Das scheinbar hoffnungslos hermetische OEvre des Psychoanalytikers Jacques Lacan wird in dieser Studie lesbar gemacht. Der Autor zeichnet den Lacanschen Denkweg nach und berücksichtigt erstmals den übergeordneten literarischen und mythischen Hintergrund, vor dem Lacan, nicht als zeitlose Erscheinung, sondern gerade als Kind seiner Zeit, diese Philosophie der Psychoanalyse entwickelt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.1999Die Stimmen seines Herrn
Mikkel Borch-Jacobsen lauscht den Dialekten Jacques Lacans
Es war einmal. So beginnen nicht nur Märchen, die uns in eine vergangene Welt der Phantasie versetzen. Auch das Thema, die Intention und der Stil eines wissenschaftlichen Textes können diesen Effekt bewirken. Man fühlt sich in eine Zeit zurückgetragen, in der man einst gedacht hat. Jetzt aber erscheint sie wie eine fremde, andere Wirklichkeit.
Es waren einmal die siebziger Jahre, in denen die deutschen Übersetzungen der Schriften des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan erschienen. Eine Art theoretisierendes Delirium erfasste Teile der intellektuellen Öffentlichkeit. Dabei ging es weniger um die sachhaltige Erkenntnis einer bestimmten Realität. Es handelte sich vielmehr um eine neue Weise des Denkens und Sprechens, einen irritierenden Lacan-"discours", der seine Teilnehmer in ein Labyrinth von sprachlichen Anspielungen lockte, in dem man sich zu verlieren drohte. Gerade das aber machte Spaß.
Es war vor allem ein sprachliches Abenteuer, auf das man sich lustvoll einließ, gelenkt durch Lacans Hinweise: Das Unbewusste sei eine Sprache; und jede Sprache funktioniere nach den Regeln einer unbewussten Ordnung; denn sie sei kein Zeichensystem, in dem etwas Bezeichnendes (Signifikant) einem Bezeichneten (Signifikat) oder gar einer Realität entspreche, sondern eine "signifikante Kette", in der traumsprachenähnlich die Signifikanten flottieren und die Signifikate unaufhörlich unter den Signifikanten gleiten. "Lacancan", sagten die Kritiker, die diesen verbalen Taumel als Absage an jede ernsthafte Erkenntnisanstrengung diagnostizierten.
All das ist lange her. Aber es wird wieder lebendig bei der Lektüre eines Buches, das bereits 1990 unter dem Titel "Lacan. Le maître absolu" erschien und jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt. Es ist die Rede von Mikkel Borch-Jacobsens Einführung in das Denken Lacans, wobei man bereits durch den Untertitel wieder in jenen hin- und herlaufenden Diskurs verstrickt wird, in dem die Signifikanten ihren verrückten Tanz aufführen. Der Übersetzer hat es bereits nach dem ersten Wort nicht leicht gehabt und zu einem sprachlichen Doppelgänger greifen müssen: "Der absolute Herr und Meister".
Diese duplizierende Übersetzung sollte zum einen deutlich machen, dass von einem psychoanalytischen Lehrmeister und Meisterlehrer die Rede ist, der 1953 mit seiner Lehrtätigkeit begonnen hat, im Rahmen eines legendären "Seminars". Aber zugleich sollte der Zitatcharakter dieses Titels bewahrt bleiben. Denn "maître absolu" ist die französische Übersetzung jenes "absoluten Herrn", von dem in der "Phänomenologie des Geistes" die Rede war, die Lacan durch die Hegel-Vorlesungen Alexandre Kojèves in den dreißiger Jahren kennen gelernt hat. Dieser "absolute Herr" tauchte in jenem Kapitel auf, in dem es um die Dialektik zwischen Herrschaft und Knechtschaft ging und um den Kampf um Anerkennung, der zugleich ein Kampf auf Leben und Tod ist. Es ist die knechtische "Furcht des Todes, des absoluten Herrn", der das menschliche Selbstbewusstsein packt, innerlich auflöst und alles Fixe in ihm erbeben läßt. Dieser Tod spielte dabei bereits bei Hegel auf die "Furcht des Herrn" an, wie sie im Alten Testament als Anfang der Weisheit beschworen wird.
