Ulrich Körtner zeichnet in diesem Buch die Grundzüge einer christlichen Anthropologie, die das Recht des Menschen auf Unvollkommenheit ebenso verteidigt wie sein Recht, sich den medizinischen Fortschritt zunutze zu machen. Ein grundsätzliches, nachdenkliches Buch, das weit über die Kirchen hinaus die Diskussionen über 'Bio-Ethik' neu beleben wird.
Die neuen Anthropotechniken wie Präimplantationsdiagnostik, Stammzellforschung oder Hirnforschung setzen auf die technische Manipulation des menschlichen Körpers bis hinein in die kleinsten Bausteine. Gerade Christen haben diesen Möglichkeiten bisher mit Formeln wie "Bewahrung der Schöpfung" ein entschiedenes Nein entgegengesetzt. Aber besteht wirklich Anlaß, alarmiert zu sein? Widersprechen die neuen Life Sciences einem christlichen Menschenbild?
Ulrich Körtner setzt einer verbreiteten Fortschritts- und Technikfeindlichkeit eine Anthropologie entgegen, die ein dynamisches Verständnis der Schöpfung nicht ausschließt und uns lehrt, das Menschsein unter heutigen Lebensbedingungen mit anderen Augen zu sehen. Mit genauer Kenntnis der neuen Biotechnologien verknüpft er ethische Einzelfragen mit anthropologischen Grundeinsichten und zeigt, worin deren orientierende Kraft für das biotechnologische Zeitalter besteht. Damit liegt erstmals seit Jahrzehnten wieder eine christliche Anthropologie vor, die es erlaubt, auf gleicher Augenhöhe auf neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Möglichkeiten zu reagieren.
Die neuen Anthropotechniken wie Präimplantationsdiagnostik, Stammzellforschung oder Hirnforschung setzen auf die technische Manipulation des menschlichen Körpers bis hinein in die kleinsten Bausteine. Gerade Christen haben diesen Möglichkeiten bisher mit Formeln wie "Bewahrung der Schöpfung" ein entschiedenes Nein entgegengesetzt. Aber besteht wirklich Anlaß, alarmiert zu sein? Widersprechen die neuen Life Sciences einem christlichen Menschenbild?
Ulrich Körtner setzt einer verbreiteten Fortschritts- und Technikfeindlichkeit eine Anthropologie entgegen, die ein dynamisches Verständnis der Schöpfung nicht ausschließt und uns lehrt, das Menschsein unter heutigen Lebensbedingungen mit anderen Augen zu sehen. Mit genauer Kenntnis der neuen Biotechnologien verknüpft er ethische Einzelfragen mit anthropologischen Grundeinsichten und zeigt, worin deren orientierende Kraft für das biotechnologische Zeitalter besteht. Damit liegt erstmals seit Jahrzehnten wieder eine christliche Anthropologie vor, die es erlaubt, auf gleicher Augenhöhe auf neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Möglichkeiten zu reagieren.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2005Hauptsache, verantwortlich
Ulrich Körtner betet Rechtfertigungen für die Biopolitik herbei
Wie geht man in der evangelischen Theologie auf die Biowissenschaften zu? In welches Verhältnis will man sich hier zu den neuen Technologien dieses Sektors setzen? Ulrich Körtner, Professor für evangelische Theologie an der Universität Wien und Mitglied der österreichischen Bioethikkommission, lotet die Spielräume aus. Er meint, die Zunft der Theologen könne sich den Biowissenschaften unbefangener nähern, als viele ihrer Vertreter dies bislang getan hätten. Der nicht selten zu beobachtende "Gestus prophetischer Kultur- und Wissenschaftskritik" und der daraus hervorgehende biopolitische Alarmismus seien dem "Ernst" der zu verhandelnden Probleme nicht angemessen. Der medizinische Fortschritt sei nicht mehr aus der Welt zu schaffen. In seiner Folge sei dem Menschen an den Grenzen des Lebens eine "Verantwortung" zugewachsen, aus der er sich nicht durch willkürliche Selbstbegrenzung davonstehlen könne.
