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  • Verlag: Odile Jacob
  • ISBN-13: 9782738124739
  • Artikelnr.: 40685632
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2014

Wir vergleichen, also sind wir
Erfahrungspflege: Douglas Hofstadter und Emmanuel Sander erklären, warum wir intelligenter sind als Computer

Das menschliche Denken auf ein einziges Grundprinzip reduzieren zu wollen ist eine gewagte Übung. In seiner Thesenstärke erinnert "Die Analogie" von Douglas Hofstadter und Emmanuel Sander an ein Buch des frühen Superstars der französischen Soziologie, Gabriel Tarde. In seiner Schrift "Die Gesetze der Nachahmung" von 1890 versuchte er nachzuweisen, dass die Gesellschaft primär von Nachahmungsprozessen geprägt und getrieben wird. Tardes Werk geriet im Lauf des zwanzigsten Jahrhunderts etwas in Vergessenheit, wurde aber von dem französischen Soziologen Bruno Latour als wesentliche Inspiration für seine Actor-Network-Theorie (ANT) genannt, einen der derzeit wichtigsten Ansätze der Wissenschaftstheorie und Innovationsforschung, der das Augenmerk des Forschers nicht nur auf die vermittelten Inhalte lenkt, sondern auch auf die Mechanismen ihrer Verbreitung über Raum und Zeit hinweg.

Wie die ANT, so ist auch "Die Analogie" Artefakt einer Theoriebildung, die sich im Lauf der Zeit von der Analyse fester Kategorien und deren Inhalten emanzipiert und das Gewicht zunehmend auf das immer noch rätselhafte "Dazwischen" der Verschaltungen, der operativen Logik und deren Modifikationen in der Zeit gelegt hat - einer konnektionistischen Wende gewissermaßen.

Hofstadter und Sander halten sich in ihrem Text aber nur selten mit dem wissenschaftlichen Kontext auf, in dem ihre Überlegungen herangewachsen sind. Sie konzentrieren sich darauf, das menschliche Denken von den ersten Erkenntnisprozessen kleiner Kinder bis hin zur Arbeit Albert Einsteins entlang ihrer These von der zentralen Rolle der Analogie nachzuvollziehen. Dabei verzichten die Autoren ausdrücklich auf Erklärungsversuche entlang neurowissenschaftlicher Erkenntnisse.

Sander und Hofstadter positionieren sich gewissermaßen als Anti-Linnés, sie setzen dem Denken in rigiden Kategorien ein flexibles Modell fliegender Kategorienbildung entgegen, das nicht gegen unsere Alltagserfahrung arbeitet, sondern mit ihr. Hofstadter und Sander beschreiben innerhalb ihres theoretischen Rahmens, wie Menschen lernen, im Abgleich mit ihren Eltern und Freunden - und mit der eigenen Erinnerung - Erfahrungen und neue Erlebnisse zu ordnen, Wortfelder aufzuziehen und komplexeste Gedanken gewissermaßen im Flug zu Begriffen zu verdichten, die aber keineswegs festgefügt sind, sondern in weiteren Vergleichsprozessen ständig neue Bedeutungen erhalten und alte verlieren.

Das mag zunächst nach New-Age-Hippietum klingen, doch sowohl der Psychologe und Kognitionsforscher Sander als auch der gelernte Physiker und Bestsellerautor Hofstadter ("Gödel, Escher, Bach") sind fest in der "hard science" verankert. Auch wenn sie das Werk nicht in den größeren Kontext philosophischer und sprachwissenschaftlicher Strömungen stellen, so stützen sie ihre Argumentationslinie doch mit Zitaten und Erkenntnissen aus psychologischen Studien. Vor allem bemühen sie sich stets, sie mit zahlreichen Beispielen aus dem Alltag nachvollziehbar zu machen.

Zuweilen gelingt ihnen das mit bemerkenswerter Eleganz, etwa wenn sie Äsops Fabel vom Fuchs und den zu hoch hängenden Trauben als klassisches Beispiel für eine Reduktion kognitiver Dissonanz heranziehen und en passant auf die Quelle dieser Theorie, Leon Festingers Arbeiten aus den fünfziger Jahren, verweisen. Ermüdend wirken hingegen die Ansammlungen einfach gestrickter Anekdoten und auch die Listen mit Beispielen aus der Alltagssprache, die Sander und Hofstadter über die Jahre hinweg gesammelt haben - so anschaulich sie auch sein mögen. Diese Beispiele aber tragen die Argumentation des Buches. Die schwierige Aufgabe, sie so ins Deutsche zu übertragen, dass ihre Demonstrationskraft intakt bleibt, hat die Übersetzerin Susanne Held sehr gut gemeistert.

Zur Hochform laufen die Autoren dort auf, wo sie zeigen, dass die hergebrachte strikte Trennung zwischen scheinbar naiven Analogien und vermeintlich hochstehender formaler Logik selbst im Bereich der Mathematik fragwürdig ist und dafür verantwortlich sein dürfte, dass der Schulunterricht in naturwissenschaftlichen Fächern notorisch schlecht funktioniert. Wissenschaftsvermittlung ist Douglas Hofstadters Kernkompetenz, auch das letzte Kapitel, in dem er Albert Einsteins Denken aus der Perspektive seiner Analogietheorie in den Blick nimmt, zehrt davon.

Einen Bereich klammern Sander und Hofstadter allerdings aus, nämlich den der dysfunktionalen Analogien. Wenn der Durchschnittsmensch sein Denken aus einem Vorrat von Vergleichsmaterial heraus entwickelt, dann mündet diese Entwicklung auch dann nicht automatisch in der Subtilität Einsteinscher Gleichungen, wenn er sich strikt innerhalb der Logik der beiden Autoren bewegt. Das Plädoyer der Autoren, den Blick zuerst an den Oberflächen der Phänomene zu schulen - ihr Buch trägt auf Englisch den Titel "Surfaces and Essences" -, hat etwas für sich. Aber diese Taktik führt selbst gut geschulte Wissenschaftler häufig in die Irre.

Die Botschaft der Autoren aber hat Gewicht: Die zahlreichen Vergleiche, die wir tagtäglich bewusst oder unbewusst anstellen, wirken mit der Zeit stärker auf uns zurück, als wir glauben. Deshalb sollten wir sorgsam mit ihnen umgehen, unseren Vorrat an Erfahrungen - dem Rohstoff für Analogien - pflegen und damit ein feineres Gespür für Begriffe und ihren Wandel entwickeln.

GÜNTER HACK

Douglas Hofstadter und Emmanuel Sander: "Die Analogie". Das Herz des Denkens. Aus dem Englischen von Susanne Held. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2014. 784 S., geb., 34,95 [Euro].

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