Dava Sobel, Wissenschaftsjournalistin u. a. bei der "New York Times" schrieb ein Sachbuch, das in den USA zum Bestseller wurde. Ihr Interesse galt dem schottischen Uhrmacher John Harrison, der es fertigbrachte, eines der schwierigsten wissenschaftlichen Probleme seiner Zeit, des 18. Jahrhunderts, zu lösen: die Positionsbestimmung von Schiffen auf offener See. Vierzig Jahre lang verfolgte er die Idee eines perfekten Chronometers. Er arbeitete wie besessen, bis ihm schließlich die Konstruktion des Gerätes gelang, das den Seefahrern die lebenswichtige Längengradbestimmung erlaubte.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.01.2001SZ BUCH-TIPP
Wer heute reist, weiß dank der Satellitennavigation jederzeit exakt, wo er sich auf dem Globus befindet. Kaum vorstellbar, dass Menschen bis ins 18. Jahrhundert die Weltmeere befahren haben, ohne den Längengrad ihrer Position feststellen zu können. Ganze Flotten gingen deshalb verloren. 1714 setzte daher die britische Krone die astronomische Summe von 20 000 Pfund für die Lösung des Problems aus. Und es war am Ende keiner der großen Wissenschaftler, sondern ein einfacher Uhrmacher, der ein Leben lang an seinen Präzisionsuhren feilte, bis sie seetauglich wurden – und im hohen Alter nach vielen Intrigen doch noch eine gerechte Belohnung erhielt. Das spannende Buch Längengrad der New Yorker Wissenschaftsjournalistin Dava Sobel ist jetzt auch in einer wunderbar illustrierten Ausgabe im Berlin-Verlag erschienen – die in feiner Prosa geschriebene Geschichte eines Mannes, der eines der größten Probleme seiner Zeit löste.
mse
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Wer heute reist, weiß dank der Satellitennavigation jederzeit exakt, wo er sich auf dem Globus befindet. Kaum vorstellbar, dass Menschen bis ins 18. Jahrhundert die Weltmeere befahren haben, ohne den Längengrad ihrer Position feststellen zu können. Ganze Flotten gingen deshalb verloren. 1714 setzte daher die britische Krone die astronomische Summe von 20 000 Pfund für die Lösung des Problems aus. Und es war am Ende keiner der großen Wissenschaftler, sondern ein einfacher Uhrmacher, der ein Leben lang an seinen Präzisionsuhren feilte, bis sie seetauglich wurden – und im hohen Alter nach vielen Intrigen doch noch eine gerechte Belohnung erhielt. Das spannende Buch Längengrad der New Yorker Wissenschaftsjournalistin Dava Sobel ist jetzt auch in einer wunderbar illustrierten Ausgabe im Berlin-Verlag erschienen – die in feiner Prosa geschriebene Geschichte eines Mannes, der eines der größten Probleme seiner Zeit löste.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996Globus im Streifenkleid
Dava Sobel erzählt vom Längengrad / Von Alexandre Métraux
Der am 24. März 1693 vermutlich auf Nostell Priory, einem Gut in der Grafschaft Yorkshire, geborene John Harrison war ein grenzenlos ausdauernder Horologe und ein grenzenlos umständlicher Gelegenheitsschreiber. Nebst einer Turmuhr und wenigen, historisch unbedeutenden Taschenuhren entwarf und baute er fünf Schiffschronometer, die Geschichte gemacht haben; und er brachte das Kunststück fertig, in einer seiner Veröffentlichungen einen einzigen Satz auf fünfundzwanzig Druckseiten aufzublähen. Aus dem langen Satz wird niemand so recht klug. Aus den fünf Chronometern hingegen und aus einigen zusätzlichen Quellen läßt sich die Quintessenz einer langen Geschichte gewinnen, die sich im achtzehnten Jahrhundert zugetragen hat. Sie spielt im Schnittfeld der mechanischen Künste, der Mathematik und Astronomie, des weltweiten Seehandels, der Nautik, der großen Politik und der menschlichen Niedertracht.
