Lafcadio, ein junger Löwe, lebt friedlich und zufrieden in seinem Rudel in der Savanne. Eines Tages stören Jäger auf Löwenjagd die Idylle. Aber Lafcadio dreht den Spieß um. Er frisst den Jäger, der ihn erschießen will, und wird selbst ein toller Kunstschütze, dessen Ruf bis nach Amerika eilt. Ein Zirkusdirektor lockt Lafcadio mit dem Versprechen nach Chicago, dass er endlich so viele Marshmallows bekommt, wie er nur will. Und da kann Lafcadio einfach nicht Nein sagen ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2004Vom Glück, ein Löwe zu sein
Zwei Klassiker haben da ganz unterschiedliche Vorstellungen
Wir Erwachsenen wissen ganz genau, was ein Bilderbuchlöwe ist: Er sitzt im Zoo und ist glücklich. Das berühmte Bilderbuch von Louise Fatio hat die Löwen-Vorstellung ganzer Generationen geprägt, seit inzwischen fünfzig Jahren. Der glückliche Löwe ist so unbedarft, daß er gar nicht versteht, warum alle seine Menschenfreunde panisch die Flucht ergreifen, als er sie eines Tages in ihrer Kleinstadt besuchen will. Allein der Junge Franz, sein treuester Besucher, nähert sich ihm unerschrocken und bringt ihn schnell wieder hinter Gitter. Und da der glückliche Löwe sehr zufrieden ist mit seinem Zuhause, macht ihm das noch nicht mal etwas aus, im Gegenteil. Es waren gewiß nicht nur die lebhaften Illustrationen von Roger Duvoisin mit ihrem feinen Strich und kräftigen Rot-Ockertönen, die das Buch zum Bestseller der späten Nachkriegszeit machten, sondern auch das heitere und kindlich freundliche Miteinander, von dem die Geschichte erzählt. Liest man sie heute, muß man sich schon fragen, wie ein eingesperrter Löwe glücklich sein kann. Zur Moral heutiger Bilderbücher passen Gitterstäbe selbstverständlich nur, wenn der Ausbruch aus ihnen erfolgreich ist. Der Charme des Klassikers aus Frankreich wird aber die Kinder von heute dennoch ansprechen - das hofft zumindest der Herder Verlag, der zum runden Geburtstag eine Jubiläumsausgabe herausgebracht hat.
Zeitgleich kommt nun ein anderer glücklicher Löwe auf den Büchermarkt, ebenfalls ein Klassiker, wenn auch nicht hierzulande. Der amerikanische Künstler Shel Silverstein schrieb und zeichnete 1963 eine Geschichte, die wie eine Parodie auf den "glücklichen Löwen" erscheint. Auf skurrile und nonsensartige Weise läßt Silverstein seinen Löwen Lafcadio das gegen ihn gerichtete Gewehr umdrehen; das Tier schießt zurück, verfeinert seine Fertigkeit und steigt schließlich zum Megastar im Zirkus auf. Shel Silverstein zeichnet hier einen nur allzumenschlichen Lebensweg und karikiert den amerikanischen Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Traum.
Dies alles erzählt er mit viel schwarzem Humor, ohne dabei wirklich gemein zu werden, auch wenn viele Jäger inklusive ihrer roten Wollmützen in vielen Löwenrachen verschwinden. Die witzig gestrickte Erfolgsstory um das große Thema Fressen oder Gefressen-werden dreht sich aber letztlich um die alte Suche nach der Leichtigkeit des Seins.
Lafcadio, so der Künstlername des nunmehr berühmten Löwen, scheitert letztendlich an seinem unlöwisch erworbenen Glück. Aber bis es soweit kommt, ist die Geschichte so prall gefüllt mit ausufernden Marshmallow-Freßorgien, Liftfahrexzessen und anderen kindlichen Köstlichkeiten, die sich der Löwe auf seinem Weg zum ultimativen Glück gönnt, daß man keinesfalls über die abschließend philosophische Frage des Textes ins Grübeln gerät. Das liegt auch an dem lapidaren Plauderton, der an Kästner erinnert, aber noch viel lässiger und und frecher klingt, dank der Übersetzung Harry Rowohlts (der seine 1987 bei Middelhauve erschienene Übersetzung jetzt frisch überarbeitete). Rowohlt ist dieser lautmalerisch angelegte Text, der mit viel löwischem "GRAUGRRR" und "krawammel krawummel" versehen ist, wahrhaftig auf den Leib geschrieben - in der Hörbuchfassung heißt es passend "vorgeknurrt von H.R." Shel Silversteins wunderbare Zeichnungen zu der Geschichte sind mit einfachem Tuschestrich gezogen und zeigen Lafcadio cartoonhaft in den verschiedensten Posen, Kostümen und Szenerien. Durch sie wächst einem das glücksgebeutelte Tier noch mehr ans Herz. - Bleibt abschließend nur mehr die Frage, was aus uns Lesenden dieser domestizierten Glücklichen-Löwe-Generation geworden wäre, hätten wir als Kinder statt Fatio/Duvoisin die Silversteinsche Fassung in den Händen gehalten? Vielleicht wären wir zu der Generation "Lafcadio" herangewachsen? Doch bleibt diese Überlegung leider nur Spekulation.
Glücklich darf man aber indes sein, daß Lafcadio nun wieder den Weg auf den deutschen Kinderbuchmarkt gefunden hat.
CAROLINE ROEDER.
Louise Fatio/Roger Duvoisin: "Der glückliche Löwe". Aus dem Französischen übersetzt von Fritz und Regina Mühlenweg. Herder Verlag, Freiburg 2004. 32 S., geb., 11,90 [Euro]. Ab 4 J.
