Nach ihrem Roman »Engel des Vergessens« kehrt Maja Haderlap zu ihren Ursprüngen zurück: zum Schreiben von Gedichten.Maja Haderlaps Gedichte haben etwas zu erzählen. Sie sprechen mit faszinierender Eindringlichkeit von Fremdsein und Nachhausekommen, von weiten Landschaften und engen Behausungen, von Menschen, die unterwegs sind: auf der Suche nach dem, was ihr Leben ausmachen könnte. Das kann der Andere sein, der Nächste, die Gemeinschaft, das kann die Einsamkeit oder das Gedicht selbst sein, für das eine Sprache gefunden werden muss. Tiefe Emotionalität stellt sich her, gerade weil sie nicht beschworen wird.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
An Maja Haderlaps Gedichten schätzt Karl-Markus Gauss die gelungene Abbildung eines sprachlichen Verwandlungsprozesses. Wie die Autorin Schritt für Schritt das Slowenische ihrer Mutter und ihrer Kindheitsmythen hinter sich lässt und in die deutsche Sprache hinüberwechselt, vermag sie dem Rezensenten eindringlich zu schildern. Weniger mit den Mitteln gebundener Sprache geschieht das hier, erläutert Gauss, als in erzählenden, beschreibenden, beschwörenden Passagen wie beispielsweise: "die sprache/ fesselte mich an die welt, indessen sie/ sättigte nicht. biss ich sie durch, kostete/ ich ihre wüstung." Dass diese Gedichte vom Sprachverlust und Sprachwechsel handeln, indem sie Verlorenes und die Erfahrung der Entfremdung benennen, macht den Band für Gauss zu etwas Besonderem und besonders Schönem.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.09.2014Am Ufer des Neulands
Aus dem Slowenischen ist die österreichische Autorin Maja Haderlap ins Deutsche gewechselt –
jetzt kehrt sie in dem Gedichtband „langer transit“ in die Sprachwelt ihrer Kindheit zurück
VON KARL-MARKUS GAUSS
Es ist bald dreißig Jahre her, dass von zwei jungen slowenischen Dichterinnen aus Kärnten erste Gedichte in verschiedenen Literaturzeitschriften zu lesen waren. Beide stammten sie aus der Gemeinde Eisenkappel, slowenisch: Zelezna kapla, die 1961 geborene Maja Haderlap und die um fünf Jahre jüngere Cvetka Lipus. Der Ort liegt in den Karawanken, nahe der damaligen österreichisch-jugoslawischen Staatsgrenze, und er galt im Zweiten Weltkrieg als Hort des Widerstands gegen die Nationalsozialisten; noch wenige Tage vor Kriegsende verübten Sondereinheiten der Polizei Massaker unter der Bevölkerung, die im Verdacht stand, verstockt auf ihrem Slowenentum zu beharren und die Partisanen zu unterstützen. In diesem nationalen Grenzgebiet wurde der Kampf um die deutsche Vorherrschaft immer auch als Kampf gegen die slowenische Sprache selbst geführt, die aus dem öffentlichen Raum verbannt werden sollte.
Beide Autorinnen, Studentin die eine, Gymnasiastin noch die andere, schrieben damals auf Slowenisch, später gaben sie zusammen mit Fabjan Hafner Mladje heraus, die wichtigste und bald schon einzige österreichische Kulturzeitschrift in slowenischer Sprache. Cvetka Lipus blieb bei der slowenischen Sprache, ihre Lyrikbände erscheinen inzwischen in Ljubljana, obwohl die Autorin nach Aufenthalten in den Vereinigten Staaten heute in Salzburg lebt.
Maja Haderlap veröffentlichte ihre ersten Gedichte auf Slowenisch, später schrieb sie auf Slowenisch und Deutsch. Mit ihrem Roman „Engel des Vergessens“, der 2011, als sie damit den Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt gewann, ein unerwarteter Erfolg im gesamten deutschen Sprachraum wurde, scheint sie den Sprachwechsel endgültig vollzogen zu haben; auch ihren neuen Gedichtband, „langer transit“, eine schmale, konzentrierte Sammlung mit wundersam poetischen Gedichten hat sie in ihrer zweiten, der deutschen Sprache verfasst.