Doch damit noch lange nicht genug. Wie ein roter Faden zieht sich durch Borch-Jacobsens Textur das signifikante Motiv "le maître absolu", das zunehmend stärker wird, ohne dass man jemals sicher sein kann, ein klares und deutliches Signifikat fixieren zu können: Kojèves hegelianische Verhaftung am negierenden Zug des Handelns und des Selbstbewusstseins, die ihn, wie George Bataille, ein anderer seiner prominenten Zuhörer, feststellte, mit einem Zeichen von Endlichkeit und Tod versah; Martin Heideggers "Sein-zum-Tode" als existentialontologisches Wesensmerkmal des menschlichen Daseins: der Analytiker hinter der Maske des Meisters Tod, weil er das Bild seines Ichs von allen Formen des Begehrens entkleidet haben muss, um den Haß und die Aggressivität seines Analysanten unterlaufen zu können; die ödipale Rivalität mit dem Vater, dessen Tod vom Subjekt als ein Verschwinden des Schutzschildes erlebt wird, den der Vater gegenüber dem "absoluten Herrn, dem Tod" darstellte.
Bereits die Titulierung Lacans zeigt, wie es in Borch-Jacobsens Buch zugeht, in dem nicht nur von Lacan, sondern wie bei Lacan geredet wird. Die Sprache besteht hier nicht aus neutralen Wörtern, deren Bedeutung man kennt, oder aus Begriffen, deren Bedeutung im Rahmen einer wissenschaftlichen Theorie fixiert worden ist. Man muss Lacans Spiele mit den Signifikanten kennen, um verstehen zu können, was Lacans Schüler in "Le maître absolu" zu lesen gibt.
Auch der erste Satz dieser Einführung in das Denken Lacans ist nur unter dieser Voraussetzung lesbar: "Lacan zitierte in seinen Seminaren gern den Satz Hegels, demzufolge ein jeder ,der Sohn seiner Zeit' ist, eine Formel, die ganz offensichtlich auf ihn selber zutrifft." Denn diese Zeit ist nicht die geschichtliche Zeit, in der Lacan lebt, geboren am 13. April 1901 und gestorben am 9. September 1981. Es ist die Zeit der theoretischen Debatten und großen Theorien, in deren signifikantem Fluß Lacan mitschwamm; und wenn Lacan sich als "Sohn seiner Zeit" bezeichnete, dann nur, weil er unglaublich behende die Gedanken und Sprachspiele anderer seinem eigenen Stil anverwandelte. Borch-Jacobsen führt sie dem Leser alle vor Augen, vor allem die Philosophen Hegel und Heidegger, die Psychologen Freud und Politzer, die Soziologen Caillois und Bataille, den Anthropologen Lévi-Strauss und schließlich die strukturalistischen Linguisten Saussure, Benveniste und Jakobsen.
Wer deren Theorien und Denkweisen nicht kennt, kann mit den "Schlüsseln für dieses oder jenes Schloss" in Lacans Schriften wenig anfangen, die Borch-Jacobsen einer Lacan-Lektüre anbietet. Nur wer bereits eingeweiht ist in Lacans "wissenschaftliches Delir", in die trickreichen Zitationen, Anspielungen und "Linguisterien" des absoluten Herrn und Meisters, wird beim Lesen durch einige erhellende Hinweise belohnt. Denn vielleicht nimmt er noch eine zusätzliche Stimme im polyphonen Diskurs Lacans wahr, die er bisher überhört hat. Ein Beispiel ist das fünfte Kapitel: "How to do nothing with words". Wer weiß, auf welchen Linguisten damit angespielt worden ist, dessen sprachlich erzeugte "things" durch ein hegelianisch-heideggerianisch-lacanianisch negierendes "nothing" ersetzend? Kleiner Hinweis: Es war ein Engländer, und sein Buch erschien 1962 in Oxford.