Willkürlich in diesem Sinne ist für Körtner insbesondere die "Resakralisierung der menschlichen Natur, genauer gesagt, der von personaler Existenz und ihrer Lebensgeschichte zunächst technisch abstrahierten Formen menschlichen Lebens". Dieser Position setzt Körtner eine "rechtfertigungstheologische Rekonstruktion der Schöpfungslehre" entgegen. Es sei die von unserer biologischen Beschaffenheit unabhängige, zuvorkommende und freie Gnade Gottes, welcher der Mensch seine Anerkennung und Rechtfertigung verdanke. Schaut man genauer hin, erweisen sich die Unterschiede zwischen beiden Auffassungen jedoch als recht geringfügig. Auch nach Körtners Überzeugung ist das geschöpfliche Leben "die irdische Konkretion der Rechtfertigung". Entgegen dem ersten Eindruck plädiert deshalb auch er nicht für eine Trennung zwischen Personsein und Menschsein. Im Gegenteil: Mit einer Entschiedenheit, der auch Robert Spaemann seine Billigung nicht versagen könnte, betont Körtner, daß das Personsein des Menschen mit dessen leiblicher Existenz gegeben sei.
In der frühesten Phase der embryonalen Entwicklung, bei der Frage nach dem genauen Zeitpunkt des Lebensbeginns, meint Körtner allerdings eine prinzipiell unaufhellbare Grauzone auszumachen. "Theologisch gesprochen, manifestiert sich in der Unbestimmtheit des Lebensanfangs das Geheimnis der menschlichen Person." An dieser Stelle zeitigt die von Körtner angenommene Emanzipation der schöpfungstheologischen Dimension der Menschwerdung von deren biologischer Basis gewichtige praktische Konsequenzen. Sie ermöglicht es ihm nämlich, den "Ursprung oder Grund der eigenen Lebensgeschichte in Gott von einem zeitlich fixierbaren Anfang zu unterscheiden" und den Lebensschutz erst zu einem Zeitpunkt einsetzen zu lassen, an dem das Vorliegen von Leben nicht mehr zweifelhaft ist. Damit verschafft Körtner sich eine rechtfertigungstheologische Begründungsbasis dafür, dem frühen Embryo einen strikten moralischen oder gar rechtlichen Schutz zu versagen. Eine kategorische Ablehnung der Präimplantationsdiagnostik (PID) hält er konsequenterweise für "ethisch nicht gut begründet". Die eigentlich theologisch relevante Frage laute vielmehr, "ob im Geiste der Liebe gehandelt, das heißt aber auch die Not der betroffenen Paare gesehen wird".
Nüchterner formuliert, liefert Körtner die Lebenschance der getesteten und sodann gegebenenfalls verworfenen Embryonen den Informationsinteressen ihrer Eltern aus. Der Geist der Liebe weht auf Kosten des Embryos. Zwingend ist diese Lösung keineswegs. Würde es der Achtung vor der schöpferischen und rechtfertigenden Macht Gottes nicht viel eher entsprechen, auch in Zweifelsfällen sozusagen auf Nummer Sicher zu gehen und deshalb auch der labilen Phase um den Lebensbeginn herum Respekt und Schutz angedeihen zu lassen? Statt von theologischen Überlegungen scheint Körtner hier eher von dem Anliegen motiviert worden zu sein, nur nicht mit den von ihm vermuteten "moralischen Intuitionen der Bevölkerung" in Konflikt zu kommen.
Auch im übrigen weist Körtners Buch über den Menschen im biotechnischen Zeitalter immer dort Schwächen auf, wo es sich den konkreten Fragen der Biopolitik nähert. So nimmt Körtner mit keinem Wort dazu Stellung, ob die Zulassung der PID nicht sein Anliegen eines diskriminierungsfreien gesellschaftlichen Klimas zu konterkarieren droht. Zu den modernen Reproduktionstechniken hat er nicht mehr zu sagen, als daß ihre Zulässigkeit von den Zielen und der Grundeinstellung abhängen solle, die dabei gegenüber dem menschlichen Leben walte. Ansonsten beschränkt er sich darauf, aus dem Hut des christlichen Schöpfungsglaubens den "Ansatz einer Verantwortungsethik" zu zaubern, "welche die Verantwortung auf dem Gebiet der Biopolitik als Verantwortung aller Mitglieder der Gesellschaft begreift und als politische Konsequenz die Forderung nach größtmöglicher Partizipation aller an den anstehenden Entscheidungsprozessen hat".
