In seinem dritten im Verlagshaus erscheinenden Band langsames ermatten im labyrinth widmet Carl-Christian Elze sich Venedig - einem Hologramm, einer Vision von Tintoretto, einem Organversagen - sicher keiner Stadt. Elzes Gedichte erschreiben sich ein Venedig, das in den Körper übergeht.Venedig ist ein einziges schwanken / durch gassen, die sich salzig verbiegen . Das ist nicht das Venedig der Postkarten, es ist ein Labyrinth der Ratten, Fliegen, Tauben - aber auch der Päpsten, Dogen, Gondeln und Engel. Ihre Anmut geht gänzlich in Elzes Verse über. Es ist kein Wunder, dass Elze einen ganzen Zyklus zu Tintorettos Gemälden schreibt: Hier mischen sich der Blick des Malers und der des Lyrikers. Was sie sehen, sind Körper - und die werden zu Gedichten.Elze ist sich bewusst, was er sieht: Das Betrachten eines Gemäldes war ein Spaziergang geworden, es geschah wie nebenbei, und ein Spaziergang war wie ein Gemälde geworden: er drang tiefer in den Körper ein. Das ist nicht irgendeine Stadt, das ist Venedig. Ein Bild vor Augen, das zerfließt, sobald wir es betreten, ein langsames ermatten im labyrinth .
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2019Als Protestant auf Gottessuche in Venedig
Wie die Engel, so die Dichter: Carl-Christian Elze nimmt in seinem neuen Lyrikband große Gemälde in den Blick, als müsste er einen alten Durst stillen
Venedig, so fürchtete der Dichter Carl-Christian Elze, als er 2016 mit einem dreimonatigen Stipendium in die Stadt kam, Venedig werde ihm zu einer Falle werden. Und zwar nicht so sehr oder bloß topographisch als meerumspültes Labyrinth - wer hat sich in den verwinkelten Gässchen nicht schon verlaufen? -, sondern vor allem poetologisch. Wie sollte das gehen, nicht von Schönheit berauscht tausendmal Gesagtes wiederzukäuen oder mit Angelesenem aufzutrumpfen?
Dass es anders kam, hat Elze nicht zuletzt seinem Stipendiengeber, dem Deutschen Studienzentrum im Palazzo Barbarigo della Terrazza im Stadtteil San Polo, zu verdanken. In dem sommerheißen Zimmerchen, in dem man ihn untergebracht hatte, lauschte er nachts schlaflos auf die herumtobenden Ratten im angrenzenden Müllschacht und die unermüdlich vor sich hin rumpelnde Wasserpumpe, bis er, endlich vor Müdigkeit weggesackt, um fünf Uhr morgens von klirrend in den Schacht stürzenden leeren Flaschen aus dem benachbarten Hotel aus seinen Träumen gerissen wurde.
Nach nächtelangem Schlafentzug bewegte sich Elze tagsüber bald nurmehr als selbstverkabelte Laborratte auf Autopilot im venezianischen Labyrinth. Aber so, in einem Zustand zwischen schmerzender Erschöpfung und beseligender Trance, gewann er, was er zum Schreiben brauchte: totale Offenheit, Durchlässigkeit - Neuro-Osmose.
Ein Zustand, der an die religiös aufgeladene Ekstase weit gewanderter Pilger erinnert. Und auch an den von Kunstpilgern natürlich, die, angesichts der Überfülle ästhetischer Wunder, vom Stendhal-Syndrom befallen werden. Elze jedenfalls schießt die religiöse Malerei hier, wo man "an jeder losbude mit tintorettos bezahlt", förmlich durch die Augen, sie dringt ihm in die Adern und flutet seine Synapsen: "diese stadt ist ein teilchenbeschleuniger / sie löst dich auf, um dich sehend zu machen / deine ewigen teilchen, und du kannst nicht mehr fliehen / zurück ins wartezimmer, wo die illustrierten liegen".
San Polo, wo Elze wohnt, ist Tintoretto-Land. Hier hat der Maler für die Scuola Grande di San Rocco 56 Gemälde geschaffen, mit Szenen aus dem Alten und Neuen Testament. Und Elze, der Protestant, bilderskeptisch und schriftgläubig erzogen, pilgert zu ihnen, wie auch zu den Bildern Bellinis, Giorgiones, Carpaccios, als müsste er einen alten Durst stillen.
