§The Sunday Times Top Ten Bestseller
Longlisted for the Booker Prize
'Books this good don't come along very often.' Maggie O'Farrell
'A magically beguiling work, a triumph.' Financial Times
'A thing of total joy . . . thrums with rhythm and life.' Observer
Not far from London, there is a village.
This village belongs to the people who live in it and to those who lived in it hundreds of years ago. It belongs to England's mysterious past and its confounding present.
It belongs to families dead for generations, and to those who have only recently moved here, such as the boy Lanny, and his mum and dad.
But it also belongs to Dead Papa Toothwort, who has woken from his slumber in the woods. Dead Papa Toothwort, who is listening to them all.
'Startling, moving and overwhelming . . . Wonderful.' Daily Telegraph
'A devastating, disquieting and exhilarating book.' Psychologies
'Stunning and deeply affecting.' Nathan Filer
'A remarkable feat of literary virtuosity.' Sunday Times
Longlisted for the Booker Prize
'Books this good don't come along very often.' Maggie O'Farrell
'A magically beguiling work, a triumph.' Financial Times
'A thing of total joy . . . thrums with rhythm and life.' Observer
Not far from London, there is a village.
This village belongs to the people who live in it and to those who lived in it hundreds of years ago. It belongs to England's mysterious past and its confounding present.
It belongs to families dead for generations, and to those who have only recently moved here, such as the boy Lanny, and his mum and dad.
But it also belongs to Dead Papa Toothwort, who has woken from his slumber in the woods. Dead Papa Toothwort, who is listening to them all.
'Startling, moving and overwhelming . . . Wonderful.' Daily Telegraph
'A devastating, disquieting and exhilarating book.' Psychologies
'Stunning and deeply affecting.' Nathan Filer
'A remarkable feat of literary virtuosity.' Sunday Times
'Max Porter is one of my favorite writers in the world. Why? Because he's always asking the most important questions and then finding ways - through innovative structures and that inimitable voice -of answering those questions soulfully, with his full attention, in ways that make the world seem stranger and more dear (or more dear because stranger). He gives his readers, in other words, bursts of new vision.' George Saunders
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2023Drum and Bass im Dschungel
Unter der Kapuze geborgen: Max Porters Roman "Shy"
Wie würde ein depressiver Jugendlicher seine Erlebnisse in einem Internat für schwer erziehbare Kinder schildern? Gefangen zwischen Wutanfällen und Null-Bock-Einstellung, wäre das sicherlich kein leichter, aber ein interessanter Roman - das hat sich zumindest Max Porter für sein neues Buch "Shy" gedacht. In dem geht es um Drogen, Sex, Musik und Randale eines Teenagers, genannt Shy, aber vor allem um die Momente dazwischen, in denen sich der Junge aus England mit sich selbst und seinen Handlungen auseinandersetzt.
Denn "unter seiner Kapuze geborgen in einer perfekten Welt aus Breaks und Basslines und bretterndem Bombast hebt er ab" - vor allem in diesen Momenten fällt der Rucksack, der "Sack Steine", von Shys Schultern ab. Und normalerweise ist der Beobachter kein Teil dieser Welt, jedoch macht Porter den Einblick möglich; in einer Mischung aus Erzählung, Lyrik und abgehackten Satzfragmenten kann der Leser Shys Gedankenwelt folgen.
Allerdings ergeben Shys Eindrücke nicht immer Sinn. Mehrere Szenen folgen in Porters Roman direkt aufeinander, ohne dass sie zeitlich oder thematisch zu ordnen wären. Gesprächsabschnitte fließen wie Tagträume in Shys Alltag mit ein, deren Kontext den Lesern fehlt. Der Erzählstrang ist dadurch eben nicht stringent - so, wie Shys Heranwachsen es nicht ist. Immer wieder einmal versucht seine Mutter bei ihm durchzudringen, ohne Erfolg: Er "wollte sich tief in die Erde tunneln und verrecken, und seine Mum sagte: Red mit mir, bitte, erklärs mir, und er hielt sich die Ohren zu und zischte so lange ein Gewitter furios zerhackter Basslines in sein rot verschlossenes Hirn."
