Gated Communitys, Prepper und freikirchliche Prediger. Ein schwindelerregender Roman über die Zukunft, in der wir längst leben.
Die Sicherheitsvorkehrungen in Nordelta wurden erhöht. Reiterstaffeln patrouillieren durch die Straßen, die Wachmänner tragen letale Waffen. Seit zehn Jahren wohnt Pelusa mit ihrer Familie in der Gated Community nördlich von Buenos Aires. Nach ihrer Zeit in den Anden genießt sie das sichere Zusammenleben mit den freundlichen Nachbarn. Doch als gewaltsame Unruhen Nordelta zu erreichen drohen, entwickelt sich unter den Bewohnern ein Klima der Angst. Während Pelusas Mann Hector vom Bau unterirdischer Bunker träumt, hat ihr Sohn Henny längst Pläne für eine Mondbasis zur Rettung der Menschheit entworfen. In seinem Debütroman beschreibt Juan S. Guse eine Gesellschaft in Alarmbereitschaft und erzählt von Orten der Leere und Hysterie, in denen die Lebensentwürfe seiner Figuren zu scheitern drohen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Die Sicherheitsvorkehrungen in Nordelta wurden erhöht. Reiterstaffeln patrouillieren durch die Straßen, die Wachmänner tragen letale Waffen. Seit zehn Jahren wohnt Pelusa mit ihrer Familie in der Gated Community nördlich von Buenos Aires. Nach ihrer Zeit in den Anden genießt sie das sichere Zusammenleben mit den freundlichen Nachbarn. Doch als gewaltsame Unruhen Nordelta zu erreichen drohen, entwickelt sich unter den Bewohnern ein Klima der Angst. Während Pelusas Mann Hector vom Bau unterirdischer Bunker träumt, hat ihr Sohn Henny längst Pläne für eine Mondbasis zur Rettung der Menschheit entworfen. In seinem Debütroman beschreibt Juan S. Guse eine Gesellschaft in Alarmbereitschaft und erzählt von Orten der Leere und Hysterie, in denen die Lebensentwürfe seiner Figuren zu scheitern drohen.
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gelingt es ihm, die geheimen Affinitäten von Gegenwart und Zukunft erkennbar werden zu lassen. Die Verwerfungen der Gesellschaft, die sozialen Spaltungen und ökonomischen Paradoxien. Nico Bleutge Der Tagesspiegel 20151018
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.11.2015Weltallschwarzer Asphalt
Juan S. Guses „Lärm und Wälder“ erzählt von einer gar nicht so fernen Zukunft
Menschen, die lächelnd Selfie-Sticks in die Luft halten, gehören zu den meistverspotteten Zeiterscheinungen. Und doch liegt in dem noch fremden Bild, das sie abgeben, eine Nähe zu den Verfahren moderner Kunst und Literatur. Statt sich einfach eine Kamera vors Gesicht zu halten, fahren auch diese oft Teleskope aus, um aus der Ferne auf die eigene Existenz zu blicken: Reinhard Jirgl in seinem Science-Fiction-Roman „Nichts von euch auf Erden“ vom Mars des 25. Jahrhunderts her, ähnlich Georg Klein in seinem Roman „Die Zukunft des Mars“. Aber auch jüngere Autoren wie jüngst der 1983 geborene Leif Randt mit „Planet Magnon“ und nun der 1989 im hessischen Seligenstadt geborene Juan S. Guse in seinem Romandebüt „Lärm und Wälder“ entwerfen Bilder der Zukunft als Kommentar zur Gegenwart.
Guse, der einer argentinisch-deutschen Familie entstammt, siedelt seinen Roman in Nordelta an, einer Gated Community am Rand einer großen südamerikanischen Stadt. Es herrschen Unruhen. In den südlichen Vierteln, heißt es, seien „Supermärkte geplündert, Viehtransporte überfallen, Kläranlagen vergiftet, wiederholt Autobahnen mit brennenden Reifen blockiert und sogar Polizisten ermordet worden“. Es gibt hier keine Raumschiffe und Marsmenschen. Aber Hector, der Mann von Pelusa, deutsch Flaum, hat Angst vor der Zukunft.