Liebe, gute Absicht und möglichst viel Diskurs - kann dies wirklich alles sein, was die evangelische Theologie zur Beantwortung der aktuellen biopolitischen Fragen beizutragen hat? Körtner selbst weiß: "Wo suggestive Formeln an die Stelle klarer Begriffe treten, verflacht die Ethik zum moralischen Appell." Schade, daß er dieser Einsicht nicht immer treu geblieben ist.
MICHAEL PAWLIK
Ulrich H. J. Körtner: "Lasset uns Menschen machen". Christliche Anthropologie im biotechnischen Zeitalter. C. H. Beck Verlag, München 2005. 240 S., br., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ulrich Körtner betet Rechtfertigungen für die Biopolitik herbei
Wie geht man in der evangelischen Theologie auf die Biowissenschaften zu? In welches Verhältnis will man sich hier zu den neuen Technologien dieses Sektors setzen? Ulrich Körtner, Professor für evangelische Theologie an der Universität Wien und Mitglied der österreichischen Bioethikkommission, lotet die Spielräume aus. Er meint, die Zunft der Theologen könne sich den Biowissenschaften unbefangener nähern, als viele ihrer Vertreter dies bislang getan hätten. Der nicht selten zu beobachtende "Gestus prophetischer Kultur- und Wissenschaftskritik" und der daraus hervorgehende biopolitische Alarmismus seien dem "Ernst" der zu verhandelnden Probleme nicht angemessen. Der medizinische Fortschritt sei nicht mehr aus der Welt zu schaffen. In seiner Folge sei dem Menschen an den Grenzen des Lebens eine "Verantwortung" zugewachsen, aus der er sich nicht durch willkürliche Selbstbegrenzung davonstehlen könne.
Willkürlich in diesem Sinne ist für Körtner insbesondere die "Resakralisierung der menschlichen Natur, genauer gesagt, der von personaler Existenz und ihrer Lebensgeschichte zunächst technisch abstrahierten Formen menschlichen Lebens". Dieser Position setzt Körtner eine "rechtfertigungstheologische Rekonstruktion der Schöpfungslehre" entgegen. Es sei die von unserer biologischen Beschaffenheit unabhängige, zuvorkommende und freie Gnade Gottes, welcher der Mensch seine Anerkennung und Rechtfertigung verdanke. Schaut man genauer hin, erweisen sich die Unterschiede zwischen beiden Auffassungen jedoch als recht geringfügig. Auch nach Körtners Überzeugung ist das geschöpfliche Leben "die irdische Konkretion der Rechtfertigung". Entgegen dem ersten Eindruck plädiert deshalb auch er nicht für eine Trennung zwischen Personsein und Menschsein. Im Gegenteil: Mit einer Entschiedenheit, der auch Robert Spaemann seine Billigung nicht versagen könnte, betont Körtner, daß das Personsein des Menschen mit dessen leiblicher Existenz gegeben sei.
In der frühesten Phase der embryonalen Entwicklung, bei der Frage nach dem genauen Zeitpunkt des Lebensbeginns, meint Körtner allerdings eine prinzipiell unaufhellbare Grauzone auszumachen. "Theologisch gesprochen, manifestiert sich in der Unbestimmtheit des Lebensanfangs das Geheimnis der menschlichen Person." An dieser Stelle zeitigt die von Körtner angenommene Emanzipation der schöpfungstheologischen Dimension der Menschwerdung von deren biologischer Basis gewichtige praktische Konsequenzen. Sie ermöglicht es ihm nämlich, den "Ursprung oder Grund der eigenen Lebensgeschichte in Gott von einem zeitlich fixierbaren Anfang zu unterscheiden" und den Lebensschutz erst zu einem Zeitpunkt einsetzen zu lassen, an dem das Vorliegen von Leben nicht mehr zweifelhaft ist. Damit verschafft Körtner sich eine rechtfertigungstheologische Begründungsbasis dafür, dem frühen Embryo einen strikten moralischen oder gar rechtlichen Schutz zu versagen. Eine kategorische Ablehnung der Präimplantationsdiagnostik (PID) hält er konsequenterweise für "ethisch nicht gut begründet". Die eigentlich theologisch relevante Frage laute vielmehr, "ob im Geiste der Liebe gehandelt, das heißt aber auch die Not der betroffenen Paare gesehen wird".
