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War der Neandertaler ein halbtierisches Wesen von nur schwachem Verstand? Was veranlaßte die Eiszeitmenschen, unbewohnte Höhlen mit prächtigen Malereien zu schmücken? Wie sahen die frühesten Religionen der Menschheit aus? Diese und zahlreiche andere Fragen behandelt Martin Kuckenburg, Sachbuchautor für Archäologie und Kulturgeschichte, in seinem neuesten Buch, das sich detailgenau und kenntnisreich mit den Wurzeln unseres Verhaltens, unseres Intellekts und unserer Kultur auseinandersetzt. Das Buch gibt einen spannenden Überblick über 150 Jahre Urgeschichtsforschung, vom Streit um die…mehr

Produktbeschreibung
War der Neandertaler ein halbtierisches Wesen von nur schwachem Verstand? Was veranlaßte die Eiszeitmenschen, unbewohnte Höhlen mit prächtigen Malereien zu schmücken? Wie sahen die frühesten Religionen der Menschheit aus? Diese und zahlreiche andere Fragen behandelt Martin Kuckenburg, Sachbuchautor für Archäologie und Kulturgeschichte, in seinem neuesten Buch, das sich detailgenau und kenntnisreich mit den Wurzeln unseres Verhaltens, unseres Intellekts und unserer Kultur auseinandersetzt. Das Buch gibt einen spannenden Überblick über 150 Jahre Urgeschichtsforschung, vom Streit um die "Affenabstammung" des Menschen im letzten Jahrhundert bis zur computergestützten Archäologie unserer Tage, und es macht deutlich, wie sehr die Vorstellungen von unseren urzeitlichen Vorfahren dem jeweiligen Zeitgeist unterworfen sind.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1997

Ich will kein Düsseldorfer sein
Martin Kuckenburg dokumentiert die Schwierigkeiten des Homo sapiens mit dem Neandertaler

Heftige Diskussionen wurden entfacht, als Charles Darwin im Jahr 1859 sein Hauptwerk "Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtauswahl" veröffentlichte. Hatte da ein Forscher Gott als Schöpfer entthronen wollen? Sollte der Mensch - über dessen Stellung in der Natur Darwin in diesem Buch noch gar nichts aussagte - etwa vom Affen abstammen? Nur wenige Wissenschaftler wußten damals, daß die ersten Fossilien, die eine Entwicklung des modernen Menschen aus "primitiveren" Vorstufen belegen sollten, bereits entdeckt worden waren. Im August 1856 waren in Sedimenten im Neandertal bei Düsseldorf fossile Skelettreste zum Vorschein gekommen, die später dem nach dem Fundort benannten Neandertaler zugeschrieben wurden.

Mittlerweile läßt sich der Stammbaum des modernen Menschen einige Millionen Jahre weit in die Vergangenheit zurückverfolgen. Schwierigkeiten bereitet es allerdings auch heute noch, die Entwicklung des Menschen als Natur- und als Kulturwesen im Detail nachzuvollziehen. Wie unterschiedlich viele Funde interpretiert werden und vor allem auch in der Vergangenheit interpretiert worden sind, schildert Martin Kuckenburg.

Daß es den meisten Forschern zur Zeit Darwins noch schwerfiel, den Neandertaler als frühen Verwandten des modernen Menschen zu akzeptieren, ist nicht weiter überraschend. Der Berliner Mediziner und Anatom Rudolf Virchow zum Beispiel wandte sich heftig gegen die Behauptung, der im Neandertal gefundene Schädel gehöre einem sehr niederen Typus und somit einer vorhistorischen Zeit an. Er glaubte statt dessen, die Befunde deuteten auf ein modernes Individuum hin, das in seiner Kindheit an Rachitis gelitten und später mehrere schwere Schädelverletzungen erhalten habe. Schließlich hätten sich als Folge einer Arthritis in höherem Alter Veränderungen eingestellt, insbesondere sei der linke Arm fast ganz steif geworden.

Immer wieder waren es Vorurteile, die die Sicht auf die Tatsachen verbauten. Den Neandertaler hielt man für einen groben, am ganzen Körper behaarten Gesellen, dem tiefere Gefühle aberkannt wurden. Dem wesentlich älteren Homo erectus traute man die Kunst, Jagdwaffen zu fertigen, nicht zu. Und über die Australopithecinen, unsere Vorfahren vor zwei oder drei Millionen Jahren, schrieb der bekannte südafrikanische Paläanthropologe Raymond Dart noch 1953, sie seien erwiesene Killer: fleischfressende Kreaturen, die lebende Beutetiere mit Gewalt packten, sie totschlugen, ihre zerschmetterten Leiber zerrissen und heißhungrig den Durst mit dem noch warmen Blut der Opfer löschten. Ihre allzu üppige Umwelt sei, so äußerten sich andere Forscher, entwicklungshemmend gewesen. Dies galt später als willkommene Begründung für die angebliche Überlegenheit der im harten Überlebenskampf geformten nordischen Rasse.

Bisweilen schlug das Pendel aber auch zur anderen Seite aus. Zeitweilig glaubten viele Forscher, vermehrt Belege dafür vorweisen zu können, daß die Urmenschen schon früher, als es tatsächlich wohl der Fall war, Steine zu Werkzeug verarbeiteten, Lagerfeuer machten oder andere Kunstfertigkeiten besaßen. Manche dieser Belege haben sich ebenfalls als unhaltbar erwiesen. Verfolgt man die Geschichte der Paläanthropologie, findet man mehr über die Vorurteile der Wissenschaftler als über die Forschungsobjekte heraus.

Sicher ist heute, daß viele der Entwicklungen, die zu den "menschlichen" Fertigkeiten führten, schon recht früh begannen. Bei Verden an der Aller zum Beispiel wurden im März 1948 fossile Elefantenrippen geborgen, in denen eine etwa 125000 Jahre alte Lanze steckte. Rund 400000 Jahre alt sind Wurfspeere, die Hartmut Thieme 1994 bei Helmstedt in Niedersachsen fand. Als sicher gilt, daß schon die Neandertaler Tote bestatteten. Und 30000 bis 32000 Jahre alt sind die ältesten datierten Höhlenbilder Europas - Ende 1994 in der Grotte Chauvet in der Ardèche (Südfrankreich) entdeckt. Ob australische Felsbilder, wie einige Forscher glauben, noch wesentlich älter sind, muß noch geklärt werden.

Kuckenburg hat in seinem Buch anschaulich herausgearbeitet, wie sich die Interpretation der urmenschlichen Fossilien im Laufe der Jahrzehnte entwickelt hat. Eine Vielzahl von Zitaten hilft, den jeweiligen zeitgeschichtlichen Hintergrund zu erhellen. Dadurch wird der Leser angeregt, sich selbst ein Bild von der Tragfähigkeit heutiger Deutungsversuche zu machen. Denn selbst die weitverbreitete These, der moderne Mensch habe nur eine einzige Wurzel, und die liege in Afrika, stellt Kuckenburg als nicht endgültig erwiesen in Frage. Auch hier ist allerdings Vorsicht geboten. Das Postulat voneinander unabhängiger Entwicklungen zum Homo sapiens sapiens hin ließe sich leicht für einen neuen Rassismus mißbrauchen. GÜNTER PAUL

Martin Kuckenburg: "Lag Eden im Neandertal?" Econ Verlag, Düsseldorf 1997. 368 S., Abb., geb., 48,- DM.

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