Das Einzige, worauf sich Shy verlassen kann? Die Musikrichtung Drum and Bass. Denn die halte, was sie verspreche. Ganz anders sehe es im Dschungel, in der Außenwelt, aus, in der er sich als Soldat behaupten müsse - in der alles ein Kampf sei.
Dem 42 Jahre alten Max Porter gelingt es, auf nur 144 Seiten das komplexe Innenleben eines aufgewühlten Jungen darzustellen. So brutal Shys Handlungen sind, etwa wenn er einem anderen Jungen während einer Prügelei das Gesicht mit einer zerbrochenen Glasflasche aufschlitzt oder er seine Mutter heftig beleidigt: Von innen, als Teil von Shys Gedankenwelt, wirkt das eher hilflos als aggressiv.
Die langen Sätze, in knappe Absätze gepackt, vermitteln Shys Versuche, das außen Wahrgenommene mit dem Inneren in Einklang zu bringen. Versuche, die meistens scheitern. Mithilfe von typographischen Mitteln und einer Art moderner Poesie ermöglicht der durch nach seinen erfolgreichen Debütroman "Trauer ist das Ding mit Federn" bekannt gewordene britische Schriftsteller Porter, die Welt durch die Augen eines rebellierenden und reuigen Teenagers zu sehen. Das ist nicht zuletzt auch Uda Strätlings und Matthias Göritz' Verdienst, die es geschafft haben, das so individuelle Spracherlebnis aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen.
Allerdings muss der Leser kreativ werden, um sich einige Lücken und Fragezeichen aus dem Text zu erschließen. Leichte Lektüre ist "Shy" nicht, und das steht sinnbildlich für die Lebenslage des Teenagers. Das erste Mal, dass eine Situation kontinuierlich beschrieben wird und über eine Seite hinaus andauert, ist auf Seite achtzig, als Shy sich in einer Therapiesitzung an einen friedlichen Urlaub aus seiner Kindheit mit Mutter und Stiefvater erinnert.
Am Ende landet Shy auf dem Internat "Letzte Chance" mit anderen schwer erziehbaren Kindern. Als er dort ausbricht und unter Marihuana-Einfluss Dachsleichen im See neben der Schule vermutet, beschreibt der Jugendliche, wie er sich fühlt: am "Kipppunkt zwischen lebenden und verwesenden Wesen gefangen, wo nicht einmal Gott ihnen sagen könnte, ob sie leben oder ob sie tot sind". Die neue Schule kann bei seinen Panikattacken, Wutausbrüchen und Depressionen nicht helfen. Der Roman endet auf einem Höhepunkt der Rebellion, an dem Shy nicht mal mehr Satzfragmente wahrnimmt, sondern nur noch einzelne Wörter. Die Syntax verstärkt dabei die Dramaturgie von Porters Roman und macht das Leseerlebnis einmalig. CARLOTA BRANDIS
Max Porter: "Shy".
Roman.
Aus dem Englischen von Uda Strätling und Matthias Göritz.
Verlag Kein & Aber, Zürich 2023. 144 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unter der Kapuze geborgen: Max Porters Roman "Shy"
Wie würde ein depressiver Jugendlicher seine Erlebnisse in einem Internat für schwer erziehbare Kinder schildern? Gefangen zwischen Wutanfällen und Null-Bock-Einstellung, wäre das sicherlich kein leichter, aber ein interessanter Roman - das hat sich zumindest Max Porter für sein neues Buch "Shy" gedacht. In dem geht es um Drogen, Sex, Musik und Randale eines Teenagers, genannt Shy, aber vor allem um die Momente dazwischen, in denen sich der Junge aus England mit sich selbst und seinen Handlungen auseinandersetzt.