So ist die Familie aus einem verwahrlosten städtischen Hochhaus in die per Sicherheitszaun geschützte Community gezogen. Hector ist ein Prepper geworden. Er bereitet sich – wie sein Vertrauter Alvaro, der Sicherheitschef von Nordelta – auf die Flucht vor. Er träumt von Bunkern unter der Erde, liest Überlebensbücher und macht eine Liste mit Regeln für die Familie, falls er mal im Wald oder in aufgebrochenen Supermärkten Nahrung beschaffen muss: „Spielt Schach und schult Euren Verstand“ „Reinigt den Bunker“, „Lernt die Pflanzen der Gegend zu bestimmen“, „Übt das Verarzten.“ Auch Henny, der ältere Sohn Pelusas, aus einer früheren Beziehung, scheint von den Angstfantasien des Ziehvaters betroffen zu sein. Mit einem Luftgewehr schleicht er nachts durch die Gegend und schießt auf Tiere, während Pelusa selbst zu Joyce Meyer geht, einer freikirchlichen Gemeinde und Non-Profit-Organisation mit 100 Millionen Dollar Umsatz, die es auch in Deutschland gibt.
Guses Zukunft ist kein ferner Spiegel, aber gerade leichte Verschiebungen machen das Verfahren interessant. Das Denken Hectors ist mehr ein psychotisches Fühlen, aber es behält so viel Logik und Ambivalenz, dass man ihm folgt. Seine Figur ist, im Gegensatz zur blass-mysteriösen Pelusa, dem Autor gut gelungen. Hectorsteht in untergründiger Verbindung zu der Gesellschaft, die ihn umgibt. Gegenwart sichtbar. Einmal fällt der Satz: „Es gibt keine Gesellschaft, es gibt nur Familien.“ Angsterfüllte Einzelkämpfer brauchen ein Korrektiv: kleine Kreise, Freunde, Clans, Familien, alle ohne Verantwortungsgefühl für Menschen außerhalb.
Etwas seltsam konstruiert ist hingegen ein zweiter Erzählstrang. Er scheint zunächst zeigen zu wollen, was nach Hectors Angst kommt: das Zurechtfinden in der Natur nach der Flucht vor den Aufrührerischen. Aber das kann kaum sein, denn Pelusa, die nun mit einem namenlosen Mann zusammenlebt, aus dessen Perspektive erzählt wird, scheint plötzlich kinderlos zu sein. Stattdessen taucht aus dem Nichts ein verletzter Trappistenmönch auf, der sich zwischen das Paar schiebt. Zwar nur als Freund Pelusas, aber das reicht. Der Mann, der mit Pelusa in den Wäldern wohnt, hat ähnliche Eigenschaften wie Hector. Er ärgert sich über den Trappisten, weil er „keinen Nutzen“ bringt. Es gibt Parallelen zwischen der Hector- und der Trappisten-Geschichte, aber wenig Notwendigkeit, sie miteinander zu verschränken. Es sieht so aus, als habe Guse Varianten probiert und sich am Ende von der Trappistengeschichte nicht verabschieden können.
Leider wird die Freude an diesem durchaus spannenden Debüt immer wieder auch durch die Sprache eingeschränkt. Das gilt schon für die erste Seite: „Es ist ein heißer Tag, der die Dinge durchsichtig und unfassbar klar erscheinen lässt.“ Das Hülsenwort „unfassbar“ soll Bedeutung erzwingen, ohne sich mit Details aufhalten zu wollen. Eine einfache, aber genaue Beobachtung, versackt hingegen gleich in einem unbeholfenen Adjektiv: „die Hitze macht die Reifen weich und geschmeidig. Es herrscht eine unbeschreibliche Ruhe.“ Dafür muss der Asphalt gleich „weltallschwarz“ sein. Und manche Stilblüten wirken wie eine schlechte Übersetzung: „Vorbei an zahlreichen teureren Nachbarschaften fährt Pelusa bis an den äußersten Rand von Nordelta, wo ihre Nachbarschaft La Lansia liegt.“
Natürlich gibt es das Wort „neighbourhood“, auch das spanische „vecindario“, aber das deutsche „Nachbarschaft“ meint doch etwas anderes – Siedlung wäre nicht unpassend. In Guses „Nachbarschaft“ begegnet dem Leser der „maritime Gärtner.“ Etwas mehr pflegliche Behandlung hätte diesem eigenwillig-verqueren Debüt nicht geschadet.
