Die Reisen, Ausflüge und Fernblicke des Humanistenpapstes Pius II. (1458-1464), in seinen autobiographischen Commentarii häufig von ihm selbst beschrieben, sind ein charakteristischer Zug dieses originellen Mannes, auch wenn bisweilen unterstellt worden ist, daß seine Naturschilderungen nicht selbst empfunden, sondern stellenweise aus antiken Schriftstellern abgeschrieben seien. Doch bestätigen die zahlreichen in diesem Band ausführlich verwerteten Briefe seines Gefolges, wie sehr es den Papst in die Landschaft zog: heitere Picnics im Grünen, Mittagsschlaf an schattiger Quelle, Aktenstudium in den Bergwäldern des Monte Amiata, Aufsuchen antiker Ruinen unter dichter Vegetation, bescheidene Unterkunft - ein unmittelbares Zeugnis für das Lebensgefühl der italienischen Frührenaissance, die auch in ihrer Landschaftsmalerei die Natur neu wahrnahm. Die griechische Inselwelt, heute ein vielbesuchtes Reiseziel, fand in Reiseberichten lange Zeit wenig Beachtung, zumal die Route der Jerusalempilger an der Ägäis vorbeiführte. Erst im 15. Jahrhundert betreten italienische Reisende auch ohne politische oder kommerzielle Absichten diesen Raum, und berichten darüber: stehen auf einsamer Insel staunend vor griechischen Statuen, verfolgen antike Stadtmauern durch unwegsames Gelände, entziffern erstmals griechische Inschriften, suchen nach Troja und Homers Grab. Sie sprechen vom Rauschen des Windes in den Büschen auf weiten Ruinenfeldern, schildern Begegnungen mit Bauern und Kaufleuten und die Gefahren der Seefahrt zwischen Klippen und Korsaren. Schafe lagern im Schatten verfallener Tempel, verwilderte Haustiere auf aufgegebenen Inseln, versandete antike Häfen, ländliche Volksfeste, Thymian und Honig auf Kreta. Eine kurze, intensive Begegnung, bis die türkische Eroberung die Inselwelt weitgehend verschloß.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2008Der Liebhaber der Wälder
Auf dem Tragsessel über Berg und Tal: Arnold Esch unterwegs mit Pius II.
Neben dem Drang zu besitzen und der Gier nach Macht war es die Sinnenfreude, die nach Jacob Burckhardt (1860) die Kultur der Renaissance in Italien gekennzeichnet hat. Als Ersten, der die Herrlichkeit der italienischen Landschaft "nicht bloß genossen, sondern mit Begeisterung bis ins Einzelne geschildert hat", rühmte der Basler Historiker Enea Silvio Piccolomini (1405 bis 1464) - in seinen letzten Lebensjahren als Papst Pius II. bekannt, Burckhardt nennt ihn einen "Normalmenschen der Frührenaissance". Dieser Abkömmling einer Adels- und Kaufmannsfamilie von Siena und seit 1447 in hohen Kirchenämtern, hatte Kirchenstaat und Toscana seit seiner Jugend viel bewandert, aber "als er Papst wurde, wandte er seine Muße in der guten Jahreszeit wesentlich auf Ausflüge und die Landaufenthalte. Jetzt wenigstens hatte der längst podagrische Mann die Mittel, sich auf dem Tragsessel über Berg und Tal bringen zu lassen."
Ständig diese Picknicks!
In seinen autobiographisch geprägten "Commentarii" schilderte der Papst selbst sein Erleben. Er nannte sich, auf seinen Namen anspielend, "silvarum amator et varia videndi cupidus" (einen Liebhaber der Wälder und immer begierig, das mannigfaltig Bunte anzuschauen), genoss die Natur und betrachtete mit nüchterner Neugier die von der Vegetation umrankten Baureste der Antike. "Dies ist wesentlich moderner Genuss", urteilte Burckhardt, "nicht Einwirkung des Altertums. So gewiss die Alten ähnlich empfanden, so gewiss hätten doch die spärlichen Aussagen hierüber, welche Pius kennen mochte, nicht hingereicht, um in ihm eine solche Begeisterung zu entzünden."