MANFRED GEIER
Mikkel Borch-Jacobsen: "Lacan". Der absolute Herr und Meister. Aus dem Französischen von Konrad Honsel. Wilhelm Fink Verlag, München 1999. 269 S., br., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mikkel Borch-Jacobsen lauscht den Dialekten Jacques Lacans
Es war einmal. So beginnen nicht nur Märchen, die uns in eine vergangene Welt der Phantasie versetzen. Auch das Thema, die Intention und der Stil eines wissenschaftlichen Textes können diesen Effekt bewirken. Man fühlt sich in eine Zeit zurückgetragen, in der man einst gedacht hat. Jetzt aber erscheint sie wie eine fremde, andere Wirklichkeit.
Es waren einmal die siebziger Jahre, in denen die deutschen Übersetzungen der Schriften des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan erschienen. Eine Art theoretisierendes Delirium erfasste Teile der intellektuellen Öffentlichkeit. Dabei ging es weniger um die sachhaltige Erkenntnis einer bestimmten Realität. Es handelte sich vielmehr um eine neue Weise des Denkens und Sprechens, einen irritierenden Lacan-"discours", der seine Teilnehmer in ein Labyrinth von sprachlichen Anspielungen lockte, in dem man sich zu verlieren drohte. Gerade das aber machte Spaß.
Es war vor allem ein sprachliches Abenteuer, auf das man sich lustvoll einließ, gelenkt durch Lacans Hinweise: Das Unbewusste sei eine Sprache; und jede Sprache funktioniere nach den Regeln einer unbewussten Ordnung; denn sie sei kein Zeichensystem, in dem etwas Bezeichnendes (Signifikant) einem Bezeichneten (Signifikat) oder gar einer Realität entspreche, sondern eine "signifikante Kette", in der traumsprachenähnlich die Signifikanten flottieren und die Signifikate unaufhörlich unter den Signifikanten gleiten. "Lacancan", sagten die Kritiker, die diesen verbalen Taumel als Absage an jede ernsthafte Erkenntnisanstrengung diagnostizierten.
All das ist lange her. Aber es wird wieder lebendig bei der Lektüre eines Buches, das bereits 1990 unter dem Titel "Lacan. Le maître absolu" erschien und jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt. Es ist die Rede von Mikkel Borch-Jacobsens Einführung in das Denken Lacans, wobei man bereits durch den Untertitel wieder in jenen hin- und herlaufenden Diskurs verstrickt wird, in dem die Signifikanten ihren verrückten Tanz aufführen. Der Übersetzer hat es bereits nach dem ersten Wort nicht leicht gehabt und zu einem sprachlichen Doppelgänger greifen müssen: "Der absolute Herr und Meister".
Diese duplizierende Übersetzung sollte zum einen deutlich machen, dass von einem psychoanalytischen Lehrmeister und Meisterlehrer die Rede ist, der 1953 mit seiner Lehrtätigkeit begonnen hat, im Rahmen eines legendären "Seminars". Aber zugleich sollte der Zitatcharakter dieses Titels bewahrt bleiben. Denn "maître absolu" ist die französische Übersetzung jenes "absoluten Herrn", von dem in der "Phänomenologie des Geistes" die Rede war, die Lacan durch die Hegel-Vorlesungen Alexandre Kojèves in den dreißiger Jahren kennen gelernt hat. Dieser "absolute Herr" tauchte in jenem Kapitel auf, in dem es um die Dialektik zwischen Herrschaft und Knechtschaft ging und um den Kampf um Anerkennung, der zugleich ein Kampf auf Leben und Tod ist. Es ist die knechtische "Furcht des Todes, des absoluten Herrn", der das menschliche Selbstbewusstsein packt, innerlich auflöst und alles Fixe in ihm erbeben läßt. Dieser Tod spielte dabei bereits bei Hegel auf die "Furcht des Herrn" an, wie sie im Alten Testament als Anfang der Weisheit beschworen wird.
