Durch die Begegnung mit dem französischen Strukturalismus und insbesondere mit der strukturalen Linguistik hat die Psychoanalyse nach 1945 neue und wesentliche Impulse erhalten. Diese Neuorientierung, die gleichzeitig eine Rückbesinnung auf Freud und eine Re-Vision seiner Texte darstellt, ist mit dem Psychoanalytiker Jacques Lacan und seiner Schule eng verbunden. Die daraus hervorgehende Lehre hat nicht nur die klinische Psychoanalyse in Theorie und Praxis entscheidend, aber nicht unumstritten beeinflusst, sondern sie hat auch neue Sichtweisen auf kulturelle und gesellschaftliche Phänomene eröffnet, soweit diese mit der Frage nach unbewussten Sinn-, Bedeutungs- und Motivationszusammenhängen verbunden sind. Insbesondere durch die Einführung der Kategorien des Realen, des Imaginären und des Symbolischen hat sich eine Medientheorie entwickeln können, die eine traditionelle psychoanalytische Kunsttheorie von ihrer Neigung befreit hat, Kulturleistungen auf pathographische Dokumente ihrer Schöpfer zu reduzieren. Indem stattdessen das Werk selbst und vor allem unter Beachtung seiner formalen Dimensionen in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt wird, ist auch immer die von Sartre formulierte interessante Frage berührt, ob es eine Psychoanalyse der Sachen geben kann. Dieses Buch soll im Hinblick auf diverse soziokulturelle und künstlerische Bereiche auch die strukturellen Beziehungen zwischen klinischer, theoretischer und angewandter Psychoanalyse die ihnen gebührende Beachtung geben. Nicht zuletzt versteht sich das Buch als Förderung der nach wie vor zögernd erfolgenden Rezeption der lacanschen Lehrinhalte, was zu einem großen Teil durch die Schwierigkeit der Lektüre ihrer Texte bedingt ist. Insofern bietet es sich einem weiteren Interessentenkreis als Einstiegshilfe in die faszinierend vielfältige und umfangreiche Geisteswelt eines zu Freud kongenialen Denkers an.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Zu schätzen weiß Rezensent Tim Caspar Boehme diese Einführung in die strukturelle Psychoanalyse des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan. Ganz zufrieden ist er dennoch nicht. Er sieht in Lacan einen Analytiker, der Freud radikal neu interpretierte, sich in seinen Texten von dessen gut lesbarer Prosa abkehrte und daher nicht gerade leicht zugänglich ist. Ruhs' Buch ist für ihn ein Kompromiss, stellt der Autor doch im ersten Teil der Einführung Lacan aus klinisch-theoretischer Perspektive dar, im zweiten die "angewandte Psychoanalyse" aus kulturwissenschaftlicher Sicht. Die erste Hälfte ist dem Rezensenten zu sehr von einem "Referatsstil" geprägt, die zweite Hälfte, die um die Anwendung von Lacans Ideen auf Kunst, Film und Musik kreist, empfindet er sprachlich "merklich entspannter", die Darstellung freier. Hier zeigt sich für Boehme auch, wie inspirierend Lacan für eigene Interpretationspraktiken sein kann. Aber er fügt kritisch hinzu: "Die theoretische Einführung ersetzt das freilich nicht".
© Perlentaucher Medien GmbH
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