Trotzdem haben Philologen und Literaturhistoriker, beeindruckt durch Eneas Wortgebrauch klassischer Autoren, die authentische Empfindung des Papstes gelegentlich in Zweifel gezogen. Kongenial mit Burckhardt wendet sich Arnold Esch, der gelehrte Liebhaber Italiens, in einer schönen Studie gegen diese Unterstellung. Der Historiker führt zahlreiche Parallelbelege zu den "Commentarii" an, vor allem aus Rechnungsbüchern des päpstlichen Haushalts und Briefen von Teilnehmern an den Ausflügen, Besichtigungen und Mahlzeiten im Freien. Überreiche Zeugnisse bietet etwa die Korrespondenz des jungen Kardinals Gonzaga und seines Gefolges mit seinen Eltern. Bei den Kastanien des Monte Amiata wird mit der Stimmung auch das poetische Talent bei einem Hausgenossen des Kardinals entfacht: "Ich glaube, es gibt in Italien keinen schöneren Platz. Kaum ist man aus der Tür heraus, betritt man einen Kastanienwald, der mehr als sechs Meilen lang nicht aufhört. Die Bäume sind so hoch, wie man überhaupt sehen kann. Der Waldboden ist grasbewachsen und sauber wie eine gemähte Wiese. Viele klare Quellbäche fließen da, es weht immer ein Lüftchen durch diesen Wald, so dass man keine Hitze spürt."
Pius II. und sein Gefolge sahen, hörten, rochen, schmeckten und ertasteten aber nicht bloß die Natur, sondern der Pontifex erledigte auf Wiesen oder unter hohen Bäumen, besonders gern an fließendem Wasser oder in verfallenen Klöstern mit grandiosem Ausblick, die Routinegeschäfte seines Amtes. Wenn er sich den Genuss der Natur aber nicht stören lassen wollte, unterzeichnete er keine Bittschriften und wies Gesandte ab. So kommen bei Esch auch diejenigen zu Wort, die unter der unberechenbaren Mobilität der päpstlichen Familia litten, wie der Prokurator der Stadt Lübeck, der sich am Monte Amiata Pius wochenlang vergeblich zu nähern suchte, um die Ausfertigung einer Urkunde zu erwirken.
Und während der Piccolomini das frugale Mahl im Freien schätzte, vermissten die Standesbewussten in seiner Umgebung Luxus und Stil. Der französische Kardinal Alain Coëtivy, enerviert von den ständigen Picknicks, leistete es sich etwa, bei den adligen Orsini in Campagnano anstelle des Papstes ein für diesen vorbereitetes Festmahl selbst einzunehmen, während Pius bei Bauern der Umgebung um Brot und Zwiebeln bat. Und erst recht murrten die Kurialen über zu viel Natur und einfaches Landleben. Kein Zweifel: Burckhardts Urteil, dass Enea Silvio den Normalmenschen seiner Zeit repräsentiert, gilt nicht für alle Schichten der Bevölkerung im gleichen Maße.
Neben den schriftlichen Seitenzeugnissen ist es Esch gelungen, entsprechende Kunstwerke für die neue Sicht auf Natur und Landschaft zu präsentieren. Diese reichen tatsächlich bis ins Alltagsgeschehen. Amüsiert berichtet Pius einmal davon, wie sich seine Höflinge und die Kardinäle Ende Januar 1460 im winterlichen Apennin mit Schneebällen bewarfen. Esch bietet dazu das fast zeitgenössische Fresko aus einem Turm des Castello del Buonconsiglo in Trient auf, wo sich eine vornehme Familie eine Schnellballschlacht liefert. Anders als die Kardinäle ließen sich die Herrschaften die Geschosse freilich nicht anreichen, sondern formten sie mit eigener Hand!
Vom Meister der Miniatur
Wie Mantegna etwas später römische Ruinen vom Gebüsch überwuchert malen sollte, hat Pius II. die antiken Überreste von Vegetation umfangen besonders geliebt. Als er die Via Appia in Richtung Lago di Nemi nahm, schrieb er, "die Natur, die höher ist als alle Kunst", habe die Straße wunderschön gemacht. Auch die Überreste der griechischen Antike haben bekanntlich vor allem Italiener entdeckt, nachdem Manuel Chrysolaras 1397 auf den Lehrstuhl des Griechischen in Florenz berufen worden war. In einer zweiten Untersuchung zeigt Esch am Beispiel Buondelmontis und des Cyriacus von Ancona, dass auch hierbei die Landschaft mit allen Sinnen wahrgenommen und die antiken Reste in ihrer natürlichen Umgebung beschrieben wurden.
Arnold Esch bietet in seinem schmalen Buch zwei wirkliche Essays, Narratives mit Wissenschaftlich-Diskursivem vermischt. Er ist, man weiß es längst, ein Meister der Miniatur, wie es in der deutschen Geschichtswissenschaft der Gegenwart keinen zweiten gibt. Und trotzdem verraten seine Sätze - oft zum Bersten angespannt mit Partizipien und Parenthesen, um die Weite der Welterfahrung und gelehrte Analogien einzufangen -, wie der Forscher der Erzählfreude des Historiographen Fesseln anlegt.
