Lass uns noch mal los - Susanne Matthiessen
„Immer war irgendwas zu viel. Ich war zu laut, zu selbstbewusst, zu anstrengend, zu fordernd, zu emotional, zu frech, zu anspruchsvoll. Immer war irgendetwas falsch.“
Susanne Matthiessen nimmt uns in ihrem autobiographisch geprägten Roman mit auf eine
Zeitreise, als die 24-Jährige 1987 nach Berlin fährt.
Sie möchte Radiojournalistin beim NDR werden…mehrLass uns noch mal los - Susanne Matthiessen
„Immer war irgendwas zu viel. Ich war zu laut, zu selbstbewusst, zu anstrengend, zu fordernd, zu emotional, zu frech, zu anspruchsvoll. Immer war irgendetwas falsch.“
Susanne Matthiessen nimmt uns in ihrem autobiographisch geprägten Roman mit auf eine Zeitreise, als die 24-Jährige 1987 nach Berlin fährt.
Sie möchte Radiojournalistin beim NDR werden und scheitert beim Bewerbungsverfahren.
„Sie treten hier sehr burschikos auf, junge Dame. Als Hobby geben Sie Motorradfahren an. Tragen Sie eigentlich auch mal Kleider und Röcke? Sie haben doch eine ganz passable Figur. Nagellack? Lippenstift?“
Es ist ein Blick auf eine Zeit, in der Herren in Anzügen wie selbstverständlich und selbstherrlich mit einer jungen Frau umgehen. Und auch die Frage: „Wo müssen wir Sie politisch einordnen?“ klingt absurd, ist aber angesichts der drohenden RAF-Gefahr in der verunsicherten Bundesrepublik anscheinend legitim.
Die junge Frau erhält eine letzte Chance, um in Berlin über eine Hundezüchterausstellung zu berichten.
Sie gerät in die berüchtigte Straßenschlacht am 1.5.1987 und lernt Frauen aus einem „Frauenkollektiv“ kennen. Und sie entscheidet sich, dort zu bleiben.
Berlin ist ein „wilder Abenteuerspielplatz“, Punks, Hausbesetzer, Feministinnen sowie Menschen aller Kulturen prägen die Kreuzberger Szene.
Die Autorin gründet mit anderen Frauen ein feministisches Wohnprojekt.
Mittlerweile sind die Frauen in „die Jahre gekommen“ und erfahren am eigenen Leib, wie sich Wohnungsnot, steigende Inflation, Arbeitslosigkeit, Altersarmut auf ihr Leben auswirken.
Und auch die Kraft für gute feministische Aktionen fehlt. „Wir haben aufgegeben“, beklagt die Autorin und resümiert über die geplatzten Träume des Feminismus.
Aber irgendwie sind diese gealterten sympathischen Frauen auch in den 80er Jahren hängen geblieben.
Es kommt jedoch immer wieder neues „Leben“ in das Wohnprojekt, Aufgaben müssen gemeinsam bewältigt werden und neue kreative Ideen werden geboren, um z.B. auf häusliche Gewalt aufmerksam zu machen.
Die Charaktere der Frauen sind sensibel und humorvoll beschrieben, für mich ein bisschen unverständlich, warum der Prozess des Alterns und die damit verbundenen körperlichen Veränderungen so negativ bewertet werden.
Susanne Matthiessen beschreibt auf humorvolle Weise das Leben in dem Kreuzberger Frauen-Wohnprojekt. Das Lachen wird jedoch überlagert von der bitteren Erkenntnis, dass noch viel zu tun ist.
Die Probleme der Altersarmut von Frauen, dem teilweise tiefgreifenden Hass gegen Feministinnen, der Gewalt gegen Frauen, zeigen, dass es wirklich noch ein langer Weg sein wird, bis Frauen gleichwertig zur Gesellschaft gehören.
Aber es gibt sie noch! Die Feministinnen. Und sie machen weiter. Also: „Lass uns noch mal los.“
Ullstein Verlag 2024