Doch vor den Bildern ist der Dichter in Gefahr, er ringt mit ihnen, unterliegt siegend, siegt unterliegend, wie etwa mit Blick auf die "Verkündigung" von Bellini: "so wenig sinnlichkeit / können worte: nur engel benennen / ohne ihr gesicht abzubilden / ihr sanftes gewölbe aus knochen / ihr vermischtes gewölbe aus mann und frau / und wie, wie willst du licht ersetzen! / noch lächerlicher hier nur licht zu sagen / das durch die fenster stürzt und schleicht zugleich / um ihr gesicht kaum merklich anzuheben / dass es die weiße lilie sieht".
Der 1974 in Ost-Berlin geborene, seit vielen Jahren in Leipzig lebende Elze ist der große Existentialist und Gottsucher unter den jüngeren deutschen Dichtern. Schon in seinem vierten, 2016 erschienenen Gedichtband mit dem zärtlich-wundersamen Titel "diese kleinen, in der luft hängenden, bergpredigenden gebilde" bewegte er sich auf dem schmalen Grat zwischen Glauben-Wollen und Nicht-glauben-Können, Zweifeln und Hoffen. Diese Suchbewegung hat sich in "langsames ermatten im labyrinth", dem nun drei Jahre nach seinem Aufenthalt am Lido im Verlagshaus Berlin erschienenen Venedig-Buch, noch verstärkt: "kein widerstand / kein widersprechen. / kein angstgerüst / das plötzlich zuckt / und sich den tod vorstellt / als leere büchse. / sieh dich nur um / hier schlägt das herz / das einverstanden ist / bald zu verschwinden / hier schlägt das herz / das einverstanden ist", heißt es in "flügelding" nach Carpaccios "Traum der heiligen Ursula". Die Wiederholung am Ende macht deutlich: Es geht hier nicht um die heilige Ursula, sondern um den Dichter, um uns, um die zweifelumflorte Gewissheit des Glaubens.
Elzes große Stärke ist, dass er trotz der theologischen, metaphysischen Fragen nicht abhebt, sondern verständlich bleibt. Wie die ihn ansaugenden, sich in sein Inneres fressenden Bilder geht er stets von etwas Konkretem aus und bleibt den Menschen, Tieren, Mitgeschöpfen zugewandt, Symbolismus ist ihm fremd. Weil er so viel sinnliche Wirklichkeit in seine Gedichte legt, Szenen baut, und da, wo er pathetisch wird, das Pathos gleich wieder bricht, indem er seine Ergriffenheit mit Profanem mischt, braucht Elze keine Ironie, diese einschüchternde überhebliche Heuchelei derjenigen, die ihrer Angst nicht begegnen wollen. Er macht sich nicht größer, nicht kleiner, er sagt mit jedem Vers: Trotz allem - fürchtet euch nicht. Engel sagen so etwas. Dichter aber auch.
BETTINA HARTZ.
Carl-Christian Elze: "langsames ermatten im labyrinth" / "lento spossarsi nel labirinto".
Mit Illustrationen von Lilli Gärtner. Ins Italienische übersetzt von Daniele Vecchiato. Edition Panopticon im Verlagshaus Berlin, Berlin 2019.
208 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie die Engel, so die Dichter: Carl-Christian Elze nimmt in seinem neuen Lyrikband große Gemälde in den Blick, als müsste er einen alten Durst stillen
Venedig, so fürchtete der Dichter Carl-Christian Elze, als er 2016 mit einem dreimonatigen Stipendium in die Stadt kam, Venedig werde ihm zu einer Falle werden. Und zwar nicht so sehr oder bloß topographisch als meerumspültes Labyrinth - wer hat sich in den verwinkelten Gässchen nicht schon verlaufen? -, sondern vor allem poetologisch. Wie sollte das gehen, nicht von Schönheit berauscht tausendmal Gesagtes wiederzukäuen oder mit Angelesenem aufzutrumpfen?
Dass es anders kam, hat Elze nicht zuletzt seinem Stipendiengeber, dem Deutschen Studienzentrum im Palazzo Barbarigo della Terrazza im Stadtteil San Polo, zu verdanken. In dem sommerheißen Zimmerchen, in dem man ihn untergebracht hatte, lauschte er nachts schlaflos auf die herumtobenden Ratten im angrenzenden Müllschacht und die unermüdlich vor sich hin rumpelnde Wasserpumpe, bis er, endlich vor Müdigkeit weggesackt, um fünf Uhr morgens von klirrend in den Schacht stürzenden leeren Flaschen aus dem benachbarten Hotel aus seinen Träumen gerissen wurde.