Nüchterner formuliert, liefert Körtner die Lebenschance der getesteten und sodann gegebenenfalls verworfenen Embryonen den Informationsinteressen ihrer Eltern aus. Der Geist der Liebe weht auf Kosten des Embryos. Zwingend ist diese Lösung keineswegs. Würde es der Achtung vor der schöpferischen und rechtfertigenden Macht Gottes nicht viel eher entsprechen, auch in Zweifelsfällen sozusagen auf Nummer Sicher zu gehen und deshalb auch der labilen Phase um den Lebensbeginn herum Respekt und Schutz angedeihen zu lassen? Statt von theologischen Überlegungen scheint Körtner hier eher von dem Anliegen motiviert worden zu sein, nur nicht mit den von ihm vermuteten "moralischen Intuitionen der Bevölkerung" in Konflikt zu kommen.
Auch im übrigen weist Körtners Buch über den Menschen im biotechnischen Zeitalter immer dort Schwächen auf, wo es sich den konkreten Fragen der Biopolitik nähert. So nimmt Körtner mit keinem Wort dazu Stellung, ob die Zulassung der PID nicht sein Anliegen eines diskriminierungsfreien gesellschaftlichen Klimas zu konterkarieren droht. Zu den modernen Reproduktionstechniken hat er nicht mehr zu sagen, als daß ihre Zulässigkeit von den Zielen und der Grundeinstellung abhängen solle, die dabei gegenüber dem menschlichen Leben walte. Ansonsten beschränkt er sich darauf, aus dem Hut des christlichen Schöpfungsglaubens den "Ansatz einer Verantwortungsethik" zu zaubern, "welche die Verantwortung auf dem Gebiet der Biopolitik als Verantwortung aller Mitglieder der Gesellschaft begreift und als politische Konsequenz die Forderung nach größtmöglicher Partizipation aller an den anstehenden Entscheidungsprozessen hat".
Liebe, gute Absicht und möglichst viel Diskurs - kann dies wirklich alles sein, was die evangelische Theologie zur Beantwortung der aktuellen biopolitischen Fragen beizutragen hat? Körtner selbst weiß: "Wo suggestive Formeln an die Stelle klarer Begriffe treten, verflacht die Ethik zum moralischen Appell." Schade, daß er dieser Einsicht nicht immer treu geblieben ist.
MICHAEL PAWLIK
Ulrich H. J. Körtner: "Lasset uns Menschen machen". Christliche Anthropologie im biotechnischen Zeitalter. C. H. Beck Verlag, München 2005. 240 S., br., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nicht wirklich überzeugt zeigt sich Rezensent Michael Pawlik von Ulrich Körtners Buch "Lasset uns Menschen machen". Wie er berichtet, sucht Körtner, Professor für evangelische Theologie der Universität Wien und Mitglied der österreichischen Bioethikkommission, darin nach Rechtfertigungen für die Biopolitik, auch um Skeptiker in seiner Zunft zu überzeugen. Der Autor unterscheide den "Ursprung oder Grund der eigenen Lebensgeschichte in Gott" und den "zeitlich fixierbaren Anfang" des Menschen, und verschaffe sich so eine rechtfertigungstheologische Begründungsbasis dafür, dem frühen Embryo einen strikten moralischen oder gar rechtlichen Schutz zu versagen. Konsequenterweise halte er eine kategorische Ablehnung der Präimplantationsdiagnostik (PID) für "ethisch nicht gut begründet". Theologisch relevant sei vielmehr die Frage, "ob im Geiste der Liebe gehandelt, das heißt aber auch die Not der betroffenen Paare gesehen wird" (Körtner). Pawlik hält dem Autor vor, von dem Anliegen motiviert zu sein, nicht mit den von ihm vermuteten "moralischen Intuitionen der Bevölkerung" in Konflikt zu kommen - und nicht von theologischen Überlegungen. Generell findet Pawlik das Buch immer dann schwach, wenn es um konkrete Fragen der Biopolitik geht. Mit keinem Wort nehme der Autor etwa dazu Stellung, ob die Zulassung der PID nicht sein Anliegen eines diskriminierungsfreien gesellschaftlichen Klimas zu konterkarieren drohe.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH