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Im Dorf nennen sie alle nur Arminuta, die Zurückgekommene. Warum hat man sie zu ihren leiblichen Eltern zurückgeschickt? Wer ist ihre Mutter? Die, die sie geboren hat, oder die, bei der sie aufgewachsen ist? Als Dreizehnjährige kannte ich meine andere Mutter nicht mehr." So beginnt die Geschichte, in der ein junges Mädchen mit einem Koffer und einem Sack voller Schuhe bei einer ihr unbekannten Familie abgeliefert wird. Die echten Eltern wollten sie wieder haben, mehr haben ihr die, die sie bisher Vater und Mutter nannte, nicht erklärt. Niemand scheint auf sie gewartet zu haben, alle haben…mehr

Produktbeschreibung
Im Dorf nennen sie alle nur Arminuta, die Zurückgekommene. Warum hat man sie zu ihren leiblichen Eltern zurückgeschickt? Wer ist ihre Mutter? Die, die sie geboren hat, oder die, bei der sie aufgewachsen ist?
Als Dreizehnjährige kannte ich meine andere Mutter nicht mehr." So beginnt die Geschichte, in der ein junges Mädchen mit einem Koffer und einem Sack voller Schuhe bei einer ihr unbekannten Familie abgeliefert wird. Die echten Eltern wollten sie wieder haben, mehr haben ihr die, die sie bisher Vater und Mutter nannte, nicht erklärt. Niemand scheint auf sie gewartet zu haben, alle haben offensichtlich andere Sorgen. Das Essen ist knapp, die Neue muss sich das Bett mit der kleinen Schwester teilen und das Zimmer mit den drei Brüdern. Hier ist alles fremd, die Armut, der Schmutz, die harten Worte. Während sie einen Weg zurück in ihr behütetes Leben in dem kleinen Haus am Strand sucht, entwickeln sich neue Bindungen, zur mutigen Schwester, den Brüdern, der Mutter. Und sie beginnt zu verstehen, wie viele Facetten die Liebe haben kann. Donatella Di Pietrantonio erzählt in dieser ungewöhnlichen Familiengeschichte von Zugehörigkeit und Verantwortung, Verstrickungen und Mutterliebe und davon, was es bedeutet, den eigenen Platz im Leben zu finden. Poetisch, zart und unvergesslich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.2018

Die Wunde Familie
Doppelter Mutterverlust: Donatella Di Pietrantonios Roman "Arminuta"

Es ist kein Erdbeben wie in Donatella Di Pietrantonios älterem Roman "Bella mia", das gleich zu Beginn des dritten Romans der 1963 in den Abruzzen geborenen Schriftstellerin die Verhältnisse ins Wanken geraten lässt. Und dennoch könnten die Erschütterungen, von denen die dreizehnjährige Erzählerin in "Arminuta" heimgesucht wird, heftiger kaum sein.

So abrupt und brutal sie herausgerissen wird aus ihrem bisherigen Leben, so kalt und unwiderruflich wird sie in ihr künftiges gestoßen. Von einem Moment auf den anderen teilen ihr die Eltern mit, dass sie nicht die leiblichen Erzeuger des Mädchens sind und dass dieses fortan bei seiner wirklichen Familie wohnen muss. Kein Widerstand, kein Flehen hilft.

Von einem idyllischen Leben in einem Einfamilienhaus, das unmittelbar an der Strandpromenade gelegen ist, wird das Mädchen in die beengte, ärmliche Wohnung einer Hilfsarbeiterfamilie gebracht. Von einer nicht weiter spezifizierten Stadt führt die unfreiwillige Reise fünfzig Kilometer weiter in das prekäre süditalienische Dorfleben der siebziger Jahre, ohne dass allerdings bei Di Pietrantonio der Umgebung eine ähnlich tragende Rolle zukommen würde, wie etwa jüngst in Wanda Marascos "Am Hügel von Capodimonte" oder gar Neapel in Elena Ferrantes Erfolgssaga.

