Produktdetails
- Librio
- Verlag: Editions J'ai lu / Import
- Seitenzahl: 89
- Französisch
- Abmessung: 205mm
- Gewicht: 93g
- ISBN-13: 9782290316689
- ISBN-10: 2290316687
- Artikelnr.: 24443765
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2001Expedition Robinsonclub
Michel Houellebecq ist auf die kanarischen Inseln geflogen, hat ein paar Fotos und ein paar Notizen gemacht – heraus kam die bösartige Fotonovelle „Lanzarote”
Es war an einem dieser Tage, als es sehr kalt war in Paris und sich ein paar schwitzende Journalisten zwischen halbtoten Zimmerpflanzen in einen eigenartigen, überheizten Konferenzraum drängelten. Dort saß ein blasser, kettenrauchender Michel Houellebecq mit frisch gefärbten Haaren und gab missmutige Antworten: Nein, er habe nicht vor, weiter in Frankreich zu leben. Nein, er werde nach den „Elementarteilchen” erst mal keinen Roman mehr schreiben. Ob die „Elementarteilchen” so etwas wie ein Abschied von der Welt seien, fragte eine Frau mit schriller Stimme. Von was für einer Welt reden sie denn nur, murrte Houellebecq und schaute die Frau so traurig an, als sei er fassungslos über die Dummheit der Frage. Ein paar Wochen später, im Frühjahr 1999, war er dann fort, verschwunden, so, wie auch die Figur Michel am Ende seines Jahrhundertromans „Die Elementarteilchen” untertaucht. Houellebecq erschien nicht zu Interviews, wurde nicht gesehen, auch bei Flammarion wusste keiner, wo er war. Houellebecq: verschwunden. Wohin? Wissen wir nicht.
Aber Houellebecq war nicht verschwunden. Saß nur in dem hässlichen kleinen Haus, das er sich in Irland gekauft hatte. Trank viel. Schrieb ein Drehbuch für einen Softpornofilm, der auf Canal Plus ausgestrahlt wird, nahm eine CD auf, flog nach Lanzarote, machte ein paar Fotos und ein paar Notizen, aus denen das seltsamste Reisebuch der letzten Jahre entstand: Das zweibändige Werk „Lanzarote”.
In einem Band sind rund 80 von Houellebecq angefertigte Landschaftsaufnahmen zu besichtigen, der andere enthält eine Erzählung, die sich zunächst liest wie die Persiflage auf einen Houellebecq-Roman. Alles kommt vor, was schon in den „Elementarteilchen” und in „Ausweitung der Kampfzone” Thema war: Die existenzielle Einsamkeit, die Zumutungen des Fremden, die Verwüstungen der modernen Amüsiergesellschaft und die kurzen Freuden des Sex.
Unter der Lava liegt der Tand
„Am 14. Dezember 1999 wurde mir mitten am Nachmittag auf einmal klar, dass mein Weihnachtsfest wahrscheinlich ein Reinfall sein würde – wie üblich. Ich bog rechts in die Avenue Félix Faure und betrat das erstbeste Reisebüro”. Ob er in den Sénégal möchte, will die junge Reisekauffrau wissen: „Ja, warum nicht Sénégal? Ich hatte mir sagen lassen, dass die Weißen in Westafrika immer noch sehr gut angesehen waren. Man brauchte nur in einer Diskothek aufkreuzen und konnte sofort eine Tusse in einen Bungalow abschleppen . . . ich verstand nicht, warum ich an diese Dinge dachte; ich hatte sowieso keine Lust zu vögeln. ,Ich habe keine Lust zu vögeln‘, sagte ich. Das Mädchen blickte erstaunt auf; kein Wunder, ich hatte mehrere Etappen meiner Gedankenkette übersprungen. ”
So beginnt die traurigste Reisegeschichte der neueren Literatur. Da lässt sich einer beraten, weil er das Gedröhne der Fernseh-Talkshows über Sex und andere Intimitäten satt hat, weil er weg will, ohne zu wissen wohin, Hauptsache weg, was ihn nach Baudelaire, dem großen Fluchtpunkt aller ambitionierten französischen Reisephantasien, ja eigentlich erst zum echten Reisenden macht. Schließlich fliegt er nach Lanzarote – aber statt dort luxe, calme et volupté in einem künstlichen Paradies zu finden, sieht Houellebecqs prosaischer Notreisender nur erstarrte Lava, ein paar idiotische Touristen und zwei bisexuelle deutsche Lesben, mit denen er sich am Strand vergnügt. Es gibt kein richtiges Leben im falschen Urlaubsressort.
