»Plötzlich ist jeder ein Prophet, es zu sein ist kein Status mehr. Im unbegrenzten und undifferenzierten Raum des endlos durchstreiften Waldes kann man nur leben, aber nicht wohnen; man kann auskommen, aber nicht produzieren.«1975 veröffentlichte Hélène Clastres La terre sans mal als Resultat der ethnologischen Studien, die sie mit ihrem Mann Pierre Clastres bei indigenen Gesellschaften in Südamerika durchgeführt hatte. Ihre Untersuchung utopischer Erzählungen, des Widerstands gegen die Kolonisatoren und der Herrschaftskritik in der Dichtung wurde bisher nicht ins Deutsche übersetzt. Das ist insofern erstaunlich, als es sich um einen oft zitierten Referenztext des poststrukturalistischen Aufbrechens eurozentrischer Perspektiven der 1970er-Jahre handelt. Die prophetische Rede der Schamanen als Medium der Hervorbringung einer stets im Werden begriffenen Welt als Einspruch gegen die Zumutungen der (neo)kolonialen Gegenwart ist der zentrale Gegenstand von Clastres' Untersuchung. Nicht zuletzt geht es um die Symmetrisierung von Bedeutungsstrukturen des Globalen Nordens und Südens. Dies macht die Studie auch in Zukunft kulturwissenschaftlich ergiebig.Die Übersetzung entstand im Rahmen eines IFK_translator in residence-Fellowships.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Maximilian Gillessen gibt zu Bedenken, dass einige von Helene Clastres' Überlegungen zu den "messianischen" Wanderbewegungen der Tupi-Guarani im Amazonas überholt sind. Der von Paul Maercker übersetzte Band bietet dem Leser laut Gillessen dennoch lohnende Analysen der Ethnografin, und zwar zur Rolle des Schamanismus in der Krisenbewältigung. Clastres' Aufzeichnungen von und ihre "spekulativen" Überlegungen zu Schamanenreden erschließen dem Leser die "performative Kraft" dieser Ausdrucksform und entwerfen ein beeindruckendes Bild der indigenen Gemeinschaft, findet Gillessen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH