Die Gedichte der polnischen Lyrikerin Marzanna Kielar sind große Poesie des Augenblicks
Von Milosz bis Szymborska, von Herbert bis Zagajewski - Polnisch ist die Weltsprache der Poesie. Die subtil schillernden Gedichte von Marzanna Kielar stehen in dieser Tradition, ob sie der trügerischen Idylle der Natur oder der Unwiederbringlichkeit der Liebe nachgehen. Der ewige Sommergarten ist der Ort, in dem sich das ganze Leben denken und spüren lässt: "Das, was auch dir gegeben sein wird, ein für alle Mal; /die fast schwarzen, süßen / Kirschen bluten in meiner Hand." Kielars Gedichte versuchen den Augenblick zu erhaschen, da die Gegenwart endlich aufgehoben ist: "Ich streife eine Ameise von meinem Fuß / und schaue, was sie macht mit dem geschenkten Leben, mit ihrem Tropfen Zeit."
Von Milosz bis Szymborska, von Herbert bis Zagajewski - Polnisch ist die Weltsprache der Poesie. Die subtil schillernden Gedichte von Marzanna Kielar stehen in dieser Tradition, ob sie der trügerischen Idylle der Natur oder der Unwiederbringlichkeit der Liebe nachgehen. Der ewige Sommergarten ist der Ort, in dem sich das ganze Leben denken und spüren lässt: "Das, was auch dir gegeben sein wird, ein für alle Mal; /die fast schwarzen, süßen / Kirschen bluten in meiner Hand." Kielars Gedichte versuchen den Augenblick zu erhaschen, da die Gegenwart endlich aufgehoben ist: "Ich streife eine Ameise von meinem Fuß / und schaue, was sie macht mit dem geschenkten Leben, mit ihrem Tropfen Zeit."
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Marta Kijowska zeigt sich beeindruckt von der Lyrik Marzanna Kielars, zu begutachten in diesem Auswahlband, der sich auf Kielars Erstling und drei weitere Gedichtsammlungen aus den Jahren zwischen 1993-2018 stützt. Kielars Eigenwilligkeit und Reife zeigt sich für die Rezensentin einerseits in der Natur-Bildlichkeit und ihrer Labilität, die das Idyll schnell ins Dunkle kippen lässt, und andererseits in Kielars sinnlicher Sprache, die Übersetzerin Renate Schmidgall laut Kijowska kongenial überträgt. Dem in den Texten immer wieder begegnenden Umschlag von Vertrautem in ein latent Bedrohliches sinnt die Rezensentin lange nach.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2021Das harte Naturgesetz
Im Dickicht verworrener Stunden: Neue Gedichte der polnischen Dichterin Marzanna Kielar
Sie galt von Anfang an als ungewöhnlich reife Dichterin, was in einem Land wie Polen, von dessen Literatur behauptet wird, ihre Stärke liege in der Lyrik, einiges heißen will. Die frühen Gedichte der heute siebenundfünfzigjährigen Marzanna Kielar fielen allerdings nicht nur durch ihre Reife, sondern auch durch ihre thematische Eigenwilligkeit auf. Ihr Erstlingsband, "Sacra conversazione", erschien nämlich 1992, drei Jahre nach dem Sturz des Kommunismus, und spiegelte dennoch in keiner Weise die aktuelle politische oder gesellschaftliche Situation. Der Titel des Bandes war einem tradierten Typus der christlichen Andachtsmalerei, der Darstellung der thronenden, von Heiligen umgebenen Maria, entliehen, und das Einzige, was die junge Lyrikerin (und studierte Philosophin) zu interessieren schien, waren große universelle Themen: Macht der Natur, Vergänglichkeit, Verlust, Sterben.
Auch die Liebe gehörte dazu, wobei sie den Mann oft als schweigend und sanft, nahezu realitätsentrückt erscheinen ließ. "In der Abendstille - / woher plötzlich deine Gegenwart, zitternd, zutraulich? / Die weiche Winde der Berührung, wie vor der Reise, / und deren Unausweichlichkeit, woher?", schrieb sie etwa im Titelgedicht des Buchs.
