Der berühmte Ausspruch "Sehr gut, sehr gut! Muss sofort verboten werden." entfuhr dem Fürsten Metternich, als er Heines Gedichte las. Und schon waren sie verboten. Diese Zeiten sind leider vorbei. Verbote sind in unserer politisch korrekten Gesellschaft mit einem Tabu belegt. Aber muss man deshalb zusehen, wie in dieser westlichen Lebenswelt "nichts wahr und alles erlaubt ist"? Nein! Deswegen wird hier zu Felde gezogen gegen die Dinge, die eben einfach verboten gehören: Talkshows, Falk-Pläne und viele weitere Ärgernisse. Eine Sammlung von wutentbrannten Rundumschlägen, tiefsinnigen Verordnungen und entschiedenen Zwischenrufen gegen die Zumutungen unserer Wirklichkeit, in der nichts wahr, aber anscheinend alles erlaubt ist. Mit Beiträgen von Lothar Baier, Matthias Beltz, F.W. Bernstein, Robert Gernhardt, Frank Göhre, Elfriede Hammerl, Christoph Hein, Werner Kofler, Katja Lange-Müller, Hans Pleschinski, Klaus Roehler, Harry Rowohlt, Hans von Trotha u.a.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.1996Die Tabuknackertruppe greift ein
Am Stammtisch: Eine Anthologie der notwendigen Verbote
Nun gut, wir leben, unter anderem, in einer Zeit der nahezu galoppierenden Erosion von Nachtback- wie auch Nacktbadeverbot, da mag es ja - im weitesten Sinne - zutreffen, wenn die "Längst fällig"-Herausgeber Antje Kunstmann und Heinrich von Berenberg feststellen: "Verbote sind in unserer europäisch-amerikanisch verfaßten Gesellschaft mit einem Tabu belegt." Und auch dieses Tabu gehört natürlich, wie alle anderen, umgehend und beherzt gebrochen, und dazu engagierte frau/man eine aus Fernsehen und Feuilleton bekannte sechsunddreißigköpfige Tabuknackertruppe, annonciert unter dem Sammelbegriff "kluge Köpfe", und das hat hier nichts mit der Eigenwerbung einer Tageszeitung aus Frankfurt zu tun: "Der Stammtisch ist ein Möbel, das auch in vielen klugen Köpfen, leider meist völlig ungenutzt, herumsteht."
Mit dieser Nichtnutzung soll nun Schluß sein, stammtischelnd werde man das Verbotstabu erledigen, durch die Aufstellung von siebenunddreißig neuen, "notwendigen Verboten". Aber: sind "kluge Köpfe" überhaupt stammtischfähig? Eindeutig ja, wenn's den leicht wackeligen Umgang mit dem Lateinischen angeht! Da entdeckt Christoph Hein, "wie empfindlich der Plebs ist", obwohl doch wohl auch in der DDR das gemeine Volk nach der Plaste und den Damen ging, Plebs mithin weiblich war (und ist), Peter Hain sieht einen "ultimativen Sprung in die Katastrophe", obwohl weit und breit kein Ultimatum zu erblicken ist, und Thilo Köhler übersetzt "cui bono" mit "das nutzt niemandem die Bohne" und outet sich so als Schwippschwager von Karl Dall. Was dies angeht, also klarer Fall von Stammtisch.
Selbiger gilt ja unter anderem als ein Ort, an dem der Schnabel gern allzuweit aufgerissen wird. Auch damit kann das Buch dienen, wenn etwa Wiglaf Droste für ein PDS-Verbot plädiert, dessen Durchsetzung er aber an den Innenminister delegieren will: "Minister Kanther, übernehmen Sie! Soviel Faschismus muß sein." Fußballverbieter Joseph von Westphalen nun kommt zu dem Ergebnis, daß "der Fußball schlimmer war als der DDR-Ministerrat und erpresserischer als die Stasi". (Da kann die Gauck-Behörde dann ja nach der Aufarbeitung von Mielkes Akten bruchlos in den Katakomben des DFB weiterarbeiten.) Starke Worte aus - diesmal - schwachen Federn. Stammtisch.