„Lanzarote” ist die böse Satire auf eine schwüle Reise- und Fernwehliteratur, in der das Fremde stets die folkloristische Kulisse süßer Exotismen ist. Wo der zivilisationsmüde Pauschaltourist Salz auf seiner und anderer Haut schmecken will, findet er bei Houellebecq nur die gleichen Zumutungen, vor denen er daheim floh. Am Nebentisch frisst ein riesiger Hooligan kaltes Fleisch, und überall begegnet er einem „suspekten Völkchen angelsächsischer Rentner, flankiert von gespenstergleichen norwegischen Touristen (deren einziger Daeinszweck darin zu bestehen scheint, die Legende zu bestätigen, es gebe Leute, ,die haben da im Januar gebadet‘). ” Was anderen als batikbunte Girlande ihres xenophilen Selbstverständnisses dient, ist Houellebecqs Erzähler ein Greuel: Zum Kamelreiten, das viele Touristen als Höhepunkt ihrer Begegnung mit afrikanischer Kultur betrachten, bemerkt er: „Von allen Tieren der Schöpfung ist das Kamel unbestreitbar eines der aggressivsten und heimtückischsten. In Marokko werden Touristen, die diesen Tieren die Schnauze streicheln möchten, häufig mehrere Finger abgebissen. ,Ich habe der Dame gesagt, sie soll aufpassen‘, klagt dann der heuchlerische Kameltreiber. ,Kamel nicht gut. . .‘ Die Finger sind trotzdem ab und tatsächlich verschluckt”.
Auch ein Papagei, der „aus runden Augen wütend die Welt betrachtet”, findet keine Gnade vor Houellebecqs Reisehypochonder: „Tatsächlich, es war der Papagei, der jetzt mit wachsender Erregung immer wieder ,Eierkopp‘ kreischte. Ich hasse Vögel, die mich meist gründlich zurückhassen . . . Egal, er sollte besser nicht so angeben. Ich hatte schon welchen für weniger den Hals umgedreht. ”
Das Fremde ist immer das Böse: Wohin andere ihre Träume vom multikulturellen Leben projizieren, sieht Houellebecqs lakonischer Reisender nur Zumutungen. Dass die demokratisierte Globetrotterei des modernen Massentouristen im besten Falle sexsüchtiger Freizeitkolonialismus ist, führt Houellebecqs seltsamer Held dann an den Deutschen Lesben Pam und Barbara vor, mit denen er ausgiebigen Sex an einsamen Stränden hat.
Unter dem Laster liegt der Strand
Das Irritierende an Houellebecqs neuem Buch ist, dass er die trostlosen Urlaubsfreuden nicht nur persifliert und aus der Distanz seziert, sondern sich – wie ein guter Schauspieler – in seine Figuren so hineinsteigert, dass man nicht mehr weiß, was die schlechte Sprache und der trübe Wahnsinn der Figur ist und was jener des Autors. In großen Teilen liest sich „Lanzarote” wie das Drehbuch zu einem entnervenden Softporno – und Houellebecqs Held spricht dabei so wie Michel Houellebecq selbst bei den Vorbereitungen zu seinem erotischen Film auf Canal Plus: „Ich berührte ihre Brüste. Sie fassten sich so rund und glatt an, dass ich lange die Augen schloss. Pam stieß niedliche kleine Schreie aus, wie man sie von einer Maus erwarten würde. Plötzlich rötete sich ihre Brust, und sie machte sich mit einem ekstatischen Grunzen frei. . . ” Und so weiter, siebzig Seiten lang.
