Produktdetails
  • Verlag: Editions de Minuit
  • Seitenzahl: 252
  • Französisch
  • Abmessung: 186mm x 137mm x 20mm
  • Gewicht: 282g
  • ISBN-13: 9782707317568
  • ISBN-10: 270731756X
  • Artikelnr.: 10199345
Autorenporträt
Alain Robbe-Grillet wurde am 18. August 1922 in Brest geboren. Er hat Landwirtschaft studiert und später am Institut National des Statistiques gearbeitet. 1953 publizierte er seinen ersten Roman. Am 18. Feburar 2008 ist Alain Robbe-Grillet 85jährig in Caen gestorben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2001

Wieder da
Überraschung: Ein neuer Roman von Robbe-Grillet

PARIS, 9. Oktober

Man hielt diesen Autor für erledigt, seine Zukunft schien im bröseligen Erzählboden des Nouveau Roman versickert. Die autobiographische Trilogie "Romanesques", deren letzter Teil "Les derniers jours de Corinthe" 1994 herauskam, bestätigte noch den Eindruck, die Möglichkeiten des Nouveau Roman hätten nicht einmal für ein Autorenleben gereicht.

Nathalie Sarraute hatte mit dem Roman "Kindheit" (1983) sich ja ebenfalls ans Erinnerungsschreiben gemacht und dann im übrigen vor allem das Theater bedient. Claude Simon hatte seinen eigenen Romanstil gefunden, Marguerite Duras mit dem bündig erzählten Roman "Der Liebhaber" 1984 den Publikumserfolg kennengelernt. Robert Pinget schrieb für seine Stammleser bis zu seinem Tod 1997 weiter, ging mit seinen Stücken aber ins Repertoire der Comédie Française ein. Michel Butor wechselte zur Literaturtheorie, Alain Robbe-Grillet als Schloßherr in der Normandie offenbar zur Kakteenaufzucht. Nun hat der bald Achtzigjährige aber bei Minuit seinen neuen Roman "La Reprise" (Die Wiederaufnahme) vorgelegt, der wie ein Feuerwerk noch einmal alle Stilmittel des Nouveau Roman versprüht. Es sei das erfrischendste, heiterste und lustigste Buch der Saison, jubelten manche Kritiker.

Tatsächlich muß, wer im kurzen Anlesen nur die Bestätigung dafür suchte, die Mittel der narrativen Selbstbezüglichkeit, der formalistischen Feinmaserung, verschachtelten Perspektivenstaffelung von Hauptfigur, Erzähler und Autor, der Psychologie- und Subjektlosigkeit, der ständig sich verformenden Figuren, kalauernden Eigennamen, theoriefreudigen Anspielungen und erzählerischen Wortverhärtungen seien erschöpft, bald kapitulierend einfach weiterlesen. Der im noch trümmerhaften Berlin der unmittelbaren Nachkriegszeit spielende Roman ist eine fesselnde Geschichte der permanenten Faktenauflösung nach bester Robbe-Grilletscher Manier: Nicht was war, hält die Spannung, oder was hätte sein können, sondern was immer gerade ganz anders wird. Im Film "Glissements progressifs du plaisir" hatte der Autor dieses Verfahren auch mit der Kamera angewandt.

Sicher scheint im neuen Roman zumindest die am Berliner Gendarmenmarkt, Ecke Jägerstraße, am Boden liegende Leiche zu sein. Der im Zug angereiste französische Geheimdienstagent, den wir zunächst als Henri Robin kennenlernen, hatte den Auftrag, den Mord vom Beobachtungsposten seines Fensters aus zu registrieren. Doch war der Mann wirklich tot? Durch wen getötet? Von wem erzählt? Wie hinter jeder Romanfigur bei Robbe-Grillet sogleich eine andere steht, die ihrerseits von einem Widergänger überragt wird, schaut auch dem Erzähler hier stets ein anderer über die Schulter, streut ihm korrigierende Fußnoten in den Text - und die erzählende Spur führt bis an den Schreibtisch im Schloß der Normandie, wo ein jäh auftauchendes "Ich" die Textseiten ordnet hinter verschlossenen Fensterläden, die ihm den traurigen Blick auf die bei den Dezemberstürmen 1999 verwüstete Parklandschaft draußen ersparen.

