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Die neun Erzählungen in "Lachsjäger" handeln von einem Typus des amerikanischen Indianers, der uns in Büchern ansonsten nicht begegnet: von Leuten, die ihre Rechnungen bezahlen, ihre Stellungen behalten, sich ver- und wieder entlieben. Ein Journalist - Indianer vom Stamm der Spokane - wird aus dem Reservat in die Stadt verschlagen. Er nimmt als Anhalter einen Lummi-Boxer mit, der es mit dem stärksten Indianer der Welt aufnehmen will. Ein Sohn, ebenfalls Spokane-Indianer, wartet auf seinen Vater, der Diabetes hat und aus dem Krankenhaus "mit nahezu normalem Blutzucker, einem Beutel voll…mehr

Produktbeschreibung
Die neun Erzählungen in "Lachsjäger" handeln von einem Typus des amerikanischen Indianers, der uns in Büchern ansonsten nicht begegnet: von Leuten, die ihre Rechnungen bezahlen, ihre Stellungen behalten, sich ver- und wieder entlieben. Ein Journalist - Indianer vom Stamm der Spokane - wird aus dem Reservat in die Stadt verschlagen. Er nimmt als Anhalter einen Lummi-Boxer mit, der es mit dem stärksten Indianer der Welt aufnehmen will. Ein Sohn, ebenfalls Spokane-Indianer, wartet auf seinen Vater, der Diabetes hat und aus dem Krankenhaus "mit nahezu normalem Blutzucker, einem Beutel voll Injektionsnadeln und der Hälfte seines linken Fußes" nach Hause kommen soll. Zwei Menschen, die sich entfremdet haben und verschiedenen Ethnien angehören, werden durch einen Verkehrsunfall voneinander getrennt und entdecken von neuem ihre Liebe füreinander. Ein weißer Aussteiger überfällt eine "Internationale Pfannkuchenbraterei", wo er einen Dollar pro Kunden sowie einen Liebhaber fordert. Nebe n 42 Dollar bekommt er einen übergewichtigen Indianer und gibt ihm den Namen Salmon Boy. Sherman Alexies vermittelt in jeder seiner Erzählungen außergewöhnliche Leidenschaft: Es sind im Grunde immer Liebesgeschichten - zwischen Eltern und Kindern, Weißen und Indianern, Berühmtheiten und gewöhnlichen Sterblichen.
Autorenporträt
Sherman Alexie, geb. 1966, ist Spokane/Coeur dAlene-Indianer und wuchs in der Spokane Reservation, Washington, auf. Nach drei Gedichtbänden erschien seine Erzählsammlung 'Regenmacher'. Später folgten seine Romane 'Reservation Blues' und 'Indian Killer'. Er schrieb auch das preisgekrönte Drehbuch für den Film 'Smoke Signals'. Alexie lebt in Seattle.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.2002

Sitting Bull in der Postmoderne
Blutsbrüder im Großstadtreservat: Sherman Alexies Erzählungen

Jenseits der Reservate im Dschungel des politisch korrekten Amerika lauert die Assimilationsneurose. Eine ethnisch aufgeladene Midlife-Krise, weil dort, wo die "Rasse" genannte "Kombination von Kultur und Genetik" klassenspezifisch keine Rolle mehr spielt, die Frage "Was ist ein Indianer?" zum quälenden Mantra wird. Daran leiden Anwälte, Schriftsteller, Lehrer und Computerfachleute indianischer Herkunft, "lahmarschige Stadtindianer" also, die im weißen mittelständischen Amerika angekommen sind.

Sherman Alexie, selbst halb Spokane, halb Coeur d'Alene, hat den tragikomischen Tanz zwischen Rassenklischees und Individualitätsanspruch mit pfeilspitzer Feder und tiefschwarzem Humor aufgeschrieben. Der 1966 geborene Alexie gilt als angry young man unter indianischen Autoren wie N. Scott Momaday, Leslie Marmon Silko und Louis Erdrich. Über die Romane "Reservation Blues", 1996 auf deutsch erschienen, und den Bestseller "Indian Killer" (1998) sowie die Erzählungen in dem Band "Regenmacher" (1995) begleitete Alexie seine Helden aus den Reservaten im amerikanischen Nordwesten bis in die urbane wirtschaftliche Mitte des Landes, vom Sozialbungalowdasein mit Wohlfahrtsscheck bis zur Vorstadthauseigentümerexistenz mit Aktiendepot und Rentenplan.

Der jetzt auf deutsch erschienene Erzählungsband "Lachsjäger" ist das vierzehnte Buch des in Seattle lebenden Romanciers, Dichters, Drehbuchautors und Filmemachers. Von der "New York Times Book Review" als "eine der wichtigsten lyrischen Stimmen unserer Zeit" gefeiert und in einem Federzug mit dem jungen Philip Roth genannt, besitzt Alexie hierzulande bisher nur eine kleinen Fangemeinde. Das mag daran liegen, daß der Goldmann Verlag seine Bücher in einer Taschenbuchreihe mit minimaler Halbwertzeit auf dem Literaturmarkt eher schlecht als recht vermarktet.