Trotzdem beschert das Ganze dem Lanzarote-Reisenden von Michel Houellebecq keine dauerhaft gute Laune; bald stören wieder dumme Menschen und böse Tiere. Schlechter dran als er ist nur die verlorene Kreatur, das absolute Opfer, das ein fester Bestandteil jeder Erzählung von Houellebecq ist; in den „Elementarteilchen” war es der schüchterne, dicke, liebessüchtige Lehrer Bruno, der in Feriencamps und bei Minderjährigen sein zweifelhaftes Glück suchte; in „Lanzarote” ist es Rudi, ein einsamer belgischer Polizist und Kinderschänder, der sich einer Sekte anschließt, welche Außerirdische anbetet und in der Biotechnologie ihr Heil sucht.
Nie war Houellebecqs Blick auf die Verwüstungen der freien Marktwirtschaft und ihrer Reisekultur so frustriert und trübe wie in diesem kleinen Band; über große Strecken liest sich das Buch wie eine ausgeleierte Kopie früherer Werke, weswegen es von der Kritik schon als überflüssiger Nachklapp zu seinen früheren Romanen verrissen wurde. Man kann es so sehen: Natürlich ist Lanzarote nicht mit der jakobinischen Wut der „Ausweitung der Kampfzone” geschrieben, und gegen die „Elementarteilchen” verblasst ohnehin ein Großteil der Gegenwartsliteratur.
Nur: „Lanzarote” ist eben keine Erzählung, die für sich steht, sondern eine Textbeigabe zu einem Fotoband voller kunstgewerblicher, volkshochschulschöner Naturaufnahmen. Vielleicht müsste man „Lanzarote” auf der Bühne inszenieren, um seine Sprengkraft zu erleben: Die Touristenbilder, die eine erhabene Naturschönheit festhalten wollen – und parallel dazu das Protokoll der traurigen Vergnügungen, die in Wirklichkeit vor dieser Kulisse stattfanden. Es ist die demokratisierte und deswegen vollkommen entzauberte Romantik des Urlaubsfotos, die man auf diesen Bildern sieht, die kodakchromegewordene Sehnsucht nach unberührter Schönheit, nach der Weite des Meeres und dem Trost der Felsen. Diese Ästhetik des Erhabenen, Grundlage aller romantischer Empfindung, prallt nun auf die leiernde Beschreibung der faden Strandspiele dreier Touristen.
Houellebecq zeigt eine Welt, in der es nur noch die Hoffnung auf kleine, momentane Genüsse gibt, die einen über die Sinnlosigkeit des großen Ganzen hinwegtrösten – und damit laufen die dreckige kleine Geschichte und die elegischen Bilder an einem geheimen Punkt dann doch zusammen: Dort, wo der Reisende einen Moment der Schönheit sucht und doch nur einen faden Abzug der Bilder findet, die er längst in seinem Kopf hatte. Das ferne Abenteuer ist da immer nur das verzerrte Bild heimlicher Ängste und Wünsche; auch in der Ferne bleibt der Reisende, der sich nach unendlichen Genüssen sehnt, gefangen in seinem miesen kleinen Leben – und nichts ist so gesehen deprimierender als Houellebecqs Motto, das wie die Inschrift an Dantes Höllentor über der Erzählung prangt: „Die Welt ist von mittlerer Größe. ”
NIKLAS MAAK
MICHEL HOUELLEBECQ: Lanzarote. Dumont, 2 Bände, 80 Fotos, 49,90 Mark
Bösartige Papageien und riesige fleischfressende Hooligans machen Houellebecqs Helden den Aufenthalt auf Lanzarote zur Hölle – was bleibt, sind wüste Phantasien und erstarrte Lavawüsten. Hier ein Bild des Meisters.