Denn "unter seiner Kapuze geborgen in einer perfekten Welt aus Breaks und Basslines und bretterndem Bombast hebt er ab" - vor allem in diesen Momenten fällt der Rucksack, der "Sack Steine", von Shys Schultern ab. Und normalerweise ist der Beobachter kein Teil dieser Welt, jedoch macht Porter den Einblick möglich; in einer Mischung aus Erzählung, Lyrik und abgehackten Satzfragmenten kann der Leser Shys Gedankenwelt folgen.
Allerdings ergeben Shys Eindrücke nicht immer Sinn. Mehrere Szenen folgen in Porters Roman direkt aufeinander, ohne dass sie zeitlich oder thematisch zu ordnen wären. Gesprächsabschnitte fließen wie Tagträume in Shys Alltag mit ein, deren Kontext den Lesern fehlt. Der Erzählstrang ist dadurch eben nicht stringent - so, wie Shys Heranwachsen es nicht ist. Immer wieder einmal versucht seine Mutter bei ihm durchzudringen, ohne Erfolg: Er "wollte sich tief in die Erde tunneln und verrecken, und seine Mum sagte: Red mit mir, bitte, erklärs mir, und er hielt sich die Ohren zu und zischte so lange ein Gewitter furios zerhackter Basslines in sein rot verschlossenes Hirn."
Das Einzige, worauf sich Shy verlassen kann? Die Musikrichtung Drum and Bass. Denn die halte, was sie verspreche. Ganz anders sehe es im Dschungel, in der Außenwelt, aus, in der er sich als Soldat behaupten müsse - in der alles ein Kampf sei.
Dem 42 Jahre alten Max Porter gelingt es, auf nur 144 Seiten das komplexe Innenleben eines aufgewühlten Jungen darzustellen. So brutal Shys Handlungen sind, etwa wenn er einem anderen Jungen während einer Prügelei das Gesicht mit einer zerbrochenen Glasflasche aufschlitzt oder er seine Mutter heftig beleidigt: Von innen, als Teil von Shys Gedankenwelt, wirkt das eher hilflos als aggressiv.
Die langen Sätze, in knappe Absätze gepackt, vermitteln Shys Versuche, das außen Wahrgenommene mit dem Inneren in Einklang zu bringen. Versuche, die meistens scheitern. Mithilfe von typographischen Mitteln und einer Art moderner Poesie ermöglicht der durch nach seinen erfolgreichen Debütroman "Trauer ist das Ding mit Federn" bekannt gewordene britische Schriftsteller Porter, die Welt durch die Augen eines rebellierenden und reuigen Teenagers zu sehen. Das ist nicht zuletzt auch Uda Strätlings und Matthias Göritz' Verdienst, die es geschafft haben, das so individuelle Spracherlebnis aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen.
Allerdings muss der Leser kreativ werden, um sich einige Lücken und Fragezeichen aus dem Text zu erschließen. Leichte Lektüre ist "Shy" nicht, und das steht sinnbildlich für die Lebenslage des Teenagers. Das erste Mal, dass eine Situation kontinuierlich beschrieben wird und über eine Seite hinaus andauert, ist auf Seite achtzig, als Shy sich in einer Therapiesitzung an einen friedlichen Urlaub aus seiner Kindheit mit Mutter und Stiefvater erinnert.
Am Ende landet Shy auf dem Internat "Letzte Chance" mit anderen schwer erziehbaren Kindern. Als er dort ausbricht und unter Marihuana-Einfluss Dachsleichen im See neben der Schule vermutet, beschreibt der Jugendliche, wie er sich fühlt: am "Kipppunkt zwischen lebenden und verwesenden Wesen gefangen, wo nicht einmal Gott ihnen sagen könnte, ob sie leben oder ob sie tot sind". Die neue Schule kann bei seinen Panikattacken, Wutausbrüchen und Depressionen nicht helfen. Der Roman endet auf einem Höhepunkt der Rebellion, an dem Shy nicht mal mehr Satzfragmente wahrnimmt, sondern nur noch einzelne Wörter. Die Syntax verstärkt dabei die Dramaturgie von Porters Roman und macht das Leseerlebnis einmalig. CARLOTA BRANDIS
Max Porter: "Shy".