Shel Silverstein: "Lafcadio - Ein Löwe schießt zurück". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Harry Rowohlt. Fischer Schatzinsel, Frankfurt am Main 2004. 112 S., geb. , 11,90 [Euro]. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Klassiker haben da ganz unterschiedliche Vorstellungen
Wir Erwachsenen wissen ganz genau, was ein Bilderbuchlöwe ist: Er sitzt im Zoo und ist glücklich. Das berühmte Bilderbuch von Louise Fatio hat die Löwen-Vorstellung ganzer Generationen geprägt, seit inzwischen fünfzig Jahren. Der glückliche Löwe ist so unbedarft, daß er gar nicht versteht, warum alle seine Menschenfreunde panisch die Flucht ergreifen, als er sie eines Tages in ihrer Kleinstadt besuchen will. Allein der Junge Franz, sein treuester Besucher, nähert sich ihm unerschrocken und bringt ihn schnell wieder hinter Gitter. Und da der glückliche Löwe sehr zufrieden ist mit seinem Zuhause, macht ihm das noch nicht mal etwas aus, im Gegenteil. Es waren gewiß nicht nur die lebhaften Illustrationen von Roger Duvoisin mit ihrem feinen Strich und kräftigen Rot-Ockertönen, die das Buch zum Bestseller der späten Nachkriegszeit machten, sondern auch das heitere und kindlich freundliche Miteinander, von dem die Geschichte erzählt. Liest man sie heute, muß man sich schon fragen, wie ein eingesperrter Löwe glücklich sein kann. Zur Moral heutiger Bilderbücher passen Gitterstäbe selbstverständlich nur, wenn der Ausbruch aus ihnen erfolgreich ist. Der Charme des Klassikers aus Frankreich wird aber die Kinder von heute dennoch ansprechen - das hofft zumindest der Herder Verlag, der zum runden Geburtstag eine Jubiläumsausgabe herausgebracht hat.
Zeitgleich kommt nun ein anderer glücklicher Löwe auf den Büchermarkt, ebenfalls ein Klassiker, wenn auch nicht hierzulande. Der amerikanische Künstler Shel Silverstein schrieb und zeichnete 1963 eine Geschichte, die wie eine Parodie auf den "glücklichen Löwen" erscheint. Auf skurrile und nonsensartige Weise läßt Silverstein seinen Löwen Lafcadio das gegen ihn gerichtete Gewehr umdrehen; das Tier schießt zurück, verfeinert seine Fertigkeit und steigt schließlich zum Megastar im Zirkus auf. Shel Silverstein zeichnet hier einen nur allzumenschlichen Lebensweg und karikiert den amerikanischen Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Traum.
Dies alles erzählt er mit viel schwarzem Humor, ohne dabei wirklich gemein zu werden, auch wenn viele Jäger inklusive ihrer roten Wollmützen in vielen Löwenrachen verschwinden. Die witzig gestrickte Erfolgsstory um das große Thema Fressen oder Gefressen-werden dreht sich aber letztlich um die alte Suche nach der Leichtigkeit des Seins.
Lafcadio, so der Künstlername des nunmehr berühmten Löwen, scheitert letztendlich an seinem unlöwisch erworbenen Glück. Aber bis es soweit kommt, ist die Geschichte so prall gefüllt mit ausufernden Marshmallow-Freßorgien, Liftfahrexzessen und anderen kindlichen Köstlichkeiten, die sich der Löwe auf seinem Weg zum ultimativen Glück gönnt, daß man keinesfalls über die abschließend philosophische Frage des Textes ins Grübeln gerät. Das liegt auch an dem lapidaren Plauderton, der an Kästner erinnert, aber noch viel lässiger und und frecher klingt, dank der Übersetzung Harry Rowohlts (der seine 1987 bei Middelhauve erschienene Übersetzung jetzt frisch überarbeitete). Rowohlt ist dieser lautmalerisch angelegte Text, der mit viel löwischem "GRAUGRRR" und "krawammel krawummel" versehen ist, wahrhaftig auf den Leib geschrieben - in der Hörbuchfassung heißt es passend "vorgeknurrt von H.R." Shel Silversteins wunderbare Zeichnungen zu der Geschichte sind mit einfachem Tuschestrich gezogen und zeigen Lafcadio cartoonhaft in den verschiedensten Posen, Kostümen und Szenerien. Durch sie wächst einem das glücksgebeutelte Tier noch mehr ans Herz. - Bleibt abschließend nur mehr die Frage, was aus uns Lesenden dieser domestizierten Glücklichen-Löwe-Generation geworden wäre, hätten wir als Kinder statt Fatio/Duvoisin die Silversteinsche Fassung in den Händen gehalten? Vielleicht wären wir zu der Generation "Lafcadio" herangewachsen? Doch bleibt diese Überlegung leider nur Spekulation.
Glücklich darf man aber indes sein, daß Lafcadio nun wieder den Weg auf den deutschen Kinderbuchmarkt gefunden hat.
CAROLINE ROEDER.
Louise Fatio/Roger Duvoisin: "Der glückliche Löwe". Aus dem Französischen übersetzt von Fritz und Regina Mühlenweg. Herder Verlag, Freiburg 2004. 32 S., geb., 11,90 [Euro]. Ab 4 J.
Shel Silverstein: "Lafcadio - Ein Löwe schießt zurück". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Harry Rowohlt. Fischer Schatzinsel, Frankfurt am Main 2004. 112 S., geb. , 11,90 [Euro]. Ab 8 J.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Bücher, die von Harry Rowohlt übersetzt wurden, werden nicht verrissen. An diese eherne Regel des Feuilletons hält sich auch Isabelle Erler, die ganz hingerissen von Rowohlts Übertragung des Kinderbuchklassikers "