Foto: Michel Houellebecq
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Michel Houellebecq ist auf die kanarischen Inseln geflogen, hat ein paar Fotos und ein paar Notizen gemacht – heraus kam die bösartige Fotonovelle „Lanzarote”
Es war an einem dieser Tage, als es sehr kalt war in Paris und sich ein paar schwitzende Journalisten zwischen halbtoten Zimmerpflanzen in einen eigenartigen, überheizten Konferenzraum drängelten. Dort saß ein blasser, kettenrauchender Michel Houellebecq mit frisch gefärbten Haaren und gab missmutige Antworten: Nein, er habe nicht vor, weiter in Frankreich zu leben. Nein, er werde nach den „Elementarteilchen” erst mal keinen Roman mehr schreiben. Ob die „Elementarteilchen” so etwas wie ein Abschied von der Welt seien, fragte eine Frau mit schriller Stimme. Von was für einer Welt reden sie denn nur, murrte Houellebecq und schaute die Frau so traurig an, als sei er fassungslos über die Dummheit der Frage. Ein paar Wochen später, im Frühjahr 1999, war er dann fort, verschwunden, so, wie auch die Figur Michel am Ende seines Jahrhundertromans „Die Elementarteilchen” untertaucht. Houellebecq erschien nicht zu Interviews, wurde nicht gesehen, auch bei Flammarion wusste keiner, wo er war. Houellebecq: verschwunden. Wohin? Wissen wir nicht.
Aber Houellebecq war nicht verschwunden. Saß nur in dem hässlichen kleinen Haus, das er sich in Irland gekauft hatte. Trank viel. Schrieb ein Drehbuch für einen Softpornofilm, der auf Canal Plus ausgestrahlt wird, nahm eine CD auf, flog nach Lanzarote, machte ein paar Fotos und ein paar Notizen, aus denen das seltsamste Reisebuch der letzten Jahre entstand: Das zweibändige Werk „Lanzarote”.
In einem Band sind rund 80 von Houellebecq angefertigte Landschaftsaufnahmen zu besichtigen, der andere enthält eine Erzählung, die sich zunächst liest wie die Persiflage auf einen Houellebecq-Roman. Alles kommt vor, was schon in den „Elementarteilchen” und in „Ausweitung der Kampfzone” Thema war: Die existenzielle Einsamkeit, die Zumutungen des Fremden, die Verwüstungen der modernen Amüsiergesellschaft und die kurzen Freuden des Sex.
Unter der Lava liegt der Tand
„Am 14. Dezember 1999 wurde mir mitten am Nachmittag auf einmal klar, dass mein Weihnachtsfest wahrscheinlich ein Reinfall sein würde – wie üblich. Ich bog rechts in die Avenue Félix Faure und betrat das erstbeste Reisebüro”. Ob er in den Sénégal möchte, will die junge Reisekauffrau wissen: „Ja, warum nicht Sénégal? Ich hatte mir sagen lassen, dass die Weißen in Westafrika immer noch sehr gut angesehen waren. Man brauchte nur in einer Diskothek aufkreuzen und konnte sofort eine Tusse in einen Bungalow abschleppen . . . ich verstand nicht, warum ich an diese Dinge dachte; ich hatte sowieso keine Lust zu vögeln. ,Ich habe keine Lust zu vögeln‘, sagte ich. Das Mädchen blickte erstaunt auf; kein Wunder, ich hatte mehrere Etappen meiner Gedankenkette übersprungen. ”
So beginnt die traurigste Reisegeschichte der neueren Literatur. Da lässt sich einer beraten, weil er das Gedröhne der Fernseh-Talkshows über Sex und andere Intimitäten satt hat, weil er weg will, ohne zu wissen wohin, Hauptsache weg, was ihn nach Baudelaire, dem großen Fluchtpunkt aller ambitionierten französischen Reisephantasien, ja eigentlich erst zum echten Reisenden macht. Schließlich fliegt er nach Lanzarote – aber statt dort luxe, calme et volupté in einem künstlichen Paradies zu finden, sieht Houellebecqs prosaischer Notreisender nur erstarrte Lava, ein paar idiotische Touristen und zwei bisexuelle deutsche Lesben, mit denen er sich am Strand vergnügt. Es gibt kein richtiges Leben im falschen Urlaubsressort.