Roman.
Aus dem Englischen von Uda Strätling und Matthias Göritz.
Verlag Kein & Aber, Zürich 2023. 144 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.04.2019Schuppenwurz
und Alltagsklang
Mal Poesie, mal Prosa: Max Porters Roman „Lanny“
Über dieses Buch zu schreiben, ist wie Musik zu schmecken oder Parfums zu malen. Alle Sinne sind gefragt, die trainierten und die verkümmerten. Um eine Ahnung davon zu bekommen, was den Leser in Max Porters zweitem Roman erwartet, hilft vielleicht ein Gedankenspiel: Man möge sich die Zeilen dieses Textes geschwungen vorstellen, gestaucht und gedehnt, buchstabentaumelnd. Das Rascheln der Zeitung im Ohr, das iPad-Tappen, Druckerschwärze an den Fingern, Klicklicklick.
„Lanny“ (aus dem Englischen von Uda Strätling und Matthias Göritz) ist anders als das meiste, das in mehreren Sprachen um die Welt geht. Das beginnt mit dem Formalen, das Satzbögen und Fettgedrucktes ebenso einschließt wie twitterähnliche Kurzparagrafen mit Perspektivwechseln im Ping-Pong-Takt. Wer sich davon nicht irritieren lässt und den Kurven auf den ersten Seiten folgt, taucht immer tiefer in eine erdfrische Geschichte ein, in den Geruch von Bluteisen, den Geschmack von Mooswasser und, tatsächlich, so etwas wie eine universelle Verbundenheit.
Wer da zunächst in Erscheinung tritt in dieser Familiengeschichte in einem Dorf bei London, ist Altvater Schuppenwurz (im Original: Dead Papa Toothwort). Altvater wer? Nicht nur bei der Form, auch beim Personal fordert einen Porter, Jahrgang 1981, von Beginn an heraus. „Altvater Schuppenwurz wacht aus dem Stand weitflächig auf, streift pechdunkle Traumreste ab, die glitzern vor feuchten Kehrichtklumpen. Er legt sich hin, um Erdhymnen zu hören (es gibt keine, also summt er), dann schrumpft er, schlitzt sich mit einer rostigen Dosenlasche einen Mund, saugt eine nasse Haut aus saurem Mulch und saftigen Würmern an.“ So beginnt der 220-Seiten-Roman, das muss man sich erst mal trauen: einem mythischen Gestaltenwandler den Vortritt zu lassen, der lauscht und beobachtet, die staunenden Naturverbundenen suchend, bevor er sich aufrafft „zu einer Jahrhundertanstrengung“, wie es später heißt.
Der Kosmos der Geschichte ist ein abgelegenes Dorf in der Nähe von London, mit Wäldern und Sagen, mit schrulligen Bewohnern und Altvater Schuppenwurz, der hier als Statue in einem Labyrinth, in Gemeindeausstellungen und Erzählungen der Alten zugegen ist. Das Buch handelt von Lanny, dem wunderlichen Jungen eines ehemaligen Städter-Pärchens. Lanny, der zweite Protagonist neben Schuppenwurz, redet in der Nacht mit den Wurzeln einer Eiche, malt mit Kohle Pflanzen, stimmt kryptische Lieder und Fragen an wie diese: „Was meinst du, was geduldiger ist, eine Idee oder eine Hoffnung?“ Andere Antworten kennt er selbst: „Wir sind kleine eingebildete Blitze in einem großen, prächtigen Plan.“ Der Plan des englischen Schriftstellers Max Porter war es, diesen hypersensiblen wie klugen Außenseiter verschwinden zu lassen, das Dorf und die Medien in Aufruhr zu versetzen, und in der Angst um den Jungen die Bedeutung des Altvaters herauszustellen, den niemand (höchstens Lanny) fassen und verstehen kann. So ist das Buch eine wundersam wispernde Erdhymne auf das, was der Mensch nie ganz entschlüsseln wird, auf den Einklang mit der Natur, das Unsichtbare, das Spirituelle um uns herum.