Im Kern dieser von Dava Sobel kurzweilig erzählten Geschichte liegt das Problem der Ausmessung der Längengrade. Lassen wir einmal die Gebirge auf der Erdkugel beiseite und vergessen wir, daß der reale Globus dem geometrischen Ideal einer Kugel nicht ganz entspricht. Vom Äquator zum Nordpol sind es 90 Grad und genausoviel vom Äquator zum Südpol. Den Äquator kann man aus der Beobachtung der Himmelskörper ableiten, was Ptolemäus schon bekannt war. Naturgemäß legte er den Null-Breitengrad auf den Äquator. Von Breitengrad zu Breitengrad ist stets eine sich gleichbleibende Entfernung zurückzulegen.
Anders verhält es sich mit dem Längengrad, für den es keine Ableitung aus der Naturbeobachtung, sondern nur eine Festsetzung durch Konvention gibt. Zudem schrumpft die Entfernung zwischen Längengraden zusehends, je mehr man sich den Polen nähert: Die in Graden ausgedrückte Länge auf einer bestimmten Breite ist nicht gleich einer in der derselben Gradzahl ausgedrückten Länge auf einer anderen Breite. Kein Wunder, daß sich die Kapitäne über den Ort, an dem sie sich gerade befanden, oft täuschten, wenn ihre Schiffe nicht schon vorher orientierungslos an einer Klippe zerschellt und gesunken waren. Die Orientierungslosigkeit auf den Weltmeeren kostete viel, wenn man die Verluste an Menschenleben, an Schiffen und an transportierten Gütern zusammenzählte; sie kostet zuviel, sagten sich Schiffseigner, Kaufleute, Kriegsherren und Wissenschaftler.
So kam es, daß das englische Parlament, von hohen Marineoffizieren, Forschern und anderen interessierten Personen zum Handeln gedrängt, im Mai 1714 die Frage der Längenbestimmung beriet. Am 8. Juli jenes Jahres wurde der sogenannte Longitude Act erlassen, der für die Erfindung einer Methode zur Ermittlung der geographischen Länge bei einer zulässigen Abweichung von nur einem halben Grad die sehr hohe Belohnung von 20000 Pfund versprach. Diese Abweichung entspricht auf der äquatorialen Null-Breite immerhin noch einer Entfernung von sechzig nautischen Meilen (etwa 110 Kilometern), was Dava Sobel die treffliche Bemerkung entlockt: "Daß die britische Regierung bereit war, solch riesige Summen für praktikable und nützliche Methoden bereitzustellen, mit denen man das Ziel um viele Meilen verfehlen konnte, drückt die Verzweiflung der Nation über den beklagenswerten Stand der Navigation beredt aus."
An zwei Verfahren wurde laboriert. Die Astronomen suchten nach einer Methode zur genauen Positionsbestimmung aufgrund der täglich veränderten Relation des Mondes zu anderen Gestirnen. Hinter der Erprobung dieser Methode stand die von Newton beeinflußte Vorstellung des Universums als eines Uhrwerks, das mit göttlicher Genauigkeit läuft und mit dem es keine Maschine von Menschenhand aufnehmen könnte. Ein teuflischer Nachteil indes verdirbt die Anwendung der astronomischen Methode immer wieder: Bei bewölktem Himmel versagt sie kläglich.
John Harrison wollte sich als ein in den mechanischen Künsten bewanderter Praktiker nur auf sein Handwerk verlassen. Ein Chronometer, der auf die Ortszeit des Ausgangspunkts einer Seereise justiert ist, läßt sich mit der Ortszeit auf dem Schiff vergleichen; die Zeitdifferenz kann dann von jedem rechnenden Kapitän in die für die entsprechende Breite geltende Entfernung vom Ausgangspunkt umgewandelt werden. Also kommt alles auf die Genauigkeit des Chronometers an. Die "Harrison Nr. 5", ein tellergroßer Chronometer (nach damaliger Auffassung ein Miniaturwunder), wurde auf einer Fahrt in die Karibik erprobt: Ihre Genauigkeit lag weit über der im Longitude Act vorgegebenen Meßtoleranz.