Der Sprachverlust, der Sprachwechsel, das Leben zwischen zwei Sprachen – beiden zuzugehören, war in Kärnten lange Zeit geradezu verpönt –, sind die zentralen Themen dieses Bandes. „Haus der alten Sprache“ ist ein Gedicht überschrieben, das vom Auszug aus der einen, der alten Sprache handelt. „Handelt“ ist das richtige Wort, denn Haderlap schreibt erzählende Gedichte; Lyrik meint in ihrem Falle nicht Schreiben in gebundener Sprache, in Vers- und Strophenformen, oder eine besondere Rhythmisierung des Sprechens, sondern bildhafte Verdichtung, assoziative Verknüpfung beschreibender, beschwörender, diskursiver Passagen von einem Wort zum anderen.
Die alte Sprache ist das Slowenische der Mutter, der Großeltern und damit sowohl die Sprache der eigenen Kindheit, also der Mythen, Märchen, ersten Gewissheiten, als auch die Sprache des Widerstands, die verfolgte, missachtete, abgewiesene Sprache. Schönheit und Würde dieser Sprache wurzeln für die Autorin in dieser Doppeltheit von Magie und Widerstand; dennoch bleibt sie bei der Beschwörung der alten Sprache nicht stehen, benennt vielmehr auch das Gefühl der langsamen Entfernung, Entfremdung von ihr: „die sprache/ fesselte mich an die welt, indessen sie/ sättigte nicht. biss ich sie durch, kostete/ ich ihre wüstung.“
In einem anderen erzählenden Gedicht betritt die Dichterin nach vielen Jahren offenbar wieder den Dachboden im heimatlichen Haus: „an diesem ort tritt auch die sprache zu mir/ als vertraute, die um jedes geheimnis weiß.“ Die verlorenen Dinge der Kindheit werden wieder gegenwärtig, aber nur dank und in der alten Sprache. Gleichwohl ist deren Anrufung prekär, scheint sie doch nur tauglich, die verlorene Welt zu bannen, nicht eine neue zu entwerfen: „verwahre mich, sprache,/ schließ mich ab gegen die zeit.“ In dem titelgebenden Gedicht des Bandes heißt es folglich: „Am ufer des neulands wirst du deine/ muttersprache ablegen.“ Gerade davon künden die schönen Gedichte dieses Bandes, vom Verlust, den jeder, den selbst der notwendige Aufbruch bedeutet, und vom unmerklichen Fortwirken dessen, was wir für abgetan, für verloren, längst überwunden halten.
Maja Haderlap: langer transit. Gedichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 87 Seiten, 19,90 Euro.
„die sprache/ fesselte mich an die
welt, indessen sie/ sättigte nicht“
Der Wolf ist eine Hauptfigur in den slowenischen Mythen und Märchen: Maja Haderlap erinnert sich in ihren Gedichten an die Erzählungen ihrer Großmutter – und an die Entfernung von der Herkunftswelt.
Foto: laif
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Aus dem Slowenischen ist die österreichische Autorin Maja Haderlap ins Deutsche gewechselt –
jetzt kehrt sie in dem Gedichtband „langer transit“ in die Sprachwelt ihrer Kindheit zurück
VON KARL-MARKUS GAUSS
Es ist bald dreißig Jahre her, dass von zwei jungen slowenischen Dichterinnen aus Kärnten erste Gedichte in verschiedenen Literaturzeitschriften zu lesen waren. Beide stammten sie aus der Gemeinde Eisenkappel, slowenisch: Zelezna kapla, die 1961 geborene Maja Haderlap und die um fünf Jahre jüngere Cvetka Lipus. Der Ort liegt in den Karawanken, nahe der damaligen österreichisch-jugoslawischen Staatsgrenze, und er galt im Zweiten Weltkrieg als Hort des Widerstands gegen die Nationalsozialisten; noch wenige Tage vor Kriegsende verübten Sondereinheiten der Polizei Massaker unter der Bevölkerung, die im Verdacht stand, verstockt auf ihrem Slowenentum zu beharren und die Partisanen zu unterstützen. In diesem nationalen Grenzgebiet wurde der Kampf um die deutsche Vorherrschaft immer auch als Kampf gegen die slowenische Sprache selbst geführt, die aus dem öffentlichen Raum verbannt werden sollte.
Beide Autorinnen, Studentin die eine, Gymnasiastin noch die andere, schrieben damals auf Slowenisch, später gaben sie zusammen mit Fabjan Hafner Mladje heraus, die wichtigste und bald schon einzige österreichische Kulturzeitschrift in slowenischer Sprache. Cvetka Lipus blieb bei der slowenischen Sprache, ihre Lyrikbände erscheinen inzwischen in Ljubljana, obwohl die Autorin nach Aufenthalten in den Vereinigten Staaten heute in Salzburg lebt.