Der Engländer Max Porter, 1981 in High Wycombe geboren, ist ebenfalls mit seiner Familie aus London weggezogen, ins überschaubarere Bath. Die Stadt-Land-Thematik hat der ehemalige Buchhändler und Lektor ebenso verarbeitet wie die permanenten Sorgen von Eltern um ihr Kind. Bereits in seinem Debüt, der 2015 erschienenen, mit dem Dylan-Thomas-Preis ausgezeichneten Novelle „Trauer ist das Ding mit Federn“, hat er dunkelster Tragik erhellende Komik abgerungen.
Kam das Surreale in seiner Fabel damals noch in Gestalt einer Riesenkrähe als Trauerbegleiter daher, so ist es in „Lanny“ das traumwandlerische Ende, die Überlagerung der Wirklichkeiten, die Porter zum fantastischen Fantasten macht. Schon damals trieb er seine Geschichte in kurzen Kapiteln mit diversen Ich- und Wir-Erzählern voran, der Poesie stets ein paar Buchstaben näher als der Prosa.
In „Lanny“, dem schwierigen zweiten Buch, steigert er seine Experimentierfreude. Der Roman besteht aus drei Teilen mit sehr unterschiedlichen Perspektiven. Porter erfindet das Erzählrad nicht neu, dreht aber kräftig daran. Rhythmisch, fließend, mal hierhin, mal dorthin. In der Exposition berichten Lannys Mum, Lannys Dad und Pete, ein eigenbrötlerischer Künstler, der den Jungen unterrichtet. In diese Abfolge der Ich-Stimmen schiebt sich das Erwachen von Schuppenwurz, erzählt in der dritten Person. Die Stimmen im Dorf, denen die mythische Sagengestalt (benannt nach einem Sommerwurzgewächs) lauscht, sind Phrasen, Alltagssätze, Kluges, Belangloses. Ein Wispern und Dauerrauschen, optisch dargestellt in ebenjenen tänzelnden Wörterbögen. Die Verspieltheit des Autors ist keine Macke, sie trägt seinen Stoffen Rechnung. Das gilt auch für den zweiten Teil des Romans. Hier überträgt er das gesellschaftliche Gebrabbel in das Social-Media-Zeitalter, indem er grafisch abgegrenzte Texthäppchen aneinanderreiht, um Lannys Verschwinden und die Suche nach ihm aus multiplen Sichtweisen abzubilden.
Dutzende Ichs machen deutlich, was sich in der Krise vermengt: Betroffenheit und Mitgefühl, Zweifel und Neid, Hass und Hohn. Willkommen in der Timeline hysterischer Zeiten. Bei alledem erweist sich Max Porter als feiner Stilist und Prosapoet. Einzelne Kapitel sind Gedichte für sich, hier wie da sprießen Sätze, die rhythmisch verwehen, wenn sie nicht ohnehin noch bleiben. „Und da trieb das Wort Lanny im Geäst des Abends Blüten. Das Wort Lanny rankte abweichend und anormal in alle Richtungen.“
Max Porter ist ein Meister im Verdichten, gern komponiert er bachplätschernde Wörtermelodien: „Lanny tanzt herein, singend, nach freier Natur riechend.“ Womöglich kultiviert dieser aufregende Autor, was im Gequatsche unserer Zeit mehr denn je als Kunst erscheint: die Schönheit auch zwischen den Zeilen, und den Duft, den Klang, den Geschmack, die damit einhergehen.
