Marianna weiß eins schon genau: Sie will nicht in der russischen Provinz versauern, sondern in der Hauptstadt ein berühmter Filmstar werden. Sie ist regelrecht süchtig nach dem "Lampenfieber" vor der Kamera, sie will Blumen, Verehrung und ein großes Publikum. Erst im Laufe der Jahre wird ihr klar, daß die Verwirklichung ihres Traumes mehr kostet als Talent und viel Arbeit. Tatjana und Mischa sind das Traumpaar des russischen Eistanzes. Sie tanzen sich von Sieg zu Sieg - bis Mischa sich in eine andere Läuferin verliebt und mit ihr weitertanzt. Aber Tatjana gibt nicht auf. Mit einem anderen Partner trainiert sie so lange, bis sie wieder ganz oben auf dem Treppchen steht. Aber Ruhm ist nicht alles, so muß sie eines Tages erkennen, als sie ein Beinbruch zum Nachdenken bringt. Eine junge Schauspielerin lernt über die Arbeit an ihrem Drehbuch einen um vieles älteren, verheirateten Regisseur kennen, in den sie sich unsterblich verlieb t. Jahrelang erlebt diese leidenschaftliche Verbindung, die durch die gemeinsame Arbeit in Gang gehalten wird, Höhen und Tiefen. Doch die junge Frau entwickelt mit zunehmendem Alter auch eigene Meinungen und schaut nicht mehr kritiklos zu dem älteren Mann auf. Fünf Künstlergeschichten über die Welt des schönen Scheins und die Menschen, die unbedingt dazugehören wollen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.1999Zahnplomben im Erdbeerglas
Zu viele wollen zum Film: Viktorija Tokarjewas "Lampenfieber"
Viktorija Tokarjewas Heldinnen scheinen alle vom selben Hunger getrieben. Sie wollen Bewunderung und Ruhm und Geld und Liebe. Das Maximalprogramm, und zwar jetzt gleich. In "Lampenfieber" will Marusja um jeden Preis zum Film. Filmstar sein bedeutet das wahre Leben. Zunächst stolpert sie von einer Beziehungskiste in die nächste. Ihre erste Liebe endet mit einer Abtreibung, sie findet zu einem alkoholkranken Schriftsteller ("Sein Grundzustand war Haß"), dann zu dem wohlhabenden Arzt Kowaljow, mit dem sie nebenher Antiquitäten sammelt. Schließlich scheint in der Gestalt des Malers Boris die "ganz große" Liebe anzuklopfen. Sie pendelt zurück zum geduldigen Arzt, der aber irgendwann doch die Nase voll hat und sie verläßt.
Und sie will immer, immer zum Film. Ein paarmal bekommt sie Nebenrollen, eher nichtige und einmal eine richtige, als "die Ekelhafte" (die steht im russischen Titel der Erzählung). Eine berauschende Karriere ist damit nicht zu machen. Schließlich verabschiedet Marusja ihre Ruhmgelüste und läßt sich von einer Ikone, die sie als Antiquitätensammlerin einst erstanden hat, zum Rückzug aus der schnöden Welt des Ehrgeizes inspirieren.
In "Der Preis des Ruhms" taucht die Erzählerin ab in ihre professionelle Vergangenheit, erinnert sich an die sechziger Jahre, als sie selber schrecklich gern zum Film wollte und an der Moskauer Filmhochschule ins Drehbuchfach strebte. Das Porträt ihrer liebes- und lebenshungrigen alten Lehrerin von damals bringt das Thema des eigenen Alterns ins Spiel, aber nicht allzusehr. In "Flüssige Lava" zeichnet sie das Porträt eines talentierten, aber alkoholkranken Koautors beim Drehbuchschreiben, der sich nicht so leicht aus seiner funktionierenden Ehe in eine Affäre herauslocken läßt. Er, dessen Stimme immer wieder als "flüssige Lava" durchs Telefon drang, wird am Schluß mit einem Luftballon verglichen, der nur noch halb gefüllt ist. So grausam kann das Leben sein - oder so nachtragend eine Erzählerin.
Die 1937 in Leningrad geborene Tokarjewa schreibt Geschichten, die das Leben schrieb; sie tut es gekonnt und manchmal ein bißchen zu routiniert. Das Handwerk läuft seit Jahrzehnten wie geölt. Die Erzählbände häufen sich, und die Tokarjewa spult ungerührt die Liebeskatastrophen ab, die glänzenden und die scheinhaften Karrieren, die schmuddeligen und die gescheiterten. Fünf "Künstlergeschichten" verspricht der neue Band - und wenn es fünfmal dieselbe wäre? Thematische Bündelung bekommt ihrem Talent nicht allzu gut. Die Ähnlichkeiten werden zu sichtbar, der Leerlauf stellt sich ein.