Eben noch Einzelkind, wird das Mädchen nun mit einem Rudel allabendlich um das wenige Essen kämpfender Geschwister konfrontiert - und es ist der Autorin dabei wohl kaum einfach unterlaufen, dass die genaue Anzahl der Kinder nie ganz klar wird. Ob die Familie das Mädchen zurückgefordert hat, ob die Frau, die es bislang für seine Mutter gehalten hat, derart schwer krank ist, dass sie sich fortan nicht mehr um ihre Tochter kümmern kann, womöglich sogar sterben muss, warum die Fremde, die nun ihre Mutter sein soll, sie einst fortgegeben hat - all das kann das Mädchen sich in schlaflosen oder von Albträumen geplagten Nächten nur ausmalen. Die Erwachsenen schweigen.

Die einen, weil sie das Sprechen nicht gelernt haben und ihren Kindern nur mit der Härte derjenigen begegnen, deren Kraft sich mit der täglichen Mühsal des Überlebens erschöpft hat. Die anderen, so wird im Verlauf des Romans deutlich, weil ihr Egoismus sie stumpf und gefühllos hat werden lassen. Dass das Mädchen namenlos bleibt - von den Dorfbewohnern wird sie nur "Arminuta", die Zurückgekommene, genannt - und dass es selbst einen Brief an die bisherige Mutter nicht unterschreibt, ist die dramatische wie logische Folge der Verstoßung: Ihr wird die Identität entrissen, daraufhin verweigert sie, was von dieser übrig geblieben ist.

Donatella Di Pietrantonio hat diese Sprachlosigkeit in eine schmerzhaft schöne Poesie verwandelt. Lakonisch und harsch und deshalb umso eindringlicher lässt sie ihre Protagonistin von der brutalen, kaum erträglichen Nähe erzählen, die familiäre Bande bedeuten, von den Wunden, die diese Bande schlagen und die nicht heilen, sondern sich allenfalls kaschieren lassen.

Die emotionale Not des Mädchens kondensiert sich in "Arminuta" in einzelnen Szenen. Etwa in jener, als das Kind im Badezimmer kollabiert und nicht weiß, wie es die Frau im Nebenzimmer um Hilfe rufen soll. "Ich habe sie nie gerufen, über Jahre. Seit ich zurückgegeben worden war, steckte mir das Wort Mama im Hals wie eine Kröte, die nicht mehr heraus konnte." Oder in der Episode, als ihre Brüder gescholten werden, weil die Jungen eine Taube in ihr Bett geschmuggelt haben. ",Kleiner Scherz', rechtfertigte sich Sergio, ,die da schreit nachts wegen nichts und wieder nichts und weckt uns damit. Jetzt habe ich sie mal vor Schreck schreien lassen.'" Mitunter sind es nur Momentaufnahmen, die sich ihr mit überdeutlicher Schärfe ins Gedächtnis eingebrannt haben: die Spinne, die über der Tür an ihrem Faden zappelt, "hängend im Leeren", als das Mädchen zum ersten Mal vor der fremden Wohnung steht; die Eingeweide eines gerupften und ausgenommenen Hühnchens, die zwischen dem schmutzigen Frühstücksgeschirr im Spülbecken hängen.

Jenseits aller Rührseligkeit und frei von falscher Romantisierung sind auch hoffnungsstiftende Momente. Die bald innige Verbindung zu Adriana etwa, der gewitzten kleinen Schwester, mit der sich die Zurückgekehrte das Bett teilen muss. Nur das nächtliche Einnässen der Jüngeren verrät, wie hilflos auch sie ist, obgleich sie sich zäh und selbstbewusst gibt. Dass auch dieser Verbindung keine Dauer gestattet ist, genauso wenig wie der aufkeimenden, freilich verbotenen Zuneigung zu Vincenzo, dem ältesten Bruder, bleibt eine traurige Selbstverständlichkeit in Donatella Di Pietrantonios Welt.