BERNHARD BLÖCHL
Max Porter: Lanny. Roman. Aus dem Englischen von Uda Strätling und Matthias Göritz. Kein & Aber Verlag, Zürich 2019. 224 Seiten, 22 Euro.
Die Verspieltheit dieses Autors
ist keine Macke, sie trägt
seinen Stoffen Rechnung
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
und Alltagsklang
Mal Poesie, mal Prosa: Max Porters Roman „Lanny“
Über dieses Buch zu schreiben, ist wie Musik zu schmecken oder Parfums zu malen. Alle Sinne sind gefragt, die trainierten und die verkümmerten. Um eine Ahnung davon zu bekommen, was den Leser in Max Porters zweitem Roman erwartet, hilft vielleicht ein Gedankenspiel: Man möge sich die Zeilen dieses Textes geschwungen vorstellen, gestaucht und gedehnt, buchstabentaumelnd. Das Rascheln der Zeitung im Ohr, das iPad-Tappen, Druckerschwärze an den Fingern, Klicklicklick.
„Lanny“ (aus dem Englischen von Uda Strätling und Matthias Göritz) ist anders als das meiste, das in mehreren Sprachen um die Welt geht. Das beginnt mit dem Formalen, das Satzbögen und Fettgedrucktes ebenso einschließt wie twitterähnliche Kurzparagrafen mit Perspektivwechseln im Ping-Pong-Takt. Wer sich davon nicht irritieren lässt und den Kurven auf den ersten Seiten folgt, taucht immer tiefer in eine erdfrische Geschichte ein, in den Geruch von Bluteisen, den Geschmack von Mooswasser und, tatsächlich, so etwas wie eine universelle Verbundenheit.
Wer da zunächst in Erscheinung tritt in dieser Familiengeschichte in einem Dorf bei London, ist Altvater Schuppenwurz (im Original: Dead Papa Toothwort). Altvater wer? Nicht nur bei der Form, auch beim Personal fordert einen Porter, Jahrgang 1981, von Beginn an heraus. „Altvater Schuppenwurz wacht aus dem Stand weitflächig auf, streift pechdunkle Traumreste ab, die glitzern vor feuchten Kehrichtklumpen. Er legt sich hin, um Erdhymnen zu hören (es gibt keine, also summt er), dann schrumpft er, schlitzt sich mit einer rostigen Dosenlasche einen Mund, saugt eine nasse Haut aus saurem Mulch und saftigen Würmern an.“ So beginnt der 220-Seiten-Roman, das muss man sich erst mal trauen: einem mythischen Gestaltenwandler den Vortritt zu lassen, der lauscht und beobachtet, die staunenden Naturverbundenen suchend, bevor er sich aufrafft „zu einer Jahrhundertanstrengung“, wie es später heißt.
Der Kosmos der Geschichte ist ein abgelegenes Dorf in der Nähe von London, mit Wäldern und Sagen, mit schrulligen Bewohnern und Altvater Schuppenwurz, der hier als Statue in einem Labyrinth, in Gemeindeausstellungen und Erzählungen der Alten zugegen ist. Das Buch handelt von Lanny, dem wunderlichen Jungen eines ehemaligen Städter-Pärchens. Lanny, der zweite Protagonist neben Schuppenwurz, redet in der Nacht mit den Wurzeln einer Eiche, malt mit Kohle Pflanzen, stimmt kryptische Lieder und Fragen an wie diese: „Was meinst du, was geduldiger ist, eine Idee oder eine Hoffnung?“ Andere Antworten kennt er selbst: „Wir sind kleine eingebildete Blitze in einem großen, prächtigen Plan.“ Der Plan des englischen Schriftstellers Max Porter war es, diesen hypersensiblen wie klugen Außenseiter verschwinden zu lassen, das Dorf und die Medien in Aufruhr zu versetzen, und in der Angst um den Jungen die Bedeutung des Altvaters herauszustellen, den niemand (höchstens Lanny) fassen und verstehen kann. So ist das Buch eine wundersam wispernde Erdhymne auf das, was der Mensch nie ganz entschlüsseln wird, auf den Einklang mit der Natur, das Unsichtbare, das Spirituelle um uns herum.