Aber die gelehrten Astronomen mochten nicht zugeben, daß die von einem Mechaniker erfundene chronometrische Methode praktikabler und zugleich nützlicher sei; auch ersannen sie allerlei unfeine Finten, damit Harrison die Belohnung nicht zugesprochen werde. Schließlich vermittelte der König zwischen den verfeindeten Parteien. Die Wetterverhältnisse und die Reibung waren also die natürlichen, die eitlen Astronomen die menschlichen Widersacher, die der Horologe auf der Suche nach der Zeitmessung auf Weltmaßstab zu bezwingen hatte.
Als Dava Sobel die Geschichte dieser Suche zu Papier brachte, hatte sie keine Spezialistenkreise als Adressaten ihres Buches vor Augen. Das kommt dem Text zugute: Er kann all die ansprechen und anregen, deren historisches Bewußtsein keine undurchlässige Membran zwischen den Kleinigkeiten des Alltags und dem weltbewegend Großen kennt und für die das geduldige Feilen an einem Zahnrad ebenso bedeutsam ist wie die Entdeckung der Jupitermonde oder die Vorhersage eines Kometenauftritts am Nachthimmel.
Dava Sobel: "Längengrad". Die wahre Geschichte eines einsamen Genies, welches das größte wissenschaftliche Problem seiner Zeit löste. Aus dem Amerikanischen von Mathias Fienbork. Berlin Verlag, Berlin 1996. 239 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dava Sobel erzählt vom Längengrad / Von Alexandre Métraux
Der am 24. März 1693 vermutlich auf Nostell Priory, einem Gut in der Grafschaft Yorkshire, geborene John Harrison war ein grenzenlos ausdauernder Horologe und ein grenzenlos umständlicher Gelegenheitsschreiber. Nebst einer Turmuhr und wenigen, historisch unbedeutenden Taschenuhren entwarf und baute er fünf Schiffschronometer, die Geschichte gemacht haben; und er brachte das Kunststück fertig, in einer seiner Veröffentlichungen einen einzigen Satz auf fünfundzwanzig Druckseiten aufzublähen. Aus dem langen Satz wird niemand so recht klug. Aus den fünf Chronometern hingegen und aus einigen zusätzlichen Quellen läßt sich die Quintessenz einer langen Geschichte gewinnen, die sich im achtzehnten Jahrhundert zugetragen hat. Sie spielt im Schnittfeld der mechanischen Künste, der Mathematik und Astronomie, des weltweiten Seehandels, der Nautik, der großen Politik und der menschlichen Niedertracht.
Im Kern dieser von Dava Sobel kurzweilig erzählten Geschichte liegt das Problem der Ausmessung der Längengrade. Lassen wir einmal die Gebirge auf der Erdkugel beiseite und vergessen wir, daß der reale Globus dem geometrischen Ideal einer Kugel nicht ganz entspricht. Vom Äquator zum Nordpol sind es 90 Grad und genausoviel vom Äquator zum Südpol. Den Äquator kann man aus der Beobachtung der Himmelskörper ableiten, was Ptolemäus schon bekannt war. Naturgemäß legte er den Null-Breitengrad auf den Äquator. Von Breitengrad zu Breitengrad ist stets eine sich gleichbleibende Entfernung zurückzulegen.
Anders verhält es sich mit dem Längengrad, für den es keine Ableitung aus der Naturbeobachtung, sondern nur eine Festsetzung durch Konvention gibt. Zudem schrumpft die Entfernung zwischen Längengraden zusehends, je mehr man sich den Polen nähert: Die in Graden ausgedrückte Länge auf einer bestimmten Breite ist nicht gleich einer in der derselben Gradzahl ausgedrückten Länge auf einer anderen Breite. Kein Wunder, daß sich die Kapitäne über den Ort, an dem sie sich gerade befanden, oft täuschten, wenn ihre Schiffe nicht schon vorher orientierungslos an einer Klippe zerschellt und gesunken waren. Die Orientierungslosigkeit auf den Weltmeeren kostete viel, wenn man die Verluste an Menschenleben, an Schiffen und an transportierten Gütern zusammenzählte; sie kostet zuviel, sagten sich Schiffseigner, Kaufleute, Kriegsherren und Wissenschaftler.