Nach nächtelangem Schlafentzug bewegte sich Elze tagsüber bald nurmehr als selbstverkabelte Laborratte auf Autopilot im venezianischen Labyrinth. Aber so, in einem Zustand zwischen schmerzender Erschöpfung und beseligender Trance, gewann er, was er zum Schreiben brauchte: totale Offenheit, Durchlässigkeit - Neuro-Osmose.
Ein Zustand, der an die religiös aufgeladene Ekstase weit gewanderter Pilger erinnert. Und auch an den von Kunstpilgern natürlich, die, angesichts der Überfülle ästhetischer Wunder, vom Stendhal-Syndrom befallen werden. Elze jedenfalls schießt die religiöse Malerei hier, wo man "an jeder losbude mit tintorettos bezahlt", förmlich durch die Augen, sie dringt ihm in die Adern und flutet seine Synapsen: "diese stadt ist ein teilchenbeschleuniger / sie löst dich auf, um dich sehend zu machen / deine ewigen teilchen, und du kannst nicht mehr fliehen / zurück ins wartezimmer, wo die illustrierten liegen".
San Polo, wo Elze wohnt, ist Tintoretto-Land. Hier hat der Maler für die Scuola Grande di San Rocco 56 Gemälde geschaffen, mit Szenen aus dem Alten und Neuen Testament. Und Elze, der Protestant, bilderskeptisch und schriftgläubig erzogen, pilgert zu ihnen, wie auch zu den Bildern Bellinis, Giorgiones, Carpaccios, als müsste er einen alten Durst stillen.
Doch vor den Bildern ist der Dichter in Gefahr, er ringt mit ihnen, unterliegt siegend, siegt unterliegend, wie etwa mit Blick auf die "Verkündigung" von Bellini: "so wenig sinnlichkeit / können worte: nur engel benennen / ohne ihr gesicht abzubilden / ihr sanftes gewölbe aus knochen / ihr vermischtes gewölbe aus mann und frau / und wie, wie willst du licht ersetzen! / noch lächerlicher hier nur licht zu sagen / das durch die fenster stürzt und schleicht zugleich / um ihr gesicht kaum merklich anzuheben / dass es die weiße lilie sieht".
Der 1974 in Ost-Berlin geborene, seit vielen Jahren in Leipzig lebende Elze ist der große Existentialist und Gottsucher unter den jüngeren deutschen Dichtern. Schon in seinem vierten, 2016 erschienenen Gedichtband mit dem zärtlich-wundersamen Titel "diese kleinen, in der luft hängenden, bergpredigenden gebilde" bewegte er sich auf dem schmalen Grat zwischen Glauben-Wollen und Nicht-glauben-Können, Zweifeln und Hoffen. Diese Suchbewegung hat sich in "langsames ermatten im labyrinth", dem nun drei Jahre nach seinem Aufenthalt am Lido im Verlagshaus Berlin erschienenen Venedig-Buch, noch verstärkt: "kein widerstand / kein widersprechen. / kein angstgerüst / das plötzlich zuckt / und sich den tod vorstellt / als leere büchse. / sieh dich nur um / hier schlägt das herz / das einverstanden ist / bald zu verschwinden / hier schlägt das herz / das einverstanden ist", heißt es in "flügelding" nach Carpaccios "Traum der heiligen Ursula". Die Wiederholung am Ende macht deutlich: Es geht hier nicht um die heilige Ursula, sondern um den Dichter, um uns, um die zweifelumflorte Gewissheit des Glaubens.
Elzes große Stärke ist, dass er trotz der theologischen, metaphysischen Fragen nicht abhebt, sondern verständlich bleibt. Wie die ihn ansaugenden, sich in sein Inneres fressenden Bilder geht er stets von etwas Konkretem aus und bleibt den Menschen, Tieren, Mitgeschöpfen zugewandt, Symbolismus ist ihm fremd. Weil er so viel sinnliche Wirklichkeit in seine Gedichte legt, Szenen baut, und da, wo er pathetisch wird, das Pathos gleich wieder bricht, indem er seine Ergriffenheit mit Profanem mischt, braucht Elze keine Ironie, diese einschüchternde überhebliche Heuchelei derjenigen, die ihrer Angst nicht begegnen wollen. Er macht sich nicht größer, nicht kleiner, er sagt mit jedem Vers: Trotz allem - fürchtet euch nicht. Engel sagen so etwas. Dichter aber auch.
BETTINA HARTZ.
Carl-Christian Elze: "langsames ermatten im labyrinth" / "lento spossarsi nel labirinto".
Mit Illustrationen von Lilli Gärtner. Ins Italienische übersetzt von Daniele Vecchiato. Edition Panopticon im Verlagshaus Berlin, Berlin 2019.
208 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
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