Wenn es drei grundverschiedene Typen sind wie in ihrem vorletzten Buch "Der Pianist", wo sich der scheiternde Klaviervirtuose, der wehleidige Fotograf einer Filmcrew und ein arbeitsloser Schauspieler ein Stelldichein gaben, entsteht eine reizvolle Mischung. Im neuen Band ist es eine geballte Ladung von Ähnlich-Gleichem. Diese Filmer-Cliquen, lüsterne alte Regisseure und junge Drehbuchschreiberinnen oder Schauspielerinnen mit Groupie-Mentalität, hat man irgendwann ein bißchen satt. Die vierte Erzählung in dem Buch, "Der Beinbruch", erscheint auch deshalb als die gelungenste, weil das zu oft zelebrierte Filmer-Milieu verlassen wird. Sie zeigt eine alt gewordene Eiskunstlauftrainerin, die einmal Weltmeisterin war und sich jetzt dummerweise den Fuß gebrochen hat. Die Liebesgeschichte im Krankenhaus, die endliche Heilung nach üblen Komplikationen und die Krönung durch Altersweisheit sind tatsächlich lesenswert. Doch gleich darauf, in der letzten Geschichte, die alte Platte von Aschenputtels Doppeldurst nach Ruhm und Liebe.
Eine Entwicklung in Tokarjewas knapper Kunst der ungerührten Lakonik, in der Schicksalsschläge, Scheidungen und schlimmste Gebresten meist nur einen halben Satz einnehmen, scheint es nicht zu geben. Irritiert sucht man Brüche und Stockungen in diesem Handwerk - den herrlichen kleinen Spalt, durch den die Verrücktheit und das ganz Besondere eindringen könnte.
Was ebenfalls irritieren kann, ist Tokarjewas Hang zur simplen Formel. Das Leben ist trotz aller Verwicklungen bei dieser Autorin nicht allzu komplex. So heißt es in "Der Preis des Ruhms": "Es stellt sich heraus, daß die Menschheit nur ein paar Lebensmuster kennt: die erwiderte Liebe, die unerwiderte Liebe, das Dreieck. Diese drei Varianten werden auf verschiedene Charaktere verlagert, auf verschiedene Menschen verteilt, und schon bekommt man eine brodelnde Suppe menschlicher Leidenschaften." Wenn das Suppenrezept so einfach ist, erscheint auch das Leben nicht allzu erzählenswert.
Überhaupt das Leben. Die Tokarjewa möchte es gern in prägnante Vergleiche zwängen. In "Lampenfieber" heißt es: "Wenn man im Leben keine echte Erfüllung findet, sucht man einen Ersatz, wie eine Plombe, die ein Loch im Zahn ausfüllt." Und in der darauffolgenden Erzählung: "Das Leben ist wie ein Einmachglas mit Erdbeeren. Zwischen den Beeren ist Leere. Aber die Leere gehört zur Füllung." Zahnplomben und Erdbeeren: Zweimal erscheint ein Bild für Füllung oder Erfülltheit. Doch den Leser beschleicht der Verdacht, das Leben könnte sich sehr viel perverser benehmen, als in diesen schnittigen Vergleichen suggeriert wird. Es könnte alles haarsträubend vertrackter sein. Das Leben wäre ein Einmachglas voller Zahnplomben. Oder ein Mund voller löchriger Zähne, in denen Erdbeeren blühen.
RALPH DUTLI
Viktorija Tokarjewa: "Lampenfieber". Künstlergeschichten. Aus dem Russischen übersetzt von Angelika Schneider. Diogenes Verlag, Zürich 1999. 262 S., geb. 39,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zu viele wollen zum Film: Viktorija Tokarjewas "Lampenfieber"
Viktorija Tokarjewas Heldinnen scheinen alle vom selben Hunger getrieben. Sie wollen Bewunderung und Ruhm und Geld und Liebe. Das Maximalprogramm, und zwar jetzt gleich. In "Lampenfieber" will Marusja um jeden Preis zum Film. Filmstar sein bedeutet das wahre Leben. Zunächst stolpert sie von einer Beziehungskiste in die nächste. Ihre erste Liebe endet mit einer Abtreibung, sie findet zu einem alkoholkranken Schriftsteller ("Sein Grundzustand war Haß"), dann zu dem wohlhabenden Arzt Kowaljow, mit dem sie nebenher Antiquitäten sammelt. Schließlich scheint in der Gestalt des Malers Boris die "ganz große" Liebe anzuklopfen. Sie pendelt zurück zum geduldigen Arzt, der aber irgendwann doch die Nase voll hat und sie verläßt.
Und sie will immer, immer zum Film. Ein paarmal bekommt sie Nebenrollen, eher nichtige und einmal eine richtige, als "die Ekelhafte" (die steht im russischen Titel der Erzählung). Eine berauschende Karriere ist damit nicht zu machen. Schließlich verabschiedet Marusja ihre Ruhmgelüste und läßt sich von einer Ikone, die sie als Antiquitätensammlerin einst erstanden hat, zum Rückzug aus der schnöden Welt des Ehrgeizes inspirieren.