Der Engländer Max Porter, 1981 in High Wycombe geboren, ist ebenfalls mit seiner Familie aus London weggezogen, ins überschaubarere Bath. Die Stadt-Land-Thematik hat der ehemalige Buchhändler und Lektor ebenso verarbeitet wie die permanenten Sorgen von Eltern um ihr Kind. Bereits in seinem Debüt, der 2015 erschienenen, mit dem Dylan-Thomas-Preis ausgezeichneten Novelle „Trauer ist das Ding mit Federn“, hat er dunkelster Tragik erhellende Komik abgerungen.
Kam das Surreale in seiner Fabel damals noch in Gestalt einer Riesenkrähe als Trauerbegleiter daher, so ist es in „Lanny“ das traumwandlerische Ende, die Überlagerung der Wirklichkeiten, die Porter zum fantastischen Fantasten macht. Schon damals trieb er seine Geschichte in kurzen Kapiteln mit diversen Ich- und Wir-Erzählern voran, der Poesie stets ein paar Buchstaben näher als der Prosa.
In „Lanny“, dem schwierigen zweiten Buch, steigert er seine Experimentierfreude. Der Roman besteht aus drei Teilen mit sehr unterschiedlichen Perspektiven. Porter erfindet das Erzählrad nicht neu, dreht aber kräftig daran. Rhythmisch, fließend, mal hierhin, mal dorthin. In der Exposition berichten Lannys Mum, Lannys Dad und Pete, ein eigenbrötlerischer Künstler, der den Jungen unterrichtet. In diese Abfolge der Ich-Stimmen schiebt sich das Erwachen von Schuppenwurz, erzählt in der dritten Person. Die Stimmen im Dorf, denen die mythische Sagengestalt (benannt nach einem Sommerwurzgewächs) lauscht, sind Phrasen, Alltagssätze, Kluges, Belangloses. Ein Wispern und Dauerrauschen, optisch dargestellt in ebenjenen tänzelnden Wörterbögen. Die Verspieltheit des Autors ist keine Macke, sie trägt seinen Stoffen Rechnung. Das gilt auch für den zweiten Teil des Romans. Hier überträgt er das gesellschaftliche Gebrabbel in das Social-Media-Zeitalter, indem er grafisch abgegrenzte Texthäppchen aneinanderreiht, um Lannys Verschwinden und die Suche nach ihm aus multiplen Sichtweisen abzubilden.
Dutzende Ichs machen deutlich, was sich in der Krise vermengt: Betroffenheit und Mitgefühl, Zweifel und Neid, Hass und Hohn. Willkommen in der Timeline hysterischer Zeiten. Bei alledem erweist sich Max Porter als feiner Stilist und Prosapoet. Einzelne Kapitel sind Gedichte für sich, hier wie da sprießen Sätze, die rhythmisch verwehen, wenn sie nicht ohnehin noch bleiben. „Und da trieb das Wort Lanny im Geäst des Abends Blüten. Das Wort Lanny rankte abweichend und anormal in alle Richtungen.“
Max Porter ist ein Meister im Verdichten, gern komponiert er bachplätschernde Wörtermelodien: „Lanny tanzt herein, singend, nach freier Natur riechend.“ Womöglich kultiviert dieser aufregende Autor, was im Gequatsche unserer Zeit mehr denn je als Kunst erscheint: die Schönheit auch zwischen den Zeilen, und den Duft, den Klang, den Geschmack, die damit einhergehen.
BERNHARD BLÖCHL
Max Porter: Lanny. Roman. Aus dem Englischen von Uda Strätling und Matthias Göritz. Kein & Aber Verlag, Zürich 2019. 224 Seiten, 22 Euro.
Die Verspieltheit dieses Autors
ist keine Macke, sie trägt
seinen Stoffen Rechnung
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