Maja Haderlap veröffentlichte ihre ersten Gedichte auf Slowenisch, später schrieb sie auf Slowenisch und Deutsch. Mit ihrem Roman „Engel des Vergessens“, der 2011, als sie damit den Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt gewann, ein unerwarteter Erfolg im gesamten deutschen Sprachraum wurde, scheint sie den Sprachwechsel endgültig vollzogen zu haben; auch ihren neuen Gedichtband, „langer transit“, eine schmale, konzentrierte Sammlung mit wundersam poetischen Gedichten hat sie in ihrer zweiten, der deutschen Sprache verfasst.
Der Sprachverlust, der Sprachwechsel, das Leben zwischen zwei Sprachen – beiden zuzugehören, war in Kärnten lange Zeit geradezu verpönt –, sind die zentralen Themen dieses Bandes. „Haus der alten Sprache“ ist ein Gedicht überschrieben, das vom Auszug aus der einen, der alten Sprache handelt. „Handelt“ ist das richtige Wort, denn Haderlap schreibt erzählende Gedichte; Lyrik meint in ihrem Falle nicht Schreiben in gebundener Sprache, in Vers- und Strophenformen, oder eine besondere Rhythmisierung des Sprechens, sondern bildhafte Verdichtung, assoziative Verknüpfung beschreibender, beschwörender, diskursiver Passagen von einem Wort zum anderen.
Die alte Sprache ist das Slowenische der Mutter, der Großeltern und damit sowohl die Sprache der eigenen Kindheit, also der Mythen, Märchen, ersten Gewissheiten, als auch die Sprache des Widerstands, die verfolgte, missachtete, abgewiesene Sprache. Schönheit und Würde dieser Sprache wurzeln für die Autorin in dieser Doppeltheit von Magie und Widerstand; dennoch bleibt sie bei der Beschwörung der alten Sprache nicht stehen, benennt vielmehr auch das Gefühl der langsamen Entfernung, Entfremdung von ihr: „die sprache/ fesselte mich an die welt, indessen sie/ sättigte nicht. biss ich sie durch, kostete/ ich ihre wüstung.“
In einem anderen erzählenden Gedicht betritt die Dichterin nach vielen Jahren offenbar wieder den Dachboden im heimatlichen Haus: „an diesem ort tritt auch die sprache zu mir/ als vertraute, die um jedes geheimnis weiß.“ Die verlorenen Dinge der Kindheit werden wieder gegenwärtig, aber nur dank und in der alten Sprache. Gleichwohl ist deren Anrufung prekär, scheint sie doch nur tauglich, die verlorene Welt zu bannen, nicht eine neue zu entwerfen: „verwahre mich, sprache,/ schließ mich ab gegen die zeit.“ In dem titelgebenden Gedicht des Bandes heißt es folglich: „Am ufer des neulands wirst du deine/ muttersprache ablegen.“ Gerade davon künden die schönen Gedichte dieses Bandes, vom Verlust, den jeder, den selbst der notwendige Aufbruch bedeutet, und vom unmerklichen Fortwirken dessen, was wir für abgetan, für verloren, längst überwunden halten.
Maja Haderlap: langer transit. Gedichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 87 Seiten, 19,90 Euro.
„die sprache/ fesselte mich an die
welt, indessen sie/ sättigte nicht“
Der Wolf ist eine Hauptfigur in den slowenischen Mythen und Märchen: Maja Haderlap erinnert sich in ihren Gedichten an die Erzählungen ihrer Großmutter – und an die Entfernung von der Herkunftswelt.
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»wundersam poetische Gedichte« (Karl-Markus Gauss, Süddeutsche Zeitung, 13./14.09.2014) »Die Lyrik und Prosa von Maja Haderlap vereint poetische Brillanz mit politischer Brisanz« (Aus der Jurybegründung für die Verleihung des Max-Frisch-Preises 2018 der Stadt Zürich) »Die thematische Variation im Anspruch von Sprachreflexion und direktem Ausdruck setzt zweifellos neue Maßstäbe in der modernen Lyrik.« (Walter Pobaschnig, literaturoutdoors.wordpress.com, 02_2018)