In "Der Preis des Ruhms" taucht die Erzählerin ab in ihre professionelle Vergangenheit, erinnert sich an die sechziger Jahre, als sie selber schrecklich gern zum Film wollte und an der Moskauer Filmhochschule ins Drehbuchfach strebte. Das Porträt ihrer liebes- und lebenshungrigen alten Lehrerin von damals bringt das Thema des eigenen Alterns ins Spiel, aber nicht allzusehr. In "Flüssige Lava" zeichnet sie das Porträt eines talentierten, aber alkoholkranken Koautors beim Drehbuchschreiben, der sich nicht so leicht aus seiner funktionierenden Ehe in eine Affäre herauslocken läßt. Er, dessen Stimme immer wieder als "flüssige Lava" durchs Telefon drang, wird am Schluß mit einem Luftballon verglichen, der nur noch halb gefüllt ist. So grausam kann das Leben sein - oder so nachtragend eine Erzählerin.
Die 1937 in Leningrad geborene Tokarjewa schreibt Geschichten, die das Leben schrieb; sie tut es gekonnt und manchmal ein bißchen zu routiniert. Das Handwerk läuft seit Jahrzehnten wie geölt. Die Erzählbände häufen sich, und die Tokarjewa spult ungerührt die Liebeskatastrophen ab, die glänzenden und die scheinhaften Karrieren, die schmuddeligen und die gescheiterten. Fünf "Künstlergeschichten" verspricht der neue Band - und wenn es fünfmal dieselbe wäre? Thematische Bündelung bekommt ihrem Talent nicht allzu gut. Die Ähnlichkeiten werden zu sichtbar, der Leerlauf stellt sich ein.
Wenn es drei grundverschiedene Typen sind wie in ihrem vorletzten Buch "Der Pianist", wo sich der scheiternde Klaviervirtuose, der wehleidige Fotograf einer Filmcrew und ein arbeitsloser Schauspieler ein Stelldichein gaben, entsteht eine reizvolle Mischung. Im neuen Band ist es eine geballte Ladung von Ähnlich-Gleichem. Diese Filmer-Cliquen, lüsterne alte Regisseure und junge Drehbuchschreiberinnen oder Schauspielerinnen mit Groupie-Mentalität, hat man irgendwann ein bißchen satt. Die vierte Erzählung in dem Buch, "Der Beinbruch", erscheint auch deshalb als die gelungenste, weil das zu oft zelebrierte Filmer-Milieu verlassen wird. Sie zeigt eine alt gewordene Eiskunstlauftrainerin, die einmal Weltmeisterin war und sich jetzt dummerweise den Fuß gebrochen hat. Die Liebesgeschichte im Krankenhaus, die endliche Heilung nach üblen Komplikationen und die Krönung durch Altersweisheit sind tatsächlich lesenswert. Doch gleich darauf, in der letzten Geschichte, die alte Platte von Aschenputtels Doppeldurst nach Ruhm und Liebe.
Eine Entwicklung in Tokarjewas knapper Kunst der ungerührten Lakonik, in der Schicksalsschläge, Scheidungen und schlimmste Gebresten meist nur einen halben Satz einnehmen, scheint es nicht zu geben. Irritiert sucht man Brüche und Stockungen in diesem Handwerk - den herrlichen kleinen Spalt, durch den die Verrücktheit und das ganz Besondere eindringen könnte.
Was ebenfalls irritieren kann, ist Tokarjewas Hang zur simplen Formel. Das Leben ist trotz aller Verwicklungen bei dieser Autorin nicht allzu komplex. So heißt es in "Der Preis des Ruhms": "Es stellt sich heraus, daß die Menschheit nur ein paar Lebensmuster kennt: die erwiderte Liebe, die unerwiderte Liebe, das Dreieck. Diese drei Varianten werden auf verschiedene Charaktere verlagert, auf verschiedene Menschen verteilt, und schon bekommt man eine brodelnde Suppe menschlicher Leidenschaften." Wenn das Suppenrezept so einfach ist, erscheint auch das Leben nicht allzu erzählenswert.
Überhaupt das Leben. Die Tokarjewa möchte es gern in prägnante Vergleiche zwängen. In "Lampenfieber" heißt es: "Wenn man im Leben keine echte Erfüllung findet, sucht man einen Ersatz, wie eine Plombe, die ein Loch im Zahn ausfüllt." Und in der darauffolgenden Erzählung: "Das Leben ist wie ein Einmachglas mit Erdbeeren. Zwischen den Beeren ist Leere. Aber die Leere gehört zur Füllung." Zahnplomben und Erdbeeren: Zweimal erscheint ein Bild für Füllung oder Erfülltheit. Doch den Leser beschleicht der Verdacht, das Leben könnte sich sehr viel perverser benehmen, als in diesen schnittigen Vergleichen suggeriert wird. Es könnte alles haarsträubend vertrackter sein. Das Leben wäre ein Einmachglas voller Zahnplomben. Oder ein Mund voller löchriger Zähne, in denen Erdbeeren blühen.
RALPH DUTLI
Viktorija Tokarjewa: "Lampenfieber". Künstlergeschichten. Aus dem Russischen übersetzt von Angelika Schneider. Diogenes Verlag, Zürich 1999. 262 S., geb. 39,90 DM.
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