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Leise rieselt der Schnee auf eine Stadt, die in Trümmern liegt. Während alle Zivilisten auf das Kriegsende warten, sucht der Ghostwriter Schadhorst seine Liebste, sucht Commander Coeursledge seine Barbie, suchen zwei Reporter einen Interviewpartner, sucht Dr. Krock einen Rucksack, und Meta Jobst, Ex-Ikone des Infotainements, sucht mit ihrem Mann eine Herberge, in der sie ihr Kind zur Welt bringen kann. Die Wege all dieser Gestalten kreuzen sich im Schnee oder im Terrain Taboo, der letzten Bar der Stadt. Galant und mit hintergründigem Witz führt Henning Ahrens den Leser durch dieses Labyrinth…mehr

Produktbeschreibung
Leise rieselt der Schnee auf eine Stadt, die in Trümmern liegt. Während alle Zivilisten auf das Kriegsende warten, sucht der Ghostwriter Schadhorst seine Liebste, sucht Commander Coeursledge seine Barbie, suchen zwei Reporter einen Interviewpartner, sucht Dr. Krock einen Rucksack, und Meta Jobst, Ex-Ikone des Infotainements, sucht mit ihrem Mann eine Herberge, in der sie ihr Kind zur Welt bringen kann. Die Wege all dieser Gestalten kreuzen sich im Schnee oder im Terrain Taboo, der letzten Bar der Stadt. Galant und mit hintergründigem Witz führt Henning Ahrens den Leser durch dieses Labyrinth aus Tanz und Rausch, aus Verrat und Überlebenskampf - bis hin zu den Mündungsfeuern menschlicher Leidenschaften.
Autorenporträt
Henning Ahrens, geboren 1964, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Handorf, Niedersachsen. 2016 wurde er mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2004

Weltenende im Modellbaukasten
Software für Snobs: Der zweite Roman von Henning Ahrens

Die EuroForce hat die Reste der U.S. Army eingekesselt, ein paar tausend Mann noch, der Sturm auf Mitte steht unmittelbar bevor. Noch eine Woche bis Heiligabend. Durch die Ruinenstadt irrt eine Schwangere auf der Suche nach einer Herberge, es ist Meta Jobst, gewesene Ikone des Infotainments - als sie noch Anchorwoman bei Vox Populi war und "Dayflash" moderiert hat. Irgendwann läßt Henning Ahrens sogar einen Stern über der Schrebergartenhütte von Schadhorst erscheinen. Schadhorst ist Lohnschreiber, und für eine Weile ist er auch unser Erzähler. Eines Tages bekommt er Besuch von Lord Ox und dessen Gefährten Peterle Licht - und den Auftrag, die laufenden Ereignisse mitzuschreiben. "Und während sich das All um mich herum immer weiter ausdehnte, ließ ich die Kurbel in den Herman Mechanic einrasten. Das Summen des Computers wurde zum Brummen, und als das Brummen satt genug war, löste ich die Kurbel und machte mich an die Arbeit."

Textverarbeitung mit Kurbelantrieb: Henning Ahrens' zweiter Roman spielt in einer Zeit nach dem Ende aller Fortschrittsphantasien. Wenn uns die Zukunftsforscher von heute raten, das Improvisieren zu lernen - bei Ahrens kann man nachlesen, wie es sein wird nach dem großen Stromausfall, dem Zusammenbruch von Produktion, Distribution und Kommunikation, wie wir sie kennen. Es wird wieder "Muckefuck" geben, Kaltblüter ziehen Fuhrwerke durchs Bild, beladen mit Eierkohlen und Briketts, gekocht wird nach dem "Praktischen Kochbuch" der Henriette Davidis. Manchmal gibt es Wild, denn die Natur kehrt in die zerstörten Städte zurück. Trotzdem herrscht Fleischmangel, weshalb gern auch "Barbiesteak" verarbeitet wird. Um solche leckeren Braten kümmert sich Commander Coeursledge. Er lebt sogar mit einer Barbie namens Lotte, mit Traumfigur: nicht zum Essen, sondern zum Liebhaben. Grimmig aber sind die Männchen, die Kens. Schnell schwillt ihnen der Rückenkamm, blutrot springt ihnen das Gemächt hervor. Außer "Horribo" oder "Orra!" oder "Urra!" haben sie nicht viel zu sagen. Barbies und Kens sind Sexobjekte und Schlachtvieh, doch der Propagandagruß der Menschen in der Winterstadt geht so: "Sie fressen unsere Frauen und Kinder!"

Einfallsreich und mit der Akribie eines Modellbahnbastlers hat Ahrens seine Winterwelt ausgestattet. In der evakuierten Zone rund um den zum Stumpf zerbombten Fernsehturm baut er seine Figuren auf, und nicht selten blättert man zurück zur langen "Liste der Protagonisten", um sich zurechtzufinden zwischen den Versprengten dieses Niemandslands, den Warlords und -queens, den sieben Greisen, die sich einst in besseren Tagen in der Hoffnung auf noch bessere hatten einfrieren lassen, dem gewesenen Starkoch und der gewesenen Literaturagentin, oder Peter und Paul, den Reportern des Magazins "My Human Ex". Dazwischen Alma, die verlorene Geliebte des Ghostwriters Schadhorst. Kaum hat er seine Arbeit begonnen, versucht er, sie sich wieder "herbeizutippen". Die moralische Mehrwertschöpfung seines Auftraggebers Ox ist ihm schnuppe. So sind sie, die Autoren.