Schon ist ein weiterer Sammelband seiner Aufsätze angekündigt, von denen es schon mehrere - und wertvolle - gibt. Damit Ferdinand Gregorovius' "Geschichte der Stadt Rom" aber nicht das letzte einschlägige Werk von Rang bleibt, brauchten wir von Arnold Esch noch eine große Darstellung des italienischen Mittelalters.
MICHAEL BORGOLTE
Arnold Esch: "Landschaften der Frührenaissance". Auf Ausflug mit Pius II. Verlag C. H. Beck, München 2008. 128 S., 25 Abb., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf dem Tragsessel über Berg und Tal: Arnold Esch unterwegs mit Pius II.
Neben dem Drang zu besitzen und der Gier nach Macht war es die Sinnenfreude, die nach Jacob Burckhardt (1860) die Kultur der Renaissance in Italien gekennzeichnet hat. Als Ersten, der die Herrlichkeit der italienischen Landschaft "nicht bloß genossen, sondern mit Begeisterung bis ins Einzelne geschildert hat", rühmte der Basler Historiker Enea Silvio Piccolomini (1405 bis 1464) - in seinen letzten Lebensjahren als Papst Pius II. bekannt, Burckhardt nennt ihn einen "Normalmenschen der Frührenaissance". Dieser Abkömmling einer Adels- und Kaufmannsfamilie von Siena und seit 1447 in hohen Kirchenämtern, hatte Kirchenstaat und Toscana seit seiner Jugend viel bewandert, aber "als er Papst wurde, wandte er seine Muße in der guten Jahreszeit wesentlich auf Ausflüge und die Landaufenthalte. Jetzt wenigstens hatte der längst podagrische Mann die Mittel, sich auf dem Tragsessel über Berg und Tal bringen zu lassen."
Ständig diese Picknicks!
In seinen autobiographisch geprägten "Commentarii" schilderte der Papst selbst sein Erleben. Er nannte sich, auf seinen Namen anspielend, "silvarum amator et varia videndi cupidus" (einen Liebhaber der Wälder und immer begierig, das mannigfaltig Bunte anzuschauen), genoss die Natur und betrachtete mit nüchterner Neugier die von der Vegetation umrankten Baureste der Antike. "Dies ist wesentlich moderner Genuss", urteilte Burckhardt, "nicht Einwirkung des Altertums. So gewiss die Alten ähnlich empfanden, so gewiss hätten doch die spärlichen Aussagen hierüber, welche Pius kennen mochte, nicht hingereicht, um in ihm eine solche Begeisterung zu entzünden."
Trotzdem haben Philologen und Literaturhistoriker, beeindruckt durch Eneas Wortgebrauch klassischer Autoren, die authentische Empfindung des Papstes gelegentlich in Zweifel gezogen. Kongenial mit Burckhardt wendet sich Arnold Esch, der gelehrte Liebhaber Italiens, in einer schönen Studie gegen diese Unterstellung. Der Historiker führt zahlreiche Parallelbelege zu den "Commentarii" an, vor allem aus Rechnungsbüchern des päpstlichen Haushalts und Briefen von Teilnehmern an den Ausflügen, Besichtigungen und Mahlzeiten im Freien. Überreiche Zeugnisse bietet etwa die Korrespondenz des jungen Kardinals Gonzaga und seines Gefolges mit seinen Eltern. Bei den Kastanien des Monte Amiata wird mit der Stimmung auch das poetische Talent bei einem Hausgenossen des Kardinals entfacht: "Ich glaube, es gibt in Italien keinen schöneren Platz. Kaum ist man aus der Tür heraus, betritt man einen Kastanienwald, der mehr als sechs Meilen lang nicht aufhört. Die Bäume sind so hoch, wie man überhaupt sehen kann. Der Waldboden ist grasbewachsen und sauber wie eine gemähte Wiese. Viele klare Quellbäche fließen da, es weht immer ein Lüftchen durch diesen Wald, so dass man keine Hitze spürt."
Pius II. und sein Gefolge sahen, hörten, rochen, schmeckten und ertasteten aber nicht bloß die Natur, sondern der Pontifex erledigte auf Wiesen oder unter hohen Bäumen, besonders gern an fließendem Wasser oder in verfallenen Klöstern mit grandiosem Ausblick, die Routinegeschäfte seines Amtes. Wenn er sich den Genuss der Natur aber nicht stören lassen wollte, unterzeichnete er keine Bittschriften und wies Gesandte ab. So kommen bei Esch auch diejenigen zu Wort, die unter der unberechenbaren Mobilität der päpstlichen Familia litten, wie der Prokurator der Stadt Lübeck, der sich am Monte Amiata Pius wochenlang vergeblich zu nähern suchte, um die Ausfertigung einer Urkunde zu erwirken.