Auch wenn "das Volk" wie bei Reinhard Lettau, R.I.P., und Harald Eggebrecht, dort über Bande aus Politikermund, verboten werden soll, dann ist das spiegelbildlich stammtischkompatibel, ebenso bei Katharina Rutschky, die implizit eine Grundgesetzänderung fordert, wenn sie von der Meinungs- die Redefreiheit trennen und letztere verbieten will, weil sie nur zur Emission von Blech gereiche. "Herr Ober, bitte zahlen!" Wir verlassen nun einigermaßen mißgelaunt das Trinkmöbel der klugen Köpfe und gehen hinüber zu denen, die den Stammtisch in sich nicht fanden, und lauschen Heinrich Senfft, der eher Moralisch-Essayistisches zur Angst der Deutschen zu bieten hat, oder Lothar Baier, der philologisch sauber die Nebel- und Blendschockvokabel "Diskurs" entsorgt; auch bei Matthias Beltz und Robert Gernhardt etwa kann man ruhig Platz nehmen, wenn sie die Kunstprodukte im öffentlichen Raum und die Produktion sinnlosen Lärms traktieren; an diesen Tischen des intellektuellen Wirtshauses entledigen sich eben die zuständigen Fachkräfte mit gewohnter Könnerschaft ihrer Aufgabe. Wohingegen wir zum Beispiel bei Hans Pleschinski schon nach dem ersten Drittel seines Vortrages lieber schnell den Abort aufsuchen, denn allspätestens nach drei Seiten ist klar, daß alles viel lustiger wäre, verböte man die Nüchternheit und jeder und jede wäre immer leicht angeheitert, angedröhnt, angesoffen oder knülle, Kinder wie Greise. Sehr lustig, aber die Seiten vier bis neun braucht's dann doch nicht mehr. Bei einigen guten Einzelleistungen also ein katastrophaler Gesamteindruck, und das im schmerzlichen Kontrast zum wunderschönen Umschlag von Michael Sowa.
Und schließlich: Die Rezension hätte man sich auch sparen können, sie steht schon im Buch, bei Harry Rowohlt etwa. "Antje Kunstmann mit ihrer blöden Prohibitions-Anthologie", und Michael Farin notiert in sein Arbeitsprotokoll zum geforderten Stammtischbesinnungsaufsatz: "Ist doch ein Scheiß mit diesen Anthologien . . . ich weiß nicht mal mehr das Thema." "Grundlos geil", fällt ihm dauernd ein, aber das Projekt, so erfährt er, ist vor Veröffentlichung beerdigt worden. So geht's doch auch. BURKHARD SCHERER
Heinrich von Berenberg und Antje Kunstmann (Hrsg.): "Längst fällig". 37 notwendige Verbote. Verlag Antje Kunstmann, München 1996. 199 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Am Stammtisch: Eine Anthologie der notwendigen Verbote
Nun gut, wir leben, unter anderem, in einer Zeit der nahezu galoppierenden Erosion von Nachtback- wie auch Nacktbadeverbot, da mag es ja - im weitesten Sinne - zutreffen, wenn die "Längst fällig"-Herausgeber Antje Kunstmann und Heinrich von Berenberg feststellen: "Verbote sind in unserer europäisch-amerikanisch verfaßten Gesellschaft mit einem Tabu belegt." Und auch dieses Tabu gehört natürlich, wie alle anderen, umgehend und beherzt gebrochen, und dazu engagierte frau/man eine aus Fernsehen und Feuilleton bekannte sechsunddreißigköpfige Tabuknackertruppe, annonciert unter dem Sammelbegriff "kluge Köpfe", und das hat hier nichts mit der Eigenwerbung einer Tageszeitung aus Frankfurt zu tun: "Der Stammtisch ist ein Möbel, das auch in vielen klugen Köpfen, leider meist völlig ungenutzt, herumsteht."