Autor Ahrens läßt ganz gern durchblicken, mit welchen Wassern der Literaturtheorie und -geschichte er gewaschen ist, er schreibt Actionsequenzen wie aus Marvel Comics, dann wieder große Tableaus. Lustvoll wechselt er zwischen den immer wieder neu aufgestellten Figurengruppen hin und her, und heftig augenzwinkernd treibt er sein Spiel mit möglicher Lesererwartung, etwa wenn es momentweise zwei zusammentreibt zum Sex in Ruinen: "An dieser Stelle wollen wir die beiden allein lassen, denn alles andere wäre unschicklich."

Die Welt nach dem Ende der Welt sieht unserer dann doch recht ähnlich, und was hier kriecht und rennt, sind die Verlorenen, Übriggebliebenen, Kleinganoven - und große Liebende. Commander Coeursledge, einst Familienvater und eine bürgerliche Existenz, jetzt "Räuberhauptmann", bleibt am Ende allein zurück; Lotte im Herzen, gerüstet mit Nacktheit, nur eine Maske vor dem Gesicht, läuft er durch das Gefechtsgebiet, dem die andern mit einem großen schwarzen Zeppelin entschweben, wohin auch immer, denn Ziel und Auftrag des Schwarzen Schiffs bleiben zunächst unklar: "Bisher soll das Ganze nur die Spannung steigern."

So treibt Ahrens sein Spiel mit dem Leser, ein absichtsvoll unzuverlässiger Lieferant von "Handlung", erst recht "moralischem Mehrwert". "Was sind Bücher?" fragt jemand. "Die Software der Snobs." Tatsächlich etwas snobby kommt "Langsamer Walzer" daher, ein bißchen allzu unbekümmert um das Interesse seiner Leser, das er so raffiniert zu wecken versteht. Von den kunstvoll arrangierten "Protagonisten" würde man womöglich Näheres erfahren wollen, als die ständig wechselnden Szenen hergeben. Auch an manchen bisweilen etwas lausbubenhaft herbeizitierten Erzählerattitüden mag man sich stören. Doch ist dem kalten Sog vor allem der Beschreibungen der kaputten Winterstadt schwer zu entgehen.

Ahrens' Lieblingsperspektive scheint die der Krähen zu sein, die unablässig über allem kreisen. Mit dem Rauch, der aus dem Barbie-Schlachthaus aufsteigt, läßt er sich nach oben treiben "in einen Himmel, der zusehends dunkler wurde. Gemeinsam mit den Flocken wehte er über die Chiffren dessen, was man einst als Stadt gelesen hatte, über Hieroglyphen aus Trümmern und Trichtern, über eine Keilschrift, in der kaum ein Zeichen zu entziffern war."

Schön ist der Himmel des Exegeten, der sich allwissend über die schwer entzifferbaren Zeichenformationen beugt, die er selbst angelegt hat. Schön, aber nicht ohne Absturzgefahr. Ohne Frage aber wird man den bereits als Lyriker und Übersetzer hervorgetretenen Henning Ahrens, Jahrgang 1964, auch als Erzähler unter die Hochbegabten zählen.

HOLGER NOLTZE.

Henning Ahrens: "Langsamer Walzer". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 318 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit "Langsamer Walzer" wolle sich der 40-jährige Autor bewusst gegen seine schreibenden Altersgenossen abgrenzen, erklärt Rainer Moritz, zeigt zeigt sich aber von Ahrens' Wiederbelebung des magischen Realismus in Romanform nicht überzeugt. Zuletzt hätten nach der Katastrophe von 1945 einige Autoren versucht, in Kubinscher Manier die Unwirtlichkeit der Städte und ihr Gefühl von Heimatlosigkeit zu beschreiben. Ahrens' Roman spielt ebenfalls in einer unbestimmten Zukunft, in einer vom Krieg heimgesuchten Stadt, in der sich eine Gruppe von Eingeschlossenen in Sex, Gewalt und Kannibalismus ergeht. Science-Fiction-Elemente und Bildungszitate werden eingestreut, beklagt Moritz, bedeutungsschwangere Sätze so lange wiederholt, bis auch dem schwerfälligsten Leser aufgefallen sein müsste, dass es sich um Leitmotive handeln soll. Ein solches tut Moritz gleich mit spitzer Feder kund: "Der Rucksack enthält alles. Wer alles will, will auch den Rucksack", zitiert er Ahrens verrätselte Schreibweise, die Moritz bloß selbstverliebt erscheint. Die Figuren dienen als Staffage, kritisiert er, um die düstere Botschaft zu transportieren, dass es keine Botschaft mehr gebe.

© Perlentaucher Medien GmbH