„Lanzarote” ist die böse Satire auf eine schwüle Reise- und Fernwehliteratur, in der das Fremde stets die folkloristische Kulisse süßer Exotismen ist. Wo der zivilisationsmüde Pauschaltourist Salz auf seiner und anderer Haut schmecken will, findet er bei Houellebecq nur die gleichen Zumutungen, vor denen er daheim floh. Am Nebentisch frisst ein riesiger Hooligan kaltes Fleisch, und überall begegnet er einem „suspekten Völkchen angelsächsischer Rentner, flankiert von gespenstergleichen norwegischen Touristen (deren einziger Daeinszweck darin zu bestehen scheint, die Legende zu bestätigen, es gebe Leute, ,die haben da im Januar gebadet‘). ” Was anderen als batikbunte Girlande ihres xenophilen Selbstverständnisses dient, ist Houellebecqs Erzähler ein Greuel: Zum Kamelreiten, das viele Touristen als Höhepunkt ihrer Begegnung mit afrikanischer Kultur betrachten, bemerkt er: „Von allen Tieren der Schöpfung ist das Kamel unbestreitbar eines der aggressivsten und heimtückischsten. In Marokko werden Touristen, die diesen Tieren die Schnauze streicheln möchten, häufig mehrere Finger abgebissen. ,Ich habe der Dame gesagt, sie soll aufpassen‘, klagt dann der heuchlerische Kameltreiber. ,Kamel nicht gut. . .‘ Die Finger sind trotzdem ab und tatsächlich verschluckt”.
Auch ein Papagei, der „aus runden Augen wütend die Welt betrachtet”, findet keine Gnade vor Houellebecqs Reisehypochonder: „Tatsächlich, es war der Papagei, der jetzt mit wachsender Erregung immer wieder ,Eierkopp‘ kreischte. Ich hasse Vögel, die mich meist gründlich zurückhassen . . . Egal, er sollte besser nicht so angeben. Ich hatte schon welchen für weniger den Hals umgedreht. ”
Das Fremde ist immer das Böse: Wohin andere ihre Träume vom multikulturellen Leben projizieren, sieht Houellebecqs lakonischer Reisender nur Zumutungen. Dass die demokratisierte Globetrotterei des modernen Massentouristen im besten Falle sexsüchtiger Freizeitkolonialismus ist, führt Houellebecqs seltsamer Held dann an den Deutschen Lesben Pam und Barbara vor, mit denen er ausgiebigen Sex an einsamen Stränden hat.
Unter dem Laster liegt der Strand
Das Irritierende an Houellebecqs neuem Buch ist, dass er die trostlosen Urlaubsfreuden nicht nur persifliert und aus der Distanz seziert, sondern sich – wie ein guter Schauspieler – in seine Figuren so hineinsteigert, dass man nicht mehr weiß, was die schlechte Sprache und der trübe Wahnsinn der Figur ist und was jener des Autors. In großen Teilen liest sich „Lanzarote” wie das Drehbuch zu einem entnervenden Softporno – und Houellebecqs Held spricht dabei so wie Michel Houellebecq selbst bei den Vorbereitungen zu seinem erotischen Film auf Canal Plus: „Ich berührte ihre Brüste. Sie fassten sich so rund und glatt an, dass ich lange die Augen schloss. Pam stieß niedliche kleine Schreie aus, wie man sie von einer Maus erwarten würde. Plötzlich rötete sich ihre Brust, und sie machte sich mit einem ekstatischen Grunzen frei. . . ” Und so weiter, siebzig Seiten lang.
