Das zehnbändige Werk Deutsche Geschichte im Osten Europas, das der Verlag 1991 mit Hartmut Boockmanns "Ostpreußen und Westpreußen"eröffnet hat, ist ein alle Beteiligten Überraschender Erfolg geworden. Einzelne Bände liegen in einer Vielzahl von Auflagen vor, und die Leser wie Käufer gehören nicht nur dem Kreis der Flüchtlinge und Vertriebenen an, wie Skeptiker anfangs erwarteten. Die ehemaligen Schlesier, Ostpreußen und Sudetendeutschen werden ja immer weniger, und Auflagen in der Größenordnung von 25 000 Exemplaren zeigen, daß seit dem Umsturz aller Verhältnisse in Mitteleuropa sich eine weite Öffentlichkeit mit neu erwachtem Interesse und neuer Wißbegierde Räumen zuwendet, die einst deutsch besiedelt oder deutsch durchdrungen waren.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.1996Am zweiten deutschen Schicksalsstrom
Gelegentlich aber auch unter österreichischem Einfluß: Die Länder an der Donau
Bis heute ist das Thema nicht ganz unverfänglich: In einer Wiener Zeitung warb der Verlag mit dem Buchumschlag. Doch der Serientitel "Deutsche Geschichte im Osten Europas" am oberen Rand schien dabei wie zufällig wegretuschiert. Auch in österreichischen Buchläden liegt diese gereinigte Fassung aus. Solche Diskretion hat Gründe: Jahrhundertelang befand sich das Gebiet, das in dem Band "Land an der Donau" behandelt wird, unter der Herrschaft des Hauses Habsburg. Im Vorwort heißt es dazu, die "Bedeutung des österreichischen Einflusses" sei nur "ansatzweise" einzubeziehen gewesen. Diese etwas einäugige Perspektive mag im Zusammenhang der Reihe zulässig sein, man könnte indes auch darüber streiten, ob sich das über siebenhundert Seiten starke Werk nicht zuweilen im Detail verliert. Hier werden statistische Sachverhalte erörtert, die Experten interessieren mögen, den gewöhnlich neugierigen Leser allerdings kaum zu fesseln imstande sind. Allein, derartige Einwände beeinträchtigen das Verdienst des Herausgebers Günter Schödl und seiner Mitautoren kaum. Denn meist gelingt es dem Team vorzüglich, die Zusammenhänge innerhalb einer rund tausend Jahre umfassenden Entwicklung im Auge zu behalten.
Die Darstellung setzt mit dem Sieg Ottos des Großen über die Magyaren anno 955 ein. Ungarn war im frühen Mittelalter das Gastland par excellence, Fremde wurden als "hospites" geradezu privilegiert. Daß sich König Stephan mit einer bayrischen Ottonenprinzessin vermählte, bildete die gleichsam ideale Voraussetzung für folgende deutsche Besiedlungswellen. Mongolensturm und Türkengefahr brachten zwar schwere wirtschaftliche und kulturelle Einbrüche in den Ländern der Stephanskrone, konnten jedoch den Lauf der Dinge nicht aufhalten. Großangelegte Kolonisationsprojekte im Banat erfolgten unter Maria Theresia und Joseph II. 1773 zählte man 637000 Deutsche in Ungarn, 1880 waren es bereits an die zwei Millionen.
Besonders wertvoll ist der Versuch der Autoren, die katastrophale Schicksalswendung der unterschiedlichen deutschen Volksgruppen in diesem Raum während der nationalsozialistischen Ära und danach jenseits der Kategorien von Schuld und Sühne zu beschreiben. Im faschistischen Ungarn Horthys, im Antonescu-Rumänien und in Hitlers Marionettenstaaten Slowakei und Kroatien spielten die deutschen Minderheiten - manchmal ungewollt - eine verhängnisvolle Rolle. Wurden sie nach 1945 pauschal als Fünfte Kolonne des Dritten Reichs verdächtigt und verfolgt, so war dieser Vorwurf ähnlich realitätsnah wie die Phrasen von deren Bollwerksfunktion und Kulturmission im Osten.
Daß rabiater Nationalismus nicht zuletzt durch Anpassungsschwierigkeiten an soziale Modernisierungsschübe entsteht, zeigen einige Kapitel dieses Kompendiums exemplarisch. Lehrreich auch die mit vielen Fallgeschichten untermauerte Erkenntnis, "daß sich in der historischen Wirklichkeit die Bestimmungsfaktoren des Nationalen - Abstammung, kulturelle Zusammengehörigkeit und anderes mehr - als weitgehend austausch- und manipulierbar erwiesen". Mit Nüchternheit und ohne moralisierenden Unterton stellt Günter Schödl in bezug auf alle südostdeutschen Minderheiten fest: "Sie sind schon durch ihre bloße Anwesenheit und ihre objektiv gegebene Einordnung in Berlins Apparat und Strategie ein Teil der nationalsozialistischen Wirklichkeit im Südosten gewesen." Der Blick des Historikers, der parteiliche Kurzsichtigkeit vermeiden möchte, sollte sich von landsmannschaftlicher Perspektive ebenso fernhalten wie vom automatischen Faschismus-Verdacht wider sämtliche Angehörige der Minderheiten. Aber auch wer sich in recht bescheidenem Triumphalismus auf deutsche Spurensicherung beschränkt, wird analytisch zwangsläufig zurückbleiben.
