung zum erfolgsverwöhnten Romain Gary selbst unheimlich. Jedenfalls verpasste er sich 1975 ein Pseudonym, Émile Ajar; und er erhielt für den Ajar-Roman "La Vie devant soi" prompt ein zweites Mal den Prix Goncourt. Erst nach seinem Suizid 1980 - ein Jahr zuvor hatte sich seine Ex-Frau Jean Seberg das Leben genommen - wurde bekannt, dass Gary das Buch verfasst hatte.
Victor Hugos "Elende" hat Romain Gary nicht neu geschrieben bei seinem Versuch, die Dramen des Lebens zu literarischen, abgründigen Amuse-Gueules zu verarbeiten. Tant mieux. Selbst seinen Selbstmord quittiert er bissig mit: "Keine Verbindung zu Jean Seberg. Liebhaber gebrochener Herzen werden höflich gebeten, sich anderswo umzuschauen ... Ich habe mich gut amüsiert. Danke und auf Wiedersehen."
ALEXANDRA KEDVES
Romain Gary: "Frühes Versprechen". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Giò Waeckerlin Induni. Mit einem Nachwort von Sven Crefeld, einer Zeittafel und einem Werkverzeichnis. Schirmer Graf Verlag, München 2008. 416 S., geb., 17,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main