Trotzdem beschert das Ganze dem Lanzarote-Reisenden von Michel Houellebecq keine dauerhaft gute Laune; bald stören wieder dumme Menschen und böse Tiere. Schlechter dran als er ist nur die verlorene Kreatur, das absolute Opfer, das ein fester Bestandteil jeder Erzählung von Houellebecq ist; in den „Elementarteilchen” war es der schüchterne, dicke, liebessüchtige Lehrer Bruno, der in Feriencamps und bei Minderjährigen sein zweifelhaftes Glück suchte; in „Lanzarote” ist es Rudi, ein einsamer belgischer Polizist und Kinderschänder, der sich einer Sekte anschließt, welche Außerirdische anbetet und in der Biotechnologie ihr Heil sucht.
Nie war Houellebecqs Blick auf die Verwüstungen der freien Marktwirtschaft und ihrer Reisekultur so frustriert und trübe wie in diesem kleinen Band; über große Strecken liest sich das Buch wie eine ausgeleierte Kopie früherer Werke, weswegen es von der Kritik schon als überflüssiger Nachklapp zu seinen früheren Romanen verrissen wurde. Man kann es so sehen: Natürlich ist Lanzarote nicht mit der jakobinischen Wut der „Ausweitung der Kampfzone” geschrieben, und gegen die „Elementarteilchen” verblasst ohnehin ein Großteil der Gegenwartsliteratur.
Nur: „Lanzarote” ist eben keine Erzählung, die für sich steht, sondern eine Textbeigabe zu einem Fotoband voller kunstgewerblicher, volkshochschulschöner Naturaufnahmen. Vielleicht müsste man „Lanzarote” auf der Bühne inszenieren, um seine Sprengkraft zu erleben: Die Touristenbilder, die eine erhabene Naturschönheit festhalten wollen – und parallel dazu das Protokoll der traurigen Vergnügungen, die in Wirklichkeit vor dieser Kulisse stattfanden. Es ist die demokratisierte und deswegen vollkommen entzauberte Romantik des Urlaubsfotos, die man auf diesen Bildern sieht, die kodakchromegewordene Sehnsucht nach unberührter Schönheit, nach der Weite des Meeres und dem Trost der Felsen. Diese Ästhetik des Erhabenen, Grundlage aller romantischer Empfindung, prallt nun auf die leiernde Beschreibung der faden Strandspiele dreier Touristen.
Houellebecq zeigt eine Welt, in der es nur noch die Hoffnung auf kleine, momentane Genüsse gibt, die einen über die Sinnlosigkeit des großen Ganzen hinwegtrösten – und damit laufen die dreckige kleine Geschichte und die elegischen Bilder an einem geheimen Punkt dann doch zusammen: Dort, wo der Reisende einen Moment der Schönheit sucht und doch nur einen faden Abzug der Bilder findet, die er längst in seinem Kopf hatte. Das ferne Abenteuer ist da immer nur das verzerrte Bild heimlicher Ängste und Wünsche; auch in der Ferne bleibt der Reisende, der sich nach unendlichen Genüssen sehnt, gefangen in seinem miesen kleinen Leben – und nichts ist so gesehen deprimierender als Houellebecqs Motto, das wie die Inschrift an Dantes Höllentor über der Erzählung prangt: „Die Welt ist von mittlerer Größe. ”
NIKLAS MAAK
MICHEL HOUELLEBECQ: Lanzarote. Dumont, 2 Bände, 80 Fotos, 49,90 Mark
Bösartige Papageien und riesige fleischfressende Hooligans machen Houellebecqs Helden den Aufenthalt auf Lanzarote zur Hölle – was bleibt, sind wüste Phantasien und erstarrte Lavawüsten. Hier ein Bild des Meisters.
Foto: Michel Houellebecq
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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