Die Frage, ob Windkraftanlagen unser gewohntes Landschaftsbild verschandeln oder nicht, wird derzeit international kontrovers diskutiert. Den Künstler Richard Schindler hat ein konkreter Streitfall im Schwarzwald dazu veranlasst, eine exemplarische Landschaftsbildanalyse aus künstlerisch-wissenschaftlicher Sicht zu erstellen. Das Ergebnis dieser Studie wird in der neuen Publikation"Landschaft verstehen. Industriearchitektur und Landschaftsästhetik im Schwarzwald"vorgestellt. Schindlers Untersuchung ist ein wichtiger Beitrag zum kultur-wissenschaftlichen Verständnis von Landschaft und setzt sich kritisch mit gängigen Formen der Landschaftsbildbewertung auseinander. Der Leser wird durch präzise Skizzen und klare Einzelanalysen dazu verleitet, genauer hinzusehen, und er mag am Ende dieser opulenten Schrift auch den Schwarzwald besser verstehen. Damit gelingt es Richard Schindler beispielhaft eine Möglichkeit der Ausweitung traditioneller künstlerischer Handlungsfelder vor Augen zu führen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2007Wer das schön findet, sieht den Wald vor lauter Windrädern nicht mehr
Wanderer, aufgepasst: Die Spaziergangswissenschaft macht uns auf Schritt und Tritt mit einer Landschaft vertraut, die das Gesicht eines Technologieparks annimmt
Warum ist Landschaft schön? Was macht sie hässlich? Und wie schön ist hässlich in der Natur? Verwirrende Fragen einer Forschungsrichtung, die höchst aufschlussreich das gewandelte Verhältnis von Stadt und Land untersucht.
Warum sollte man sich nicht auch in der Landschaft an alles gewöhnen können? Oder gibt es Grenzen, jenseits deren Landschaft nicht mehr Landschaft ist? Das ist die Kernfrage der fröhlichen Spaziergangswissenschaft oder Promenadologie, die der Zunftgründer Lucius Burckhardt in dem Buch "Warum ist Landschaft schön?" vorstellt. Der 2003 verstorbene Kasseler Professor für Sozioökonomie urbaner Systeme kommt hier in einer Auswahl seiner Aufsätze zu Wort, die sich der historisch-kritischen Aufarbeitung des Landschaftsbegriffs widmen. Demnach hat die moderne Landwirtschaft zusammen mit der Automobilisierung der Gesellschaft und dem weltweiten Tourismus nicht nur das Erscheinungsbild, sondern auch unsere Wahrnehmung von Landschaft verändert.
Heute sind die früher üblichen kleinteiligen Muster der Naturwahrnehmung zum Teil überholt. Die modernen Passanten erleben als Autofahrer Landschaft viel großräumiger als der historische Fußgänger. Sie sind von der ihnen abverlangten Integrationsleistung überfordert. Sie schaffen nicht mehr die Synthese des Vielfältig-Verschiedenen, ohne welche Landschaft nicht ist. Hinzu kommen die das Landschaftsbild verändernden Monokulturen und die Umweltproblematik: Wer weiß, dass er als Konsument zur Umweltzerstörung beiträgt, der kann nicht länger jenes "interesselose Wohlgefallen" an der Natur als selbstverständliches Kennzeichen von Landschaftswahrnehmung empfinden. Die Frage ist denn auch: Wie kann in dem sich wandelnden Verhältnis von Stadt und Land Landschaft überhaupt noch als solche wahrgenommen werden?
Burckhardts Vorschläge sind hier einerseits praktischer Art und betreffen andererseits unsere Einstellung zum Phänomen Landschaft. Praktisch ist die Empfehlung, den zunehmend eingeebneten Unterschied zwischen (begrünter) Stadt und (baulich verstädtertem) Land wieder zu stärken, weil ohne diesen Kontrast Landschaft nicht wahrgenommen wird. Praktisch sind der Rat, der Natur in städtischen und ländlichen Brachen eine Atempause zu gönnen, sowie der Vorschlag, durch die Anlage von "Wegen durch die Zeiten" eine neue Wahrnehmung von Kulturlandschaften zu ermöglichen.
Dieser Spaziergang durch die Zeiten endet nicht bei Omas Bauernhof: In grundsätzlicher Offenheit für Neues führt er bis an die Gegenwart mit ihren Technologien und technischen Anlagen heran. Erschienen nicht mittelalterliche Burgen oder frühneuzeitliche Windmühlen in Holland, die heute den nostalgischen Reiz des Vergangenen atmen, den Menschen seinerzeit als moderne Wehranlagen und Kraftmaschinen so fremdartig wie, sagen wir: ein Kraftwerk in der Landschaft heute? Oder wie moderne Windräder?