Doch damit noch lange nicht genug. Wie ein roter Faden zieht sich durch Borch-Jacobsens Textur das signifikante Motiv "le maître absolu", das zunehmend stärker wird, ohne dass man jemals sicher sein kann, ein klares und deutliches Signifikat fixieren zu können: Kojèves hegelianische Verhaftung am negierenden Zug des Handelns und des Selbstbewusstseins, die ihn, wie George Bataille, ein anderer seiner prominenten Zuhörer, feststellte, mit einem Zeichen von Endlichkeit und Tod versah; Martin Heideggers "Sein-zum-Tode" als existentialontologisches Wesensmerkmal des menschlichen Daseins: der Analytiker hinter der Maske des Meisters Tod, weil er das Bild seines Ichs von allen Formen des Begehrens entkleidet haben muss, um den Haß und die Aggressivität seines Analysanten unterlaufen zu können; die ödipale Rivalität mit dem Vater, dessen Tod vom Subjekt als ein Verschwinden des Schutzschildes erlebt wird, den der Vater gegenüber dem "absoluten Herrn, dem Tod" darstellte.
Bereits die Titulierung Lacans zeigt, wie es in Borch-Jacobsens Buch zugeht, in dem nicht nur von Lacan, sondern wie bei Lacan geredet wird. Die Sprache besteht hier nicht aus neutralen Wörtern, deren Bedeutung man kennt, oder aus Begriffen, deren Bedeutung im Rahmen einer wissenschaftlichen Theorie fixiert worden ist. Man muss Lacans Spiele mit den Signifikanten kennen, um verstehen zu können, was Lacans Schüler in "Le maître absolu" zu lesen gibt.
Auch der erste Satz dieser Einführung in das Denken Lacans ist nur unter dieser Voraussetzung lesbar: "Lacan zitierte in seinen Seminaren gern den Satz Hegels, demzufolge ein jeder ,der Sohn seiner Zeit' ist, eine Formel, die ganz offensichtlich auf ihn selber zutrifft." Denn diese Zeit ist nicht die geschichtliche Zeit, in der Lacan lebt, geboren am 13. April 1901 und gestorben am 9. September 1981. Es ist die Zeit der theoretischen Debatten und großen Theorien, in deren signifikantem Fluß Lacan mitschwamm; und wenn Lacan sich als "Sohn seiner Zeit" bezeichnete, dann nur, weil er unglaublich behende die Gedanken und Sprachspiele anderer seinem eigenen Stil anverwandelte. Borch-Jacobsen führt sie dem Leser alle vor Augen, vor allem die Philosophen Hegel und Heidegger, die Psychologen Freud und Politzer, die Soziologen Caillois und Bataille, den Anthropologen Lévi-Strauss und schließlich die strukturalistischen Linguisten Saussure, Benveniste und Jakobsen.
Wer deren Theorien und Denkweisen nicht kennt, kann mit den "Schlüsseln für dieses oder jenes Schloss" in Lacans Schriften wenig anfangen, die Borch-Jacobsen einer Lacan-Lektüre anbietet. Nur wer bereits eingeweiht ist in Lacans "wissenschaftliches Delir", in die trickreichen Zitationen, Anspielungen und "Linguisterien" des absoluten Herrn und Meisters, wird beim Lesen durch einige erhellende Hinweise belohnt. Denn vielleicht nimmt er noch eine zusätzliche Stimme im polyphonen Diskurs Lacans wahr, die er bisher überhört hat. Ein Beispiel ist das fünfte Kapitel: "How to do nothing with words". Wer weiß, auf welchen Linguisten damit angespielt worden ist, dessen sprachlich erzeugte "things" durch ein hegelianisch-heideggerianisch-lacanianisch negierendes "nothing" ersetzend? Kleiner Hinweis: Es war ein Engländer, und sein Buch erschien 1962 in Oxford.
MANFRED GEIER
Mikkel Borch-Jacobsen: "Lacan". Der absolute Herr und Meister. Aus dem Französischen von Konrad Honsel. Wilhelm Fink Verlag, München 1999. 269 S., br., 68,- DM.
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