Neben der ironischen Selbstanspielung auf die Wiederaufnahme des Romanschreibens, zwanzig Jahre nach dem Buch "Djinn", ist der Titel "La Reprise" vor allem als Fährte ins Spekulationsfeld Kierkegaards über die Wiederkehr des nie ganz Selben zu verstehen. Der Philosoph, dessen wiederholter Realpräsenz am Tatort Berlin 1841 und 1843 im Roman narrativ nachgeschnuppert wird, habe in seinem Werk "Gjentagelsen" eben nicht die sterile Wiederholung, sondern Wiedergängertum, Wiederaufnahme, fast Wiedergutmachung im Sinn gehabt - so erläutert Robbe-Grillet zwischen den Romanzeilen und in bereitwillig gegebenen Begleitinterviews. Das kommt einem poetologischen Programm gleich, dessen Ausführung in diesem Roman auf verblüffende Weise geglückt ist. Motive aus den früheren Werken wirbeln brilliant umeinander und die Leseschlüssel liegen so üppig aus, daß man nur zuzugreifen braucht. Der angereiste Agent Henri Robin, der erzählend sich bald hinter anderen Namen verläuft und dessen Kürzel HR, französisch gesprochen, nur manchmal in der Gegenfigur Marco Ascher, alias Markus von Brücke - ein banaler Dupont - noch aufklingt, verliert sich auch sentimental, angeregt durch die Teenagerin Gigi, im Berlin der Vorkriegszeit, das er als Kind offenbar mit seiner Mutter besuchte. Alain Robbe-Grillet versteht es in diesem über einen Prolog, fünf Tage und einen Epilog sich entwickelnden Roman uns noch einmal in jenen Ereignistaumel der Worte zu versetzen, der vor fünfzig Jahren nicht nur die Literaturexperten Roland Barthes oder Maurice Blanchot erfaßte.

Das Ereignis wird in Frankreich gebührlich gefeiert. Im Verlag Christian Bourgois erscheint unter dem Titel "Le Voyageur" gleichzeitig eine Auswahl mit Aufsätzen und Interviews von Robbe-Grillet aus über fünfzig Jahren. Die Zeitschrift "Critique", einst kritisches Sprachrohr des Nouveau Roman, geht in einer freundschaftlich unkritischen Sondernummer auf den Autor ein. Das "Magazine littéraire" widmet ihm seine Oktober-Ausgabe. Die Freude gilt aber mehr der Wiederkehr eines verschollen geglaubten Autors als einer Rückkehr etwa des Nouveau Roman. Es ist die kurze Freude über die kunstvoll zerstückelte Romanform, die noch einmal das überstrahlt, was Alain Robbe-Grillet als die formlose "Inhaltsliteratur" der französischen Exportmoden Houellebecq und Beigbeder abtut.