Die Frage nach der Vereinbarkeit solcher technischer Anlagen mit dem Erscheinungsbild gewachsener Kulturlandschaften diskutiert der Band "Landschaft verstehen" am Fall zweier riesiger Windkraftanlagen, die das südbadische Energieunternehmen Regiowind GmbH vor drei Jahren in die schöne Berglandschaft bei Freiburg gesetzt hat. Auf die heftigen Proteste reagierte Regiowind mit einem Sachverständigengutachten, das es bei dem Freiburger Institut für Visual Profiling & Visual Resources Development in Auftrag gab.
Das Buch "Landschaft verstehen" ist eine erweiterte Fassung dieses Gutachtens. Die Autoren versprechen darin eine "exemplarische qualitative Landschaftsbildanalyse aus künstlerisch-wissenschaftlicher Sicht" als Beitrag zur aktuellen Diskussion um das Schutzgut Landschaft. Das Bild vom Schwarzwald wollen sie in seinen "objektiven Sinnstrukturen" rekonstruieren und mit den neuen Gegebenheiten konfrontieren. Im Ergebnis sind die technischen Anlagen dann nicht nur keine Beeinträchtigung des Landschaftsbilds, sondern sie bereichern es.
Aber ist das nicht zugleich der Punkt, an dem man stutzig wird und die ganze Argumentation zu kippen droht? Soll hier vielleicht hässliche Praxis mit bemühter Theorie schöngeredet werden? Dass die Landschaft - wie alles - sich als Konstrukt in unseren Köpfen lesen lässt, ist ja gut und schön. Aber verhalten sich die Dinge in Wirklichkeit nicht doch ein bisschen essentialistischer? Lassen sich 133 Meter hohe und kilometerweit sichtbare Windkraftanlagen ernsthaft mit dem romantischen Mühlrad im Schwarzwald vergleichen? Die Autoren scheinen ihrer Argumentation selbst nicht zu trauen, wenn sie die Hightech-Anlagen bildlich einerseits zu Fühlern einer Schnecke verniedlichen und zu "Windblütlern" vernatürlichen, sie andererseits ästhetisierend zum "Kunstwerk", zur "Doppel-Skulptur auf der großartigen Bühne" der Landschaft verklären.
Die pauschale Ästhetisierung der technologischen Natureingriffe gelingt denn auch nur mit einem Kunstgriff. Dieser Kunstgriff besteht in der Wahl eines Begriffs von Landschaft, der unter Landschaft ein Stück bearbeitete und kultivierte Natur versteht. Ein Verständnis, das ziemlich genau althochdeutsch "lantscaf" und mittelhochdeutsch "lantschaft" als Einheit eines urbar gemachten Stück Landes und seiner Bewohner entspricht.
Heute jedoch ist Landschaft das Produkt des neuzeitlichen europäischen Subjekts, das vor die Tore der Stadt tretend die Natur, zu der es keine unmittelbare Beziehung mehr hat, als Objekt einer Sinnfindung aufsucht. Und zwar im Wesentlichen noch immer nach dem Vorbild der frühneuzeitlichen Landschaftsmalerei. Gerade nicht besiedelte, "unberührte" Naturräume wie Wüsten und Gebirge, die aus dem Landschaftsbegriff von Regiowind herausfallen, werden seitdem als schöne Landschaft erlebt. Genau diesem Landschaftsbegriff trägt das Bundesnaturschutzgesetz Rechnung, wenn es "Vielfalt, Eigenart und Schönheit" einer Landschaft schützt.
Selbst von der historisch-kritischen, scheinbar alles verstehenden Spaziergangswissenschaft sind hier keine Einwände zu erwarten. Auch diese Zunft lässt sich nicht ein X für ein U vormachen. Da zudem der ökologische Nutzen der Windräder nicht erwiesen ist, wird man bis auf weiteres von visueller Umweltverschmutzung reden dürfen.
HANS-DIETER FRONZ
Lucius Burckhardt: "Warum ist Landschaft schön?" Die Spaziergangswissenschaft. Herausgegeben von Markus Ritter und Martin Schmitz. Martin Schmitz Verlag, Berlin 2006. 360 S., br., 18,50 [Euro].