HANS-PETER KUNISCH
Ein interessanter Debütroman,
der mehr Pflege verdient hätte
Juan S. Guse:
Lärm und Wälder. Roman.
S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2015.
320 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 17,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Juan S. Guses „Lärm und Wälder“ erzählt von einer gar nicht so fernen Zukunft
Menschen, die lächelnd Selfie-Sticks in die Luft halten, gehören zu den meistverspotteten Zeiterscheinungen. Und doch liegt in dem noch fremden Bild, das sie abgeben, eine Nähe zu den Verfahren moderner Kunst und Literatur. Statt sich einfach eine Kamera vors Gesicht zu halten, fahren auch diese oft Teleskope aus, um aus der Ferne auf die eigene Existenz zu blicken: Reinhard Jirgl in seinem Science-Fiction-Roman „Nichts von euch auf Erden“ vom Mars des 25. Jahrhunderts her, ähnlich Georg Klein in seinem Roman „Die Zukunft des Mars“. Aber auch jüngere Autoren wie jüngst der 1983 geborene Leif Randt mit „Planet Magnon“ und nun der 1989 im hessischen Seligenstadt geborene Juan S. Guse in seinem Romandebüt „Lärm und Wälder“ entwerfen Bilder der Zukunft als Kommentar zur Gegenwart.
Guse, der einer argentinisch-deutschen Familie entstammt, siedelt seinen Roman in Nordelta an, einer Gated Community am Rand einer großen südamerikanischen Stadt. Es herrschen Unruhen. In den südlichen Vierteln, heißt es, seien „Supermärkte geplündert, Viehtransporte überfallen, Kläranlagen vergiftet, wiederholt Autobahnen mit brennenden Reifen blockiert und sogar Polizisten ermordet worden“. Es gibt hier keine Raumschiffe und Marsmenschen. Aber Hector, der Mann von Pelusa, deutsch Flaum, hat Angst vor der Zukunft.
So ist die Familie aus einem verwahrlosten städtischen Hochhaus in die per Sicherheitszaun geschützte Community gezogen. Hector ist ein Prepper geworden. Er bereitet sich – wie sein Vertrauter Alvaro, der Sicherheitschef von Nordelta – auf die Flucht vor. Er träumt von Bunkern unter der Erde, liest Überlebensbücher und macht eine Liste mit Regeln für die Familie, falls er mal im Wald oder in aufgebrochenen Supermärkten Nahrung beschaffen muss: „Spielt Schach und schult Euren Verstand“ „Reinigt den Bunker“, „Lernt die Pflanzen der Gegend zu bestimmen“, „Übt das Verarzten.“ Auch Henny, der ältere Sohn Pelusas, aus einer früheren Beziehung, scheint von den Angstfantasien des Ziehvaters betroffen zu sein. Mit einem Luftgewehr schleicht er nachts durch die Gegend und schießt auf Tiere, während Pelusa selbst zu Joyce Meyer geht, einer freikirchlichen Gemeinde und Non-Profit-Organisation mit 100 Millionen Dollar Umsatz, die es auch in Deutschland gibt.
Guses Zukunft ist kein ferner Spiegel, aber gerade leichte Verschiebungen machen das Verfahren interessant. Das Denken Hectors ist mehr ein psychotisches Fühlen, aber es behält so viel Logik und Ambivalenz, dass man ihm folgt. Seine Figur ist, im Gegensatz zur blass-mysteriösen Pelusa, dem Autor gut gelungen. Hectorsteht in untergründiger Verbindung zu der Gesellschaft, die ihn umgibt. Gegenwart sichtbar. Einmal fällt der Satz: „Es gibt keine Gesellschaft, es gibt nur Familien.“ Angsterfüllte Einzelkämpfer brauchen ein Korrektiv: kleine Kreise, Freunde, Clans, Familien, alle ohne Verantwortungsgefühl für Menschen außerhalb.