Arminuta erzählt die Geschichte ihres doppelten Mutterverlusts aus der Rückschau einer Erwachsenen. Oder auch: Entronnenen. Wo und Wann des Erzählens bleiben ungewiss, ganz so, als wollte sich die Erzählerin davor schützen, ein weiteres Mal eingeholt und verlassen zu werden. Uns Leser wird ihre Geschichte noch eine lange Zeit begleiten.

WIEBKE POROMBKA

Donatella Di Pietrantonio: "Arminuta". Roman.

Aus dem Italienischen von Maja Pflug. Verlag Antje Kunstmann, München 2018. 224 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.02.2019

Das unaussprechliche
Wort „Mutter“
Donatella Di Pietrantonios Roman „Arminuta“
Eine Dreizehnjährige findet sich plötzlich in einer armseligen Wohnung wieder und steht einer verhärmten, kurzangebundenen Frau gegenüber, von der es heißt, sie sei ihre Mutter. Sie kennt diese Person nicht. Auch ihre älteren Brüder hat sie noch nie gesehen, ebenso wenig wie die vorwitzige Schwester mit den Zöpfen und den quengelnden kleinen Jungen, den die Mutter auf dem Arm trägt, und schon gar nicht den Vater, der im Nebenraum seinen Mittagsschlaf hält.
Noch am Tag zuvor hatte das Mädchen in einer Stadt am Meer gewohnt und ein behütetes Leben als Einzelkind geführt: Schwimmunterricht, Ballettstunden, üppige Mahlzeiten, Nachmittage am Strand. Nur dass die Eltern, ein Carabiniere und eine Katechismus-Lehrerin, gar nicht die tatsächlichen Eltern der Heranwachsenden waren, sondern lediglich Verwandte, die sie als Neugeborene aufgenommen hatten. Erklärt hatte ihr das nie jemand. Warum sie jetzt, im Sommer 1975, in das Dorf ihrer ersten Familie zurückgebracht wird, weiß sie ebenso wenig. Alle Bindungen sind gekappt, alle Gewissheiten verloren.
„Arminuta“ heißt der Roman von Donatella Di Pietrantonio, und er kreist um eine ebenso simple wie schockierende Praxis. In vielköpfigen Familien mit wenig Geld war es zumindest im ländlichen Italien bis in die Siebzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts hinein keine Seltenheit, dass vor allem kleine Töchter zu bessergestellten, kinderlosen Angehörigen weggegeben wurden. Der Grund war pure Not – ein hungriges Maul weniger, Bildungschancen für das anderweitig untergebrachte Kind, Wohlstand, der vielleicht auch der ersten Familie zugute kommen könnte. Ob die Betroffenen litten, spielte keine Rolle. Den informellen Adoptivkindern ihre Herkunft zu verschweigen, wie es hier passiert und wegen des identischen Nachnamens auch nicht weiter auffällt, war eher nicht die Regel. Aber darin liegt die Pointe von Donatella Di Pietrantonios ungewöhnlicher Familienaufstellung. Die Erfahrung der Rückgabe, die unweigerlich etwas Archaisches bekommt, weil sich das Mädchen grundlos verstoßen fühlt, bildet den dunklen Kern des schnell getakteten Romans, der in Italien sehr erfolgreich war.
„Arminuta“ bedeutet im Dialekt „Die Zurückgekommene“ und ist der verächtlich gemeinte Spitzname für die Außenseiterin. Das Sujet, die aufgeladene Mutter-Tochter-Beziehung, das Gefälle zwischen proletarisch-dörflichem und kleinbürgerlich-städtischem Milieu, alles passte zum neuen Interesse an der Sozialgeschichte des Landes. Die Heldin, zugleich die Ich-Erzählerin, entgeht durch den Besuch des Gymnasiums dem vorgezeichneten Weg eines Mädchens vom Lande. Eine ganze Generation teilt diese Erfahrung.