Daß die Verfasser so vielfältigen Gefahren im großen und ganzen auszuweichen vermögen, jene Ausgewogenheit finden, die erst die Chance zur Verständigung über die Massengräber hinweg gibt, nötigt Respekt ab. Darum verzeiht man ihnen auch gerne einen Fauxpas mitten in pathetische Diktion, wenn tremolierende Sprachemotion plötzlich jede Wissenschaftlichkeit über den Haufen rennt: "Die Deutschen gingen, die deutsche Geschichte blieb." ULRICH WEINZIERL
Günter Schödl (Herausgeber): "Land an der Donau". Deutsche Geschichte im Osten Europas, Band 5. Begründet von Werner Conze. Siedler Verlag, Berlin 1995. 720 S., Abb., geb., 128,- DM.
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Gelegentlich aber auch unter österreichischem Einfluß: Die Länder an der Donau
Bis heute ist das Thema nicht ganz unverfänglich: In einer Wiener Zeitung warb der Verlag mit dem Buchumschlag. Doch der Serientitel "Deutsche Geschichte im Osten Europas" am oberen Rand schien dabei wie zufällig wegretuschiert. Auch in österreichischen Buchläden liegt diese gereinigte Fassung aus. Solche Diskretion hat Gründe: Jahrhundertelang befand sich das Gebiet, das in dem Band "Land an der Donau" behandelt wird, unter der Herrschaft des Hauses Habsburg. Im Vorwort heißt es dazu, die "Bedeutung des österreichischen Einflusses" sei nur "ansatzweise" einzubeziehen gewesen. Diese etwas einäugige Perspektive mag im Zusammenhang der Reihe zulässig sein, man könnte indes auch darüber streiten, ob sich das über siebenhundert Seiten starke Werk nicht zuweilen im Detail verliert. Hier werden statistische Sachverhalte erörtert, die Experten interessieren mögen, den gewöhnlich neugierigen Leser allerdings kaum zu fesseln imstande sind. Allein, derartige Einwände beeinträchtigen das Verdienst des Herausgebers Günter Schödl und seiner Mitautoren kaum. Denn meist gelingt es dem Team vorzüglich, die Zusammenhänge innerhalb einer rund tausend Jahre umfassenden Entwicklung im Auge zu behalten.
Die Darstellung setzt mit dem Sieg Ottos des Großen über die Magyaren anno 955 ein. Ungarn war im frühen Mittelalter das Gastland par excellence, Fremde wurden als "hospites" geradezu privilegiert. Daß sich König Stephan mit einer bayrischen Ottonenprinzessin vermählte, bildete die gleichsam ideale Voraussetzung für folgende deutsche Besiedlungswellen. Mongolensturm und Türkengefahr brachten zwar schwere wirtschaftliche und kulturelle Einbrüche in den Ländern der Stephanskrone, konnten jedoch den Lauf der Dinge nicht aufhalten. Großangelegte Kolonisationsprojekte im Banat erfolgten unter Maria Theresia und Joseph II. 1773 zählte man 637000 Deutsche in Ungarn, 1880 waren es bereits an die zwei Millionen.
Besonders wertvoll ist der Versuch der Autoren, die katastrophale Schicksalswendung der unterschiedlichen deutschen Volksgruppen in diesem Raum während der nationalsozialistischen Ära und danach jenseits der Kategorien von Schuld und Sühne zu beschreiben. Im faschistischen Ungarn Horthys, im Antonescu-Rumänien und in Hitlers Marionettenstaaten Slowakei und Kroatien spielten die deutschen Minderheiten - manchmal ungewollt - eine verhängnisvolle Rolle. Wurden sie nach 1945 pauschal als Fünfte Kolonne des Dritten Reichs verdächtigt und verfolgt, so war dieser Vorwurf ähnlich realitätsnah wie die Phrasen von deren Bollwerksfunktion und Kulturmission im Osten.
Daß rabiater Nationalismus nicht zuletzt durch Anpassungsschwierigkeiten an soziale Modernisierungsschübe entsteht, zeigen einige Kapitel dieses Kompendiums exemplarisch. Lehrreich auch die mit vielen Fallgeschichten untermauerte Erkenntnis, "daß sich in der historischen Wirklichkeit die Bestimmungsfaktoren des Nationalen - Abstammung, kulturelle Zusammengehörigkeit und anderes mehr - als weitgehend austausch- und manipulierbar erwiesen". Mit Nüchternheit und ohne moralisierenden Unterton stellt Günter Schödl in bezug auf alle südostdeutschen Minderheiten fest: "Sie sind schon durch ihre bloße Anwesenheit und ihre objektiv gegebene Einordnung in Berlins Apparat und Strategie ein Teil der nationalsozialistischen Wirklichkeit im Südosten gewesen." Der Blick des Historikers, der parteiliche Kurzsichtigkeit vermeiden möchte, sollte sich von landsmannschaftlicher Perspektive ebenso fernhalten wie vom automatischen Faschismus-Verdacht wider sämtliche Angehörige der Minderheiten. Aber auch wer sich in recht bescheidenem Triumphalismus auf deutsche Spurensicherung beschränkt, wird analytisch zwangsläufig zurückbleiben.
Daß die Verfasser so vielfältigen Gefahren im großen und ganzen auszuweichen vermögen, jene Ausgewogenheit finden, die erst die Chance zur Verständigung über die Massengräber hinweg gibt, nötigt Respekt ab. Darum verzeiht man ihnen auch gerne einen Fauxpas mitten in pathetische Diktion, wenn tremolierende Sprachemotion plötzlich jede Wissenschaftlichkeit über den Haufen rennt: "Die Deutschen gingen, die deutsche Geschichte blieb." ULRICH WEINZIERL
Günter Schödl (Herausgeber): "Land an der Donau". Deutsche Geschichte im Osten Europas, Band 5. Begründet von Werner Conze. Siedler Verlag, Berlin 1995. 720 S., Abb., geb., 128,- DM.
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