Ihr lyrisches Werk ist recht schmal; die Gedichte, aus denen der neueste Auswahlband besteht - sein Vorläufer, "In den Rillen eisiger Stunden", erschien vor zwanzig Jahren -, entstammen dem Debütband sowie drei späteren, zwischen 1993 und 2018 publizierten Sammlungen, und sie geben die Eigenart dieses Werks recht genau wieder. Etwa die Tatsache, dass die Bilder und Metaphern, derer die Dichterin sich bedient, meistens der masurischen Natur entliehen sind, was einen biographischen Hintergrund hat: Kielar ist im Nordteil von Masuren aufgewachsen, wodurch die Landschaft zwischen den dortigen Seen und der Ostsee zu ihrer dauerhaften und, wie es scheint, unerschöpflichen Inspirationsquelle wurde. Ihre Naturlyrik weist eine merkwürdige Dualität auf. Mal löst sie die subtilsten Assoziationen an Malerei und Musik aus, an die Leichtigkeit der sonnendurchfluteten Bilder der Impressionisten oder der filigranen Werke Debussys: "Zweige, klebrig von Weiß und dunklem Rosa, /vom Summen der Bienen; / weit breitet sich der Flügel des Tages aus in der Sonne . . ." Dann wieder stellt Kielar die soeben gezeichnete Idylle in Frage und lässt die Natur als etwas Düsteres, Gewaltiges, Archaisches erscheinen. Entsprechende Bilder und Vergleiche - "die Sonne wie ein erfrierender Stein", "bleierne Wolken", "steinerne Brunnen", "eisige Lava" - ziehen sich durch das ganze Werk und erwecken den Eindruck, als fiele es dem lyrischen Ich leichter, die harten Gesetze der Natur als deren Schönheit wahrzunehmen: "Der Winter verbrennt die Knochen des Herbstes, / nachdem er das Mark ausgesaugt hat . . . " Diese Gesetze flößen Respekt und nicht selten Angst ein, zumal das härteste von ihnen, "der Tod, der im Dickicht verworrener Stunden nistet", in dieser Lyrik ständig präsent ist.
Überhaupt merkt man schnell, dass Kielars besagte Reife oft mit Traurigkeit, Schwere, Resignation, mitunter Verzweiflung gleichzusetzen ist. Nur in Relationen zwischen dem lyrischen Ich und einem anderen Menschen findet sich Platz für positive Gefühle, zumal dieser fast immer der Geliebte ist. Doch auch da schleichen sich mit der Zeit, je spürbarer das eigene Alter, die schwindenden Kräfte und die Unzulänglichkeit des Körpers werden, Enttäuschung, Müdigkeit, Schmerz, Einsamkeit ein. Selbst die Sprache hat nichts Tröstliches mehr an sich: "Sprache - gemusterter Grund; Schickten des Gesprochenen lagern / sich ab. / Stimmen wimmeln in ihrer Schwarzerde, schälen das Leben ab / bis auf die Knochen."
Dennoch macht Kielars eigentümliche dichterische Sprache großen Eindruck. Sie "beschreibt die sichtbare Welt genau, detailgetreu, oft mit wissenschaftlicher Präzision . . . Sie spricht alle unsere Sinne an: Wir sehen, hören, riechen, spüren die Konsistenz der Dinge", charakterisiert Renate Schmidgall in ihrem Nachwort - und gibt diese Präzision in ihrer Übersetzung auch perfekt wieder. Was ferner an Kielars Stil beeindruckt, ist eine gewisse emotionale "Unberechenbarkeit": Die Beschreibung von Vertrautem (einer Landschaft, eines Gegenstands, einer Tageszeit) bildet oft den Auftakt eines Gedichts, dann aber folgt eine Dissonanz und damit ein abrupter Stimmungswechsel: "so nah bist du, Zweig des Schlehdorns; glatt / wie die Haut junger Apfelbäume / die Stille in mir: kein Vogel singt / nur das Feuer". Und da diese Dissonanz oft in die Sphäre des Metaphysischen führt, bewirkt sie, dass das Festhalten eines kurzen banalen Augenblicks einen langen Moment der Kontemplation nach sich ziehen kann.
MARTA KIJOWSKA
Marzanna Kielar: "Lass uns die Nacht". Gedichte.
Aus dem Polnischen und mit einem Nachwort von Renate Schmidgall. Hanser Verlag, München 2020. 128 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Dickicht verworrener Stunden: Neue Gedichte der polnischen Dichterin Marzanna Kielar
Sie galt von Anfang an als ungewöhnlich reife Dichterin, was in einem Land wie Polen, von dessen Literatur behauptet wird, ihre Stärke liege in der Lyrik, einiges heißen will. Die frühen Gedichte der heute siebenundfünfzigjährigen Marzanna Kielar fielen allerdings nicht nur durch ihre Reife, sondern auch durch ihre thematische Eigenwilligkeit auf. Ihr Erstlingsband, "Sacra conversazione", erschien nämlich 1992, drei Jahre nach dem Sturz des Kommunismus, und spiegelte dennoch in keiner Weise die aktuelle politische oder gesellschaftliche Situation. Der Titel des Bandes war einem tradierten Typus der christlichen Andachtsmalerei, der Darstellung der thronenden, von Heiligen umgebenen Maria, entliehen, und das Einzige, was die junge Lyrikerin (und studierte Philosophin) zu interessieren schien, waren große universelle Themen: Macht der Natur, Vergänglichkeit, Verlust, Sterben.