Mit dieser Nichtnutzung soll nun Schluß sein, stammtischelnd werde man das Verbotstabu erledigen, durch die Aufstellung von siebenunddreißig neuen, "notwendigen Verboten". Aber: sind "kluge Köpfe" überhaupt stammtischfähig? Eindeutig ja, wenn's den leicht wackeligen Umgang mit dem Lateinischen angeht! Da entdeckt Christoph Hein, "wie empfindlich der Plebs ist", obwohl doch wohl auch in der DDR das gemeine Volk nach der Plaste und den Damen ging, Plebs mithin weiblich war (und ist), Peter Hain sieht einen "ultimativen Sprung in die Katastrophe", obwohl weit und breit kein Ultimatum zu erblicken ist, und Thilo Köhler übersetzt "cui bono" mit "das nutzt niemandem die Bohne" und outet sich so als Schwippschwager von Karl Dall. Was dies angeht, also klarer Fall von Stammtisch.
Selbiger gilt ja unter anderem als ein Ort, an dem der Schnabel gern allzuweit aufgerissen wird. Auch damit kann das Buch dienen, wenn etwa Wiglaf Droste für ein PDS-Verbot plädiert, dessen Durchsetzung er aber an den Innenminister delegieren will: "Minister Kanther, übernehmen Sie! Soviel Faschismus muß sein." Fußballverbieter Joseph von Westphalen nun kommt zu dem Ergebnis, daß "der Fußball schlimmer war als der DDR-Ministerrat und erpresserischer als die Stasi". (Da kann die Gauck-Behörde dann ja nach der Aufarbeitung von Mielkes Akten bruchlos in den Katakomben des DFB weiterarbeiten.) Starke Worte aus - diesmal - schwachen Federn. Stammtisch.
Auch wenn "das Volk" wie bei Reinhard Lettau, R.I.P., und Harald Eggebrecht, dort über Bande aus Politikermund, verboten werden soll, dann ist das spiegelbildlich stammtischkompatibel, ebenso bei Katharina Rutschky, die implizit eine Grundgesetzänderung fordert, wenn sie von der Meinungs- die Redefreiheit trennen und letztere verbieten will, weil sie nur zur Emission von Blech gereiche. "Herr Ober, bitte zahlen!" Wir verlassen nun einigermaßen mißgelaunt das Trinkmöbel der klugen Köpfe und gehen hinüber zu denen, die den Stammtisch in sich nicht fanden, und lauschen Heinrich Senfft, der eher Moralisch-Essayistisches zur Angst der Deutschen zu bieten hat, oder Lothar Baier, der philologisch sauber die Nebel- und Blendschockvokabel "Diskurs" entsorgt; auch bei Matthias Beltz und Robert Gernhardt etwa kann man ruhig Platz nehmen, wenn sie die Kunstprodukte im öffentlichen Raum und die Produktion sinnlosen Lärms traktieren; an diesen Tischen des intellektuellen Wirtshauses entledigen sich eben die zuständigen Fachkräfte mit gewohnter Könnerschaft ihrer Aufgabe. Wohingegen wir zum Beispiel bei Hans Pleschinski schon nach dem ersten Drittel seines Vortrages lieber schnell den Abort aufsuchen, denn allspätestens nach drei Seiten ist klar, daß alles viel lustiger wäre, verböte man die Nüchternheit und jeder und jede wäre immer leicht angeheitert, angedröhnt, angesoffen oder knülle, Kinder wie Greise. Sehr lustig, aber die Seiten vier bis neun braucht's dann doch nicht mehr. Bei einigen guten Einzelleistungen also ein katastrophaler Gesamteindruck, und das im schmerzlichen Kontrast zum wunderschönen Umschlag von Michael Sowa.
Und schließlich: Die Rezension hätte man sich auch sparen können, sie steht schon im Buch, bei Harry Rowohlt etwa. "Antje Kunstmann mit ihrer blöden Prohibitions-Anthologie", und Michael Farin notiert in sein Arbeitsprotokoll zum geforderten Stammtischbesinnungsaufsatz: "Ist doch ein Scheiß mit diesen Anthologien . . . ich weiß nicht mal mehr das Thema." "Grundlos geil", fällt ihm dauernd ein, aber das Projekt, so erfährt er, ist vor Veröffentlichung beerdigt worden. So geht's doch auch. BURKHARD SCHERER
Heinrich von Berenberg und Antje Kunstmann (Hrsg.): "Längst fällig". 37 notwendige Verbote. Verlag Antje Kunstmann, München 1996. 199 S., geb., 29,80 DM.
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