Richard Schindler: "Landschaft verstehen". Industriearchitektur und Landschaftsästhetik im Schwarzwald. Modo Verlag, Freiburg 2006. 284 S., br., Abb., 36,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wanderer, aufgepasst: Die Spaziergangswissenschaft macht uns auf Schritt und Tritt mit einer Landschaft vertraut, die das Gesicht eines Technologieparks annimmt
Warum ist Landschaft schön? Was macht sie hässlich? Und wie schön ist hässlich in der Natur? Verwirrende Fragen einer Forschungsrichtung, die höchst aufschlussreich das gewandelte Verhältnis von Stadt und Land untersucht.
Warum sollte man sich nicht auch in der Landschaft an alles gewöhnen können? Oder gibt es Grenzen, jenseits deren Landschaft nicht mehr Landschaft ist? Das ist die Kernfrage der fröhlichen Spaziergangswissenschaft oder Promenadologie, die der Zunftgründer Lucius Burckhardt in dem Buch "Warum ist Landschaft schön?" vorstellt. Der 2003 verstorbene Kasseler Professor für Sozioökonomie urbaner Systeme kommt hier in einer Auswahl seiner Aufsätze zu Wort, die sich der historisch-kritischen Aufarbeitung des Landschaftsbegriffs widmen. Demnach hat die moderne Landwirtschaft zusammen mit der Automobilisierung der Gesellschaft und dem weltweiten Tourismus nicht nur das Erscheinungsbild, sondern auch unsere Wahrnehmung von Landschaft verändert.
Heute sind die früher üblichen kleinteiligen Muster der Naturwahrnehmung zum Teil überholt. Die modernen Passanten erleben als Autofahrer Landschaft viel großräumiger als der historische Fußgänger. Sie sind von der ihnen abverlangten Integrationsleistung überfordert. Sie schaffen nicht mehr die Synthese des Vielfältig-Verschiedenen, ohne welche Landschaft nicht ist. Hinzu kommen die das Landschaftsbild verändernden Monokulturen und die Umweltproblematik: Wer weiß, dass er als Konsument zur Umweltzerstörung beiträgt, der kann nicht länger jenes "interesselose Wohlgefallen" an der Natur als selbstverständliches Kennzeichen von Landschaftswahrnehmung empfinden. Die Frage ist denn auch: Wie kann in dem sich wandelnden Verhältnis von Stadt und Land Landschaft überhaupt noch als solche wahrgenommen werden?
Burckhardts Vorschläge sind hier einerseits praktischer Art und betreffen andererseits unsere Einstellung zum Phänomen Landschaft. Praktisch ist die Empfehlung, den zunehmend eingeebneten Unterschied zwischen (begrünter) Stadt und (baulich verstädtertem) Land wieder zu stärken, weil ohne diesen Kontrast Landschaft nicht wahrgenommen wird. Praktisch sind der Rat, der Natur in städtischen und ländlichen Brachen eine Atempause zu gönnen, sowie der Vorschlag, durch die Anlage von "Wegen durch die Zeiten" eine neue Wahrnehmung von Kulturlandschaften zu ermöglichen.
Dieser Spaziergang durch die Zeiten endet nicht bei Omas Bauernhof: In grundsätzlicher Offenheit für Neues führt er bis an die Gegenwart mit ihren Technologien und technischen Anlagen heran. Erschienen nicht mittelalterliche Burgen oder frühneuzeitliche Windmühlen in Holland, die heute den nostalgischen Reiz des Vergangenen atmen, den Menschen seinerzeit als moderne Wehranlagen und Kraftmaschinen so fremdartig wie, sagen wir: ein Kraftwerk in der Landschaft heute? Oder wie moderne Windräder?
Die Frage nach der Vereinbarkeit solcher technischer Anlagen mit dem Erscheinungsbild gewachsener Kulturlandschaften diskutiert der Band "Landschaft verstehen" am Fall zweier riesiger Windkraftanlagen, die das südbadische Energieunternehmen Regiowind GmbH vor drei Jahren in die schöne Berglandschaft bei Freiburg gesetzt hat. Auf die heftigen Proteste reagierte Regiowind mit einem Sachverständigengutachten, das es bei dem Freiburger Institut für Visual Profiling & Visual Resources Development in Auftrag gab.
Das Buch "Landschaft verstehen" ist eine erweiterte Fassung dieses Gutachtens. Die Autoren versprechen darin eine "exemplarische qualitative Landschaftsbildanalyse aus künstlerisch-wissenschaftlicher Sicht" als Beitrag zur aktuellen Diskussion um das Schutzgut Landschaft. Das Bild vom Schwarzwald wollen sie in seinen "objektiven Sinnstrukturen" rekonstruieren und mit den neuen Gegebenheiten konfrontieren. Im Ergebnis sind die technischen Anlagen dann nicht nur keine Beeinträchtigung des Landschaftsbilds, sondern sie bereichern es.