In "Lachsjäger" kämpfen indianische Stadtneurotiker mit Lebens- und Ehekrisen, gegen Übergewicht und um ein bißchen Liebe, mal erfährt ein Journalist ein mißlungenes schwules Coming Out mit einem Blutsbruder, mal wird eine Akademikerin von lesbischer Zuneigung für eine albinoblonde Unterschichtenweiße im Supermarkt überrascht. Politisch inkorrekte Situationskomik macht aus den amerikanischen Mythen und Stereotypen des Kaisers neue Kleider. Klasse, Rasse und Sex bilden für Alexie die Hauptzutaten der sozialen Giftküche Amerikas, für die das akademische Establishment weiche Surrogatbegriffe wie "Kultur", "Ethnie" oder "Geschlecht" kreierte, mit denen alles und jeder zur Minderheit funktionalisiert werden kann. Die Mittelstandsindianer schlagen sich mit pubertierenden Kindern und alternden Eltern herum und unterscheiden sich so in nichts von ihren weißen Mitbürgern. Aus Ehrgeiz hatten sie dem Reservat den Rücken gekehrt, so wie ihre deutsch- oder irischstämmigen Mitstudenten den Kohlegruben Pennsylvanias. Sie haben sich in Vorstädten und Lofts eingerichtet und fühlen sich dort plötzlich ebenso unbehaust wie im Reservat: Assimiliert heißt noch lange nicht integriert.

Unter der dünnen Haut der rothäutigen Sozialaufsteiger brennen die Verletzungen aus Jahrhunderten, zu denen sich neue Irritationen gesellen. Die Computerspezialistin Mary Lynn analysiert frei von postkolonialer Jammerei: "Es war jetzt fünf Jahrhunderte her, daß Kolumbus in Amerika an Land gegangen war, und ihr war klar, daß die Weißen, die den Indianern die Pocken gebracht hatten, auch die Vorfahren der Weißen waren, die auf dem ganzen Planeten die Pocken ausgerottet hatten. Sie begriff, daß die Weißen exzentrisch und kompliziert waren, und sie wollte nur, daß man auch sie als exzentrisch und kompliziert begriff . . . Sie wünschte sich, Coeur d'Alene würde als Beschreibung reichen, statt als Entschuldigung, Grund, Rezept, Placebo oder Verniedlichung herhalten zu müssen."

Sitting Bulls postmoderne Urenkel sind dem weißen Amerika ebenso suspekt wie sich selbst. Da betrügt man die weiße Ehefrau mit einem ins Motel bestellten indianischen Callgirl, das sich als weiße Hure erweist, die auf Indianerin macht. Indianisch heißt der boomende Supermarkt weißer Spiritualität, dessen Angebot vom Dream Catcher bis zum Sex reicht. Doch während für die Mittelstandsindianer Ethnie zum nostalgischen Detail einer Erfolgsbiographie mutiert, das in Krisensituationen herausgekramt wird wie die Nummer eines alten Bekannten, ist "Klasse" in der gleichnamigen Erzählung für die Untengebliebenen erdrückend wie eh und je: "Schieb ab in deine Scheißvilla und lies deinen weißen Blagen was von den Teletubbies vor", muß sich ein Anwalt von seiner indianischen Bluts- aber eben nicht Klassenschwester in einer billigen Kaschemme anhören.

In den historischen Abgrund zwischen Weiß und Rot schaut man in der verstörenden, kafkaesken Antiutopie "Sündenbüßer", wo Indianer in Konzentrationslagern interniert werden. Weiße Ärzte experimentieren mit dem genetisch reinen Blut der Ureinwohner und zwingen den zwölfjährigen Ich-Erzähler zu einem brutal-pervertierten Initiationsritus, zum Geschlechtsakt unter Laborbedingungen mit einer Indianerin, die seine Mutter sein könnte.

Die verborgene Poetik stiller Menschlichkeit entdeckt Alexie zwischen den Gräben der rassen- und klassenpolitischen Wüste. In "Süd zu Südwest" überfällt der weiße Pechvogel Seymor ein "International House of Pancakes" und knöpft jedem der kummergewöhnten Gäste einen Dollar ab. Ein Indianer, Salmon Boy, meldet sich freiwillig als Geisel, als er hört, die Flucht solle nach Arizona gehen. Im McDonald's von Tuscon, wo die Polizei beiden auf den Fersen ist, trennen sich die "Menschen von ihrem Geld wie von einer Opfergabe . . . Sie rückten ein Stück näher zu Gott." Die rührenden Gangster "liefen los, nach draußen, in das bißchen Süden und Südwesten, das auf der Welt noch übrig war": Old Shatterhand und Winnetou in Zeiten des Big Mac.

SABINE BERKING

Sherman Alexie: "Lachsjäger". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Regina Rawlinson. Wilhelm Goldmann Verlag. München 2002. 286 S., br., 8,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sabine Berking legt sich für Sherman Alexie ordentlich ins Zeug, was ihr schon allein deshalb geboten erscheint, weil der indianisch-amerikanische Autor vom Goldmann-Verlag in der Taschenbuchreihe eher schlecht als recht vermarktet wird. Dabei gilt Alexie in den USA als eine der "wichtigsten lyrischen Stimmen unserer Zeit", wie Berking notiert. Klasse, Rasse und Sex (und nicht Kultur, Ethnie und Geschlecht) seien für Alexie die Hauptzutaten in der Giftküche Amerika, also auch die Ingredienzen für seine Erzählungen im Band "Lachsfänger", in denen indianische Stadtneurotiker mit Lebens- und Ehekrisen, gegen Übergewicht und um ein bisschen Liebe kämpfen. Besonders freut sich die Rezensentin dabei über die politisch heillos unkorrekte Situationskomik, die auf eine verborgene Poetik stiller Menschlichkeit treffe. Alexie ist es gelungen, den "tragikomischen Tanz zwischen Rassenklischees und Individualitätsanspruch mit pfeilspitzer Feder und tiefschwarzem Humor" festzuhalten, rühmt die Rezensentin.

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