Etwas seltsam konstruiert ist hingegen ein zweiter Erzählstrang. Er scheint zunächst zeigen zu wollen, was nach Hectors Angst kommt: das Zurechtfinden in der Natur nach der Flucht vor den Aufrührerischen. Aber das kann kaum sein, denn Pelusa, die nun mit einem namenlosen Mann zusammenlebt, aus dessen Perspektive erzählt wird, scheint plötzlich kinderlos zu sein. Stattdessen taucht aus dem Nichts ein verletzter Trappistenmönch auf, der sich zwischen das Paar schiebt. Zwar nur als Freund Pelusas, aber das reicht. Der Mann, der mit Pelusa in den Wäldern wohnt, hat ähnliche Eigenschaften wie Hector. Er ärgert sich über den Trappisten, weil er „keinen Nutzen“ bringt. Es gibt Parallelen zwischen der Hector- und der Trappisten-Geschichte, aber wenig Notwendigkeit, sie miteinander zu verschränken. Es sieht so aus, als habe Guse Varianten probiert und sich am Ende von der Trappistengeschichte nicht verabschieden können.
Leider wird die Freude an diesem durchaus spannenden Debüt immer wieder auch durch die Sprache eingeschränkt. Das gilt schon für die erste Seite: „Es ist ein heißer Tag, der die Dinge durchsichtig und unfassbar klar erscheinen lässt.“ Das Hülsenwort „unfassbar“ soll Bedeutung erzwingen, ohne sich mit Details aufhalten zu wollen. Eine einfache, aber genaue Beobachtung, versackt hingegen gleich in einem unbeholfenen Adjektiv: „die Hitze macht die Reifen weich und geschmeidig. Es herrscht eine unbeschreibliche Ruhe.“ Dafür muss der Asphalt gleich „weltallschwarz“ sein. Und manche Stilblüten wirken wie eine schlechte Übersetzung: „Vorbei an zahlreichen teureren Nachbarschaften fährt Pelusa bis an den äußersten Rand von Nordelta, wo ihre Nachbarschaft La Lansia liegt.“
Natürlich gibt es das Wort „neighbourhood“, auch das spanische „vecindario“, aber das deutsche „Nachbarschaft“ meint doch etwas anderes – Siedlung wäre nicht unpassend. In Guses „Nachbarschaft“ begegnet dem Leser der „maritime Gärtner.“ Etwas mehr pflegliche Behandlung hätte diesem eigenwillig-verqueren Debüt nicht geschadet.
HANS-PETER KUNISCH
Ein interessanter Debütroman,
der mehr Pflege verdient hätte
Juan S. Guse:
Lärm und Wälder. Roman.
S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2015.
320 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 17,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Was für ein Debüt!, schwärmt Rezensent Nico Bleutge, der Juan S. Guses Roman "Lärm und Wälder" in einer Tradition mit den Büchern von Jules Vernes über Alfred Döblin bis zu Leif Randt sieht. Wie Guse hier seine Fallstudie über die künstliche Realität der Gated Community Nordelta in Buenos Aires vermeintlich real beginnen lässt, um sie dann in finsteren dystopischen Bildern weiterzudenken, hat dem Kritiker ausgesprochen gut gefallen. Mit angehaltenem Atem liest er nicht nur von den Unruhen und sozialen Spaltungen hinter der perfekten Fassade, sondern folgt auch den Schicksalen der Figuren, die in ihren ganz eigenen Sphären leben. Nicht zuletzt lobt Bleutge den ruhigen und eindringlichen Erzählton, der die Gedanken der einzelnen Figuren deutlich spürbar werden lasse.
© Perlentaucher Medien GmbH
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