JOSEPH HANIMANN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2002

Die lügende Legende
Alain Robbe-Grillet in Düsseldorf und Köln: Er kam mit seinem nouveau roman, las und siegte
Köln/Düsseldorf – Wie lebt es sich als lebende Legende, wollte der Moderator am Ende von Alain Robbe-Grillet wissen. Der Romancier, weit entfernt, die Titulierung von sich zu weisen, trieb sie launig auf die Spitze: „Seit frühester Kindheit habe ich mich als Monument gesehen!” Und da all seine Hinterlassenschaften in der Bas-Normandie schon zu Lebzeiten an den Staat übergegangen seien – nicht einmal sein Jackett gehöre noch ihm –, könne er mit Fug und Recht behaupten: „Ich bin ein Nationaldenkmal!”
Der fast 80-jährige Autor und Filmemacher, Zentralfigur des nouveau roman seit den 50er Jahren, war zu einer fulminant besuchten Lesung und Diskussion auf die lit.cologne gekommen. Und bewies vom ersten Moment an, dass er, wenn Legende, so doch eine ungemein lebendige ist. Kaum hatte der Moderator zur geflissentlichen Würdigung des Gastes angehoben und dessen programmatische „Argumente für einen neuen Roman” von 1963 ins Feld geführt, als Robbe-Grillet auch schon Widerspruch anmeldete. „Je ne crois pas à la vérité de la théorie”, erklärte er. Lieber wollte er an seinen Romanen gemessen werden, in denen er mitunter fröhlich gegen erklärte Theoreme verstoßen habe, etwa was den Gebrauch von (an sich verpönten) Metaphern betreffe. „Ich schaffe mir gern Regeln, um sie dann zu übertreten.”
Ähnlich ging der vitale Altmeister auch mit den Regeln literarischer Podiumsveranstaltungen um, neckte den Moderator mit Sticheleien, machte dem Dolmetscher lustige Komplimente oder beantwortete die Frage, warum sein neuer Roman in Berlin spiele, mit der deutschen Gegenfrage: „Warum nicht?”
„La Reprise” heißt das vor anderthalb Jahren in Frankreich erschienene, viel beachtete Buch, auf dessen deutsche Übersetzung man noch bis zum Herbst warten muss. Ob der Titel dann „Die Wiederholung” oder „Die Wiederaufnahme” lauten wird? Darüber kabbelte man sich auf dem Podium, freilich in Abwesenheit der Übersetzerin, Andrea Spingler. Robbe-Grillet las, mit sonorer Stimme, aus dem Eingangskapitel. Die Handlung spielt Ende 1949, der Protagonist Jean Robin reist in geheimnisvoller Mission (und mit falschem Schnurrbart) durch die ostdeutsche Nachkriegslandschaft, begegnet im Zug seinem Ebenbild (nur ohne Schnurrbart), wird im zertrümmerten Berlin in eine konspirative Wohnung am Gendarmenmarkt gebracht, wo sich schon bald beunruhigende Dinge ereignen.
Berliner Wahrheiten
Spätestens hier bekommt der Text seine Doppelbödigkeit: Es tauchen Fußnoten auf, worin ein unbekannter zweiter Erzähler dem ersten in die Parade fährt und allerhand „Korrekturen” vornimmt. Das Verwirrspiel nimmt seinen Lauf. Der Leser muss auf der Hut sein, en gros wie en detail. Mit diebischer Freude erzählt Robbe-Grillet, Berliner Leser hätten seine „Feldmesserstraße” für eine tatsächliche und im Krieg untergegangene Straße gehalten – dabei ist sie erfunden: eine verkappte Kafka-Hommage.
Warum Berlin? Robbe-Grillet belässt es nicht bei seinem „Warum nicht?”. Berlin, sagt er, sei eine der mythologisch aufgeladenen Städte, voller Imagination, europäische Kultur-, Geistes-, Macht- und Mordmetropole. Nach dem Krieg Tummelplatz für die Spione der Welt. Ideales Pflaster für seine literarischen Ränkespiele, bei denen es ihm keinesfalls um sogenannte historische Wahrheiten gehe: „Wozu ist man denn Schriftsteller, wenn man nicht lügen darf”, ruft er aus.
In Düsseldorf, einen Tag zuvor – was war man im Heinrich-Heine-Institut stolz, den Kölnern die „Deutschlandpremiere” von Robbe-Grillets Romanpräsentation stiebitzt zu haben! – hatte der gut gelaunte Franzose zum Besten gegeben, dass auch seine Schilderung des Berliner Gendarmenmarktes, betrachtet aus einem Fenster des Hauses Jägerstraße 57, geschwindelt sei: Mitnichten könne man von dort beide Kirchen sehen. Eben dies aber habe auch schon Kierkegaard, einst wohnhaft in jenem Hause, vorgetäuscht, woraus man einmal mehr ersehen könne, wie es mit der Lüge in der Literatur bestellt sei.
Da meldete sich ein Mitarbeiter des Heine-Instituts zu Wort und verwies darauf, dass sich der nämliche ominöse Fensterblick schon in einer Erzählung von E.T. A. Hoffmann finde. „Mais c’est formidable!”, bedankte sich Robbe-Grillet für diese Entdeckung.
Zumindest dieser Punkt ging an Düsseldorf. Ansonsten jedoch zog die Landeshauptstadt, im Konkurrenzspielen mit dem Nachbarn rheinaufwärts erfahren, klar den Kürzeren. Was hier die behaglichen Dimensionen eines Kleinkunstabends hatte, geriet dort geradezu zur Großveranstaltung. Wo in Köln ein bühnenerprobter Dolmetscher und Mit-Vorleser dem Gast zur Seite trat, fühlte sich in Düsseldorf die Übersetzerin Andrea Spingler in solcher Rolle eher unwohl. In stetigem Diminuendo kamen ihr die deutschen Romanpassagen über die Lippen, namentlich die Herrschaften in den hinteren Reihen waren nicht amüsiert.
Im Grunde aber gingen, hier wie dort, alle Punkte an den charmanten, streitbaren, klugen, humorvollen und noch immer blendend aussehenden Maître Robbe-Grillet. Das Nationaldenkmal kam, sprach und siegte.
OLAF CLESS
Pourquoi-pas? – Warum nicht Berlin? Der Erdichter von Hauptstadt-Straßen und Erfinder seiner selbst als Nationaldenkmal: Alain Robbe- Grillet mal in Düsseldorf, mal auf der lit.cologne. Foto: Sandra Stein
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