In der italienischen Tradition von Ignazio Silone über Pasolini bis zu Michela Murgia und Paolo Cognetti scheint der Raum des Dorfes häufig als Hort von etwas positiv Ursprünglichem auf. Bei Di Pietrantonio ist davon nur noch ein Rest vorhanden. Ihre Figuren haben sich ihrer bäuerlichen Herkunft längst entfremdet, es gilt ein kruder Materialismus. Immerhin gibt es eine Patentante der Mutter, bei der utopisches Potenzial aufblitzt. Die Autorin, Jahrgang 1962, genauso alt wie ihre Protagonistin und im Brotberuf Zahnärztin, stammt aus den Abruzzen, wo sie auch „Arminuta“ ansiedelt. Die Hinweise auf den Schauplatz sind allerdings sehr diskret und lassen sich im Original nur an einigen dialektalen Einsprengseln, typischen Gerichten und einem bestimmten handgewebten Bettüberwurf, der coperata abbruzese, ablesen.
Der Autorin geht es um die typischen Mechanismen des Dorfes. Am interessantesten ist ihre Spielart des Mutter-Tochter-Romans. Beide Mütter besitzen die Härte einer Medea – die erste verzichtet auf ihr sechsmonatiges Kind, die zweite nimmt es als eigenes an und lässt es im Moment der Geschlechtsreife im Stich. Damit fügt Donatella Di Pietrantonio den vielschichtigen Mutter-Figuren der jüngeren italienischen Literatur eine weitere Facette hinzu. Die Sardin Michela Murgia erzählt in „Accabadora“ (2010) ebenfalls von einer abgegebenen Tochter, die jedoch mit der Zieh-Mutter zufrieden ist und ihr magische Fähigkeiten zuschreibt. Elena Ferrante entwirft nicht nur in ihrer Tetralogie über die neapolitanischen Freundinnen, sondern auch in ihrem gerade neu übersetzten Debüt von 1992, „Lästige Liebe“, markante Mütterfiguren – ruppig, übergriffig, von bedrängender Körperlichkeit und unfähig, die Töchter gelten zu lassen.
Donatella Di Pietrantonio erzeugt durch die Doppelung von leiblicher und sozialer Mutter eine reizvolle Ambivalenz. Die eine wirkt zunächst wie der Inbegriff einer guten Mutter, die Trennung zerstört diese Empfindung. Ebenso stark wie Sehnsucht und Trauer ist der Hass, während gegenüber der neuen, leiblichen Mutter Befremden, Ekel und schließlich Scham herrschen. Die Heldin kann die leibliche Mutter nicht als solche ansprechen – die Anrede bleibt ihr im Hals stecken.
Es gibt manches auszusetzen an „Arminuta“. Es kommt zu einer allzu melodramatischen Wendung, ein Todesfall inbegriffen, manche Deutungen werden explizit formuliert, statt sie in der Schwebe zu lassen. Aber die Autorin versteht sich auf Figurenzeichnung. Vor allem die jüngere Schwester Adriana, die eine unverwüstliche Zähigkeit besitzt, ist eine schillernde Gestalt. In seinen besten Momenten erinnert der Roman an die abgründigen Familienkonstellationen, wie sie bei Elsa Morante auftauchen, manchmal blitzt etwas von Ágota Kristófs Sprödigkeit auf. Außerdem entlarvt Di Pietrantonio die Verlogenheit des aufsteigenden, katholischen Kleinbürgertums, das viel erbarmungsloser ist als die einfache Familie auf dem Dorf. Am Ende weiß sich das Mädchen zu wehren – mithilfe ihrer Schwester.
MAIKE ALBATH
Donatella Di Pietrantonio: Arminuta. Roman. Aus dem Italienischen von Maja Pflug. Verlag Antje Kunstmann. München 2018. 222 Seiten, 20 Euro.
Ebenso stark wie
Sehnsucht und Trauer
ist der Hass
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