Aber ist das nicht zugleich der Punkt, an dem man stutzig wird und die ganze Argumentation zu kippen droht? Soll hier vielleicht hässliche Praxis mit bemühter Theorie schöngeredet werden? Dass die Landschaft - wie alles - sich als Konstrukt in unseren Köpfen lesen lässt, ist ja gut und schön. Aber verhalten sich die Dinge in Wirklichkeit nicht doch ein bisschen essentialistischer? Lassen sich 133 Meter hohe und kilometerweit sichtbare Windkraftanlagen ernsthaft mit dem romantischen Mühlrad im Schwarzwald vergleichen? Die Autoren scheinen ihrer Argumentation selbst nicht zu trauen, wenn sie die Hightech-Anlagen bildlich einerseits zu Fühlern einer Schnecke verniedlichen und zu "Windblütlern" vernatürlichen, sie andererseits ästhetisierend zum "Kunstwerk", zur "Doppel-Skulptur auf der großartigen Bühne" der Landschaft verklären.
Die pauschale Ästhetisierung der technologischen Natureingriffe gelingt denn auch nur mit einem Kunstgriff. Dieser Kunstgriff besteht in der Wahl eines Begriffs von Landschaft, der unter Landschaft ein Stück bearbeitete und kultivierte Natur versteht. Ein Verständnis, das ziemlich genau althochdeutsch "lantscaf" und mittelhochdeutsch "lantschaft" als Einheit eines urbar gemachten Stück Landes und seiner Bewohner entspricht.
Heute jedoch ist Landschaft das Produkt des neuzeitlichen europäischen Subjekts, das vor die Tore der Stadt tretend die Natur, zu der es keine unmittelbare Beziehung mehr hat, als Objekt einer Sinnfindung aufsucht. Und zwar im Wesentlichen noch immer nach dem Vorbild der frühneuzeitlichen Landschaftsmalerei. Gerade nicht besiedelte, "unberührte" Naturräume wie Wüsten und Gebirge, die aus dem Landschaftsbegriff von Regiowind herausfallen, werden seitdem als schöne Landschaft erlebt. Genau diesem Landschaftsbegriff trägt das Bundesnaturschutzgesetz Rechnung, wenn es "Vielfalt, Eigenart und Schönheit" einer Landschaft schützt.
Selbst von der historisch-kritischen, scheinbar alles verstehenden Spaziergangswissenschaft sind hier keine Einwände zu erwarten. Auch diese Zunft lässt sich nicht ein X für ein U vormachen. Da zudem der ökologische Nutzen der Windräder nicht erwiesen ist, wird man bis auf weiteres von visueller Umweltverschmutzung reden dürfen.
HANS-DIETER FRONZ
Lucius Burckhardt: "Warum ist Landschaft schön?" Die Spaziergangswissenschaft. Herausgegeben von Markus Ritter und Martin Schmitz. Martin Schmitz Verlag, Berlin 2006. 360 S., br., 18,50 [Euro].
Richard Schindler: "Landschaft verstehen". Industriearchitektur und Landschaftsästhetik im Schwarzwald. Modo Verlag, Freiburg 2006. 284 S., br., Abb., 36,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Hans Dieter Fronz bespricht zwei Bücher über Landschaftsästhetik. Richard Schindlers Band über Landschaftsfragen am Beispiel zweier Windradanlagen im Schwarzwald ist die erweiterte Fassung einer Untersuchung für das Energieunternehmen Regiowind, die die Vereinbarkeit von Landschaft und Windkrafttechnologie nachweisen soll, erklärt der Rezensent. Er hat das unangenehme Gefühl, der Autor versuche mit seinem Buch die Windkraftanlage "schönzureden", die auf erhebliche Widerstände in der Bevölkerung traf. Und auch der Argumentengang Schindlers, der Windräder einerseits mit natürlichen Phänomenen wie Schneckenfühlern oder hohen Gewächsen gleichzusetzen, andererseits zu versuchen, sie als technisches "Kunstwerk" zu ästhetisieren, überzeugt Fronz keineswegs. Indem Schindler bei Landschaft stets von bearbeiteter Natur ausgeht, kann er den Windradpark als Landschaft verkaufen, das entspricht aber keineswegs der modernen Vorstellung von "unberührter Natur" als idealer Landschaft, so Fronz zweifelnd.
© Perlentaucher Medien GmbH
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