Auch die Liebe gehörte dazu, wobei sie den Mann oft als schweigend und sanft, nahezu realitätsentrückt erscheinen ließ. "In der Abendstille - / woher plötzlich deine Gegenwart, zitternd, zutraulich? / Die weiche Winde der Berührung, wie vor der Reise, / und deren Unausweichlichkeit, woher?", schrieb sie etwa im Titelgedicht des Buchs.
Ihr lyrisches Werk ist recht schmal; die Gedichte, aus denen der neueste Auswahlband besteht - sein Vorläufer, "In den Rillen eisiger Stunden", erschien vor zwanzig Jahren -, entstammen dem Debütband sowie drei späteren, zwischen 1993 und 2018 publizierten Sammlungen, und sie geben die Eigenart dieses Werks recht genau wieder. Etwa die Tatsache, dass die Bilder und Metaphern, derer die Dichterin sich bedient, meistens der masurischen Natur entliehen sind, was einen biographischen Hintergrund hat: Kielar ist im Nordteil von Masuren aufgewachsen, wodurch die Landschaft zwischen den dortigen Seen und der Ostsee zu ihrer dauerhaften und, wie es scheint, unerschöpflichen Inspirationsquelle wurde. Ihre Naturlyrik weist eine merkwürdige Dualität auf. Mal löst sie die subtilsten Assoziationen an Malerei und Musik aus, an die Leichtigkeit der sonnendurchfluteten Bilder der Impressionisten oder der filigranen Werke Debussys: "Zweige, klebrig von Weiß und dunklem Rosa, /vom Summen der Bienen; / weit breitet sich der Flügel des Tages aus in der Sonne . . ." Dann wieder stellt Kielar die soeben gezeichnete Idylle in Frage und lässt die Natur als etwas Düsteres, Gewaltiges, Archaisches erscheinen. Entsprechende Bilder und Vergleiche - "die Sonne wie ein erfrierender Stein", "bleierne Wolken", "steinerne Brunnen", "eisige Lava" - ziehen sich durch das ganze Werk und erwecken den Eindruck, als fiele es dem lyrischen Ich leichter, die harten Gesetze der Natur als deren Schönheit wahrzunehmen: "Der Winter verbrennt die Knochen des Herbstes, / nachdem er das Mark ausgesaugt hat . . . " Diese Gesetze flößen Respekt und nicht selten Angst ein, zumal das härteste von ihnen, "der Tod, der im Dickicht verworrener Stunden nistet", in dieser Lyrik ständig präsent ist.
Überhaupt merkt man schnell, dass Kielars besagte Reife oft mit Traurigkeit, Schwere, Resignation, mitunter Verzweiflung gleichzusetzen ist. Nur in Relationen zwischen dem lyrischen Ich und einem anderen Menschen findet sich Platz für positive Gefühle, zumal dieser fast immer der Geliebte ist. Doch auch da schleichen sich mit der Zeit, je spürbarer das eigene Alter, die schwindenden Kräfte und die Unzulänglichkeit des Körpers werden, Enttäuschung, Müdigkeit, Schmerz, Einsamkeit ein. Selbst die Sprache hat nichts Tröstliches mehr an sich: "Sprache - gemusterter Grund; Schickten des Gesprochenen lagern / sich ab. / Stimmen wimmeln in ihrer Schwarzerde, schälen das Leben ab / bis auf die Knochen."
Dennoch macht Kielars eigentümliche dichterische Sprache großen Eindruck. Sie "beschreibt die sichtbare Welt genau, detailgetreu, oft mit wissenschaftlicher Präzision . . . Sie spricht alle unsere Sinne an: Wir sehen, hören, riechen, spüren die Konsistenz der Dinge", charakterisiert Renate Schmidgall in ihrem Nachwort - und gibt diese Präzision in ihrer Übersetzung auch perfekt wieder. Was ferner an Kielars Stil beeindruckt, ist eine gewisse emotionale "Unberechenbarkeit": Die Beschreibung von Vertrautem (einer Landschaft, eines Gegenstands, einer Tageszeit) bildet oft den Auftakt eines Gedichts, dann aber folgt eine Dissonanz und damit ein abrupter Stimmungswechsel: "so nah bist du, Zweig des Schlehdorns; glatt / wie die Haut junger Apfelbäume / die Stille in mir: kein Vogel singt / nur das Feuer". Und da diese Dissonanz oft in die Sphäre des Metaphysischen führt, bewirkt sie, dass das Festhalten eines kurzen banalen Augenblicks einen langen Moment der Kontemplation nach sich ziehen kann.
MARTA KIJOWSKA
Marzanna Kielar: "Lass uns die Nacht". Gedichte.
Aus dem Polnischen und mit einem Nachwort von Renate Schmidgall. Hanser Verlag, München 2020. 128 S., geb., 20,- [Euro].
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