So kam es, daß das englische Parlament, von hohen Marineoffizieren, Forschern und anderen interessierten Personen zum Handeln gedrängt, im Mai 1714 die Frage der Längenbestimmung beriet. Am 8. Juli jenes Jahres wurde der sogenannte Longitude Act erlassen, der für die Erfindung einer Methode zur Ermittlung der geographischen Länge bei einer zulässigen Abweichung von nur einem halben Grad die sehr hohe Belohnung von 20000 Pfund versprach. Diese Abweichung entspricht auf der äquatorialen Null-Breite immerhin noch einer Entfernung von sechzig nautischen Meilen (etwa 110 Kilometern), was Dava Sobel die treffliche Bemerkung entlockt: "Daß die britische Regierung bereit war, solch riesige Summen für praktikable und nützliche Methoden bereitzustellen, mit denen man das Ziel um viele Meilen verfehlen konnte, drückt die Verzweiflung der Nation über den beklagenswerten Stand der Navigation beredt aus."
An zwei Verfahren wurde laboriert. Die Astronomen suchten nach einer Methode zur genauen Positionsbestimmung aufgrund der täglich veränderten Relation des Mondes zu anderen Gestirnen. Hinter der Erprobung dieser Methode stand die von Newton beeinflußte Vorstellung des Universums als eines Uhrwerks, das mit göttlicher Genauigkeit läuft und mit dem es keine Maschine von Menschenhand aufnehmen könnte. Ein teuflischer Nachteil indes verdirbt die Anwendung der astronomischen Methode immer wieder: Bei bewölktem Himmel versagt sie kläglich.
John Harrison wollte sich als ein in den mechanischen Künsten bewanderter Praktiker nur auf sein Handwerk verlassen. Ein Chronometer, der auf die Ortszeit des Ausgangspunkts einer Seereise justiert ist, läßt sich mit der Ortszeit auf dem Schiff vergleichen; die Zeitdifferenz kann dann von jedem rechnenden Kapitän in die für die entsprechende Breite geltende Entfernung vom Ausgangspunkt umgewandelt werden. Also kommt alles auf die Genauigkeit des Chronometers an. Die "Harrison Nr. 5", ein tellergroßer Chronometer (nach damaliger Auffassung ein Miniaturwunder), wurde auf einer Fahrt in die Karibik erprobt: Ihre Genauigkeit lag weit über der im Longitude Act vorgegebenen Meßtoleranz.
Aber die gelehrten Astronomen mochten nicht zugeben, daß die von einem Mechaniker erfundene chronometrische Methode praktikabler und zugleich nützlicher sei; auch ersannen sie allerlei unfeine Finten, damit Harrison die Belohnung nicht zugesprochen werde. Schließlich vermittelte der König zwischen den verfeindeten Parteien. Die Wetterverhältnisse und die Reibung waren also die natürlichen, die eitlen Astronomen die menschlichen Widersacher, die der Horologe auf der Suche nach der Zeitmessung auf Weltmaßstab zu bezwingen hatte.
Als Dava Sobel die Geschichte dieser Suche zu Papier brachte, hatte sie keine Spezialistenkreise als Adressaten ihres Buches vor Augen. Das kommt dem Text zugute: Er kann all die ansprechen und anregen, deren historisches Bewußtsein keine undurchlässige Membran zwischen den Kleinigkeiten des Alltags und dem weltbewegend Großen kennt und für die das geduldige Feilen an einem Zahnrad ebenso bedeutsam ist wie die Entdeckung der Jupitermonde oder die Vorhersage eines Kometenauftritts am Nachthimmel.
Dava Sobel: "Längengrad". Die wahre Geschichte eines einsamen Genies, welches das größte wissenschaftliche Problem seiner Zeit löste. Aus dem Amerikanischen von Mathias Fienbork. Berlin Verlag, Berlin 1996. 239 S., geb., 36,- DM.
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