Und während der Piccolomini das frugale Mahl im Freien schätzte, vermissten die Standesbewussten in seiner Umgebung Luxus und Stil. Der französische Kardinal Alain Coëtivy, enerviert von den ständigen Picknicks, leistete es sich etwa, bei den adligen Orsini in Campagnano anstelle des Papstes ein für diesen vorbereitetes Festmahl selbst einzunehmen, während Pius bei Bauern der Umgebung um Brot und Zwiebeln bat. Und erst recht murrten die Kurialen über zu viel Natur und einfaches Landleben. Kein Zweifel: Burckhardts Urteil, dass Enea Silvio den Normalmenschen seiner Zeit repräsentiert, gilt nicht für alle Schichten der Bevölkerung im gleichen Maße.
Neben den schriftlichen Seitenzeugnissen ist es Esch gelungen, entsprechende Kunstwerke für die neue Sicht auf Natur und Landschaft zu präsentieren. Diese reichen tatsächlich bis ins Alltagsgeschehen. Amüsiert berichtet Pius einmal davon, wie sich seine Höflinge und die Kardinäle Ende Januar 1460 im winterlichen Apennin mit Schneebällen bewarfen. Esch bietet dazu das fast zeitgenössische Fresko aus einem Turm des Castello del Buonconsiglo in Trient auf, wo sich eine vornehme Familie eine Schnellballschlacht liefert. Anders als die Kardinäle ließen sich die Herrschaften die Geschosse freilich nicht anreichen, sondern formten sie mit eigener Hand!
Vom Meister der Miniatur
Wie Mantegna etwas später römische Ruinen vom Gebüsch überwuchert malen sollte, hat Pius II. die antiken Überreste von Vegetation umfangen besonders geliebt. Als er die Via Appia in Richtung Lago di Nemi nahm, schrieb er, "die Natur, die höher ist als alle Kunst", habe die Straße wunderschön gemacht. Auch die Überreste der griechischen Antike haben bekanntlich vor allem Italiener entdeckt, nachdem Manuel Chrysolaras 1397 auf den Lehrstuhl des Griechischen in Florenz berufen worden war. In einer zweiten Untersuchung zeigt Esch am Beispiel Buondelmontis und des Cyriacus von Ancona, dass auch hierbei die Landschaft mit allen Sinnen wahrgenommen und die antiken Reste in ihrer natürlichen Umgebung beschrieben wurden.
Arnold Esch bietet in seinem schmalen Buch zwei wirkliche Essays, Narratives mit Wissenschaftlich-Diskursivem vermischt. Er ist, man weiß es längst, ein Meister der Miniatur, wie es in der deutschen Geschichtswissenschaft der Gegenwart keinen zweiten gibt. Und trotzdem verraten seine Sätze - oft zum Bersten angespannt mit Partizipien und Parenthesen, um die Weite der Welterfahrung und gelehrte Analogien einzufangen -, wie der Forscher der Erzählfreude des Historiographen Fesseln anlegt.
Schon ist ein weiterer Sammelband seiner Aufsätze angekündigt, von denen es schon mehrere - und wertvolle - gibt. Damit Ferdinand Gregorovius' "Geschichte der Stadt Rom" aber nicht das letzte einschlägige Werk von Rang bleibt, brauchten wir von Arnold Esch noch eine große Darstellung des italienischen Mittelalters.
MICHAEL BORGOLTE
Arnold Esch: "Landschaften der Frührenaissance". Auf Ausflug mit Pius II. Verlag C. H. Beck, München 2008. 128 S., 25 Abb., br., 14,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Michael Borgolte schwärmt von den meisterhaften Miniaturen des Historikers Arnold Esch, der auch in seinem jüngsten Buch über die Landschaftswahrnehmung von Papst Pius II. die Kunst des Essays als Mischung aus dem Narrativen und dem Wissenschaftlichen beherrscht, wie der Rezensent preist. Esch kann, indem er der Einschätzung von Jacob Burckhardt folgt und entsprechende Textquellen liefert, zeigen, dass Ernea Silvio Piccolomini ein ausgesprochener "Sinnenmensch" war, der die Landschaft genoss und - mitunter zum Kummer seines Gefolges - ein besonderer Liebhaber von einfachen Mahlzeiten im Freien war, erklärt der Rezensent. Besonders freut den Rezensenten am vorliegenden Band, dass Esch sein Quellenstudium auch durch Abbildungen bereichert, der so manches, wie beispielsweise ein Bericht Pius' von einer Schneeballschlacht seiner Höflinge und Kardinäle, mit dergleichen bezeugenden Bildquellen der Frührenaissance untermauern kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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